Versehentlich

Ich war total nervös, als ich Angie kennenlernte. Sie war hübsch, eine natürliche Schönheit mit dunkler Haut und großen braunen Augen, sodass es mir auf den ersten Blick die Sprache verschlug. Sehr peinlich, aber Lionel half mir aus der Klemme und stellte uns vor.

"Angie, das ist Delia. Sie ist in meiner Klasse und wirklich super nett. Ich glaube, ihr werdet euch gut verstehen."

Angie wurde von einem kleinen, braunen Hund begleitet, der ihr überall hin folgte, wie ich bald merkte. Sie war genauso zerbrechlich wie Lionel gesagt hatte und ihre Stimme war leise und hell, was zuerst etwas anstrengend war. Sie vergötterte Lionel, aber ich hatte keine Zeit für Eifersüchteleien und schloss sie sofort ins Herz.

Wir setzten uns auf die Terrasse, zu der ein kleiner, verwilderter Garten gehörte, und tranken Eistee. Pepe, der Hund, durfte auf ihren Schoß. Angie hatte früh ihre Eltern verloren, deshalb lebte sie bei ihrer Grandma in einem winzigen Haus nur 20 Fahrminuten von mir entfernt. Es war leicht, mit ihr zu plaudern. Hin und wieder erinnerte sie mich an Kitty, wenn sie im Redefluss war. Dann war sie nur schwer zu bremsen. Ihre Lieblingsthemen waren Hunde und Musik. Sie erzählte mir von ihrem Lieblingsfilm, die Neuverfilmung von Susi und Strolch, und von einem Klavierkonzert, auf das sie sich vorbereitete. Spontan lud sie mich ein.

"Du musst mir deine Telefonnummer geben", bettelte sie, als Lionel und ich uns auf den Rückweg machten.

"Damit ihr über mich lästern könnt?", fragte Lionel mit gekünstelter Ablehnung.

Ich kicherte ihr zu und gab ihr meine Nummer. Ich hatte nichts dagegen, sein Selbstbewusstsein etwas auf die Probe zu stellen.

OoOoO

"Hat da jemand ein fettes Grinsen auf dem Gesicht?"

Ich war bei Tam, um mich für die Arbeit herzurichten. Sie hatte mir am Abend zuvor geschrieben, dass ich im Marco's gebraucht wurde. Da ich unmöglich auf das Geld verzichten wollte, war ich sofort dabei.

"Kann sein, ist ein schöner Tag", antwortete ich und gab mir Mühe, das Grinsen zu einem neutralen Ausdruck zu formen. Es misslang.

Tam zog an meinen Haaren. "Delila Farrow, wirst du mir wohl sagen, was ich verpasst habe?"

Mein Herz stolperte. Ich duckte mich, richtete meine Frisur und machte einen auf unschuldig. "Wovon redest du bitte?" Die ganze Zeit hatte ich es mit Absicht herausgezögert, ihr davon zu erzählen, da ich mir unsicher war, wo auf der Pärchenskala Lionel und ich standen.

"Delia!", sagte sie vorwurfsvoll. Ihre Hand klopfte auf das Bett und ich musste mich zu ihr setzen, wenn ich nicht wollte, dass ein Sturm losbrach. Sie verzieh mir viel, doch nicht, wenn ich unehrlich war.

"Ist es Lion? Im Zoo hattet ihr endlich mal Gelegenheit zum Reden. Ich weiß, dass da noch Gefühle zwischen euch sind. Vielleicht kommt ihr ja wieder zusammen", plapperte sie.

Ich verzog die Mundwinkel. Ja, ich hatte noch Gefühle für Lion. Die Art und Weise wie ich ihn abserviert hatte, war nicht schön gewesen. Aber Lionel interessierte mich auch. Sehr sogar.

"Nicht Lion?", fragte Tam. "Ach du dickes Ei. Dann Lionel?"

Wieder verzog ich die Mundwinkel, diesmal unabsichtlich. Ich durfte gar nicht daran denken, was seine Lippen vielleicht alles mit mir gemacht hätten, wenn wir irgendwo unter uns gewesen wären.

"Sind es etwa beide?", quiekte Tam erschrocken.

Ich zuckte zusammen. "Ich glaube schon. Im Zoo hat Lion mich geküsst und ich habe den Kuss sehr genossen. Aber dann hat Lionel mich auch geküsst und da war ein Feuer in mir, das mir ganz neue Perspektiven gezeigt hat ..."

"Warte, du hast beide geküsst und sagst es mir nicht?", unterbrach mich Tam aufgeregt.

Ich stütze den Kopf auf die Hände. "Entschuldige, ich stehe selbst neben mir. Lion bedeutet mir noch was, aber Lionel ist so heiß. Sein Kuss war wie Neuland für mich. Aah, nicht dass Lion nicht küssen kann, er kann hervorragend küssen... Beide können unglaublich gut küssen. Ach menno, es ist sooo scheiß kompliziert."

Tam musterte mich, nickte und seufzte. "So schlimm ist das nun wieder nicht. Immerhin stehen beide total auf dich."

"Spinnst du?" Ich sprang auf und rannte wie besessen im Zimmer auf und ab. "Ich kann nicht beide haben. Die würden das doch merken."

