Kalter Kaffee bei Scotland Yard

Inspektor Joshua Willcox hätte zu gern die letzten drei Tage seines dienstlichen Lebens gestrichen.

War da zuerst die schlechte Publicity nach dem Artikel im Wochenblatt „The Circle", die sein Vierköpfiges Team extrem unter Druck gesetzt hatte- und dann nun noch so etwas.

Doch leider sah er sich heute bestätigt, den Hinweisen nachzugehen, welche dieser Frank Sutton ihm im Vertrauen angetragen hatte. Zumal diese Informationen über mehrere Kanäle gelaufen waren, was eigentlich immer zu Verschiebungen der ursprünglichen Information führt. Doch dieses Mal war leider nichts dazu gedichtet worden im Kreislauf des Kommunikationsflusses. Man musste es aussprechen: In seinem Arbeitsteam war ein 'schwarzes Schaf' und nun stand auch fest, auf wen er zu zeigen hatte.

Willcox mochte die zwei Mitarbeiter von Scotland Yard nicht, die Interna als Innenrevision zu bearbeiten hatten.

Man nannte diese zwei Sachbearbeiter gemeinhin nur die 'Hundertsechziger'. Dies war dem Umstand geschuldet, dass deren Dienstposten mit den Nummern 160 im Postenplan ausgewiesen sind. Unter den Kollegen waren sie als 'schlichtweg Karrieregeil' und als 'Kollegenschweine' verschrien, machten aber im Grunde genommen einen wichtigen Job. Ein Job, der zur Ehrlichkeit von Scotland Yard beitragen sollte. Sie gingen Beschwerden und Hinweisen auf dienstliche Verfehlungen und im Dienst gegangenen Straftaten von Kollegen nach. Einer- oder in dem Fall ja Zwei- muss ja auch für so etwas da sein. Und die Stellen waren direkt am Leitungsstab angegliedert und gut dotiert.

Willcox hatte sich mit seinen unsicheren Whistleblower- Informationen an diese zwei Kollegen wenden müssen. Dies war ja schon unangenehm genug. Da er selbst de facto ebenfalls dem Team angehörte, machte dies die Darstellung des Problems nicht einfacher und nahm ihn selbst auch nicht aus dem Fokus der zwei 'Hundertsechziger'. Vielmehr bestand Willcox im Gespräch sogar darauf, dass man auch seine Kontodaten und Kontoblätter durch die Gerichtsbeschlüsse mit zu überprüfen habe.

Und vor drei Tagen waren nun alle Unterlagen zusammen. Willcox bot sich den zwei Kollegen der Innenrevision an, die Kontenunterlagen seiner drei Team Mitglieder mit Ihnen gemeinsam durchsehen zu wollen. Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, wie er sagte, würde er so den zwei Kollegen aufzeigen, wonach zu suchen wäre und letztlich würden sie auch die Berichte über die Feststellungen über die Auswertung zu fertigen haben- auch über die Auswertung zu seiner eigenen Person. Doch wolle er dabei sein, wenn diese Auswertung erfolgt- auch, um ein schwarzes Schaf bei sich bekannt zu machen, sollte sich der Verdacht bestätigt sehen.

Und am Ende des gestrigen Tages dann die große Überraschung: Frank Suttons Informationen musste man als bestätigt ansehen.

Noch stand der Bericht der Innenrevision aus, aber darauf wollte Willcox nicht auch noch warten. Er hatte in der Hand, was er benötigte.

Heute nun galt es, dies in der Frühbesprechung auch offenzulegen.

Diese Arbeitsberatungen waren mittlerweile ein wiederkehrendes Ereignis an jedem Freitagmorgen. Man teilte die gewonnenen Erkenntnisse und legte dar, was man ermittelt hatte. Dadurch konnte man sich neu ausrichten in seinen Aufgaben und Spurenbearbeitungen. Alle waren dann auf dem Laufenden und Up Date über den Stand der Ermittlungen.

Doch heute würde dies anders laufen müssen.

Im Besprechungsraum saßen schon alle drei weiteren Mitglieder seines Teams. Gebäck, Wurst, Brötchen, Butter und Warmgetränke sollten auch am heutigen Tag für eine angenehme Atmosphäre der Wochenauswertung sorgen. Neben den Tellern und Tassen lagen die zu besprechenden Unterlagen und Blätter für Niederschriften.

Hätte man es nicht besser gewusst, so hätte man fast einen gemütlichen Wochenausklang hier vermuten können. Solche Zusammenkünfte sind wichtig, um transparent und beteiligend zu arbeiten. Das schafft eigentlich eine gute Motivation und ein gutes Klima im Team- und nebenher, frühstücken musste man ja soundso nebenbei einmal. Da lag kein Geruch negativen Korpsgeistes in der Luft oder böswillige Absicht.

