Stories 2 [33]


Nachdem Felix seine Geschichte erzählt hatte, kletterten sie die alte Feuertreppe nach oben, um sich kurz darauf auf der Dachkante niederzulassen.
"Es gibt viele Tage, da komme ich hierher und versuche nicht an all die schweren, anstrengenden und schmerzenden Dinge zu denken, die mir durch den Kopf gehen. Ich versuche mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren und beobachte deswegen die Stadt", erklärte Changbin und machte eine allumfassende Handbewegung, damit Felix das Ausmaß der nächtlichen Schönheit erblicken konnte. Er sah die glitzernden Straßenschilder, die Autos, welche im abendlichen Verkehr ihren Wegen nach gingen und Passanten, die lachend, ernst, entspannt oder gehetzt durch die Gassen liefen. Hier zu sitzen und sich größer und stärker als alles andere zu fühlen, erfüllte den Blondhaarigen mit einer Erleichterung. Mit einer inneren Ruhe, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Changbin ließ seinen Blick zu dem Blonden herüber schweifen. Sein Seitenprofil lachte ihn förmlich an, was das Herz des Schwarzhaarige zum Hämmern brachte. Felix starrte mit dieser kindlichen Naivität über die Häuser hinweg, dass Changbin sich automatisch fragen musste, wie er nach so viel Leid und Schmerz und Trauer noch so fröhlich sein konnte. Gut, der Schwarzhaarige sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.
"Wie war es so? Sie zu lieben?", fragte der Blonde völlig überraschend.
Changbin sah erst ihn an und dann zum Himmel. Soo-young hatte ihn geliebt. Der Himmel war immer farbenfroh, sei es lila oder blau, sei es gelb oder orange oder rot. Er war alles, was schön war und doch irgendwie nicht. Denn er konnte düster und traurig und voller rasender Wut sein, wenn Blitze auf die Erde niederregneten. Aber das störte sie nicht, in ihren Augen durfte der Himmel alles sein, was er wollte, denn er war in gewisser Weise immer schön.
"Es war Schmerz und Leben gleichzeitig. Es zerstörte mich und ich liebte es trotzdem. Ich liebte sie trotzdem, weil es sich richtig angefühlt hat. Jeder Atemzug von ihr war einer von mir. Jede Träne wischte ich beiseite, während sie das Gleiche bei mir tat. Sie zu lieben, sie zu sehen und ihre Stimme zu hören, war das, was mich antrieb. Und Soo-young an meiner Seite gehabt zu haben, hat mich etwas gelehrt."
Für einen Augenblick spürte Changbin den Druck in seinen Augen, kurz bevor man weinen mussten. Doch er unterdrückte ihn. Stieß die Tränen zurück und sah nach vorn auf die Straßen.
"Liebe ist etwas Organisches und wenn man sie nicht pflegt, verrottet sie."

Bevor Felix zum Sprechen ansetzen konnte, hob Changbin die Hand. Er wusste, welche Frage er stellen wollte. Er las es in seinen Augen ab.
"Unsere Geschichte hätte aus einem Märchen stammen können", fing Changbin an und diesmal schaute er seinen Sitznachbarn an. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er an ihre erste Begegnung denken musste.
"Unsere Eltern haben uns vor fünf Jahren einander vorgestellt. Ich war eigentlich voll und ganz mit meinem Studium für die Polizeischule beschäftigt, als das ich Lust auf eine Freundin hatte. Aber meine Mutter wollte mich schon seit einer halben Ewigkeit verkuppeln, weil sie der Meinung war, ich würde nie jemanden abbekommen."
Felix konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, weswegen Changbin ihm spielerisch auf den Arm schlug. Irgendwo unter ihnen hupte ein Auto und ein Mann pöbelte unverständlich etwas hinterher. Doch das schien keinen der beiden zu stören.
"Unsere erste Begegnung, wie soll ich sagen, war etwas holprig? Ich büffelte gerade, während unten ständig die Klingel unserer Haustür ertönte. Ich dachte meine Mutter würde aufmachen, aber es tat sich nichts. Also bin ich runtergestampft. Und das nicht gerade leise. Mit einer Wucht habe ich die Tür aufgerissen und wollte zum Schreien ansetzen, als ich sie sah."
Er stockte. Erinnerungen strömten wie eine Flutwelle über ihn herein. Er konnte sich gar nicht davor retten, weswegen er panisch nach Luft schnappte. Felix nahm seine Hand, zeichnete kleine Kreise und es beruhigte den Schwarzhaarigen ein wenig.
"Sie stand einfach da, tat auf unschuldig und grinste mich an. Irgendwas in meinem Kopf hatte sich verabschiedet. Ich konnte nicht sprechen. So kitschig es auch klingt, sie war wundervoll. Danach trafen wir uns immer öfter. Und letztendlich sind wir zusammen gezogen, sehr zur Freude meiner Mutter."
Wieder musste er automatisch lächeln. Er dachte an ihren ersten Abend in ihrer kleinen Wohnung zurück. Damals hatten sie sich auf ihre Matratzen auf dem Boden gelegt, da das Bettgestell noch nicht geliefert wurde. Sie lagen einfach da, starrten an die Decke und fühlten sich unglaublich. Eigenständig, lebendig und unabhängig. Sie hatte sich zu ihm herüber gebeugt und ihr schönstes Lächeln gezeigt.
"Jetzt beginnt unsere Zeit. Unser gemeinsames Leben", flüsterte sie und er hatte genickt und sie in den Arm genommen.

