Fast wie früher
Eine schwere Last fiel von meinen Schultern, als ich Tam alles über Stan erzählte. Ja, auch das mit der Grapscherei. Nachdem sie mich beim Lügen ertappt hatte, fiel es mir leichter, mit ihr darüber zu reden. Ich war zwar noch geschockt von ihrer Rotwein-Aktion, doch irgendwie fand ich das total süß von ihr. Mal ehrlich, wer hat schon den Mumm, sowas zu bringen?
Um ihren Erfolg zu feiern, mit dem sie sich für mich an Stan gerächt hatte, beschloss Tam, mit mir auf eine Party zu gehen. Unsere Schicht im Marco's endete diesmal um neun, also war noch genug Zeit für etwas Stressabbau, wie Tam mir erläuterte.
"Oder hast du schon was anderes vor, als den Kerlen den Kopf zu verdrehen?", hauchte sie lüstern in mein Ohr.
"Igitt. Mach das nie wieder." Mochte sein, dass sie so bei denen landete, die auf sie abfuhren, doch mich schreckte sie damit eher ab.
Tam zog einen Schmollmund. "Kann ich dich denn gar nicht aufmuntern? Dir stehen zwei echte Leckerbissen zur Verfügung. Ich würde verstehen, wenn du bei mindestens einem schwach wirst."
Ich umarmte sie und lachte. "Du bist mir so keine Hilfe. Aber lass uns von mir aus auf die Party gehen, wenn es dich glücklich macht." Ich wusste ja, was bei meiner letzten großen Party geschehen war und hatte daher wenig Lust, sie zu begleiten. Jedoch konnte ich schlecht warten, bis ich alt und runzelig war, bis ich mich wieder unter die Leute wagte. Der zweite Grund für meine Entscheidung war, dass ich den ganzen Tag noch nicht von Lionel gehört hatte und bevor ich mir den Kopf zerbrach, was das bedeuten sollte, klang eine Party fast schon verlockend.
Tam fand schnell heraus, wo es dieses Wochenende was zu Feiern gab. Sie war mit allen möglichen Apps vernetzt, was man von mir nicht behaupten konnte. Wenn ich dazugehören wollte, musste ich mich auf sie verlassen. Meine beste Freundin schleifte mich daher zuerst in ihr Zimmer und verpasste mir ein Outfit, das sich sehen lassen konnte. Sie steckte mich in ein enges rotes Kleid mit tiefen Ausschnitt, machte mir die Haare zurecht und gab mir ihre Stöckelschuhe, bei deren Anblick ich die Nase rümpfte.
"Muss ich die anziehen?", beklagte ich mich. Wir hatten die gleiche Größe, doch ich konnte nicht gut darin gehen.
"Du siehst sexy aus damit. Wäre ich Lion oder Lionel", sie machte bei den Namen Gänsefüßchen in der Luft, um die Ähnlichkeit der beiden Männer zu betonen, "würde ich nicht die Finger von dir lassen", stellte Tam zufrieden fest.
Tatsächlich fühlte es sich gut an, zur Abwechslung mal etwas mehr Haut zu zeigen. Zum Schluss fehlte nur noch eine kleine Tasche für meine Autoschlüssel, etwas Notfallgeld und mein Handy. Dann waren wir soweit. Ich sah noch einmal in den Spiegel und war zufrieden. Tam hatte wirklich eine Lösung für alles. Sie munterte mich auf und half mir immer, über meinen Schatten zu springen. Irgendwie freute ich mich sogar auf die Party. Dazu hatte sie mich ermutigt.
Die Party fand, wie das eben oft üblich war, bei einem Mitschüler statt. Es war ein hübsches Strandhaus, das er uns zur Verfügung stellte. Wahrscheinlich waren seine Eltern verreist und hatten keine Ahnung, was ihr Sohn vorhatte. Als Tam und ich uns umsahen, waren die meisten Gäste schon stark am trinken und wir gesellten uns zu den Tanzenden. Schließlich ließ sich der gesamte gesammelte Stress besonders gut abbauen, wenn man sich mal so richtig auspowerte.
