4
Ace
Irland war ein wunderschönes Fleckchen, fand ich. Das Schloss war perfekt, um sich irgendwo zu verkriechen, zu lesen, in Ruhe zu lernen oder ein bisschen den Regen zu genießen, den wir in San José fast nie zu Gesicht bekamen. Als Kinder hatten Freya, Dee und ich hier immer wunderbar Verstecken spielen können. Wir waren in die riesige Bibliothek gegangen und hatten die tollsten Zauber in ihren Büchern entdeckt, mit denen wir natürlich nichts hatten anfangen können. Wir hatten uns in Arlens Labor geschlichen, wenn es schon spät gewesen war und hatten so getan, als wären wir selbst Hexen und Zauberer gewesen, die mit ihren Tränken herumexperimentierten. Zumindest so lange, bis Arlen uns einmal entdeckt hatte. Danach war die Türe immer abgeschlossen gewesen.
Das Einzige, das ich an diesem Ort hasste, war die Zeitverschiebung.
Wir waren gegen neunzehn Uhr aus Kalifornien abgereist, aber hier war es um diese Zeit drei Uhr morgens gewesen. Jetzt ging langsam die Sonne auf, ich wurde allmählich müde, konnte aber nicht einschlafen. Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, zog mir die Decke über den Kopf und versuchte an etwas Schönes zu denken, um meine Gedanken zu beruhigen, aber es klappte nicht. Irgendwann griff ich nach meinem Handy und wählte Freyas Nummer.
„Kann mein werter Herr Bruder ohne mich nicht einschlafen?", fragte sie trocken, als sie abhob.
„Witzig." Ich rieb mir die Augen. „Warum bist du noch wach?"
„Ich kann nicht schlafen, wenn du nicht da bist", gab sie beleidigt zu, aber das überraschte mich nicht. „Blödmann. Warum musstest du ohne mich weg?"
„Warum wolltest du nicht mit?", gab ich die Frage zurück. „Hat Dad sich wieder beruhigt?"
„Keine Ahnung, ich bin nicht zu Hause."
„Wo bist du?"
„Bei Onkel Aidan geblieben."
„Mutig. Ob du wohl ohne Kopf herumrennst, wenn ich wieder zurückkomme?"
„Möglich. Glaubst du, er hebt meinen Hausarrest auf?"
„Möglich. Wahrscheinlicher ist, dass er ihn verlängert", lachte ich.
„Ekelhaft..."
Eine Zeit lang schoben wir nur belangloses Gerede hin und her, aber ich fühlte mich sofort wohler, und irgendwann legte ich mein Handy neben mir auf das Kissen und schloss die Augen.
„Bist du noch da?", murmelte Freya irgendwann, selbst schon völlig weggetreten.
„Mhhh...", machte ich zustimmend.
„Nicht auflegen", gähnte sie.
„Mhh..."
„Gute Nacht..."
„Mh."
~~ ~~
Dad würde sich für die Telefonrechnung bedanken, dachte ich, als ich gegen Mittag wieder aufwachte und mein Anruf immer noch lief. Freya war bestimmt noch nicht wieder aufgewacht und ich legte auf, wünschte ihr per SMS vorsorglich einen guten Morgen und rieb mir müde das Gesicht.
Um diese Zeit saßen Tante Bev und Ally wahrscheinlich schon beim Mittagessen. Mühsam kroch ich aus dem Bett, zog mich um und schlurfte durch die Gänge.
Wenn ich hier war, kam es mir immer so vor, als würde die Welt außerhalb dieses Schlosses nicht existieren. Es war einfach eine andere Welt. Wenn ich aus dem Fenster sah, sah ich nur endlose Grünflächen und dahinter das Meer. Sonst nichts. Die endlosen Flure, die riesigen Kronleuchter und die weiten Teppiche ließen mich immer fühlen, als wäre ich in ein anderes Zeitalter gerutscht.
