₀₃₁

Jede Faser meines Körpers sträubt sich dagegen, zurück zu gehen, aber ich willige ein, als Alexej den Vorschlag macht. Es bringt mir nichts, es vor mir hin zu schieben.

„Wie auch immer...was willst du eigentlich in deiner Zukunft machen?", frage ich neugierig und helfe ihm auf. Er klopft sich das Gras von der Hose und zuckt mit den Schultern.
„Hab ich mir noch nicht überlegt."
„Musst du doch mal, sonst bist du steinalt bevor du Pieps sagen kannst", sage ich scherzhaft, er lacht auf.
„Habe ich schon graue Haare?", fragt er gespielt besorgt und schielt nach oben.
„Lass mich mal sehen", murmele ich und wuschele ihm durch die Haare. Normalerweise würde ich solche Nähe nicht direkt eingehen, aber bei Alexej habe ich wirklich das Gefühl, ihm vertrauen zu können.
„Oh, das sieht gar nicht gut aus", ziehe ich ihn auf, obwohl er nicht mal ansatzweise graue Haare hat. Das hellbraun ist so durchdringend wie eh und je.

„Mist. Da kann ich meine nicht vorhandenen Pläne vergessen", meint er betrübt und ich grinse. Ich mag diese Art von Umgang miteinander, diese leichte Art. Ich weiß, dass ich mit Alexej genauso gut auch über ernste Themen sprechen kann, aber manchmal braucht man solche Momente, um die Realität zu vergessen.

„Sieh's positiv, dann brauchst du mich nicht so lange zu ertragen", sage ich und lache.
„Sag so etwas nie. Niemals, okay? Wenn ich das Gefühl hätte, dich ‚ertragen' zu müssen, wäre ich nicht hier, okay?", meint er auf einmal völlig ernst und ich schlucke. Eigentlich war es ja nur ein Scherz, aber hundertprozentig ironisch habe ich es nicht gemeint. Ein Funken in mir glaubt meinen Worten.
„Okay", flüstere ich. Wieso ich meine Stimme senke weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass die ausgelassene Stimmung hinüber ist und daran kann und will ich nichts ändern. Der Versuch wieder Scherze zu machen würde prompt scheitern und es wäre erbärmlich, wie sehr ich es versuchen würde.

Zeitgleich zu uns, treffen Lien und Álvadro zur Gruppe, die beiden haben wohl noch geschlafen. Vorsichtig schiele ich zu Lien, der nach dem gestrigen Tag erstaunlich ausgewogen aussieht. Lächeln tut er zwar nicht, seine Mimik und Gestik strahlen aber vollkommene Ruhe aus. Was ist über Nacht passiert? Gestern Abend war er verrückt, hat wirre Sachen von sich gegeben, geschrien.

"Was machen wir heute?", fragt Álvadro und gähnt.
"Teambuilding?", schlägt Alexej vor und ich kneife skeptisch die Augen zusammen. Wir sind hier doch nicht in einem Ferienlager. Auch Fernando sieht argwöhnisch aus.
Einwendungen oder bessere Vorschläge gibt es allerdings keine.
"Und wie?", hake ich schließlich nach.
"Den ganzen Tag Zeit miteinander verbringen, reden, uns besser kennenlernen, Spiele spielen?", zählt Loise ihre Ideen auf. Ferienlager, sag ich ja. Am besten dann noch an einem Lagerfeuer Lieder singen, oder? Aber ich wende nichts mehr ein, denn wenn sich hier einer nicht noch weiter unbeliebt machen sollte, bin ich das. Alle anderen haben sich mehr oder weniger in die Gruppe integriert.

"Gut. Dann fangen wir direkt an, oder? Lass uns doch erstmal ein schönes Plätzchen suchen!" Alexej klatscht begeistert in die Hände und wir stehen auf, um seiner Idee Folge zu leisten.
"Lass uns doch zu deinem Spawn gehen, Lien!", schlägt Álvadro vor und Angesprochener nickt.

