Wieder „P-1"?

Es half nichts. Frank Sutton konnte gegenüber Melina Hargraves und auch dem Notarzt mehrfach versichern, dass es ihm schon ein wenig bessergehen würde- die Endstation für diesen Tag hieß „St. Martins' Hospital.

Melina und auch der Notarzt wollten – allein schon wegen Frank Suttons Vorgeschichte- keinerlei Risiken eingehen und Frank von oben bis unten im 'St. Martins' durchchecken lassen.

Und nun lag er wieder hier in dem gleichen noblen Patientenzimmer der Intensivstation, wie seinerzeit schon. Nur, dass Frank Sutton diesmal wenigstens bei Bewusstsein war und auch blieb. Er war nun auch schon wieder mit einer rosigen Gesichtsfarbe gesegnet.

Melina hatte ihr Stationsschwestern- Outfit angelegt. Um Fran ins Krankenhaus zu begleiten, war sie kurzerhand mit dem noch angezogenen Sensibility- Anzug im Rettungswagen mitgefahren, um nahe bei Frank zu sein. Sie Brachte Frank einige Klamotten mit und schloss diese in dessen Schrank im Zimmer ein.

„Einen schönen Gruß von Familie Singh. Herr Singh hat Dir die Sachen vorbeigebracht. Allerdings wollte man ihn nicht auf die ITS lassen. Und? Wie geht es Dir jetzt?"

„Och!"- pustete Frank lang aus und streckte sich auf seinem Krankenlager. „Sieht so aus, als würdest Du heute ein paar Überstunden machen wollen. Aber Du könntest ruhig gehen. Mir geht es gut. Ich komme schon klar."

„Die Schwestern haben mir gesagt, dass der Chefarzt schon bei Dir war? Was sagen denn die Befunde?"

„Unauffällig! Allesamt im grünen Bereich. Ich soll wohl eine Blutdruck- Spitze gehabt haben. Sie behalten mich für heute hier unter Beobachtung."

„Ja. Das haben mir die Schwestern auch gesagt, dass Du erstmal hierbleiben wirst. Bilde Dir nicht ein, dass ich Dich hier rausschmuggeln werde, nur, weil Du mir schöne Augen machst. Ich war wirklich erschrocken heute Morgen." Melina ging zum Bett und hielt Frank Suttons Hand.

„Trotz der Schmerzen an der Kanüle- es fühlt sich immer noch gut an. Schwester Melina."

„Schmeichler. Trotzdem lasse ich Dich hier."

„Also? Ich war ja dabei und weiß, was Du dem Notarzt erzählt hast. Worüber Du allerdings noch schweigst, ist, was der Auslöser für diesen Unruhezustand war. Du musst es mir nicht sagen, aber es würde mich ungemein beruhigen, wenn es nicht unser gemeinsamer Ausflug in einen Nachtclub war." Melina versuchte, ihre Sorgen und Ängste um Franks Gesundheit spielerisch abzutun.

„Der Auslöser? Ich schätze, den hat Mark gesetzt."

„Was? Mark? Oh, wenn ich den in die Finger bekomme. Der kann was erleben. Ich werde..." Melina war verärgert.

Frank Sutton jedoch beschwichtigte sofort und fiel ihr ins Wort.

„Nein, Melina. Nein. Nicht so, wie Du vielleicht denken könntest. Eher ins Positive betrachtet."

„Ins Positive?"

„Ja. Aber das ist Mark 'Marilyn', wie er leibt und lebt. Und deshalb schätze ich ihn vielleicht- auch wenn er ein komischer Kauz ist. Er ist ehrlich und gradlinig. Mark denkt zu mir vollkommen verschieden. Auf absolut fremden Betrachtungsniveau."

„Also da gebe ich Dir Recht." Melina setzte sich auf den Stuhl am Krankenbett.

„Mark hatte zu Anfang unseres Eintauchens in den 'Coin Dreamer' so etwas Komisches gesagt. So flapsig einfach in den Raum gestellt. Du weißt schon: Die Sache mit dem 'gepflegten Sex mit seiner KI'? Und ja: Es war unangemessen. Und ja: Es war wirklich sehr eklig, sich dies vorzustellen! Stimmts?" Frank Sutton setzte sich im Krankenbett auf, um Melina besser zu sehen.

„Ohne Worte!"

„Aber in meiner Branche, versuchen wir ja auch das Unvorstellbare vielleicht auch technisch oder mit Software anzudenken- vielleicht sogar umzusetzen. Als Mark diesen Spruch gemacht hatte, was mir schon irgendwie seltsam zumute- als hätte ich so einen Gedanken schon einmal irgendwo aufgeschnappt- vielleicht sogar als Frank 3.0 sogar versucht umzusetzen."