Ich brauchte nicht lange, um meinen Rhythmus zur Musik zu finden. Anscheinend hatte ich genau das gebraucht. Nach einer Weile wilden tanzens bekam ich ziemlich Durst und gesellte mich zu ein paar Leuten an der Bar. Sie schienen keine große Notiz von mir zu nehmen, was ein gutes Zeichen war. Eine Zeitlang war ich von vielen Mitschülern schief belächelt worden, weil meine Trennung von Lion für Aufsehen gesorgt hatte.
"Was möchtest du trinken?", fragte ein Junge mit lockigen dunklen Haaren aus meiner Parallelklasse im Plauderton.
"Etwas Fruchtiges ohne Alkohol, ich muss noch fahren." Alkohol war bei uns ohnehin erst ab 21 erlaubt, aber auf einer Hausparty gab es immer jemanden, der die Möglichkeit hatte, welchen zu organisieren.
Ich nahm meinen Drink, ein leckeres Ananas-Saft-Gemisch, und hielt den kühlen Becher an meine heiße Stirn. Um den Schweißfilm auf meiner Haut zu kühlen, ging ich hinaus an die frische Luft. Auf der Veranda, von der man zum Strand sehen konnte, knutschten Pärchen miteinander. Sie waren viel zu beschäftigt, um mich zu bemerken. Verträumt stellte ich mich an die Brüstung und sah hoch zu den Sternen, lauschte dem Wellenschlag der Brandung. Bevor ich mit Lion schlussgemacht hatte, war ich öfters auf Partys in solchen Häusern gewesen. Ich war ein armes Mädchen aus ganz anderen Verhältnissen gewesen, aber ich hatte dazugehört. Eine neue Welt, die mir zu Füßen gelegen hatte. Mit einem traurigen und einem fröhlichen Auge dachte ich an die Zeit mit Lion und unseren Kuss im Zoo. Was wollte ich?
Mein Telefon klingelte. Ich hörte es fast nicht, weil die Musik so laut war.
"Hi, kleine Schwester. Warum schläfst du noch nicht?", fragte ich.
"Du musst sofort kommen. Dad ist wieder da."
"Dad?" Mir fiel fast das Telefon aus der Hand.
"Ja, Dad."
Kitty war gefasster als ich. Ich reagierte panisch und stotterte eine Antwort zusammen. Als ich auflegte, hatte ich das Gefühl, der Boden unter mir war Treibsand, der mich nach unten zog. Ich musste mich zusammen reißen, Tam finden und dann so schnell wie möglich weg. Ich ließ meinen Becher fallen, lief nach drinnen und stieß mit einigen Leuten zusammen. Auf meiner Suche nach Tam legten sich zwei Hände auf meine Hüften.
"Halt mal. Wo willst du denn hin?"
"Lass mich los", zischte ich, ohne darauf zu achten, in wen ich hineingerannt war.
"Was ist dir denn über die Leber gelaufen? Kann ich dir irgendwie helfen?"
Es war Lion, stellte sich heraus. Mein Hirn funktionierte kaum, obwohl er hinter mir hervorkam und mich an den Armen hielt.
"Ich muss sofort nach Hause. Hast du Tam gesehen? Wir sind zusammen gekommen."
Zum Glück schaltete Lion schnell. "Ich kann sie fahren, wenn du willst. Ich habe nichts getrunken."
"Würdest du das tun?"
"Klar."
Froh darüber wollte ich wieder losrennen. Doch ich schaffte es nicht. Ich hatte Füße aus Pudding und stolperte beinahe über sie. Lion fing mich auf. "Woah, langsam. Du kannst so unmöglich fahren. Ich bringe dich nach Hause, komme wieder her und hole Tam ab."
"Da-danke", brachte ich gerade noch so heraus. Was sollte ich da noch groß sagen? Es war fast wie früher.
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Hallo, ich habe immer noch sehr spärliches Internet, aber ich werde mich bald wieder öfter hier sehen lassen und unbedingt eure Bücher weiterlesen. Das Kapitel war jedoch schon fertig, darum schicke ich es euch schnell durch ☺️ viele Grüße 😚
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