Der geschäftliche Vorschlag

Über sechs Monate im Koma und zudem nun schon fast drei weitere Monate krankheitsbedingte Abwesenheit aus der Firma- Frank Sutton kam sich auch am heutigen Tage in seiner Firmenzentrale wie ein Fremdkörper vor. Dennoch war er der Bitte von Benjamin Brown gefolgt, für eine wichtige Besprechung in die Londoner S&B Coin Dreamer- Zentrale zu kommen.

Er wurde bereits erwartet.

Neben Benjamin Brown war auch Cetric Stowe im großen Besprechungsraum der Chefetage anwesend.

Der Raum wirkte auf Frank Sutton irgendwie unheimlich. Hier war es also gewesen- dieses für ihn zerstörerische Ereignis, dass ihn aus seinem Vorleben und seinen damaligen Gewohnheiten riss.

Hier- irgendwo hier muss er damals gelegen haben, bis man ihn gefunden hat.

Hier müssen auch die Blutflecke irgendwo gewesen sein, die als Zeugen eines Kampfes wohl zurückgeblieben sein sollen.

Noch bevor sich Frank Sutton dem Gespräch widmen wollte, ging sein Blick suchend über den dünnen hellblauen Teppichboden. Allerdings wo suchen, wenn man keine genaue Erinnerung an das „damals" hat? Der Boden sah aus, als wären hier nie Spuren gewesen. Keine Randungen, die an irgendetwas mahnend erinnern würden. Keine Flecken, keine Risse oder ähnliches.

Der große Besprechungstisch stand zentral- so wie einst. So, wie es Frank die eigene vorhandene Erinnerung noch aufzeigte. Allerdings waren verschiedene neue Dekorationen im Raum, an welche Frank keine Erinnerungen hatte.

Benjamin Brown und Cetric Stowe waren aufgestanden, um Frank zu begrüßen. Das Frank Sutton nun erst einmal wie ein Fremdkörper den Besprechungsraum musterte, irritierte Beide jedoch. Sie wechselten Blicke. Cetric Stowe zog etwas die Schultern hoch, um sein Befremden auch Benjamin Brown zu zeigen.

„Ihr habt mich um eine persönliche Unterredung gebeten? Ich bin da.", erklärte Frank und wandte sich seinen Gesprächspartnern zu.

Benjamin Brown nahm die Initiative der Gesprächsführung in seine Hände. „Und dafür bin ich Dir auch sehr dankbar. Komm setz Dich zu Uns. Dann würde ich gern ein paar Worte sagen, um Dir die Situation einfach mal zu umreißen."

Frank tat, worum er gebeten wurde. „Felicia ist dieses Mal nicht dabei?", fragte Frank Sutton beim Hinsetzen.

Cetric Stowe erklärte sich ohne Aufforderungen. „Felicia hat meiner Kanzlei und der Partnerschaft den Rücken zugekehrt. Wir haben und im Guten getrennt. Sie vertritt die Interessen von S&B Coin Dreamer nicht mehr fort. Aber wir finden zeitnah Ersatz, dies sei Euch versichert. Benjamin wird da auf dem Laufenden gehalten."

Diese Information war neu für Frank Sutton. „Okay? Gab es Gründe, die ich besser erfahren sollte?"

„Nein, nein. Es war ihr eigener Wunsch. Wir haben nur ihren Absichten entsprochen und im beiderseitigen Einvernehmen einer Lösung der Partnerschaft zugestimmt. Außergerichtlich."

So, wie Cetric Stowe es beschrieb, klang es fast so, als habe ihn die Entscheidung von Felicia Banneman etwas gekränkt. Aber da war auch noch etwas Anderes, was Frank Sutton jedoch schlecht für sich einzuschätzen oder zu werten vermag.