Wie sie sich geirrt hatten.
Mit einem Mal war der Druck in seinem Brustbereich so groß, dass er kräftig ausatmen musste, während seine Augen zu brennen begangen. Er wusste, dass er jetzt weinen würde. Er spürte es. Und er würde nichts dagegen tun. Mittlerweile war es ihm egal, dass Felix ihn so sah. Irgendwie fand er es erleichternd endlich jemanden zu erzählen, wie er sich fühlte. Er hatte es die letzten zwei Jahre in sich reingefressen, in sich aufgestaut, weil er nicht drüber sprechen wollte, weil er nichts fühlen wollte. Er wollte sich nicht mit ihrem Tod auseinandersetzen. Nicht mit ihrer Abwesenheit. Nicht damit, das sie zu Nichts geworden war, weil er sie nicht retten konnte.
"Soo-young hat sich nach drei Jahren das Leben genommen", hauchte er. Felix rutschte an ihn heran. Die Wärme, die von ihm ausströmte, half, sodass er nicht vollkommen den Verstand verlor. All die Bilder, welche er verdrängt hatte, kamen aus dem dunkelsten Verlies in seinem Kopf. Sie umschwärmten ihn wie Motten das Licht. Es waren Aufnahmen von jenem Tag, als er sie fand.
"Sie....Sie lag einfach da. In unserem Bett. Ihre Haut war so weiß oder blau oder, keine Ahnung, eine Mischung aus beidem vielleicht?"
Er schluchzte und seine Atmung war mehr ein Rasseln. Oh Himmel, oh Himmel, oh Himmel, er ertrank. Er konnte nicht atmen. Nicht sehen, nicht fühlen.
"Changbin!", in weiter Ferne hörte er Felix' tiefe Stimme.
"Changbin, komm zurück, komm zurück aus deinen Erinnerungen."
Zwei Arme umfassten die Schultern des Schwarzhaarigen und drückten ihn. Aus Instinkt krallte sich Changbin in Felix' Rücken und er ließ alles raus. Ließ sich fallen, weil er nicht mehr konnte, weil so zu tun, als sei alles in Ordnung unglaublich ermüdend war.
"Sie hat sich mit Schlaftabletten das Leben genommen und.....und.....und einen Abschiedsbrief hinterlassen. Ich hätte ihr helfen sollen, ich hätte es merken sollen, wäre ich nur nicht so auf mein Studium fixiert gewesen."
Seine Schluchzer klangen beinahe wie ein Schrei. Er war nicht über sie hinweg. Nicht einmal ansatzweise. Er vermisste sie. Aber auf der anderen Seite tat ihm Felix leid, weil er auch ihn mochte. Sehr sogar. Schuldgefühle machten sich in ihm breit, rammten kleine Nadeln in sein Gewissen und säuselten er sei ein Lügner.
"Manchmal sind die Dämonen in einem größer, als die Macht dagegen anzukämpfen. Aber eins weiß ich, und zwar, dass sie dich mit jeder Faser ihres Körpers geliebt hat. Auch noch, als das Leben sie verlassen hat."
Changbin löste sich mit einem Ruck von Felix und ballte die Hände zu Fäusten.
"Das hilft nicht, Okay? KEIN EINZIGES WORT KÖNNTE JEMALS DIESEN SGHMERZ LINDERN, OKAY?"
Der Schwarzhaarige bemerkte wie Felix zusammenfuhr, aber das störte ihn nicht. Die Wut in ihm war heißer und böser und schmerzender. Er konnte nicht mehr sitzen, also stand er auf und tigerte hin und her.
"Schrei", hörte er Felix sagen. Changbin blieb stehen und starrte ihn an.
"Schrei mich an, los! Brüll, Kreische, tue irgendwas. Es ist besser, als nur herum zu tigern."
Erst war Changbin geschockt von seiner Aussage, aber dann fiel ihm ein, dass Felix ebenfalls gelitten hatte. Sein Verlust war größer. Doch er schüttelte den Kopf. Nein, bei Verlusten gab es kein größer oder kleiner. Jeder Verlust war ein Kollateralschaden im Leben einer Person oder einer Familie.
Und dann brach ein Brüllen aus ihm hervor, welches er seit zwei Jahren unterdrückte. Und er schrie und schrie und schrie und raufte sich die Haare. Felix ließ alles über sich ergehen wie ein Fels in der Brandung. Es vergingen Minuten, in denen Changbin sich versuchte zu beruhigen.
"Aber das, was man am meisten vermisste, waren nicht nur die guten Tage, sondern auch die Schlechten. Denn die schlechten Zeiten voller Streit und nicht ausgesprochen Worten waren die, die am Ende die Versöhnung einleiteten. Danach passierten die schönen Dinge. Man vermisst einfach alles", flüsterte er, wobei seine Stimme rau und erschöpft klang.
"Ja", stimmte ihm der Blonde zu.
"Aber wir werden sie nicht vergessen."

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Einen wunderschönen guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!

Da wir Felix' Geschichte gehört haben, war ich der Meinung auch Changbin seine eröffnen zu müssen. Es eine andere Variante, als die von Felix und das finde ich großartig. Man merkt bei beiden die Gefühle.

Habt ihr schon einmal einen Verlust erlitten?

Feel free to comment!

Erin🌸

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