„Schlafmütze", lächelte Tante Bev, als ich mich im Speisesaal neben ihr an einem der endlosen Tische fallen ließ. „Wir sind eigentlich schon beim Mittagessen, aber du siehst aus, als könntest du einen Kaffee vertragen."
Meine Antwort war ein Gähnen und Tante Bev stand auf, um mir aus der Küche eine Tasse Kaffee zu holen. Ally saß rechts von ihrer Mutter und hielt den Kopf über ihrem Teller gesenkt, um mich nicht ansehen zu müssen. Ihr Schweigen mir gegenüber löste sich normalerweise nach ein paar Stunden, aber diesmal schien sie besonders stur. Tante Bev kam zurück und stellte mir eine große Tasse mit dampfendem Kaffee hin.
„Was hast du heute vor?", fragte sie mich dann und setzte sich wieder.
„Nach reichlicher Überlegung und einer langen Debatte mit mir selbst, habe ich beschlossen, mich nach dem Frühstück wieder schlafen zu legen", nickte ich. „Und dann sehen wir weiter."
Tante Bev grinste mich belustigt an. „Willst du nicht bei den Vorbereitungen für die Krönungszeremonie dabei sein?"
„Mom...", murrte Ally, so wie Teenager normalerweise klangen, wenn ihre Eltern auf Familienzusammenkünften plötzlich das Babyfotoalbum hervorzauberten und einmal um den Tisch wandern ließen. Trish liebte es, das zu tun. Aber zum Glück war ihr Lieblingsalbum das, das nur mit den Fotos von Dee gefüllt war, deshalb war sie es meistens, die diesen anklagenden Tonfall in der Stimme hatte.
Ally stocherte missmutig in ihrem Essen herum.
„Was passiert da denn so?", hakte ich nach und trank ein paar Schlucke Kaffee. Vielleicht musste ich mich doch nicht noch einmal hinlegen, wenn ich drei Tassen von diesem Zeug runterkippte.
Freya hatte einmal in der Biologiestunde zu mir gesagt, dass ich bestimmt im falschen Körper geboren worden war und in Wirklichkeit die Seele eines Koalas besaß, denn diese Tiere brauchten etwa zweiundzwanzig Stunden Schlaf am Tag. Aber Trish meinte, dass es normal war, dass Teenager viel Schlaf benötigten und es ungewöhnlich war, dass meine Schwester mit fünf Stunden Schlaf auf Hochtouren laufen konnte.
„Wir schreiben eine Gästeliste, dann formulieren wir die Einladungen, besprechen, was zu Essen serviert wird, Ally muss sich für ein Kleid entscheiden..."
Ally vergrub verzweifelt die behandschuhten Finger in ihren Haaren.
„Sind meine Schwestern und ich auch eingeladen?"
„Natürlich."
„Dann klingt es sehr verlockend, das Essen mitbestimmen zu dürfen", überlegte ich.
„Dann machen wir das doch gleich als erstes, bevor du mir wieder einschläfst."
„Ich hab fertig gegessen, darf ich gehen?", fragte Ally hastig und schob ihren halbvollen Teller von sich.
Tante Bev sah sie an. „Wo willst du denn hin?"
„Auf mein Zimmer? Keine Ahnung", knurrte sie. „Irgendwohin." Irgendwohin, wo sie nicht mit mir im selben Raum sein musste.
„Nichts da, du hilfst mit, über die Speisen zu entscheiden, es ist schließlich deine Krönungszeremonie."
Ally warf ihrer Mom einen eisigen Todesblick zu. „Manchmal glaube ich wirklich, du hast nur Kinder bekommen, um sie zu quälen."
„Wir brauchen alle unsere Serotoninquelle, mein Schatz", feixte Tante Bev und stand auf. „Komm, wir holen vorher noch Arlen ab. Der will sicher auch ein Wörtchen mitreden, was das Essen angeht, so, wie ich ihn kenne."