Benjamin Brown unterbracht den kleinen Exkurs des Abschweifens. Er hatte dringlichere Dinge zu bereden und war froh, dass Frank Sutton sich aus seiner 'kleinen heilen Welt' nach London bemüht hatte.

„Frank, die Asiaten drängen nach und nach mit Macht auch in unseren Marktpool hinein. Noch könnten wir denen etwas Handfestes entgegen setzen- allerdings ginge dies nur mit Finanzpower, Geschlossenheit mit unseren Partnern und einem Handlungsentschlossenen Management. Und die Vierte tragende Säule ist eine neue Produktausrichtung. Der Virtuell Reality- Spielemarkt ist das Gaming- Feld der Zukunft. Noch sind wir Marktführer, aber das kann sich ändern. Ich sehe es so, dass wir hier größer denken müssen. Und Schnelligkeit ist da der Schlüssel, damit die Chinesen und Inder gar nicht erst den Fuß in unsere gewinnträchtige Marktnische bekommen. Und Du bist unser Software- und auch Ideen- Genie. Wir benötigen das, was sich in deinem Kopf befindet. Und wir brauchen es zeitnah und vollständig."

Frank Sutton verstand das Problem. Allerdings irritierten die letzten zwei Sätze, die Benjamin soeben gesagt hatte.

„Ich kenne den Markt, Ben. Und wir werden immer mit Konkurrenz leben müssen- jetzt und auch in Zukunft. Und neben diesen 'berechenbaren' Konkurrenten, wie China und Indien- vergesst nicht die Amerikaner. Die sind uns auch auf den Fersen- und die Ami's haben auch die Mittel, dran zu bleiben. Die sind immer noch sauer, dass wir das VR- Gaming- Segment schneller eingenommen hatten, als sie es konnten. Auch diese Kapstadter Truppe ist recht gut. Und die Holländer auch, denen fehlte nur der Mut, ihre Erkenntnisse aus der Softwarenutzung in den Gaming- Sektor zu bringen. Und die Russen? Da haben wir überhaupt keine Idee, was die sich ausdenken."

„Genau. Und da wir im Fokus stehen und Marktführer bleiben wollen, müssen wir handeln. Aktives Handeln! Nicht klein- klein, wir müssen breiter und um Einiges weiterdenken.", stimmte Benjamin Brown zu.

Cetric Stowe wurde förmlich.

„Was Benjamin sagen möchte: Wir brauchen vertrauenswürdige Strukturen im Management. Damit- und mit einem absehbaren neuen Produkt oder Produktfeld für den Markt, könnten wir das erreichen, was auch die ganz Großen schon geschafft haben: Börsengang und Generierung von Mitteln durch Anlegerkapital für die Expansions- Gewährleistung."

Frank Sutton sah Benjamin Brown scharf an. „Du willst mich raus haben aus der S&B!"

Benjamin Brown presste seine Lippen fest zusammen und machte eine Pose, als würde Jesus die Menschheit segnen wollen. Dabei lehnte er sich zurück.

Frank hatte so etwas schon vermutet. Jetzt war es zumindest einmal ausgesprochen worden. Und Benjamin Browns Nichts- dagegen Reden war die konkludente Zustimmung zu Franks eigener Feststellung.

Cetric Stowe ließ aber nicht zu, dass man sich jetzt in gegenseitigen 'Wertschätzungen' und Entschuldigungen ergab. Er hatte seinen Fahrplan.

„Gewissermaßen- ja. Frank. Du und Peter seit nicht greifbar für ein handlungsorientiertes Agieren der Firma. Gesellschaftsrechtlich müsste ich dir viel mehr im Nacken sitzen, wenn Benjamin nicht die Firma im Fahrwasser halten würde. Aber Benjamin benötigt die klare vertragliche Handlungskompetenz. Daher – und das ist kein leichter Schritt für die Gesellschaft von S&B- will Dir die Firma einen Vorschlag unterbreiten, über den Du bitte einfach nur erstmal nachdenken solltest. Zu mehr fordert Dich heute niemand auf."