Willcox musste nun Tacheles reden und, im übertragenen Sinne, die Karten offen auf den Tisch packen.

Sergeant Tom Mannish schob für Willcox den Stuhl an der Stirnseite zurück. „Komm. Setz Dich, Joshua. Zwei Brötchen, Bierschinken- wie immer. Der Kaffee läuft."

„Danke Tom."

Willcox legte sein Besprechungsbuch ab und nahm Platz.

Alle waren schon damit befasst, sich Brötchen aufzuschneiden oder bereits mit Wurst zu belegen. Der IT- Experte hatte schon seinen morgendlichen Tee und nippte am heißen Getränk. Die junge Kollegin, die Auswertungsaufgaben hat, überlegte noch, welcher Brotaufstrich vielleicht gewählt werden könnte.

In Joshua Willcox brannte sein Wissen und wollte hinausgetragen werden in die Runde. Einem Vulkan gleich, dessen Magmakammer zum Bersten gefüllt war und den Vulkan zum Explodieren bringen wollte.

„Wir müssen reden. Und ich möchte, dass alle im Team zumindest bei der Eröffnung und Diskussion auch dabei sind und die Lauscher spitzen."

„Okay? Was haben wir jetzt wieder zu erwarten?", fragte der IT- Mensch vorsichtig. „Gibt es neue Erkenntnisse? Haben wir Mist gebaut?"

Willcox atmete lange ein und pustete den Atem lang in den Raum hinein. Er rieb sich den Nacken. Jetzt war also die Stunde der Wahrheit- in dieser Stunde der gemeinsamen Besprechung.

„Mist gebaut- das ist das Stichwort. Und die Frage dazu ist nicht womit. Die Frage ist heute: Wer? Und zwar hat wohl Einer von Uns ordentlichen Mist gebaut, der wohl auf Uns alle zurückfallen wird?", erklärte Joshua Willcox in die Runde.

Alle Augen waren jetzt aufmerksam auf ihn gerichtet.

„Tom? Ist da irgendetwas, was Du uns sagen möchtest?"

Sergeant Tom Mannish zog fragend die Augenbrauen zusammen und seine Stirn schlug in leichte falten.

„Nein? Ich wüsste nicht, was ist sagen sollte. In dieser Woche standen die Auswertungen von drei Ermittlungsersuchen offen. Das haben wir durchgezogen und geprüft. Ansonsten habe ich mit Jessie die Auswertung fortbetrieben. Aber da haben wir eigentlich auch alles richtiggemacht."

„Okay?", antwortete Willcox fragend und fokussierte seinen 'Partner' Tom Mannish mit festem Blick. „Das meine ich nicht. Ist da sonst noch etwas, Tom?"

„Nein?", stellte Tom Mannish kurz mit einer Gegenfrage fest.

Willcox schien dennoch einen Moment Bedenkzeit einräumen zu wollen. Er lehnte seinen linken Arm auf den Tisch, so dass seine linke Faust fest geballt vor seinem Mund war. Zudem starrte sich Joshua Willcox an seinem leeren Teller vor der Nase fest. Und dies leider nicht, um Überlegungen zum Belag von Brötchen anzustellen.

Solche Momente der Bedenkzeit räumte Willcox auch in Vernehmungen bewusst ein. Es war seine Art, dem gegenüber zu signalisieren, dass da doch noch etwas hinterherkommen müsste, was man besser nicht unerwähnt lassen sollte in der Vernehmung.

Doch Tom Mannish ging darauf nicht ein.

„Nein. Mir fällt nichts ein, was ich vergessen haben könnte."

Joshua Willcox ging nun in die Offensive- und das würde bestimmt schmutzig werden.

„Wir Zwei haben doch am dritten dieses Monats unsere Kontoauszüge geholt, weißt Du noch? Um zu sehen, ob das Gehalt schon drauf ist, nicht wahr? Lass mich in diesem Zusammenhang noch mein und unser Dreier aufrichtige Anteilnahme bekunden. Du weißt schon? Diese zwei Zahlungen vom Fünfzehnten des Vormonates? Da wären zum einen 53.000 unter dem Betreff: Nachlass Mannish und die weiteren 47.000 unter dem Betreff: Nachlass Mannish- Immobilienveräußerung?"

„Stop! Stop! Stop!", erhob Tom Mannish seine Stimme.

Allerdings wollte sich Inspektor Willcox in keinster Weise das Wort verbieten lassen. Er setzte noch Eins darauf.