„Sex mit einer KI?"

„Warte- bevor Du zu schnell urteilst. Hör einfach zu.", bat Frank und fasste Melinas Hand etwas fester. „Also Mark hatte dieses Zeug erzählt. Und ich merkte da schon- in meinem Hirn machte es 'Ratter, ratter'. Aber ich konnte das nicht so richtig zuordnen. Mein Gehirn wollte es irgendwo einordnen- konnte diese Info aber nicht so recht dahin sortieren, wo sie hingehört hätte: Ins Fach 'Gehört- und besser sofort vergessen!', um keine Bilder entstehen zu lassen. Aber als wir dann später in diesem Nachtclub waren- und Mark wieder so einen Spruch gebracht hat, da hörte das Geratter im Kopf mit einem Mal auf und es hat ganz laut 'Klick' gemacht: Ich glaube zu wissen, weshalb Benjamin Brown unbedingt mein Programm haben will und wofür die Riesen- Bestellung der Sensibility- Anzüge durch S&B schon ausgelöst wurde!"

„Und? Spann mich nicht auf die Folter."

„Wenn Benjamin Brown das Ruder übernehmen sollte, dann wird der 'Coin Dreamer' ein neues 'Special' bekommen, um es nur einfach mal vorsichtig auszudrücken. Ein 'Special' für exklusive und sehr gut zahlende Kunden! Kunden mit 'gewissen Neigungen', wenn Du verstehst?" Frank lehnte sich zurück. Er wollte die Worte bei Melina erst einmal Fuß fassen lassen, bevor er vielleicht in detailreichere Erläuterungen ging.

Und Melina verstand all die Andeutungen wohl recht deutlich.

„Du meinst? Ach Gott, wie abstoßend. So eine exklusive Sex- Version? Virtuelle Sexversion? Eingebettet in deine Software?" Melina machte eine Mimik, die aufzeigte, was dieser Gedanke bei ihr auslöste: einen Würgreflex.

Frank nickte.

„Genau so etwas. Und zwar für 'alle speziellen Wünsche' der Reichen und Schönen. Eigene Handlungswünsche, die so ein Millionär oder Politiker nie offen zeigen dürfte- trotz seines Geldes oder Einflusses. Oder du möchtest einen KI- Porno ansehen? Kein Problem für unseren- ach so integren Geschäftsmann- Benjamin Brown. S&B macht es für Dich- wenn die Bezahlung stimmt- möglich. Alles! Du versteckst deine pädophilen Neigungen? Benjamin machts möglich. Sodomie? Ben machts möglich. Du siehst nur gern zu bei etwas? Ben machts möglich. Die Kasse klingelt dann nicht nur, der ach so brave Benjamin hat ja dann auch vielleicht etwas gegen die hohen Herren oder betuchten Damen in der Hand. Das macht Leute dann auch erpressbar. Zugang zur High Society, Einladungen, Aufmerksamkeiten im Gegenzug. Vielleicht darf es eine politische Kariere sein? Bitteschön, lieber Benjamin. Eine kleine 'Sonderzahlung'? Bitteschön, guter Benjamin. Wir sind doch Freunde- nicht wahr?"

Melina schüttelte angewidert den Kopf.

„Du kannst mir glauben Melina, in diese Richtung soll der Zug dann fahren. Und auch, wenn ich mich nicht zu einhundert Prozent an den damaligen Abend erinnern kann: ich bin fester Überzeugung, dass ich diese 'potentiellen Gefahren' des Programmes an dem Abend, als ich ins Koma fiel, mit Paul und Benjamin bei S&B besprochen habe- und auch, dass ich da schon gesagt hatte, dass ich große Inhalte des Programmes- also alles, was mir ethisch fragwürdig vorkam, bereits verschlüsselt habe und auch vorhabe, diese Datei- Inhalte zu entschärfen und wenn erforderlich zu löschen. Mir war sogar so, dass mir Peter Bellamy beipflichtete und mir zur kompletten Löschung und Überarbeitung der neuen 'Coin Dreamer'- Software geraten hat- im Beisein von Benjamin bei der vertraulichen Drei- Mann- Besprechung. Und dann wurde es Nacht bei mir. Koma- und aus war das Licht! Mehr weiß ich nicht."

„Ach Du Schande! Und gerade der Teil fehlt Dir dann? Das ist... Mist- um es vorsichtig auszudrücken. Da könnte ja alles Mögliche vorgefallen sein. Wie soll man Das denn einem Dritten glaubwürdig vermitteln?" Melina blickte ratlos zur Seite weg. Auch sie versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. „Könnte dieser Paul Bellamy sich mit Benjamin Brown zusammengetan haben?"

