Lion
Ich sah Dads Umrisse auf der Treppe vor unserer Haustüre im Scheinwerferlicht und zögerte das Aussteigen hinaus. Als er weggegangen war, hatte er kurze Haare gehabt, die leicht ergraut waren. Er war sportlich und kräftig gewesen. Ich ging nicht davon aus, dass er sich groß verändert hatte, wollte es aber gleichzeitig nicht wissen. Er war keinen zweiten Gedanken wert. Reiß dich zusammen. Deine kleine Schwester braucht dich jetzt.
Mein Blick glitt zur Tür und ich spannte mich an. Wenn Dad draußen war, hatte er sicherlich darauf gewartet, dass ihn jemand rein ließ. Ich war erleichtert, als ich feststellte, dass Kitty ihn nicht ins Haus gelassen hatte. Meine kleine schlaue Schwester hatte mich sofort angerufen und sich drinnen verbarrikadiert, wo sie erstmal in Sicherheit war. So hatte ich es ihr beigebracht. Wir waren die Kids, die auf sich selbst aufpassen mussten, weil ihre Mom arbeitete.
Ich klammerte mich an den Türgriff des Autos und sammelte meinen Mut. "Danke für's Fahren."
"Soll ich nicht besser noch bleiben?", hakte Lion besorgt nach.
"Nein, ich muss das alleine klären." Ich wollte ihn da nicht mit reinziehen. Aufgrund meiner Stellung in der Familie musste ich das tatsächlich klären. Mom stemmte alles alleine und wenn ich irgendwas tun konnte, um sie zu entlasten, dann das. Je weniger sie von Dad sah, desto besser.
"Wie du willst. Aber wenn es Probleme gibt, rufst du mich sofort an." Lions Augen glühten. Er hatte mich aufgefangen, nachdem Dad weggegangen war, und machte ernst. Er kannte mich zu gut, um zu wissen, dass mir dieser Besuch zu schaffen machte.
"Mache ich", versprach ich, als ich die Autotür aufdrückte.
"Okay, ich werde dann noch eine Runde ums Haus drehen, wenn ich Tam heimgebracht habe."
Ich musterte ihn. "Gibt es eine Möglichkeit, dich davon abzuhalten?"
Er wackelte mit den Augenbrauen. "Nur eine."
Lion war Sportler und gut trainiert. Er würde nicht kampflos aufgeben. Ich lächelte kurz, zog die von Tam geliehenen Stöckelschuhe aus und stieg aus dem Wagen. Einmal tief Luft geholt. Showtime.
"Jahrelang lässt du uns im Stich und jetzt bist du hier? Ich hoffe, du hast eine Erklärung für das." Die spitzen Schuhe schwang ich wie eine Waffe, als ich meinen Dad anbrüllte. Die Begrüßung hatte ich übersprungen und war gleich zum Wesentlichen gekommen. Meine geballte Wut auf ihn kam feindselig zum Ausdruck. Ich war stolz auf mich.
"Wie redest du denn mit mir? Ich bin immer noch dein Vater, Delia ..."
"Du bist nichts. Nur ein verkacktes Spermium", rief ich.
"Nicht so laut. Deine Schwester könnte dich hören", versuchte er mich zu maßregeln.
"Das hoffe ich. Sie würde dir noch ganz andere Sachen sagen, wenn sie nicht so gute Manieren hätte." Ich war in meiner Höchstform. Mom und Kitty verdienten was Besseres als diesen Mistkerl.
Dad sah wütend aus. Dann riss er sich jedoch zusammen. "Lass uns rein gehen und alles in Ruhe besprechen."
Nur ein Versuch, dich um den Finger zu wickeln. Darin war er immer gut gewesen.
Ich verschränkte die Arme, war jedoch sofort bereit, mit den spitzen Schuhen zuzuschlagen, wenn er sich in meine Nähe wagen sollte. "Du willst reden? Ich aber nicht. Ich habe dir nichts zu sagen."
"Willst du nicht hören, warum ...", säuselte er.
Ich warf die Hände in die Luft, sodass er zurück wich. Waren es die Schuhe oder meine Funken sprühenden Augen, ich konnte es nicht sagen. Ich spuckte aus: "Das von jemandem wie dir. Du hast uns nicht mal eine Postkarte zu Weihnachten geschickt."
Als ob das was geändert hätte ... Er wird sich nie ändern. Wir können von Glück reden, wenn er uns nicht überfällt und beklaut.
