Der verpatzte Tag


Der Anruf kam am Morgen, wenige Stunden vor dem großen Spiel. Es war so unerwartet, dass ich spürte, wie sich die Farbe auf meinem Gesicht in Luft auflöste.

Nachdem ich aufgelegt hatte, sah mich Tam schockiert an. "Was ist los?"

"Ich muss nach Hause. Jemand hat mein Zimmer durchwühlt. Dad ist es gewesen. Ganz sicher. Diese falsche Ratte! Er hat mein Zimmer durchwühlt und meinen Notgroschen geklaut, den ich für Reparaturen meines Fords gespart hatte."

Sie schlug die Hand vor den Mund. "Er hat bei euch eingebrochen? Geht's deiner Mom und Kitty gut?"

"Ich glaube schon", nickte ich und ging in Gedanken alles durch. Mom hatte die Polizei gerufen, doch es war kein Einbruch gewesen. Für mich war der Fall klar. Dad musste noch einen Schlüssel gehabt haben.

Während ich Tam das berichtete, schlüpfte ich hastig in mein Kleid und zog mir die Riemchensandalen an, mit denen ich am Vorabend zu ihr gefahren war. Ich war extrem aufgebracht und bekam den Verschluss nicht zu. Wütend warf ich die Sandalen in die Ecke.

"Nimm meine Sneakers", bot Tam an und hatte schon ihr Handy in der Hand. "Ich komme mit. Ich sage nur Nick bescheid, dass wir zum Spiel vielleicht später kommen."

Ich stand mit offenem Mund da und schüttelte den Kopf. In dem Moment hatte ich das Spiel total vergessen. Ich war so in Sorge um Mom und Kitty, dass ich nicht klar denken konnte.

Dieses Arschloch.

Mir lief es kalt über den Rücken. Er hatte uns beobachtet und gesehen, dass mein Auto nicht da war. Er hatte tatsächlich auf den passenden Moment gewartet, um mich um meine Ersparnisse zu bringen. Kitty hatte das Chaos in meinem Zimmer entdeckt, als sie am Morgen nach Maddox gesucht hatte, um ihn zu füttern. Da wir keine Geheimnisse voreinander hatten, wusste sie auch von meinem Notgroschen.

Langsam klärte sich mein Verstand. "Sag nichts zu den Jungs. Das ist wichtig, Tam. Kein Wort zu Lionel, Nick oder Lion. Ich will nicht, dass die drei ihre eigenen Ermittlungen anstellen und Dad hinterherschnüffeln. Sie sollen sich jetzt ganz auf das Spiel konzentrieren. Die Karten sind verkauft und das Publikum will toben. Ich fahre alleine. Du musst für mich einspringen und Nick unter die Arme greifen, wenn es irgendwo mit der Organisation Probleme gibt."

Zuhause traf ich auf meine aufgelöste Mutter und meine wie immer taffe kleine Schwester. Kitty hatte der Polizei gesagt, dass meine Ersparnisse fehlten und sich dann weggeschlichen, um mich anzurufen, als ich noch bei Tam gewesen war. Inzwischen waren die Polizisten wieder fort und Tam hatte Kitty für das Spiel abgeholt. Eigentlich wollte Mom zusammen mit Kitty das Spiel ansehen. Sie hatte sich extra freigenommen.

Ich flüchtete von meinem Zimmer in die Küche und kochte uns beiden einen heißen Kakao. Es war warm, aber ich fror. Der Stress mit Dad setzte mir zu. Was, wenn mehr passiert wäre? Zum Glück ging es beiden gut und abgesehen von dem Chaos im meinem Zimmer fehlte nichts.

Nur die 800 Dollar, die du dir mit deiner Arbeit im Marco's für Notfälle zusammengespart hast.

Wir setzten uns auf die Veranda. Ich war froh, dass meine Mom und ich unter uns waren, schließlich musste ich ihr erklären, dass Dad kürzlich schonmal hier aufgekreuzt war.

"Bist du böse, dass ich dir seinen Besuch verschwiegen habe?", fragte ich Mom, nachdem ich ihr alles gesagt hatte.

Sie sah mich lange an. Ich kam mir vor, als würde ich meine eigenen blauen Augen in einem Spiegel sehen. "Ich bin froh, dass euch nichts passiert ist. Wie Kitty das immer wegsteckt, ist mir ein Rätsel."

Ja, mir war es auch ein Rätsel. Aber Mom und ich taten unser Bestes, Kitty so wenig wie möglich mit Sorgen zu belasten. Wir waren für sie da, so gut wir konnten.

Ich bekam Tränen in die Augen und unterbrach sie schniefend. "Es tut mir so leid, dass ich dir seinen Besuch vorenthalten habe. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst oder dass Kitty was passiert. Ich fasse es einfach nicht, dass Dad so skrupellos ist und sich in unser Haus schleicht, um uns zu beklauen. Das kann alles nicht wahr sein."