„Interessant fand ich es auch, dass zeitnah nach diesen zwei Zahlungseingängen eine Überweisung von Dir am Achtzehnten über 87.000 von deinem Privatkonto abgeht mit dem Betreff: Ablösung Darlehenskonto, dann eine Nummer zum Darlehen, dann Darlehen zu Flurstück soundso. In dieser Konstellation finde ich es sehr bemerkenswert, wie schnell Dich Mittel eines Dritten erreichen und zeitnah zur Abzahlung – ich vermute es ganz einfach mal- zur Abzahlung deines Wohnhaus- Darlehen wieder abfließen. Ohne, dass Du hier in der Runde auch nur das Geringste darüber erzählst. Nenn mich unkollegial oder meinetwegen auch prüde. Dann gestehe mir bitte auch zu, wenn ich Dich als korrupt bezeichne. Oder wie kannst Du Uns die Sache erklären?"

„Da ist nichts Wahres dran." Tom Mannish versuchte sich mit Blick auf seine zwei anderen Kollegen zu rechtfertigen. „Ich bin doch kein Nestbeschmutzer!"

Allerdings musste auch jetzt Tom Mannish aufgefallen sein, dass seiner jungen Kollegin und auch dem IT- Menschen der Appetit vergangen war.

Willcox lehnte sich zurück. Dann stand er auf und holte sich einen Kaffee von der Maschine. Er musste um den Tisch herumgehen. Dafür ließ sich Joshua Willcox ganz bewusst viel Zeit.

Währenddessen gab er Tom Mannish die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen, wenngleich seine Position dafür augenscheinlich denkbar schlecht war.

„Das ist eine uralte Geschichte. Die ist nun endlich durch. Na klar, als wir das Geld erhalten haben, haben wir auch gleich das Darlehen abgelöst. Aber das würde doch Jeder so machen. Oder nicht? Jessie? Paul? Das würdet ihr doch auch, oder?"

Willcox ging zurück zu seinem Platz mit seinem Pott Kaffee.

Paul, der IT- Mensch, und die junge Kollegin Jessie antworteten nicht. Sie sahen einander ratlos an, dann blickten sie zu Tom Mannish, danach wieder auf Joshua Willcox.

Willcox nahm wieder Platz. Er würdigte Tom Mannish keines Blickes, nippte mehrfach an seinem Kaffee.

Die junge Auswerterin Jessie hatte eine Frage, die ihr auf der Zunge lag und herausmusste.

„Joshua? Woher weißt Du das alles so genau? Hast Du Tom nachspioniert?"

Joshua Willcox kratzte sich kurz am Kopf.

„Von den 'Hundertsechzigern'. Die Innenrevision hat von Uns allen Vieren nach einem Hinweis die Konten überprüft. Zu sogenannten 'auffälligen Zahlungen', die man als nichtalltäglich ansieht, werden sie auch noch die veranlassenden Gegenkonten anfordern, um dort ebenso nochmals eine Analyse durchzuführen. Ihr wisst ja, wie es heißt: Folge immer der Spur des Geldes! Naja, aber wem sage ich das."

Willcox nippte erneut an seinem Kaffee. Dabei fixierte er Tom Mannish.

„Tom? Du sagst nichts mehr dazu?", fragte der IT- Mensch.

Tom Mannish war kreidebleich im Gesicht. Nein. Er sagte nichts mehr dazu. Die Fakten hatten ja alles gesagt.

Nun war es an der Zeit für Joshua Willcox, sich in Ruhe die Brötchen aufzuschneiden. In Ruhe belegte er die Hälften mit Butter und Bierschinken. Dann biss er herzhaft hinein.

Im Raum war ernüchternde Stille.

Es kam Inspektor Willcox so vor, als würde er sein eigenes Kauen hören können.

„Die 'Hundertsechziger' wissen also wer und wie viel, Tom. Ich schätze mal, sie werden vielleicht gerade bei der Hausleitung vorsprechen und die Sachlage darstellen- zumindest die sich vorläufig darstellende Sachlage. Irgendwann am heutigen Freitag- ich nehme mal an, in den nächsten zwei Stunden- wird man Dich zu einem persönlichen und vertraulichen Gespräch nach oben bitten, in die Chefetage. Da kannst Du dann all deine Geschichten erzählen und bis dahin nach Gründen suchen, um diese zufälligen Geldflüsse erklären. Die 'Hundertsechziger' werden dann mehr finden im Lauf der Zeit. Sie finden vielleicht Dinge, die dann wohl weniger schlüssig in der Chefetage zu erklären sein werden."

„Joshua? Ein feiner 'Partner' bist du. Ich kann Euch alles erklären.", stammelte Tom Mannish.

„Musst Du nicht. Du musst uns gar nichts mehr erklären." Joshua Willcox biss in das nächste Brötchen und spülte mit warmen Kaffee nach.