Er strich über seine kurzen, ergrauten Haare. "Manchmal weiß man nicht weiter und macht Fehler", rechtfertigte er sich.
Ja, versuche es nur. Bei mir stößt du auf Granit.
"Du bist ein Arschloch", fuhr ich auf. Ich hatte so lange darauf gewartet, ihm das zu sagen, dass ich streitlustig um ihn herumtänzelte. "Du bist abgehauen und Mom musste die Rechnungen alleine bezahlen. Sie hat keine Fehler gemacht. Höchstens den, mit dir zusammen gewesen zu sein. Wir wollen dich nicht mehr. Hau ab und bleib uns fern. Das kannst du ja so gut."
Meine Worte kamen raus wie eine Drohung. Ich war geladen und scharf wie eine Flinte vor dem Abschuss.
Er zögerte, hob dann jedoch die Hände. "Wenn du es dir anders überlegst, ich bin im Greenfair, einer Frühstückspension."
"Will ich gar nicht wissen. Verpiss dich."
Ich zitterte, aber ich ließ nicht locker und starrte ihn giftig an, bis er sich vom Acker machte.
Als er um die Ecke verschwunden war, machte ich, dass ich ins Haus kam. Drinnen verschloss ich die Tür und sackte an ihr zusammen. Ich konnte nicht mal weinen, so aufgebracht war ich.
Ich vergewisserte mich, dass Kitty schlief und nahm eine Dusche. Mein Körper zitterte vor Wut. Danach zog ich mir einen Hoodie und eine weiche Sporthose über und kuschelte mich zu Maddox ins Bett. Ich schickte Tam eine Sprachnachricht, um mich zu erkundigen, ob sie gut heim gekommen war, und um sie auf dem Laufenden zu halten. Als ich mein Telefon weglegen wollte, klingelte Lion bei mir durch.
"Dein Dad scheint weg zu sein. Ich bin einmal ums Haus gegangen und habe nachgesehen, ob alles okay ist."
Ich biss mir auf die Lippe. Lion war so fürsorglich. Er konnte ein großer Macho sein, doch es steckte auch ein Beschützer in ihm. War es falsch, ihn zu fragen, ob er reinkommen wollte? Ich hasste Schwäche. Aber ich wollte in den Arm genommen werden. Dad's Besuch kam so plötzlich, dass ich mich nicht darauf vorbereiten konnte.
"Du hältst mich bestimmt für unverschämt, nach allem, was ich dir angetan habe, aber hättest du Lust, noch rein zu kommen?"
Es war raus und Lion antwortete überraschend unkompliziert: "Klar."
Erleichtert öffnete ich ihm. Ich hoffte, dass er keine Einladung darin sah, unsere Beziehung neu aufleben zu lassen. Darüber würde ich mir erst weitere Gedanken machen, wenn es soweit kommen sollte. Im Moment wollte ich einfach nicht alleine sein. Selbst wenn ich damit einen Fehler machte. Womöglich war es sogar ein Schicksalswink, der uns heute zusammengebracht hatte, damit ich eine Entscheidung treffen konnte. Dass ich Gefühle für ihn hatte, wusste ich spätestens seit dem Kuss im Zoo. In gewisser Weise wäre es sogar schön gewesen, da weiterzumachen.
What? Du hast ihn abserviert. Er wäre verrückt, dich wieder an sich ranzulassen. Aber trotzdem mochte er mich noch, sonst hätte er mich ja gar nicht erst geküsst. Oder dir tausend Nachrichten auf dem Telefon hinterlassen, dir Blumen und Konzertkarten geschickt, zählte ich auf.
Was wohl Lionel dazu sagen würde, wenn er wusste, dass ich meinen Exfreund sozusagen darum gebeten hatte, die Nacht bei mir zu verbringen?
Die Frustration, dass Lionel sich nicht bei mir gemeldet hatte, stieß mich noch mehr in die Arme seines Konkurrenten. Nach unserem letzten Gespräch war ich davon ausgegangen, wir hätten beschlossen, uns besser kennenzulernen. Unser Kuss war ein Feuerwerk gewesen. Jedenfalls aus meiner Sicht.
Lion umarmte mich besorgt und meine Gedanken an Lionel verblassten. Es tat mir gut, nicht alleine zu sein. Ich war erschöpft. Was für ein Tag.
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