Again [8]


Der Wind tobte durch das Gras mit einer unbändigen Wut, die selbst Felix das Haar zersauste. Für einen warmen Sommertag ziemlich ungewöhnlich. Trotz dessen genoss der Australier die Sonnenstrahlen, während er zur Arbeit lief. Die Nacht war ähnlich wie die zuvor gewesen. Kurz und voller Schmerz. Diesmal war er jedoch nicht laufen, sondern hatte sich dazu entschieden eine Dokumentation über Tiere auf seinem Fernseher zu schauen. Irgendwie hatte er gehofft, dass die Müdigkeit in noch einmal einlullen würde, doch leider tat sie das nicht. Er war sich im Klaren, dass sein Körper das bald nicht mehr mitmachen würde. Tatsächlich hatten die Alpträume erst Wochen nach dem Unfall begonnen. Felix hatte es zu dieser Zeit einfach auf die Abwesenheit seiner Familie geschoben, weswegen er nicht darüber nachdenken konnte. Selbst diese Tatsache ließ die Alpträume nicht verschwinden.
Denn irgendwann verloren Erinnerungen an Schärfe. Sie ließen einen nicht mehr bluten. Sie schnitten nicht mehr ins Fleisch, sondern wühlten einen auf. Diese Aufgewühltheit war wesentlich besser, als sich bei dem bloßen Gedanken vor Schmerz zu krümmen. Doch es gab Momente, klitzekleine Momente, die ihn aus dem Konzept brachten und dann war er wieder an jenem Ort voller Leid und Tod und Verderben. Manchmal dachte er über den Klang der Stimme seiner Mutter nach, nur um festzustellen, dass er sie gedanklich überhaupt nicht abrufen konnte. Er hatte sie vergessen. Dann versuchte er sich das Lachen seines Vaters ins Gedächtnis zu rufen, nur um sich bewusst zu werden, dass er es nicht mehr konnte. Es sind die kleinen Dinge, die einem aus dem Konzept brachten. Felix wollte vor einigen Monaten eine Kerze für sie anzünden. Einfach so. Er fand das eine gute Idee. Doch er hatte keine gefunden und daraufhin stundenlang geweint. Mittlerweile war es ihm peinlich, wenn er darüber nachdachte. Wegen so einer Kleinigkeit.
Aber das Leben ging weiter. Die Welt drehte sich weiter und er musste sich fügen, weil keine menschliche Kraft, die Erde daran hindern konnte ihre Rotation durchzuführen.

"Es ist sechs Uhr fünfundzwanzig. Pünktlich wie immer", begrüßte ihn Seungmin. Felix schenkte ihm ein müdes Lächeln. Sie mussten so früh anfangen, da manche Kuchen einige Zeit in Anspruch nahmen. Und der Australier war froh von seinen Gedanken Abstand zu bekommen. Als er sich umzog, fragte er Seungmin nach dem Ablauf des heutigen Plans.
"Ich werde erstmal zwei NewYorker Cheesecakes backen, einige Torten müssen wir noch auftauen und die Donuts müssen glasiert werden. Du kümmerst dich aber erstmal um die Brownies. Es ist Mittwoch, dass bedeutet viel Andrang."
Felix nickte. Er konnte sich noch lebhaft an einen Mittwoch erinnern, an dem die Schlange bis auf die Straße ging. Ein jeder der Brownies kaufen wollte, hatte den Blick eines gierigen Kindes. Es war schon beinahe unheimlich gewesen. An einem anderen Mittwoch kam sogar die lokal Zeitung. Sie wollten Felix unbedingt interviewen, doch er konnte nicht weg von seinem Platz, da es ein großer Anstrum war. Eine Kundin war so sauer geworden, da die Reporter alles aufhielten, dass sie einen Hocker geschmissen hatte. An dem Abend musste die Polizei kommen und Jeongin war den Tränen nahe, weil es ihm zu viel wurde. Als Resultat des Tages hatten sie beschlossen an einem Brownie-Mittwoch immer zu Viert vor Ort zu sein.
"Ich hoffe, es wird kein problematischer Tag", seufzte der Jüngere. Felix stutzte. Seungmin wirkte gerade so erschöpft.
"Was ist los?"
Unwohlsein breitete sich in ihm aus. Bisher hatte er den Braunhaarigen stets für eine Art Superhelden gehalten. Es kam ihm so vor, als hätte er vor nichts Angst, trotzte der Welt mit eisernen Willen und seiner Intelligenz. War unverwundbar. Unzerstörbar. Aber jetzt hatte Felix etwas erkannt: Er konnte ihn nur so sehen, weil Seungmin ihn nicht mehr zeigte. Er fühlte sich mit einem Mal miserabel. Warum hatte er das nicht gemerkt? Die Antwort lautete, da er viel zu sehr in seiner eigenen kleinen Blase lebte.
"Du kannst es mir erzählen", untermalte er sein Frage und Schritt auf ihn zu.
"Vielleicht kann ich dir ja helfen. Und wenn nicht, bin ich einfach an deiner Seite."
Nicht jeder wollte immer Mitleid. Das hatte er sehr früh gelernt. Wieder ein Seufzen seitens Seungmin.
"Es ist so. Meine Mutter hat vor einem Jahr die Diagnose Darmkrebs im zweiten Stadium bekommen."
Bevor Felix reagieren konnte, hielt ihn der Jüngere zurück. Seine Stimme war leise und zittrig.
"Nach der Chemo schien alles in bester Ordnung zu sein. Letzte Woche war sie zum Korntrolltermin, wo sich herausgestellt hatte, dass der Krebs gestreut hat."
Felix nahm den Braunhaarigen in den Arm.
Der Blonde hatte sie bisher nur zweimal getroffen. Sie war ebenfalls eine Naturgewalt wie Seungmin selbst. Sie würde nicht aufgeben. Sie würde sich Aufbäumen und Biegen, bis es nicht mehr ging, aber sie würde nicht zerbrechen.
Das sagte Felix seinem besten Freund.
"Okay, genug der Sentimentalitäten. Wir müssen arbeiten."