Frank Sutton schüttelte den Kopf. „Niemals. Peter war ein Heiliger, Familienoberhaupt und Vater. Wenn es für unsere Branche eine Ethik- Kommission gäbe, dann hätte Peter Bellamy in jedem Fall alle Stimmen für den Vorstandsposten. Und nicht nur die Stimmen von S&B- alle, die ihn kennen oder kannten, hätten für ihn gevotet."

„Okay? Dann wäre diese Variante wohl vom Tisch. Aber ich rate einmal, wer keine Stimme für einen Posten in dieser 'virtuellen Ethik- Kommission' erhalten würde: Benjamin Brown?", merkte Melina an.

„Benjamin Brown!"

„Wäre Benjamin Brown in der Lage, Dir und Peter Bellamy etwas anzutun? Nur aus eiskaltem Geschäftskalkül?"

„Tja. Diese Frage stelle ich mir auch schon seit der Herfahrt ins Klinikum."

Ein Moment des Schweigens erfüllte den Raum.

Sowohl Frank Sutton als auch Melina Hargraves starrten Löcher in die Luft und suchten nach einem Ausweg.

Irgendwann brach Frank das große Anschweigen.

„Ich habe einen Einfall, wie ich Ben irgendwie noch anpacken könnte. Aber ich würde mir da echt eine Lösung wünschen, auch wenn diese Lösung auf meine Kosten geht."

Dann wieder Schweigen.

„Ich hätte da vielleicht eine Idee- aber bitte, nicht lachen.", warf Melina irgendwann ein.

„Okay? Lass mal hören.", bat Frank.

„Also- und bitte nicht lachen. Als Kind hatte ich über Jahre hinweg ein Filmplakat in meinem Zimmer: James Steward! „Zwölf Uhr mittags", so hieß der Film, von dem ich das Plakat hatte. James Steward mit Cowboy- Hut und fest entschlossen, seine Stadt im Showdown mit den Bösewichten zu verteidigen. Ich habe damals Unmengen an diversen Western- Romanen gelesen. Und ich schätze einfach mal, auch unsere Lösung des Problems mit den Bösewichten- auch, um sie aus der Reserve zu locken- heißt?"

„Großer Showdown!", sagten Melina und Frank fast gleichzeitig- und Frank Sutton betonte es so, als wäre ihm mit Melinas Vorschlag wirklich ein Stein vom Herzen gefallen.

„Melina? Du bist ein Goldstück!"

„Das bin ich in der Tat. Aber es muss wirklich 'groß' werden. Benjamin Brown muss dabei sein. Im Showdown! Er muss aber nicht gleich abgeknallt werden. Es würde reichen, ihn bloßzustellen! Aber mit Stil! Vielleicht bringt man ihn so aus seiner vermeintlich sicheren Deckung!", schlug Melina vor.

Frank lachte und spann den Faden sofort weiter: „Belegschaftsversammlung! Alle aus der Londoner Zentrale müssen dahin kommen. Es kann ja so aussehen, als wenn ich mich persönlich von allen verabschieden will, bevor ich bei S&B, so wie es sich Benjamin ja wünscht, den Hut nehme und mit dem vorgeschlagenen Geld danach verschwinde und von der Bühne gehe. Aber in Wahrheit? In Wahrheit legen wir seine schmierigen Pläne offen auf den Tisch- vor allen Mitarbeitern. Und Lydia Bellamy will ich auch dahaben. Vielleicht ist es auch eine gute Idee, diesen Inspektor einzuladen. Der hat mir ja seine Karte dagelassen."

Melina war mit einem Mal melancholisch. Sie streichelte mit der flachen Hand Franks Gesicht und zeigte einen besorgten Gesichtsausdruck. „Und was, wenn mein Held dabei auch verletzt wird? Im großen Showdown?"

„Wenn schon Schmutz gewaschen wird, könnte es auch bis auf mein unbeflecktes Hemd spritzen. Das Dumme daran ist, dass mir die Erinnerung fehlt- ich würde nur vermuten und raten. Beweisen könnte ich nichts- bis auf die Software. Kann auch sein, dass dein 'Held' verletzt wird. Aber wenn, dann soll es so sein. Ein Held nimmt so etwas mit Haltung. Gehen wir es an?"

„Gehen wir es an!"

„Ähem!" Eine Schwester der Station stand in der Tür des Krankenzimmers. Sie war jedoch nicht aus Melina's Schicht. Mit erhobenen Zeigfinger gab sie ein Statement: „Ich störe ja nur ungern. Aber es ist an der Zeit, das 'Besucher' vielleicht die Station verlassen? Melina? Das geht an Dich. Dein Patient muss sich jetzt erst einmal ausruhen."

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