"Mir tut es auch leid", sagte Mom resigniert. Sie legte den Arm um meine Schulter und ich kuschelte mich an sie, als sie traurig erklärte: "Die Polizei hat gesagt, dass sie nichts machen können. Da er einen Schlüssel hatte, gehen sie davon aus, dass es sich um einen Familienstreit handelt. Dein Geld wirst du wohl nicht wiedersehen."

Damit hatte ich vom ersten Moment an gerechnet. Dad war abgehauen, hatte uns alle nur enttäuscht und jetzt hatte er mich beklaut. Ich hasste ihn.

Der Rest des Tages sah so aus, dass ich mit Mom ein neues Türschloss kaufen ging und wir es einbauten. Sie half mir beim Aufräumen meines Zimmers, wobei wir die Musik laut aufdrehten, uns an den Händen fassten und ein paar Tanzeinlagen einlegten. So war es früher oft gewesen. Ich wusste, dass ich das Spiel verpasste, doch irgendwie musste es so sein. Ich wusste, eines Tages würde ich an diesen Moment zurückdenken und froh sein, dass ich meine Mom gehabt hatte.

Am frühen Abend rief mich Tam an und erkundigte sich nach uns. Kitty schien sich recht gut mit Sandro zu amüsieren. Soweit ich über den Lautsprecher verstand, stritten sie sich, ob Erdbeer-Pistazie Milchshake oder Kirsch-Vanille Milchshake besser schmeckte.

Der Geräuschpegel wurde leiser, als Tam das Restaurant verließ und zum Telefonieren auf ihr Zimmer ging. "Das Spiel war der Hammer. Lions Mannschaft hat gewonnen, aber Lionel sah nicht unglücklich aus. Sie waren beide unglaublich gut. Doch dann haben sie Lion disqualifiziert", teilte sie mir mit.

Meine Stimme schrillte auf. "Was? Lion?" Lion machte nie Ärger.

"Es gab einen Zwischenfall. Direkt nach dem Spiel ist so ein Kerl aufgetaucht und hat angefangen, Lionel zu provozieren. Er hat das Interview angesprochen und sich aufgeregt, warum Lionel spielen darf, während sein Bruder im Koma liegt. Du glaubst nicht, was dann los war", plapperte Tam.

Ich hielt den Atem an. Gut, dass ich auf meinem Bett saß. Die Anspannung war unerträglich. Ich wusste, dass Lionel sensibel reagierte, wenn es um dieses Thema ging. "Sag nicht, dass Lionel zugeschlagen hat", flüsterte ich mir selbst zu und suchte nach der Brücke zwischen Lion und Lionel, die vor mir im Nebel lag. Wieso war Lion disqualifiziert worden, Lionel aber anscheinend nicht?

"Der Kerl fing an, Lionel zu schubsen. Aber Lion ist dazwischengegangen. Er sagte: 'Runter von unserem Feld.' Als der Kerl nicht gehen wollte, hat Lion ausgeholt und ihm die Nase gebrochen. Ich schwöre, ich habe es knacken gehört. Blut war auch im Spiel."

Total geplättet sagte ich nichts. Hatte Lion Lionel einen Gefallen getan? Wie verrückt würde dieser Tag denn noch werden?

"Bist du noch da?", fragte Tam nach einer Weile.

"Sorry, ich war in Gedanken."

"Dann bringe ich dich mal gleich auf andere. Ich habe zwar versprochen, nichts zu sagen, aber nach dem Spiel habe ich Lionel gesteckt, dass du Probleme wegen deines Dads hast und dich um deine Mom kümmern musst. War das falsch?"

Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich kreischte ins Telefon. Ich hatte hin und her überlegt, wie ich Lionel beichten sollte, dass ich sein Spiel verpasst hatte, wo wir uns doch endlich zusammengerauft hatten und ein Paar sein wollten.

"Tam, ich liebe dich dafür."

"Das solltest du. Wegen des ganzen Theaters bin ich irgendwie zur Vermittlerin zwischen deinen beiden Freunden geworden. Deinem Ex-Freund und deinem neuen Freund", betonte Tam.

"War bestimmt stressig. Aber ich kann nur raten. Du musst mich schon aufklären, wenn ich wissen soll, was ich noch verpasst habe", sagte ich neugierig.

"Ich war überfordert und habe Lionel erlaubt, mit seiner Mannschaft feiern zu gehen. Du musst morgen zu ihm fahren und ihm alles erzählen. Danach könnt ihr meinetwegen ein paar neue Stellungen im Bett ausprobieren."

Ich schmunzelte. "Einverstanden."

"Das ging ja flott."

"Das Angebot mit den Stellungen war entscheidend", sagte ich spontan.

Tam lachte. "Wusste ich es doch. Du hast heute echt was verpasst. Lionels knackiger Arsch war das Gesprächsthema der Fans unseres Beliebtheitsbarometers. Es gibt Fotos von ihm. Mit Hose natürlich."

