Anruf am Wochenende
Melina Hargraves genoss es, einmal wieder länger in der Wärme ihres Bettes verweilen zu dürfen.
Auch der gestrige Freitag- Abend war wirklich sehr angenehm und entspannend.
Gemeinsam mit ihrer Freundin Corinne Fletcher hatte sie in Corinnes kleiner Küche ein wenig Unordnung geschaffen. Die zwei Freundinnen haben sich mit einem Internet- Rezept zur Eigenherstellung kleiner Fladenbrote beschäftigt. Allein den Teig dafür herzustellen hatte Corinnes Küche an deren Leistungsgrenze gebracht. Auf dem Küchentisch lagen zwischen Unmengen von Mehlresten auch irgendwann kleine Teigkrümel, die schnell eine unangenehm feste Konsistenz bekamen.
Als Corinne den Teig zu vielen kleinen Fladen knetete, die dann in der Pfanne angebraten wurden, bevor sie im Backofen weitere 20 Minuten bei einhundertachtzig Grad aufgebacken wurden, hatte Melina den Tisch abzuwischen. Eine Herausforderung, wie sich schnell herausstellte.
Die Teigkrümel waren so fest an der Tischdecke, dass man gut einen Spachtel benötigte, um sie zu lösen. Viel Wasser und Geduld machten die Teigreste nach einiger Zeit gefügig und lose.
Dann konnte Melina den Aufstrich vorbereiten. Kräuterquark wurde in eine Schüssel gegeben und Melina schnipselte kleine Stücken Radieschen, Paprika und Gurke hinein und verrührte alles zu einem festen Brei.
Eigentlich hatten die Freundinnen noch die Absicht, Eier zu kochen, aber der Herd und der Platz der Küche ließ diese Absichten irgendwann in Luft auflösen.
Die Freundinnen hatten Spaß und hörten die Musik von Corinnes Playlist, welche über die Beatbox in den Raum strömte. Man sang laut- und zuweilen auch falsch- die altbekannten Hits der Bangels, der Pet Shop Boys oder von Musicals mit. Das ließ die Arbeitsgänge wesentlich einfacher geschehen.
Melina brannte es anfangs auf der Zunge, ihrer Freundin von den Neuigkeiten zu berichten, die Melinas Leben in Bezug auf Frank Sutton mit sich gebracht hatte.
Dann jedoch kam alles wieder anders.
Corinne erzählte von neuen Klamotten, einem viel zu teuren Tag zum Shoppen in London, von den Möglichkeiten, sich alsbald ein Auto leisten zu können und – wie sollte es auch sein, bevor man sich einen Film über viktorianische Kabale und Liebe ansah- über Bücher.
Da ging die Zeit schnell dahin.
Als beide Frauen auch für sich den Entschluss fassten, einen gemeinsamen Ausflug zum Bodian Castle wieder einmal durchzuführen, war die Gelegenheit dahin, über Frank Sutton und sich zu reden.
Die kleinen Fladen und der Quarkaufstrich waren gut gelungen und der Filmabend mental ein tolles Erlebnis, um in das Wochenende zu starten.
Erst gegen Mitternacht war Melina wieder zurück in der Rochester Street. Die Großeltern waren bereits zu Bett gegangen.
Melina ließ also Stunde um Stunde vergehen, ehe sie gegen elf Uhr letztlich ihr Gesicht aus dem Zimmer streckte. Ein Geruch aus Kaffee mit einem Hauch Karamel im Haus und Klappern in der Küche eine Etage unter ihrem Zimmer hatten Melina hervorgelockt.
„Hallo Großmama. Was riecht hier so lecker?"
„Kindchen, heut gibt es selbstgemachte Kroketten.", erklärte Großmutter Edna und strich sich etwas von der Brille. „Dazu zartes Putengulasch."
„Klingt toll."
„Wann warst Du denn nach Hause gekommen? George hat gemeint, dass er gegen Mitternacht die Tür gehört haben will. Aber ob das immer so stimmt? Du weißt ja: Seine Ohren."
„Nein. Da muss ich Opa und sein schlechtes Gehör einmal in Schutz nehmen. Ich war wirklich so kurz vor Mitternacht erst von Corinne zurück."
Großmutter Edna schob Melina einen Kaffee- Pott zu.
„Ist das der teure Kaffee?"
„Ja. Der Gute. Schmeckt ein wenig, wie Cappuccino."
„Sehr schön."
Oma Edna zeigte an den Kalender. „Du hast Dir da etwas eingetragen für Fünfzehn Uhr. Steht dein Termin noch?"
Melina versuchte sich im Schneidersitz auf den kleinen Küchenstuhl zu setzen. Dies gelang leider nicht. „Ja. Ich habe es nicht vergessen. Die abkömmlichen Krankenschwestern der C1 bekommen heute eine Einweisung zur Funktionsdiagnostik von Doktor Hull persönlich. Aber dies wird nicht sehr lange andauern. Schwester Claudia denkt, dass es knapp eine Stunde gehen wird. Dann bin ich wieder zurück."