Jessie zeigte ihre Enttäuschung ganz offen.

„Oh Mann, Tom. Warum machst Du 'sowas'? Das ist doch bescheuert. Das waren jetzt- wie viel? Hunderttausend, oder so? Und dafür setzt Du alles aufs Spiel?"

Tom Mannish sah auf seinen Teller. Mit der linken Hand rieb er sich die Augen. Sein gesenkter Kopf schüttelte sich leicht hin und her, als wolle er nicht wahrhaben, was er angerichtet hatte.

„Und was jetzt?", fragte Mannish leise.

„Du gibst entweder mir oder dem Innendienst den Schlüssel zum Waffenfach. Keinem ist daran gelegen, dass noch mehr Unsinn gemacht wird. Vielleicht willst Du Dich- wegen eines Unwohlseins- erstmal für länger krankschreiben lassen. Und das Schlimme daran: Du hast deine Karriere zerstört, deinen hervorragenden Ruf zerstört. Das Geld werden die 'Hundertsechziger' zurückholen und für die Dauer der Ermittlungen einziehen, weil es durch eine Straftat- und als solche Katalogtat zählt nun einmal Bestechlichkeit- für Dich erlangt ist. Dein Vorteilsgeber- wenn er gute Anwälte hat- wird darauf abstellen, dir versehentlich die Auszahlungen überwiesen zu haben und die Zahlung zurückfordern, um diese an die rechtmäßigen Empfänger nach diesem Irrtum zu überweisen. Das Gericht wird da aber nicht mitgehen, die Einziehung bestätigen und die Summe zur Gerichtskasse nehmen. Dein Haus bleibt weiterhin nicht abgezahlt, der Restbetrag vom Konto verschwindet und steht nicht für eine schöne Urlaubsreise zur Verfügung. Wenn Du alles rechtzeitig und in vollem Umfang offenlegst, kommst du mit einem Strafbefehl davon, der Dir zumindest erlaubt, vielleicht im Dienst zu bleiben. Aber nicht hier- nicht mehr bei Scotland Yard im Haus. Du wirst irgendwohin strafversetzt. Wenn Du Glück hast bleibst Du in London, machst über Jahre hinweg Streifendienst. Doch auch da endet es nicht für Dich. Deine neuen Vorgesetzten sehen in der Akte, was gewesen ist, und sie behalten Dich im Auge. Bei den Kollegen bist Du unten durch- hier und auch draußen. Wenn Du schlau bist, dann ziehst Du mit deiner Frau weg, lässt Dich ins die Provinz versetzen. Nach Kent, Cornwall oder nach Norden."

Willcox hatte die Sache in voller epischer Breite ausgeschmückt.

Nicht nur Tom Mannish- auch Paul und Jessie war nicht danach, noch mehr zu erfahren.

Für Tom war es Das dann wohl bei Scotland Yard. Und es war auch klar- hier in der Arbeitsgruppe war es das dann ebenfalls- und absehbar ab sofort.

Tom Mannish stand auf.

„Okay? Dann will ich mal die Dienstmarke und die Schlüssel beim Innendienst abgeben."

„Jessie? Geh bitte mit ihm! Bis Tom aus dem Haus ist! Verstanden?", wies Joshua Willcox an, um keine Zweifel zu lassen. „Tom? Keine Mätzchen! Bitte. Kein Weg zur Toilette, keine Akten anfassen wollen. Nimm deine Tasche, gibt Marke und Schlüssel ab. Mehr bitte nicht heute. Der Rest wird sich finden- irgendwie jedenfalls."

Jessie stand auf, um Tom Mannish zu begleiten.

In der Tür drehte sich der betretene Tom Mannish noch einmal um.

„Wisst ihr? Ich habe meinen Job immer überkorrekt gemacht. Und dieses blöde Darlehen. Jetzt, wo meine Frau keinen Job findet? Das war einfach zu verlockend. Und- unterm Strich- so richtig blöd. Ich wusste vom ersten Moment, dass es falsch war. Ich werde auch mit denen da oben und auch den 'Hundertsechzigern' kooperieren. Das wird wohl der beste Weg sein."

Joshua Willcox drehte sich um.

„Tom? Das ist der einzige Weg! Anders behältst Du deinen Job nicht. Mach Das so! Ist nur schade, dass niemand mehr darauf zurückblickt- auf all die Dinge, die Du hier erreicht oder für die Behörde geschafft hast. Das wird keinen mehr interessieren, ist dann alles kalter Kaffee und Schnee von gestern. Das ist echt schade. Du warst ein echt guter Mann. Mach's gut, Tom."

„Ja. Macht's gut. Komm Jessie. Ich mache keine Probleme."

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