Kurz überlegte ich, ob ich Ally den Gefallen tun und doch einfach auf mein Zimmer gehen sollte. Sie mit meiner Anwesenheit zu quälen, machte mir nicht einmal halb so viel Spaß, wie Tante Beverly. Aber am Speiseangebot mitzufeilen war einfach zu verlockend. Also trank ich den Rest meines Kaffees in einem Zug leer, stemmte mich hoch und folgte den beiden.
„Hast du schon eine Idee, was ganz oben auf der Speiseliste stehen soll?", fragte Tante Bev Ally, als ich aufgeholt hatte.
„Mein Kopf auf einem Silbertablett..." Verbissen stampfte sie einen halben Meter hinter ihrer Mutter und mir her. „Geräuchert und gereift, damit ihr mich jetzt schon mal köpfen könnt."
Tante Bev seufzte amüsiert, als wir um die Ecke bogen. „Ally, mein Schatz, wenn ich wollte, dass-" Sie blieb abrupt stehen und Ally stolperte beinahe gegen sie.
„Verdammt...", murmelte Tante Bev alarmiert und schob Ally, die sich an ihrer Mutter vorbeidrängen wollte, hinter sich und starrte ans Ende des Flurs. Ich entdeckte Arthur, Corona und einen Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Aber Tante Bevs Blick zu urteilen nach, wusste sie, wer das war.
Ally schien ähnlich planlos über die Reaktion ihrer Mutter wie ich. „Was macht der denn hier?", murmelte Tante Bev.
„Wer ist das?", wollte ich wissen.
„Der Inbegriff von Ärger", sagte sie, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Jegliches Vergnügen darüber, Ally aufzuziehen, war verschwunden. „Ace, tu mir bitte einen riesengroßen Gefallen und geh mit Ally zurück. Geht durch die Küche, in den Südflügel des Schlosses und bleibt da, bis ich euch hole. Ich will nicht, dass er sie hier sieht. Und dich soll er hier auch nicht sehen."
Ich verstand nicht, worum es ging, oder warum Tante Beverly wollte, dass Ally und ich uns versteckten, aber sie gab mir keine Erklärung und wenn ich eines über Tante Bevs Familie gelernt hatte, dann war es, dass man prinzipiell lieber tat, was einem gesagt wurde und die Fragen später stellte. Im besten Fall stellte man gar keine Fragen, wenn man nachts noch ruhig schlafen wollte, hatte Dad einmal gesagt.
Es war das erste Mal, dass Ally mich ansah, seit wir in Irland angekommen waren und in ihrem Blick stand pure Verwirrung. Sie lief nicht einmal rot an.
Ich schob sie vor mir her und versuchte sie unauffällig abzuschirmen. Das Letzte, das ich sah, bevor wir wieder im Speisesaal verschwanden, war, wie Tante Bev auf die drei zuging.
Weil Ally sich in dem Schloss weitaus besser zurechtfand als ich, übernahm sie die Führung und irgendwann waren wir in einem Trakt des Schlosses, in dem ich noch nie gewesen war.
„Wo sind wir denn hier gelandet?", hakte ich nach und sah mich um. Hier wirkte alles düsterer als in den restlichen Teilen des Schlosses.
Ally sah sich grübelnd um. „Nicht sicher... das hier ist nicht gerade mein Ferienhaus. Ich bin nicht jedes Wochenende hier."
Ich fragte mich, ob sie etwas über das, was hier geschah, wusste, das ich nicht wusste. Sie wandte den Blick wieder ab und zeigte nach rechts. „Lass uns da lang gehen. Wenn Mom sagt, wir sollen uns verstecken, dann machen wir es besser richtig und gehen noch ein Stück weiter."
„Weißt du, wer der Mann war, mit dem Corona und Arthur geredet haben?", fragte ich Ally, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nie gesehen. Zur Familie gehört er bestimmt nicht... Oder zumindest nicht zu dem Teil der Familie, der für mich relevant ist."
Irgendwann gelangten wir an den Absatz einer Wendeltreppe, der bestimmt einen der vier Türme des Schlosses hinaufführte. Ally blieb stehen und setzte sich auf die unterste Stufe. „So. Hier sollten wir niemandem über den Weg laufen."
