Strategien
Jeder sucht die bestmöglichen Strategien, um zu bestehen und zudem zu erlangen, was er für richtig und notwendig erachtet.
Und wie sich zeigte, war auch Frank Sutton solch ein Mensch.
Melina Hargraves war der festen Überzeugung, dass sich Ihr Patient Frank Sutton tief in seinem Herzen gewünscht hatte, dass er sich zumindest in der Person Felicia Banneman nicht irrte.
Wie sich allerdings in der Unterredung im Restaurant 'Harbour Crest' herausstellte, platzte diese Hoffnung Frank Suttons wie eine Luftblase- und zwar direkt vor seinen Augen.
Aber warum? Was war geschehen?
Frank hatte am Vortag einen Anruf erhalten. Auch wenn er Den oder Die nicht mit Namen erklärte- es musste jemand aus der Firma S&B Coin Dreamer gewesen sein. Und auch wenn diese Person für Melina Hargraves eine anonyme Person blieb, so hatte der Whistleblower aus der Firma einige 'Interna' an Frank Sutton mitgeteilt. Interna, die Frank sehr besorgt über die aktuellen Geschehnisse- aber auch vorsichtig im Umgang mit Felicia Banneman und anderen Personen werden ließen. Und es handelte es sich um Personen, denen er eigentlich Vertrauen entgegenbrachte- insbesondere jetzt, da Peter verschollen war und er selbst noch nicht der Alte ist.
Wem Frank Sutton jedoch hier in Chatham vertraute, dies ließ er unzweifelhaft erkennen. Noch bevor man sich aufmachte, in das Restaurant am Hafen von Chatham aufzubrechen, hatte Frank dies mehr als deutlich durch ehrliche Worte dargestellt.
„In der Londoner Zentrale gibt es augenscheinliche – ich nenne es einmal vorsichtig- Tendenzen. Tendenzen, die anderen missfallen und meine Aufmerksamkeit erfordern. Wenn die Informationen stimmen, die ich erhalten habe, dann strebt Benjamin Brown sehr offensiv nach dem Zepter und der Krone bei S&B. Der 'gute Ben' trägt sich mit Absichten, die wohl mehr als weit weg von dem sind, was Peter Bellamy und mir so vorschwebten. Das gilt in Bezug auf Benjamins Person, aber auch auf seine Methoden und Absichten. Und wenn wir jetzt zum Hafen fahren, wird sich zumindest erweisen, wo in all dem Chaos Felicia Banneman steht. Entweder sagt sie mir offen die Wahrheit über Ben's Absichten und Methoden, oder aber sie macht nur eiskalt ihren Job als Anwältin und sagt mir nur, was Benjamin Brown verlangt hat. Ich werde es heute also aussitzen müssen, um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Jedoch, wenn ich gehe, dann haltet Euch bitte auch bereit zu gehen."
Herr Singh und Melina Hargraves hatten Frank Suttons Worte noch im Ohr, als Beide am Nachbartisch unbeteiligt taten, allerdings der Unterhaltung zu weiten Teilen folgen konnten.
Und Felicia Banneman schien wohl dann letztlich doch nicht mit offenen Karten zu spielen.
Frank Sutton war auf der Rückfahrt sehr ruhig gewesen.
Es war wohl die Enttäuschung- so vermutete es Melina jedenfalls.
Doch es bot sich an diesem Abend keine geeignete Situation, dies von Frank Sutton selbst zu erfahren. Die Männer setzten Melina am Haus der Großeltern ab und fuhren dann weiter.
Auf 'Corbanian House' war es auch am Folgetag trügerisch ruhig.
Melina traf dort nur Frau Singh an. Herr Singh fungierte erneut als Chauffeur für Frank Sutton. Nach Auskunft von Frau Singh waren die Männer in irgendeinem Vorort von London, wo Frank mit Jemanden sprechen wollte. Und da sich dieser Ausflug hinzog, ergab sich erneut keine Möglichkeit bis zum vorzeitigen Feierabend für Melina. Eine Kurznachricht von Frank Sutton gab Melina für diesen Freitagnachmittag frei.