Gegen zwei Uhr ertönte eine fröhliche Stimme an der Hintertür. Jeongin betrat mit einem riesigen Blumenstrauß ihr Arbeitszimmer.
"Hast du einen heimlichen Verehrer?", fragte Seungmin und wackelte mit den Augenbrauen.
"Ach Quatsch. Der ist für dich und Felix-Hyung und Hannie-Hyung."
Überraschung stand den beiden ins Gesicht geschrieben.
"Halllööööchen!", säuselte ein gut gelaunter Jisung, welcher gerade aus dem Verkaufsraum kam. Man gut, dass gerade kein Kunde da war.
"Perfektes Timing, Hyung", sagte Jeongin und stellte den Strauß ab.
"Hm? Wofür?", entgegnete der Student und sah sich die Blumen an. Der Blauhaarige hingegen blickte jedem von ihnen ins Gesicht.
"Ich wollte mich bei euch bedanken. Für die schöne Zeit, für die anstrengende Zeit und dafür, dass ihr mich immer unterstützt."
Seungmin quietschte und sprang dem Jüngsten in die Arme.
"Nächstes Mal wäre mir Kuchen lieber", grinste Jisung. Jeongin zog einen Schmollmund, ehe er kurzerhand den Älteren auf die Schulter schlug. Felix fing an zu lachen.
"Wir sind doch eine Familie. Bei uns findest du immer ein offenes Ohr", sprach Felix.
"So und jetzt geht es an die Arbeit!"
Seungmin erteilte keine zwei Sekunden  später die Aufgaben. Der Braunhaarige und Felix würden die Kasse übernommen. Jeongin kellnerte und Jisung arbeitete noch an einigen Vorbereitungen.
Der Tag verlief ruhig. Doch die Aussage von Seungmin hatte Felix in irgendeiner Weise erschüttert. Wann hatte er sich das letzte Mal nach dem Wohlbefinden der anderen erkundigt? Wann hatte er aufgehört sich auch um das Wohl seiner Mitmenschen zu kümmern? Er wusste es nicht und das machte ihn wütend.
"Zwei Kaffee, bitte. Einen Schwarz, der andere mit Milch und Zucker."
Verwirrt blinzelte Felix. Sein Verstand brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass er gerade zwei Kunden vor sich hatte.
"Oh! Ähm, ja. Kommt sofort."

Wo war Seungmin?
Erst nachdem sich Felix zu den leeren Bechern umgedreht hatte, bemerkte er, wer da vor ihm stand. Es war der gleiche Kunde von gestern früh. Nur diesmal war sein blonder Arbeitskollege dabei. Automatisch errötete Felix. Oh Gott, peinlicher konnte es nicht werden. Erst tanzend und jetzt hatte er vor ihren Augen geträumt.
Der Australier beeilte sich. Er wollte diese Situation schnellstmöglich hinter sich bringen. Er brachte es nicht über sich den Schwarzhaarigen anzublicken, stattdessen sah er seinem Freund an. Mit einem Lächeln nannte er den zu bezahlenden Betrag, welches der Kunde ihm gerade geben wollte, wäre da nicht Jeongin gewesen.
"Hyung! Hannie Huyng verblutet! Wo sind die Pflaster?"
Felix entschuldigte sich bei den zwei Männern und wandte sich seinem Dongsaeng zu.
"Oder noch schlimmer-", brabbelte der Jüngere weiter, "-Er verliert seinen Finger? Oh gütiger Himmel!"
Felix Griff nach seinen Schultern und sah ihm in die Augen. Die zwei Beamten verfolgten das Schauspiel mit amüsanten Mienen.
"Niemand verblutet und niemand verliert einen Finger. Die Pflaster sind in dem Kasten über der Spüle", entgegnete der Blonde mit ruhiger Stimme.
"YANG JEONGIN! Was erzählst du wieder für Unsinn?", schrie Jisung aus der Küche und kam angerannt. In seiner Hand ein Messer.
"Ich habe nur Erdbeeren für einen Kuchen geschnitten", erklärte er sich.
Die Ohren des Blauhaarigen leuchteten wie das Rot einer Ampel. Der Gast vor ihnen brach in Gelächter aus. Felix fand ihn auf Anhieb sympathisch. Jeongin entschuldigte sich mit hochrotem Kopf und flüchtete wieder nach hinten. Der Australier hätte schwören können, der Blonde ihm gegenüber hätte "niedlich" gemurmelt. Er schüttelte den Kopf und bat um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten.
"Kein Problem. Diese Normalität brauchen wir ab und zu."
Sie nahmen ihre Getränke und verabschiedeten sich.
Felix sah ihnen hinterher und fragte sich, was er damit gemeint hatte.

_____________________________________________

Hallöchen!
Das Kapitel ist etwas unspektakulär, aber man bekommt einen Einblick in die Gefühlswelten der anderen!
Wie findet ihr die Beziehung zwischen Seungmin und Felix? Zu oberflächlich? Oder bisher ganz gut?

Oben seht ihr Jeongin

Feel free to comment!

Erin🌸

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top