"Ein beruhigendes Detail. Aber ich ziehe es vor, den echten Arsch anzusehen."

"Süße, ich höre mir das gerne genauer an. Aber erstmal solltest du dich jetzt um Nick kümmern. Er ist fast durchgedreht, als du heute nicht zum Spiel gekommen bist. Ich habe gesagt, er soll sich keine Sorgen machen. Aber du kennst ja Nick. Er hat mich den ganzen Tag gelöchert und da ist mir rausgerutscht, dass dein Dad dich ausgeraubt hat."

"Auweia. Ich melde mich gleich bei ihm. Tut mir echt leid, dass ich euch heute alle hängengelassen habe. Glaubst du, Kitty ist schon fertig mit der Milchshake-Probe?"

"Sandro kann sie später nach Hause bringen", entgegnete Tam lässig, bevor sie seufzte. "Hast du heute schon was gegessen? Wie kommst du mit deinem Zimmer voran?"

"Nicht viel. Mom und ich haben zusammen aufgeräumt. War ganz cool. Wir haben ewig nichts mehr zusammen gemacht. Ein neues Türschloss haben wir jetzt auch", zählte ich auf.

"Das hört sich schön an. Ich muss unten noch helfen. Ich lege jetzt auf. Denk an Nick."

Sofort nach unserem Gespräch rief ich Nick an. Mit Mühe und Not schaffte ich es, ihn davon zu überzeugen, dass bis auf meine geklauten Ersparnisse alles geregelt war. Dad hatte, was er wollte. Er würde nicht so schnell wiederkommen.

Nach der ganzen Aufregung lag ich müde auf dem Bett und kraulte Maddox hinter den Ohren, als es klopfte. Lion stand im Türrahmen. "Darf ich reinkommen?"

Ich setzte mich auf und rutschte etwas, damit Lion sich neben mich setzen konnte. Maddox quetschte sich demonstrativ zwischen uns.

Lion kraulte den Kater. "Schon gut, du Anstandswauwau. Du siehst fertig aus und warst nicht beim Spiel. Bist du krank?", fragte er mich forschend.

Ich erzählte ihm, was passiert war. Am Ende entkam mir ein Lachen. Nicht, weil es lustig war, sondern weil ich die blöde Geschichte heute gefühlt hundertmal erzählt hatte.

"Er ist so ein Arschloch", sagte Lion verbissen.

"Stimmt."

Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich zwang sie zurück.

"Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass ich mich benehme und ein sauberes Spiel liefere. Aber lass mich dir erklären ...", fing Lion an.

Ich schlang meine Arme um seinen Hals. Ich ahnte, dass er deswegen zu mir gekommen war, anstatt wie die anderen feiern zu gehen. Wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe, weil er den Sieg seiner Mannschaft riskiert hatte. Doch Lionel war auch ein Teil davon. "Tam hat es mir schon gesagt. Danke, dass du das Team verteidigt hast."

Er löste sich von mir und grinste: "Das heißt nicht, dass er und ich Freunde werden. Aber er ist ein guter Quarterback. Das akzeptiere ich."

Ich boxte seinen Arm. "Das ist sehr ehrenwert von dir."

"Ich habe was gegen Kerle, die anderen was anhängen wollen, das sie nicht getan haben", erklärte Lion bestimmt. Er runzelte nachdenklich die Stirn. "Ich hab den Mist gesehen, den sie nach dem Interview verbreitet haben. Zufällig kenne ich einen der Jungs aus der Mannschaft der alten Schule deines Freundes. Er hat eine der Aussagen gemacht, die ihn entlastet haben."

Ich war nicht allzu überrascht. Lion kannte viele Leute und war sehr beliebt. "Du hast Lionel heute einen großen Gefallen getan", sagte ich dankbar. Aber auch Angie, dachte ich, ohne es zu sagen.

Nachdem Lion gegangen war, brachte Sandro Kitty nach Hause und lud außerdem drei große Pizzen auf dem Küchentisch mit Grüßen der ganzen Familie ab. Ich bedankte mich herzlich für die liebevolle Geste. Danach setzten Mom, Kitty und ich mich auf die Veranda und aßen die Pizzen. Obwohl Kitty einen Bauch voll Milchshake hatte, schaffte sie zwei große Stücke. Maddox gesellte sich zu uns, platzierte sich mal hier, mal da und ließ sich der Reihe nach kraulen. In der einen Hand ein Stück Pizza, ließ ich die Finger der anderen durch sein weiches Fell gleiten. Ich überlegte, ob ich das mit dem Studium überhaupt noch versuchen sollte. Wenn ich eine Ausbildung machen würde, hätte ich ein Einkommen. Ein Studium müsste ich irgendwie finanzieren. Genau wie eine Wohnung. Ich zweifelte.

2009 Wörter

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