Gegenüber den Treppen war ein Fenster, aber so wie die meisten Fenster auf den Fluren, konnte man es nicht öffnen. Es war ziemlich verdreckt von dem vielen Regen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand.
„Hier kommt wirklich nie jemand her, oder?"
Sie hob die Schultern und zupfte an ihren Handschuhen herum.
Ich stieß einen angestrengten Seufzer aus. „Und jetzt drehen wir Däumchen, bis deine Mom uns wieder aufgabelt, oder was?"
„Sieht so aus."
„Ekelhaft, würde Freya jetzt sagen."
„Nein, Freya wäre im Speisesaal geblieben, hätte ihr Ohr gegen die Türe gedrückt und gelauscht", sagte Ally und im nächsten Moment sahen wir einander an und ich wusste, dass wir uns beide wünschten, Tante Bev nicht gehorcht zu haben und dem Geschehen nachspioniert hätten. Vielleicht lag Neugierde ja auch in der Familie.
„Das hat man davon, wenn man auf seine Eltern hört", sagte ich.
Sie sah mich an, als hätte ich etwas Schlaues gesagt. Ungewöhnlich.
„Warum eigentlich nicht?", fragte sie dann grübelnd.
„Was denn?"
„Na, du kannst es doch, oder?"
„Geht's nicht noch ein bisschen undeutlicher?"
Sie verdrehte genervt die Augen. „Freya könnte es."
„Ally!"
„Wozu hast du Dämonenblut in den Adern, wenn du es nicht nutzt?"
Ich schob mein langsames Begreifen auf den Schlafmangel. Freya hatte viel mehr Übung darin, ihre übernatürlichen Fähigkeiten einzusetzen. Ihr gefiel es. Mir machte diese ganze Sache eher Angst.
Trotzdem wollte ich es versuchen, einfach, weil ich Ally beweisen wollte, dass ich es konnte. Und auch, weil die eben angesprochene Neugier siegte. Mit einer zweiten Tasse Kaffee hätte es bestimmt besser gelappt, aber ich versuchte mich zu konzentrieren und drang durch die vielen Geräusche, die sich gegen meine Ohren drückten. Allys Atem, das Rauschen des Blutes in meinen Adern, der Wind außerhalb der Gemäuer, das Gemurmel und Gerede in den Fluren und Zimmern des Schlosses. Ich konzentrierte mich darauf, Tante Bevs Stimme ausfindig zu machen, und als ich sie vernahm, klammerte ich mich an ihr fest und zog mich näher an sie heran. Trotz all meiner Anstrengung konnte ich ihre Worte nur verzerrt hören. Dumpf, als säße ich unter Wasser.
Aber eines erkannte ich dennoch: Tante Bev klang sauer.
„Ihr beide spinnt doch vollkommen! Was habt ihr euch dabei gedacht, ihm das vorzuschlagen?"
„Es ist ein gutes Angebot." Das war Corona. Sachlich wie immer.
„Angebot? Sind meine Kinder jetzt Ware, mit der man handeln kann?"
„Du solltest es dir überlegen." Arthur.
„Den Teufel werde ich tun! Und wenn ich mitbekomme, dass einer von euch auch nur auf die Idee kommen sollte, Ally-"
„Und? Kannst du was hören?", durchschnitt Ally meine Konzentration und ich zuckte zusammen, weil sich ihre Stimme so unvorbereitet laut gegen meine Ohren drückte. Genervt sah ich sie an. Gerade wollte ich ihr sagen, dass sie beim nächsten Mal die Klappe halten sollte, wenn sie wollte, dass ich für sie lauschte.
Aber dann überlegte ich es mir anders. Tante Beverly hatte mit Corona und Arthur über Ally und Finn gesprochen. Die drei hatten über irgendetwas gestritten und ich wollte Ally keine Angst einjagen.