So blieb Melina nichts Anderes übrig, als über das Wochenende abzuwarten.
In gewohnter Manier ging Melina mit Frank am Montagmorgen in den Fitnessraum des Obergeschosses, wo Melina einige Dehnübungen anleitete. An den Fitnessgeräten ging es dann mit leichter Belastung für Frank weiter. Übungen zur Stärkung des Rückens standen auf dem Programm.
Frank wirkte zuweilen ein wenig abwesend mit seinen Gedanken. Auch die kleinen Gespräche in den Ruhephasen, welche Melina sehr schätzte, kamen anfänglich nicht zustande. Doch Melina wollte einen Zugang zu ihrem Patienten bekommen- sie merkte ja, dass Frank etwas belastete.
„Benötigst Du heute eine Auszeit? Wollen wir stattdessen vielleicht etwas draußen unternehmen? Spazierengehen? Das macht den Kopf ein wenig frei, wenn man offene, weite Landschaften sehen kann und die Seeluft in die Lungen gelangt?", fragte Melina nach mehreren Übungen nach.
„Alles gut. Wir können die Übungen ruhig zu Ende bringen. Ich bin in Gedanken viel bei der Firma. Es nervt mich, wie sich die Dinge dort entwickeln." Frank rieb sich besorgt die Stirn.
„Ich stecke ja nicht so sehr in der Materie, aber selbst ich merke, dass es dich belastet. Immerhin- Du hast die Firma ja aufgebaut. Und der Erfolg deiner Software hat die Firma groß werden und wachsen lassen."
„Es ärgert mich, dass mir von wichtigen Dingen auch immer noch die Erinnerung fehlt. Und mal unter Uns gesagt: Ich kann mir die Version, dass ich mit Peter Bellamy gestritten haben soll, einfach nicht so recht vorstellen. Das wäre nicht Peters Stil, mir eine über den Kopf zu geben. Peter war mehr der ruhige Typ Mensch. Aber irgendwann wird sich all dies schon aufklären. Es muss einfach!"
Frank Sutton sackte etwas auf seiner Trainingsbank in sich zusammen.
Melina versuchte, Frank Sutton ein wenig psychisch aufzurichten.
„Es braucht wohl einfach nur noch Zeit- auch wenn Du jetzt das Gefühl vielleicht erdrückend findest, dass es eben gerade die Zeit ist, die Dir im Moment fehlt. Du musst auch noch ein wenig auf deine Genesung achten. Und Du musst die Probleme nicht allein zu lösen versuchen."
Frank Sutton kniff die Augen zusammen.
„Da spricht die Krankenschwester in Dir wieder einmal wahre Worte. Ich vermute, sollte es einen Disput in der Firma gegeben haben, dass es irgendetwas mit meinem Programm zu tun hat. Je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird dieser Gedanke. Der 'Coin Dreamer' der nächsten Generation ist bestimmt der Schlüssel. Entweder haben Peter und ich bei der Programmierung einen Fehler gemacht, oder die von mir ausgedachten neuen Optionen sind irgendeinen fatalen Fehler. Doch wenn dies der Schlüssel ist, um das eigentliche Problem zu erkennen, dann sollte ich mich auch langsam wieder an die Arbeit an der neuen Version setzen."
„"Wie kommst Du darauf, dass dein Programm der Schlüssel sein muss?", fragte Melina vorsichtig nach. Es erschien ihr alles nebulös, dass diese tolle Gaming- Software oder die Technik dazu vielleicht Frank Suttons Erinnerungen wiederbringen könnte. Gedanken von Spielern lassen sich ja nicht abspeichern. Aber verstand Frank Sutton, was Melina damit sagen wollte?
Augenscheinlich schon, denn Frank Sutton versuchte, Melina zumindest zu beschreiben, was sein neues Programm ermöglichen sollte.
