Twenty two
Mein Gehirn fügte die verdrängten Bilder wie Puzzleteile zusammen. Die Erinnerungen von jenem Abend, an dem durch unseren Einfluss Reece und Venora zum bitteren Gespött des Abends wurden. Die Nacht, in der ihre längst gestörte Beziehung zerbrach.
Wenn ich mir dieses jetzige Bild ansah, ergänzten sich nicht die Teile, sondern ergaben ein völlig falsches Muster, mit welches ich nie und nimmer gerechnet hätte. Es war für mich unbegreiflich, dass sie offensichtlich wieder ein Paar waren. Ging es Nora überhaupt gut?
Sie sah nicht so aus wie ich sie im Gedächtnis behalten hatte. Ihre Haut war blass, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Sie wirkte erschreckend abgemagert. Zudem lag in ihrem Gesicht ein trauriger Ausdruck, dessen Grund ich mir nicht richtig einordnen konnte.
Ich hatte keine Ahnung, was in ihrem Leben vor sich ging. Umso überraschender war es, sie Hand in Hand mit Reece zu sehen. Dieser Moment war merkwürdig. Gar unangenehm. Cole und ich tauschten einen Blick miteinander aus und ich wusste, dass er ebenso sprachlos war wie ich.
"Wie geht es dir, Kumpel?", sagte der Ekel zu meinem Liebling mit einem falschen Lächeln auf den Lippen. Man beachte die Anspannung zwischen uns. "Mir ging es ersichtlich besser, bevor du aufgetaucht bist." Ja, definitiv war sie so gespannt wie die Saiten einer Violine.
Reece nickte wissend. "Das hat man bemerkt." Ich fragte mich, wie lange sie wohl dort standen, während ich mit Cole den reizvollen Kampf um meinen Autoschlüssel führte. "Wann war es das letzte Mal, als wir uns trafen? Etwa am Abend, an dem ihr unsere Beziehung ruiniert habt?"
Da meine Beachtung mehr Nora statt den Jungs galt, erkannte ich auch ganz genau, wie sich in ihrer Mimik etwas änderte. Sie wollte diese Konversation nicht führen. Mir erging es gleich, also wollte ich, dass mein Geist für diesen Augenblick meinen Körper verließ und woanders hin ging.
Beispielweise auf die schönste Insel auf den Bahamas. Physisch musste ich dort nicht anwesend sein, nämlich reichte es mir, wenn nur meine Seele mit diesem wundervollen Erlebnis erfüllt werden würde. Hauptsache weg von dieser Lage und der qualvollen Atmosphäre. Gott, ich war so feige.
Mein absurder Gedankenzug bestätigte schließlich nur, dass ich nicht dazu bereit war, jetzt meiner ehemaligen besten Freundin gegenüberzustehen. Doch zu meiner Erleichterung schien sie das ebenfalls nicht zu sein. Reece hatte ohne ihre Einverständnis gehandelt, als er uns ansprach.
Umso beruhigter war ich, während Cole trocken auflachte und offensichtlich wieder genau wusste, was wir ihnen zu sagen hatten. "Schon klar, du hältst uns immer noch für schreckliche Beziehungs-Killer. Aber weißt du, Kumpel, das sind wir im Grunde genommen gar nicht."
Er schaute mich an, in seinem Blick lag die Aufforderung, dass ich gefälligst auch etwas erwidern sollte. Nun gut, ich sah ein, dass wir jetzt zusammenhalten mussten. "Stimmt", sagte ich also, darauf bedacht, dass meine Stimme fest klang. Wow, sehr hilfreiche Teilnahme, Celia. Applaus.
Coles Hand strich verdächtigt vielsagend über meinen Rücken, was vermutlich hieß, dass er mich weitersprechen hören wollte. "Verwechsle nicht die Realität mit deiner Fantasie, indem du uns die Schuld gibst. Nicht wir ruinierten eure Beziehung, sondern deine Seitensprünge."
Die zur Kommunikation dienende Streicheleinheit hörte auf. Er schien zufrieden mit meinen Worten, was ich jedoch von Venora und Reece nicht behaupten konnte. Für eine klitzekleine, unscheinbare Sekunde, wünschte ich mir diese angenehme Berührung zurück.
"Okay, wir haben es verstanden. Ihr werdet euch nicht dafür entschuldigen, dass ihr vor versammelter Mannschaft dieses widerwärtige Video abgespielt habt", äußerte plötzlich Nora entnervt, die bisher nur den stillen Zuhörer gespielt hatte. Mich überraschte der harsche Ton.