Ich glaubte, dass ihre Eltern sich zu Hause oft genug über sie und Finn stritten.
„Nein, ich... ich bin aus der Übung. Beim nächsten Mal musst du es wohl selbst versuchen."
Das würde sie nie. Seit einiger Zeit versuchte sie, den dämonischen Teil in sich konsequent zu ignorieren. Er hatte ihr nur Schmerzen eingebracht.
Mürrisch ließ sie ihren Kopf gegen die Steinwand fallen und wir verfielen in Schweigen.
„Hier seid ihr!", stieß Tante Beverly erleichtert aus, als sie uns nach knappen zwanzig Minuten entdeckte. „Was macht ihr denn im hintersten Eck des Schlosses?"
„Du wolltest doch, dass wir uns verstecken", erwiderte ich und stieß mich von der Wand ab.
„Aber doch nicht vor mir." Sie kam zu uns und legte einen Arm um Allys Schultern.
„Dann musst du deine Vorstellungen beim nächsten Mal präziser ausdrücken."
Sie sah mich belustigt an. „Die Ausdrucksweise hast du von deinem Vater. Holt eure Sachen, wir reisen wieder ab."
„Was?", fragte Ally fassungslos und löste sich von ihrer Mutter. „Wir wollten doch alles für meine Krönungszeremonie vorbereiten! Das Essen und die Gästeliste und mein Kleid!"
„Das muss warten", sagte Tante Bev entschieden. „Ich hab vergessen, dass ich zu Hause noch etwas zu erledigen habe."
„Kann das nicht warten?", drängte Ally frustriert, aber Tante Bev warf ihr nur einen zurechtweisenden Blick zu und Ally stampfte wütend an uns vorbei. Tante Beverly sah ihr nach. Ich wartete, bis Ally um die Ecke verschwunden war.
„Was sollte das denn jetzt?", fragte ich. „Worüber hast du mit Corona und Arthur geredet?"
Sie zog die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf schräg. „Hat dir dein Vater nicht beigebracht, dass man anderer Leute Gespräche nicht belauscht? Was hast du gehört?"
„Nichts Konkretes. Aber du hast über Ally und Finn gesprochen. Worum ging es dabei?"
„Um nichts. Mach dir keine Sorgen."
„Worum soll ich mir keine Sorgen machen? Jetzt mache ich mir nämlich welche. Wenn ich mir keine machen müsste, hättest du nicht gesagt, dass ich mir keine machen muss."
Sie musterte mich. Nicht wütend, oder genervt, nein, sie sah mich an, wie sie manchmal Finn ansah, wenn er sich beim Spielen oder beim Sportunterricht verletzt hatte und sich weinend in ihre Arme warf.
„Worüber habt ihr gestritten? Wer war dieser Mann? Wir sind gerade erst angekommen, warum müssen wir jetzt schon wieder zurück? Bitte, sag mir was los ist."
Einen kurzen Augenblick lang glaubte ich, dass Tante Bev in mir einen Erwachsenen sehen, nachgeben und mir die Wahrheit sagen würde. Doch dann war der Moment verstrichen, sie erkannte in mir den siebzehnjährigen Teenager, der ich war, und ihr Gesicht war innerhalb eines Wimpernschlages so entspannt wie Eh und Je.
„Es ist wirklich nichts, Ace. Typische Reibereien innerhalb meiner verqueren Hexenfamilie. In ein paar Tagen wird es sich wieder gelöst haben."
Sie log. Das war immerhin eine Sache, mit der ich in meiner Familie umzugehen gelernt hatte.
Lügen konnten wir alle gut.
~~ ~~
Ich glaube, dass Tante Bev irgendwas verheimlicht, sagte ich abschließend zu Freya, nachdem ich ihr den gesamten Morgen haarklein berichtet hatte, was in Irland passiert war.