Großmutter Edna nickte zustimmend.
„Wo ist Opa eigentlich?"
„George ist angeln. Mit dem Rad. Er ist schon sehr früh los. Aber gegen Eins muss er wieder da sein. Sonst trifft ihn mein Unmut."
„Unverzeihlich."
„Ja genau. Ich kenne keinen Spaß. Wenn das Essen auf dem Tisch steht, sollte er schon da sein."
Irgendwo im Obergeschoss des Hauses klingelte Melina Handy.
„Grandma? Ich schau mal, wer es ist. Ich nehme ja an, dass es Corinne ist, die nur ein wenig schnattern möchte." Melina entzog sich mit ihrem Kaffee den Küchengerüchen und zog sich am Handlauf schwermütig die Treppe nach oben.
Das Klingeln hatte bereits aufgehört.
Die angezeigte Nummer kam Melina nicht bekannt vor.
Während sie überlegte, ob sie ihrer inneren Neugierde nachgeben und einen Rückruf starten sollte, erhob sich das Klingeln erneut. Der unbekannte Anrufer!
Melina nahm das Gespräch an, wollte allerdings aus Vorsicht nicht ihren Namen nennen.
„Ja? Hallo?"
„Hallo? Melina? Bist Du es?"
„Hallo. Ja ich bin es. Wer ist denn da bitte?"
„Ich bin es! Marilyn! Wer denn sonst?", erklärte sich der Anrufer entrüstet, als müsse Melina ihn doch sofort erkannt haben.
„Mark? Wie kommst Du denn an meine private Nummer?" Melina wollte sich erst entrüstet zeigen, denn an Mark Monroe hatte sie ihre Privatnummer gewiss noch nicht herausgegeben. Zu kauzig erschien ihr der Programmierer. Dann jedoch bekam sie einen Schreck. „Ist etwas bei Euch vorgefallen? Ist was mit Frank passiert?"
„Nein, Nein. Alles in Ordnung hier. Frank geht es gut. Entschuldige, wenn ich Dich störe. Frank und ich haben die letzte Nacht weiter an der Software gebastelt. Hast Du heute noch etwas vor? Wir wollen einmal etwas testen. Vielleicht hast Du ja Zeit und Lust?"
„Ich habe am Nachmittag einen festen Termin. Ist von der Arbeit, da muss ich dabei sein. Soll ich danach nochmal beim 'Corbanian House' vorbeikommen? Ist es wichtig? Wäre für mich aber dann erst so gegen Fünf Uhr am Nachmittag frühestens möglich?", erklärte Melina.
„So spät?"- hörte Melina nun Frank Suttons Stimme im Hintergrund. „Aber sag ihr ruhig, dass es in Ordnung wäre."
„Frank sagt, dass wäre schön. Dann müssen wir uns hier halt noch ein wenig die Zeit vertreiben.", erklärte Mark Monroe.
Melina war irritiert. Normalerweise war auch Frank Sutton jemand, der Melina ihr Wochenende ließ und sie- egal, was ihn umtrieb- nicht zu stören suchte. Melina war jedoch interessiert, zu erfahren, was die Männer nun schon wieder angestellt hatten.
„Naja, ihr müsstet dann schon warten mit- was immer ihr da gerade ausgeheckt habt. Soll ich dann noch am Abend vorbeischauen, oder nicht?", fragte Melina nochmals nach.
Frank kam nun wohl selbst zum Telefon. „Nein Melina. Wir wollen Dich ja nicht zwingen. Aber wir haben hier so eine kleine Versuchsgeschichte für den 'Coin Dreamer' geschrieben und wollten mal sehen, wie sich das umsetzen lässt. Das wäre eine Neuerung für das Spiel."
Melina rollte die Augen. Nur gut, dass es Frank und Mark nicht sehen konnten. Jungs und ihre Spielzeuge. Nicht einmal am Wochenende konnten sie abschalten.
„Also gut. Ich schaue nochmal bei Euch vorbei."
„Sehr schön. Ishsantri Singh wird Uns auch etwas Schönes hinzaubern, wenn dieses Lockmittel etwas bewirkt. Ich freue mich."
Frank klang ruhig und wirkte zufrieden.
Melina war dennoch ein wenig skeptisch. Man konnte bei 'so viel Geheimnis' vielleicht auch zu Viel erwarten.
Oder auch zu Viel versprechen. Frank rief kaum eine Stunde später erneut an und bat für Verständnis, dass das eigentliche überraschende Vorhaben leider doch nichts werden kann. Sowohl Mark 'Marilyn' Monroe als auch er selbst haben wohl schon zu viel erwartet von der Coin Dreamer- Software der nächsten Generation. Man werde noch daran Herumdoktern, so gut man es eben gönne.
Frank wünschte ein angenehmes Wochenende.
Bei Melina blieb nur Verwirrung zurück. Verwirrung und der Wunsch, sich mit anderen über menschliche Emotionen und Gefühle auszutauschen.
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