"Setz dich wieder, Schätzchen", sagte Tam streng.

"Ich kann nicht. Ich glaube, ich bekomme keine Luft mehr." Mein Herz schlug wirklich rasend schnell.

"Quatsch. Du bist nur nicht dran gewöhnt, zweigleisig zu fahren und das macht dir Angst."

Ich blieb stehen und starrte sie fragend an. "Hä? Gibst du mir gerade den Rat, mit beiden rumzumachen?"

Mitfühlend schnappte sie meine Hand und zog mich neben sie auf ihr Bett. Sie legte den Arm um meine Schulter. "Ich will, dass du glücklich bist. Die Trennung von Lion hat dich mitgenommen. Mach dich locker. Teste aus, wer von beiden dir besser gefällt."

Ich wehrte mit erhobenen Händen ab. "Hier geht es nicht um meine Lieblingspizza, Tam. Ich will wieder Sex haben, aber ich will keine Schlampe sein, sondern eine Beziehung mit dem Kerl."

"Die Frage ist nur, mit welchem Kerl", erwiderte sie schmutzig grinsend.

Eine Antwort darauf hatte ich noch nicht. Ohnehin mussten wir nach unten und unseren Job machen. Es lief zunächst alles glänzend. Ich hatte viele nette Leute an diesem Tag und bekam ein gutes Trinkgeld. Erst am Abend tat sich die Erde vor mir auf. Ich leerte gerade einen Tisch ab, als Tam zu mir kam und sagte, dass ein Gast an der Bar mich sprechen wollte. Nichtsahnend ging ich zu ihm und blieb festgefroren an der Bar stehen. Es war Stan, der Grapscher. Ich hatte mir sein schmieriges Grinsen und den Namen eingeprägt, obwohl ich nie wieder damit zu tun haben wollte.

Mein entgleister Gesichtsausdruck schien ihm zu gefallen, denn er hob sein Weinglas in die Luft und sagte zu mir: "Immer noch so prüde, Kleine? Bring mir noch einen Lucente."

Wiederwillig ging ich an ihm vorbei und machte mich hinter der Bar ans Werk. Ich zitterte, da ich wusste, dass er mir zuerst auf den Arsch und dann auf die Brüste schaute. Als ich das Glas gefüllt hatte, stellte sich Tam neben mich und nahm mir die Flasche ab. "Ich übernehme für dich, du kannst gehen."

Ich verzog mich auf die Toilette und starrte wütend in mein Spiegelbild. Mir stiegen Tränen in die Augen. Dieses Arschloch.

Tam kam herein und legte ihre Hand auf meine Schulter. "Was wollte der widerliche Kerl von dir? Kennst du ihn?"

"Nein, ich kenne ihn nicht. Er war neulich schonmal da und hat mit seinen Kumpels eine ordentliche Zeche für Wein und Essen bezahlt", sagte ich ausweichend.

Tam kniff die Augen zusammen. "Wieso hat er dich prüde genannt?"

"Ist nur ein dummer Spruch von ihm gewesen. Du kennst das ja, so sind diese Säcke."

"Du lügst, Delia. Sag mir, was da los war", beharrte sie.

"Das ist meine Sache", versuchte ich zu erklären.

Tam fuhr mir dazwischen. "Ich bin deine beste Freundin. Wir müssen über solche Dinge reden."

"Und was willst du tun? Ich will nicht, dass deine Familie das erfährt", zischte ich genervt. Ich wusch mir die Hände und kühlte meine Stirn mit Wasser.

Tam streichelte meinen Rücken. "Ich rede mit Sandro. Er wird den Kerl vor die Tür setzen." Sie war fest entschlossen, das verriet mir ihre Stimme. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, bekam sie es auch.

"Nein. Du vergisst, dass wir alle gutes Geld brauchen können", sagte ich verzweifelt. Mir wäre es unangenehm gewesen, so einen Wirbel zu machen.

"Ich dachte mir, dass du das sagst. Deshalb habe ich vorgesorgt und versehentlich den Rotwein über seinen Schoß gegossen."

Schnell warf ich einen Blick in den Spiegel und sah ein unverschämt genugtuendes Tam-Grinsen hinter mir. Ich konnte nur hysterisch lachen. "Du hast den teuren Rotwein verschüttet?" Ich war beeindruckt und geschockt zugleich.

"Rein versehentlich", betonte Tam nochmals.

Stirnrunzelnd drehte ich mich um. "Dir ist doch klar, dass er nicht dafür zahlen wird."

Tam setzte einen Zeigefinger auf meine Brust. "Dir ist doch klar, dass du mich nicht anlügen kannst. Ich habe gesehen, wie der schmierige Scheißer zuerst auf deinen Arsch und dann auf deine Titten gestarrt und zu sabbern angefangen hat."

"Du bist unmöglich", antwortete ich kopfschüttelnd und brachte tatsächlich wieder ein Lächeln zustande. Ich stellte mir vor, wie Tam den Rotwein über Stans Schoß kippte. Schade, dass ich es nicht selbst sehen konnte.

"Das bin ich doch gerne. Ich bin immer für dich da", sagte Tam zwinkernd.

OoOoO

Wie findet ihr Tams Reaktion ^^

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top