Als Tante Bev mich vor meiner Türe abgesetzt hatte, war meine Familie gerade erst aufgewacht. Sie hatte nur kurz mit Trish und Dad gesprochen und währenddessen hatte ich Freya alles erzählt. Während ich unter der Dusche gestanden, meine Haare geföhnt, mir das Gesicht rasiert und mich schließlich umgezogen hatte. Tante Beverly war schon wieder weg gewesen, als wir nach unten in die Küche geschlurft waren.
Freya strich Marmelade auf ihren Toast und sah mich unbeeindruckt an. Ich bitte dich, Ace, diese Familie ist doch voll von Geheimniskrämern. Es machen doch alle ständig ein Geheimnis aus allem. Das macht es doch gerade so spannend.
Aber nicht so, beharrte ich. Du hättest die Abscheu in Tante Bevs Augen sehen sollen.
Vielleicht hast du an diesem Tag einfach besonders hässlich ausgesehen.
Ich warf ihr einen genervten Blick zu und sie biss ungerührt in ihren Toast.
Sie haben über Ally und Finn geredet. Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. Es war mein zweiter heute und langsam wirkte es.
Ein Verbrechen. Wenn ich jedes Mal einen Komplott vermuten würde, wenn Dad über dich und Dee redet, dann wäre mein Zimmer ein Detektivbüro. Bestimmt ging es nur um die Krönungszeremonie. Dafür seid ihr doch schließlich nach Irland gereist, oder nicht?
Ich stellte meine Kaffeetasse ab. Und warum wollte Tante Bev dann sofort zurück nach Hause? Bevor auch nur ein Wort über die Krönungszeremonie gefallen ist? Das ergibt doch keinen Sinn. Ich wette, dieser Mann-
„Das ist unhöflich", sagte Dad plötzlich, ohne von seiner Zeitung aufzusehen. Freya und ich sahen auf, Dee sah verwirrt zwischen uns hin und her und Trish warf Dad einen irritierten Blick zu. „Sprecht aus, was ihr zu sagen habt, oder lasst es bleiben, wenn ihr mit uns beim Frühstück sitzt."
„Entschuldigung", murmelten Freya und ich zeitgleich.
Meine Schwester sah mich an. Woran erkennt er das immer?
Ich hab keine Ahnung..., entgegnete ich.
„Es ging nur um die Schule", sagte Freya. „Nichts Wichtiges. Wir hätten euch gelangweilt." Gib mir Mal den Apfelsaft.
Ich griff nach der Packung und goss ihr ein Glas ein.
Trish warf Freya einen seltsamen Blick zu, so, wie sie es immer tat, wenn wir flunkerten. Manchmal kam es mir so vor, als könne sie unsere Gedanken lesen. Dabei waren Freya und ich eigentlich gute Lügner.
Wir hatten von den besten gelernt.
Dee stand auf, brachte ihren Teller und ihre Tasse in die Küche und zog sich dann die Schuhe an.
„Soll ich dich in die Schule fahren?", fragte Dad und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Sie sah auf. „Nein, ich... schon okay, ich... werde abgeholt."
Freya und ich drehten uns zu ihr. „Du wirst abgeholt?", hakten wir gleichzeitig nach, weil all ihre Schulfreunde so alt waren, wie sie und noch keinen Führerschein besaßen. Jetzt sah auch Dad von seiner Zeitung auf und wir alle starrten Dee abwartend an. Sie richtete sich auf und griff sich ihre Jacke vom Garderobenhaken.
„Jetzt, seht mich doch nicht so an", grummelte sie, während ihr Gesicht so rot wurde wie ihre Haare, die sie in einen losen Knoten eindrehte und mit dem Haargummi von ihrem Handgelenk befestigte. „Ich hab auch ein Privatleben..."
„Mhm", machte Dad grimmig. „Und wie alt ist er, wenn er dich fahren kann?"
„Keine Sorge, der Gehstock liegt hinten im Kofferraum und die Brille mit den extrastarken Gläsern hat er auch immer dabei."
„Dee", schmunzelte Trish.