Frank erklärte es so 'un- technisch', wie es ihm möglich war.
„Die neue Generation des 'Coin Dreamer' wäre eine absolute Neuheit. Die neue Software und die dazu von mir dafür konzipierten technischen Komponenten können den Spieler in die Lage versetzen, echte Nervenstimulanz im Spiel zu empfinden. Du verbrühst Dich mit Kaffee, weil die Kaffeemaschine im Spiel einen Defekt simuliert? Du empfindest Hitze am simulierten Punkt der Verbrühung und einen leichten Schmerz. Du streichelst im Game dein Haustier- nehmen wir ruhig einmal einen Hund oder eine Katze, irgendwas mit Fell- der Gamer verspürt eine durch den 'Coin Dreamer' imitierte Empfindung, als würde der Spieler etwas weiches, Wuscheliges berührt haben. Du schmeißt für deine Freunde eine Grillparty mit einem Lagerfeuer? Der Gamer und die anderen zugeschalteten Multiplayer im Spiel, die eben diese Grillparty im Game besuchen, verspüren das Gefühl einer Nerven- Stimulanz, die abstrahlende Wärme in der Nähe von Grill und Lagerfeuer nachsimuliert im 'Coin Dreamer'. Zwei Online- Gamer, die über die neuesten Komponenten verfügen, könnten sich die Hand im Spiel zur Begrüßung geben und würden ein durch Software und Technik- Accessoires das Gefühl erhalten, dass sich an den Händen ein gewisser simulierter Druck darstellt."
Frank war sehr engagiert in seiner Gestik. Er ging darin vollkommen auf, es darzustellen. Melina merkte deutlich, wie sich sein Gesicht voll Freude erhellte.
„Das kannst Du? Ich meine- Dein 'Coin Dreamer' könnte so etwas simulieren?"
Frank zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Das kann ich alles simulieren lassen. Mit Echt- Spielern oder KI- Spielern, wenn ich dies so vorsehen und programmieren würde. In meinem Arbeitszimmer muss ich daran wohl auch zuletzt noch herumgedoktert haben- es liegt ja noch alles so, wie ich es zuletzt wohl abgelegt hatte. Das einzige, was ich – soweit ich mich noch in Bruchstücken erinnere- nicht simulieren kann, sind Geschmack und Geruch. Also wenn auf der Grillparty viele Würstchen und Steaks auf dem Grill brutzeln, so wird man sie nicht riechen können oder schmecken- solltest du Dir ein Stück davon virtuell nehmen. Aber ich kann zumindest in der virtuellen Realität des 'Coin Dreamer' die Würste und Steaks so echt und gut aussehen lassen, dass dies einen Reiz im Hirn auslösen würde, der Speichelfluss im Mund auslöst. Das kann ich aktuell leisten."
„Aber das klingt unglaublich.", staunte Melina, die über die Möglichkeiten des 'Coin Dreamer' mehr und mehr fasziniert war.
„Und wenn ich meine Forschungen- insbesondere zu den technischen Möglichkeiten- weiter fortsetze? Wer weiß- vielleicht kann ich irgendwann eine Komponente einfließen lassen, die Gerüche simuliert."
Frank strahlte bei dieser Vorstellung.
Auch Melina konnte es sich vorstellen, wenn es Frank so plastisch erklärte.
„Nehmen wir einfach einmal die Minze.", fuhr Frank Sutton fort. „Jeder weiß, wie Minze schmeckt oder riechen wird. Aktuell haben die meisten Gamer- da draußen auf der Welt- die Basisversion mit Software, VR-Brille oder VR- Helm und dem Steuerungs- Handschuh. Jetzt stell dir vor, dass du in der virtuellen Welt über ein Feld oder eine Wiese gehst. Und auf dem Feld kreiere ich virtuelle Points ein, die Minze- Pflanzen für den Gamer zeigen. Und dann sprüht irgendein technisches Detail, was wir für den Helm geschaffen haben einen feinen Minzeduft aus einer Duft- Kartusche am Helm- oder aus einer Vorrichtung an der Brille. Technisch sicherlich sogar heute schon machbar, wenn ich es mir recht überlege. Und auch die Software kann ich eigentlich schon dafür auslegen. Der Gamer erhält dadurch in der Virtuellen Welt ein nahezu echt imitiertes Gefühl, dass ihm suggeriert, das ist Minze."