Frank Sutton war aufgebracht. Doch er hatte mit dem schnellen Wachstum seiner Firma auch ebenso schnell Eines gelernt: Vorsicht, Besonnenheit und Dialog. Daher wollte er zumindest hören, was 'seine Firma' ihm als Vater der Firma anbieten wollte.

„Was für einen Vorschlag?"

Benjamin Brown beugte sich jetzt wieder näher zum Tisch. Er legte seine Arme darauf ab und faltete die Hände.

„S&B zahlt Dir eine Bestandsabfindung von 2,6 Milliarden Dollar, vertraglich zugesichert, für die Rückgabe deiner Geschäftsanteile an die Gesellschaft. S&B erhält neben den Geschäftsanteilen auch alle werthaltigen Patentrechte und Markenrechte, die aktuell ja noch Dir allein zu über achtzig Prozent aktuell zustehen. Wir haben eine unabhängige Wirtschaftsprüfer- Gesellschaft Anfang des Jahres beauftragt, die Werthaltigkeiten dessen für den Konzern festzustellen. Du warst ja immer der große Ideengeber für S&B Coin Dreamer."

„Es ist ja nun einmal auch mein Baby, Ben. Nicht Deines- und auch kaum Peters. S&B ist meine große Vision gewesen. Mit Allem, was nun Mal dazu gehört.", umriss Frank Sutton die Situation noch einmal deutlich- vor allem für Benjamin Brown.

„Und weil dies so ist, wie es ist und gerade weil S&B zu keinem Moment nicht an Dir vorbei kommt, dieses aus Sicht der Gesellschaft angemessene Angebot.", hob der Anwalt hervor, sich schützend vor Benjamin Browns Absichten stellend.

Frank Sutton rieb sich die Stirn.

Benjamin nutzte diesen kurzen Moment, um Frank den großen Vorteil- aus seiner Sichtweise zumindest- darzustellen.

„Frank. Zwei- komma- sechs- Milliarden! Du bist jetzt schon Super vermögend. Diese Summe macht Dich zum reichsten Junggesellen Großbritanniens, ja vielleicht ganz Europas. Du kannst Tun und Lassen, was Du möchtest. Dein Leben lang- und auch für Generationen nach Dir noch wäre gesorgt. Das wäre alles dann Dein persönlicher Verdienst! Nur noch ein bisschen Stress und Arbeit, dann hättest Du auf ewig ausgesorgt. Luxusleben für immer! Yachten, Reisen, Frauen- die Presse wird Dir nicht mehr von der Seite weichen. Wir werden ständig nur noch von Deinem tollen Leben aus der Presse erfahren."

Frank sagte nichts darauf. Besonnenheit- dies fokussierte er im Moment. All die von Benjamin Brown vorgebrachten Dinge hatten vielleicht ja für Ben selbst absolute Priorität, für Frank jedoch waren Sie nur Ergebnis seiner Ideen und Arbeit- und dies über Jahre hinweg. Im Team entstandene Ideen, die Frank nur zu Ende gedacht hatte. Doch was würde nach der Zeit der Arbeit kommen? Diesen Gedanken verwarf Frank Sutton jedoch gleich wieder.

Cetric Stowe brachte einen anderen Aspekt mit ein. „Du könntest Dich regenerieren. Das musst Du auch. Aber die Firma, Deine Firma, braucht das ebenfalls. Die Offerte ist bestpreisig! S&B könnte Dir sofort 800 Millionen zahlen. Die weiteren 1,8 Milliarden nach dem Börsengang der Firma- allerdings müsstest Du vorher zugestimmt haben. Die Anleger werden nur auf eine klare Linie investieren. Das ist immer so."

'Regenerieren'. Das war schon eine andere Intention für Frank. Hierin sah auch er eine Notwendigkeit. Zumindest für sich- der Fortlauf der Dinge in der S&B würde ja dann von Benjamin Brown gelenkt.