„Ich bin spät dran!" Sie griff nach ihrer Tasche und verschwand blitzschnell aus dem Haus. Trish stand vom Tisch auf und war mit einem Satz beim Fenster, zog den Vorhang ein Stück zur Seite und lugte neugierig hinaus.
„Er ist groß", ließ sie uns wissen. „Bestimmt Basketballer oder so."
„Was soll das denn heißen?", brummte Dad, legte seine Zeitung weg, stand ebenfalls auf und drängte sich energisch neben Trish ans Fenster.
„Sie hat einen guten Geschmack, findest du nicht?", lachte Trish stolz. „Muss sie von mir haben."
„Bitte, du hattest die größten Geschmacksverirrungen in deinem Leben."
„Nicht so bescheiden, sie ist doch deine Tochter", lachte Trish und stieß ihn an.
Freya schüttelte sich und wandte sich wieder ihrem Frühstück zu. Ekelhaft, das musste ich nun wirklich nicht hören...
Ja, es gibt Dinge, die will man sich nicht vorstellen, stimmte ich ihr zu.
„Darf ich dich an Khai erinnern?", fragte Dad und er und Trish setzten sich wieder an den Tisch.
„Khai hat doch auch ganz ordentlich ausgesehen. Sie muss nur noch an ihrer Charakterwahl feilen." Sie wandte sich an mich, um nicht länger mit Dad diskutieren zu müssen. „Jetzt, da du doch da bist: Was machen wir heute? Wir könnten doch zu viert etwas Nettes unternehmen."
Ich nickte, aber Freya machte einen gequälten Gesichtsausdruck. „Bitte, erspar mir die sonnigen Familientage..."
„Ach, komm. Das Wetter ist schön und weder euer Dad noch ich müssen heute arbeiten. Wann kommt das schon vor?"
„Grace sagt immer, Musiker wissen gar nicht, was Arbeit ist", bemerkte Freya, ohne Trish anzusehen. „Sie sagt, es ist leicht verdientes Geld."
Brems dich, warnte ich und sie warf mir über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg einen schelmischen Blick zu.
„Warum hat sie es dann nicht gemacht?", hakte Trish provokant nach.
„Sie wollte lieber Menschenleben retten." Freya blinzelte unschuldig in die Runde und darauf konnte keiner etwas sagen, aber das war nicht nötig. Freya redete bereits weiter. „Ich hab eine tolle Idee! Wir könnten sie doch besuchen, oder?"
„Vergiss es", sagte Dad sofort entschieden und mir gefiel ihr Vorschlag auch nicht. „Ich verbringe meinen freien Tag bestimmt nicht bei Grace. Und ich bin mir sicher, dass dein Bruder und Trish mir da zustimmen."
Trish nickte. „Kino und Eisessen klingt reizvoller. Oder wir fahren mal wieder an den Strand?"
„Aber sie ist immer allein, wenn sie nicht auf Finn und Ally aufpassen muss", beharrte Freya hartneckig. „Seit Grandpa tot ist, ist sie bestimmt sehr einsam."
„Ich bin sicher, so, wie sich diese Frau benimmt, war sie schon davor einsam. Sie legt es ja geradezu darauf an", sagte ich.
„Ihr missversteht sie alle."
Dad grinste Freya süffisant an. „Du kannst sie gerne alleine besuchen."
„Einverstanden!", kam es wie aus der Pistole geschossen, sie warf ihre Serviette auf den Tisch, sprang auf und raste nach oben. Ich presste die Lippen zusammen, um nicht loszulachen, und legte mein Besteck leise auf den Teller, während Trish sich mit einem angestrengten Seufzen zurücklehnte.
„Daran gebe ich dir die Schuld", ließ sie Dad anklagend wissen, der Freya verdattert nachsah.
„Ich muss sagen... das war ziemlich beeindruckend", gab er zu.
Ein paar Sekunden später kam meine Schwester die Treppen wieder heruntergepoltert. „Ich wünsche euch viel Spaß!", rief sie mit einem breiten Grinsen, bevor sie aus dem Haus stürzte.
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