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Ein schmächtiges, blasses Mädchen mit langen, pechschwarzen Haaren schlenderte gelangweilt durch die Gänge des Waisenhauses Grey Orphanage.

Der Name passt, dachte sich das Mädchen, als es der Kantine betrat. Die Wände und Böden waren in genau dem selben Grauton gehalten wie die Stühle und Tische, ebenso die Theke. Selbst das Essen, dass die Schwarzhaarige sich holte, bestandt aus einer klumpigen, grauen Masse.

Als sie sich an einen dieser grauen Tische setzte, sah sie sich um. Vereinzelt saßen kleine Gruppen von Kindern beieinander, die ausdruckslos in ihrem Essen stocherte und miteinander redeten. Aber überall waren auch welche zu sehen, die allein ein einem Tisch waren.

Niemand ging zu ihnen hin, redete mit ihnen, aß mit ihnen.

Und das hatte drei Gründe: Entweder hatte man hier einfach keine Freunde, und war deshalb einfach lieber allein, man war gemein, sodass die anderen gar nicht versuchten, mit einem zu reden, oder man war einfach ein Freak.

Auf das Mädchen, Victoria, traf wohl alles drei zu.

Aber hauptsächlich hielten die anderen Waisen sie wohl für einen Freak. Und das lag nicht nur an ihren durchdringenden, eisblauen Augen, obwohl man selbst dafür für anders gehalten werden kann, sondern eher daran, dass sie Dinge konnte.

Dinge, die normale Menschen nicht konnten.

Diese Dinge machten den Kindern, als auch den Betreuern des Grey Orphanage Angst. Victoria machte ihnen Angst. Also wurde sie gemieden. Nicht, dass ihr das wirklich etwas ausmachte, sie mochte hier sowieso niemanden, dennoch hätte sie nichts gegen ein paar Freunde gehabt.

Oder gegen eine Familie.

Morgen würde sie Geburtstag haben. Allein. Niemand würde kommen. Ihr gratulieren. Außer vielleicht einige Betreuerinnen.

Nachdem Victoria die klumpige, graue Masse, die von der Köchin als Essen bezeichnet wurde, irgendwie heruntergewürgt hatte, verließ sie die Kantine.

Sie wollte keinesfalls länger als nötig dortbleiben, lieber wollte sie in ihr Zimmer, um dort ein Buch zu lesen, oder zu lernen. Allein.

Auf dem Weg dorthin lief sie einigen Jungs über den Weg, vielleicht drei oder vier Jahre älter als Victoria. Sie sahen aus, als hätten sie gewartet.

"Na, du Freak? Wo willst du denn hin? Eine Runde auf deinem Besen fliegen?" fragten sie höhnisch.

Plötzlich flackerte Wut in den eisblauen Augen Victoria's auf.

"Ich bin kein Freak!" rief sie zornig, und auf einmal gingen die drei Jungs in die Knie. Wimmernd, aufgrund unerklärlicher Schmerzen, einem liefen sogar einige Tränen die Wange herunter.

Eine Betreuerin, die das Ganze beobachtet hatte, Mrs May - Victoria konnte sie noch nie leiden - kam schnell hergeeilt. "Vici, das reicht! Hör sofort auf!" wies sie das Mädchen an.

Dieses wand nun ihren Blick von den drei Jungs ab und wendete ihn auf die Betreuerin. Fast instinktiv erwartete diese, von demselben Schmerz getroffen zu werden, doch nichts geschah. Von den Jungs war einzig ein Keuchen zu hören, der Pein muss aufgehört haben.

Das kleine Mädchen, dass sich selbst eher in der Opferrolle sah, meinte unschuldig: "Ich hab doch gar nichts gemacht!"

Wütend schüttelte Mrs May ihren Kopf, und ihre dunkelbraune Bobfrisur wackelte hin und her. "Victoria meine Liebe, das ging zu weit. Ich werde mit Miss Grey darüber sprechen,ob es nicht besser wäre, jemanden hierher zu holen, der dich und deine 'Besonderheiten' mal unter die Lupe nimmt. Geh jetzt auf dein Zimmer.

Adam, Tobi, Andrew," wand sie sich nun an die Jungen, und plötzlich erschien ein breites Lächeln in ihrem zu dicken Gesicht, "Alles gut? Sollte noch etwas sein oder solltet ihr noch irgendwo Schmerzen haben, geht ins Krankenzimmer, ja?"

Dann sah sie Victoria, die immernoch wie versteinert dastand tief in deren eisigen, blauen Augen, formte ein lautloses 'verschwinde' mit den rot geschminkten Lippen, die sich ziemlich mit dem linken Lidschatten bissen,  und eilte dann ins Büro der Heimleiterin.

Es musste endlich jemand dieses Angst einflössende Mädchen untersuchen. Mrs May konnte Victoria noch nie leiden.

Sie war so...sonderbar.

Sie wurde eines Nachts von irgendeinem gruseligen Typen ins Waisenhaus gebracht, der behauptete, weder der Vater, noch ein anderer Verwandter zu sein, und ehe weitere Fragen gestellt werden konnten, war er schon wieder verschwunden.

Er erwähnte nur noch, dass ihr Name Victoria sei und war sie Geburtstag hätte. Mehr Informationen besaß man nicht über das Kind. Weder Nachname, noch Namen der Eltern oder anderer Leute, die etwas über sie wissen könnten.

Und nun häuften sich diese Vorfälle.

In ihrer Nähe bewegten oder veränderten sich plötzlich Dinge, Tiere benahmen sich seltsam und sie machte den anderen Kindern Angst.

Mrs May hatte ja gerade gesehen, dass es dafür auch einen Grund gibt.

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