„Cool. Wahnsinn, was sich da für Möglichkeiten ergeben.", gestand sich Melina leise gesprochen ein.
„Nicht wahr? Ich denke sogar, ich behalte diese Idee mal im Hinterkopf."
Melina brachte aber jetzt eine andere Frage ins Spiel, die ihr selbst gerade einkam.
„Könnte der 'Coin Dreamer' für deinen Gedächtnisverlust verantwortlich sein? Ich weiß, dass mag vielleicht jetzt komisch oder absonderlich klingen, aber wäre so etwas denkbar?"
Frank runzelte die Stirn und spitzte seinen Mund. Kurz raufte er sich seine Haare.
„Ich hoffe nicht. Denn wenn es so wäre, wäre das schon ein richtig grober und fataler Mangel. Das wäre für den 'Coin Dreamer', die Firma, die Leute das Ende. Ganz zu schweigen von den Folgen für die vielen Spieler auf der ganzen Welt. Schadenersatz- Klagen, Insolvenz, und so weiter.", gestand sich Frank ein.
„Aber wäre es theoretisch denkbar?"
„Eine schädliche virtuelle Welt? Keine Ahnung, ob das möglich wäre."
Frank klang besorgt. Er wusste, wohin Melina mit ihrer Frage abzielte. Soeben hatte Frank Sutton nur Melina lange erklärt, was alles möglich ist. Hatte er dabei die unmöglichen Komponenten vollkommen außer Acht gelassen?
„Es kann Nebenwirkungen geben. Soweit das untersucht ist, können manche Spiele zu situativen Epilepsien führen. Ich selbst würde auch- insbesondere bei Neueinsteigern in die Virtuelle Welt, vielleicht auch die Welt des 'Coin Dreamer' Reaktionen nicht ausschließen, die Schwindel- Empfindungen auslösen. Das ist in einfachen und nicht gut geränderten Simulationen mir auch schon einmal so ergangen. Da war eine Simulation, die nur einfach gestrickt war- ein VR- Testprogramm, eine Testwelt. Schon beim Betreten wurde mit etwas schwindelig- wohl auch, weil es hakte und die VR- Koordinationswechsel von Richtungen sehr einfach waren. Da musste ich mich auch schnell herausnehmen. Aber ein Gedächtnisverlust?..."
Diese Vorstellung war für Frank Sutton gruselig. Konnte es so etwas geben? Sollte sich sein geistiges Baby wirklich geben seinen geistigen Vater gewendet haben?
Gleichgeartete Fälle waren Frank noch nie bekannt geworden.
Und wenn es so einen Effekt gab, dann doch nur in der neuesten Testversion.
„Melina? Ich sollte vielleicht doch an der neuesten Version weiterarbeiten- auch, wenn ich vielleicht noch nicht wieder vollkommen wiederhergestellt bin. Denn wenn der 'Coin Dreamer' einen derartigen Effekt bewirkt, dann darf die aktuelle Version nicht auf den Markt geworfen werden. Ich muss es wissen, ob DAS vielleicht das Problem war. Aber dann kann ich nur unter deiner Aufsicht arbeiten. Und ich muss mir Jemanden dazu holen, der mir hilft. Jetzt, da Peter Bellamy verschwunden ist, fällt mir dafür nur Einer ein. Und Der hat ..., naja- genug eigene Probleme.", erklärte Frank Sutton und zeigte dabei mit einer kreisenden Bewegung auf der Höhe des Kopfes an, dass diese eine Person vielleicht ein wenig verrückt sein könnte.
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