„Gut. Die Katze ist erstmal aus dem Sack!", erklärte Benjamin Brown. Doch es war deutlich, dass Benjamin auch dann sofort Gegenleistungen sehen wollte. „Überleg es Dir einfach. Bis dahin: wir benötigen zeitnah deine Decodierungen der Projekte und geplanten Vorhaben. Du hast vor deinem Koma alle Dateninhalte verschlüsselt. Wir kommen nicht ran an deine Ideen, ohne die Decodierungen. Ich gestehe auch ein, dass sich hier schlaue Köpfe schon daran versucht haben- sorry, wir wollen und müssen weitermachen. Und wenn Du dies nicht glaubst, dann fahr mit dem Fahrstuhl einige Etagen tiefer. Die Leute dort bangen alle um ihre Arbeitsplätze."

Benjamin Brown lehnte sich zurück.

Von alledem, was Benjamin Brown gesagt hatte, waren die letzten Sätze wohl das Vernünftigste. Dass S&B ihn bei Entscheidungen schon überging hatte, hatte Frank Sutton ja nun schon durch die Bestellung der Coin- Dreamer Sensibility- Ganzkörperanzüge selbst bemerkt.

„Das klingt zumindest nachvollziehbar. Wisst ihr was? Ich lass mir dieses Angebot einmal durch den Kopf gehen. Aber bitte kein Druck. Das kann ich nicht brauchen. Für heute belassen wir es erstmal dabei, okay?"

Frank willigte damit erstmal ein, war zumindest nicht strikt abgeneigt. Vielleicht war es wirklich ein nötiger Effekt. Er würde dies überdenken müssen. Er stand auf und ging langsam zum Ausgang des Besprechungsraumes.

Dann jedoch- ungefähr dort, wo er seinen Koma- Fall vermutete- blieb er stehen und drehte sich nochmals um. Wie es Colombo auch gern in seinen Filmen macht, so stellte auch er noch eine Frage in den Raum.

„Ach Benjamin? Eine Frage habe ich noch- nichts Geschäftliches."

„Okay? Was gibt's noch?"

„Du warst doch damals auch noch dabei- zumindest anfangs, glaube ich. Was ist passiert? Um was ging es an dem Abend? Der Abend als ich ins Koma fiel?", hinterfragte Frank Sutton.

„Um was es ging? Keine Ahnung, ich denke es war nichts Weltbewegendes. Ich bin dann irgendwann gegangen, wollte nach Hause. So wie ich das verstanden habe, hast Du hier einen neurologischen Schlaganfall erlitten. Einen Burn- Out. Und ich glaube auch nicht an den Quatsch, dass ihr einen Streit hattet. Ich denke, Paul Bellamy hat dich dann beaufsichtigt. Er war damit wohl der Letzte, der Dich hier vor seinem Verschwinden gesehen hat. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen, es wäre doch nur Spekulation."

Benjamin Brown tat die Angelegenheit fast beiläufig ab.

„Naja. Aber wer hat es gemeldet? Und wann? Das müsste man doch in Erfahrung bringen können."

„Da bin ich überfragt." Benjamin Brown sah mehr auf den Boden- dorthin, wo auch Frank sich damals vermutlich befunden haben muss.

Frank fiel dies auf. Aber jetzt und hier wollte er das Thema belassen. Vermutlich stand mehr in den polizeilichen Akten geschrieben, als in Benjamins Gesicht.

„Also überlegst Du es Dir? Du könntest auch jederzeit weniger verlangen. Da haben ich und auch die Firma nichts dagegen.", witzelte Benjamin Brown herum. „Die Decodierungen müssten allerdings dann doch irgendwie zeitnah erfolgen. Die Jungs aus der Entwicklungsabteilung scharren schon mit den Füßen."

„Ich überleg es mir."

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