Wir machen uns auf den Weg und ich komm mir immer bescheuerter vor. Wieso tun wir so, als wäre das ein Klassenausflug? Wir sind doch alle aus einem Grund hier und der ist nicht Teambuilding. Jetzt laufen wir auch noch in Reihen hintereinander, Lien und Alexej haben die Führung übernommen, Leon und Loise laufen ganz hinten. Álvadro unterhält sich gerade mit Fernando und Maria und ich bin irgendwo dazwischen. Teambuilding. Dass ich nicht lache.

Ich könnte zu Alexej und Lien gehen und mich einmischen, aber ich will nicht wie die Person wirken, die so etwas nötig hat. Wenn sich keiner mit mir unterhalten will, ist das okay, ich bin aus der Schule das Schweigen gewöhnt.

Wir marschieren Richtung Meer, alle unterhalten sich angeregt miteinander, die Idee scheint wirklich zu funktionieren. Man tauscht sich miteinander aus, kommt auch näher. Und Anastasia ist wieder die, die allein ist.

Dann ändert sich etwas in der Reihenfolge, Álvadro rennt nach vorne zu Lien und Alexej lässt sich nach hinten zu mir fallen.
Stur starre ich geradeaus, ich bin nicht beleidigt, vielleicht ein wenig eingeschnappt. Nach heute Morgen hätte ich gedacht, dass Alexej mehr zu mir hält, aber so leicht kann man sich täuschen.

"Du hältst wohl nicht viel von Teambuilding?", spricht Alexej das Offensichtliche aus.
"Dafür sind wir nicht hier."
"Aber gemeinsam ist es einfacher als allein", wirft er ein und ich zucke mit den Schultern. Mag sein, aber für mich ist es immer noch nicht einleuchtend. Ich will hier nur weg und das so schnell wie möglich, da will ich keine Zeit mit Reden verschwenden. Meinen Fehler wiedergutmachen. Endlich die Wahrheit akzeptieren und demnach leben.

Ein Jahr muss ich durchhalten, dann ist es vorbei mit Schule und Eltern, dann kann ich auf die andere Seite der Welt ziehen. Nur muss ich davor noch hier raus und wer weiß wie lange das dauern kann.
Mein Zustand muss sich verbessern, ich muss wirken, als hätte ich meinen Lebenssinn wieder gefunden. Lächeln, Witze machen, unbefangen sein.

Augenblicklich setze ich ein Lächeln auf und strecke meine Schultern durch.
"Okay, das wird bestimmt unterhaltsam", willige ich ein und motiviere mich innerlich damit. Ein Tag Teambuilding, dabei so fröhlich wie möglich wirken und dann kann ich meine ganze Energie wieder meinem Ziel zuwenden. Auf keinen Fall lasse ich mir das Ganze noch lange gefallen. Menschliches Versuchsobjekt, adieu.

"Das war aber eine schnelle Meinungsänderung", wundert such Alexej und betrachtet mich mit einem neugierigen Blick von oben herab. Ich fühle mich klein, aber muss innerliche Größe ausstrahlen.
"Das war meine sture Seite, die musste ich nur überzeugen", erwidere ich grinsend.
"Alles klar", meint Alexej wenig überzeugt, aber ich lasse mich nicht davon beeinflussen. Ich darf es nicht übertreiben, ansonsten könnte man mein Spiel durchschauen.

Den restlichen Weg schweigen wir, aber ich lächle so viel, dass meine Mundwinkel auf Dauer anfangen zu schmerzen. Ich ignoriere es und recke nur mein Kinn. Unbefangenheit. Selbstbewusstsein. Freude.

Noch immer geht mir die Luft aus und das Schauspielen wird daran nichts ändern. Ich wirke nur glücklich, ich wirke so, wie ich es will. Nur leider kann ich mich nicht fühlen, wie ich will.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top