"Aber das verlangen wir gar nicht. Im Gegenteil; Wir sollten euch sogar danken", sie lächelte gekünstelt, "eure egozentrische Tat hat uns nämlich klargemacht, dass wir ohne einander nicht sein wollen. Wir arbeiten ab sofort an unserer Beziehung und es läuft besser als jemals zuvor."
Dieses provokative Grinsen in ihren Gesichtern machte es mir schwer, mich unter Kontrolle zu halten. Sie tauschten absichtlich einen verliebten Blick miteinander aus, ehe sie wieder zu uns sahen, während Cole und ich sie herabwürdigend musterten. Mir kam beinahe das Kotzen.
"Ach und noch ein Tipp", ergänzte Reece, worauf Nora seinen Satz vervollständigte. "Das nächste Mal, wenn ihr versuchen solltet, anderen ihr Glück zu sabotieren, müsst ihr bloß noch gewissenloser, manipulativer und herzloser vorgehen. Vielleicht habt ihr ja dann größeren Erfolg."
Ich musste zugeben, dass das nicht spurlos an mir vorbei ging. Zu hören, wie die Person, die mich einst am besten kannte- der ich immer alles erzählt hatte, mich auf dieser Weise als einen schlechten Menschen betitelte, setzt meiner Brust schmerzvolle Stiche zu.
"Wobei wir davon ausgehen, dass es nicht lange dauern wird, bis ihr euch gegenseitig zunichte macht. Ihr beide seid nahezu perfekt füreinander, dass es gar nicht funktionieren kann", kam es von diesem Dreckskerl heraufbeschwörend, was offenbar reichte, um Cole in Rage zu versetzen.
Er ballte die Hände zu Fäusten, was Reece bemerkte, doch dies nur mit einem unterdrückten Lachen kommentierte. "Man sieht sich", sagte er hinterher knapp, legte den Arm um Venora und verließ anschließend diesen Abteil, während ich Cole daran hinderte, ihnen nachzugehen.
"Nicht", flüsterte ich und hielt ihn am Handgelenk fest. "Celia, hast du etwa nicht gehört, was sie zu uns gesagt haben?" Ich blickte innig in seine grauen Augen. "Doch, habe ich. Ich habe aber auch verstanden, was sie damit versuchten, zu bezwecken. Sie wollten uns nur verunsichern."
Ich spürte seine Anspannung immer noch, weswegen ich sanft seine Fäuste öffnete und daraufhin unsere Finger miteinander verschränkte. "Wenn du Reece eine reingehauen hättest oder dergleichen, wärst du auf die Provokation reingefallen. Du hättest reagiert und sie gewinnen lassen."
"Das kann sein und magst auch Recht haben, aber ich will nicht zulassen, dass sie so herablassend über dich sprechen." Mir wurde bei seiner Ehrlichkeit ganz warm ums Herz. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich die Besorgnis und seinen Schutz verdient hatte.
Ich konnte ihm nicht wahrheitsgemäß sagen, dass mich Noras Worte stark verunsichert hatten. "Das war aber auch an dich gerichtet", erinnerte ich ihn stattdessen kleinlaut. Cole strich behutsam die dunklen Haarsträhnen aus meinem Gesicht. "Völlig egal", meinte er. "Es geht mir nur um dich."
•°
Eine halbe Stunde später lagen lauter Einkaufstüten auf der Kücheninsel, die ich überfordert betrachtete. Cole und ich versprachen uns gegenseitig, nicht länger an dieses verwirrende Gespräch zu denken, weil es uns sonst garantiert diesen wundervollen Abend ruinieren würde.
Wir machten aus, uns von nichts die gute Stimmung nehmen zu lassen, bis die Nacht wieder zum Tag wurde. Zugegeben hatte ich dezente Schwierigkeiten damit, die Abmachungen einzuhalten, denn in meinem Kopf schwirrten unaufhörlich ihre nervigen Vorwürfe.
Waren das überhaupt Vorwürfe? Vielleicht sprachen sie auch nur die Wahrheit aus, die wir nicht akzeptieren wollten. Vielleicht waren Cole und ich unfähig- "Celia, hör auf an Ort und Stelle darüber nachzugrübeln, was Reece und Venora gesagt haben. Du hast es mir versprochen."
War ich wirklich so offensichtlich? Oder kannte er mich einfach nur zu gut, weil wir nahezu perfekt füreinander waren. Nicht zu fassen, jetzt fing ich sogar damit an, gedanklich diesen Mistkerl zu zitieren. "Tue ich doch gar nicht", verleugnete ich, "ich habe an unser Essen gedacht."
Erst dann nahm ich mir das Recht, ihn von unten nach oben zu begutachten, bis mein Blick an seinen Augen hängenblieb, die in diesem Licht dunkel wirkten. Cole krempelte seine Ärmel, was ungemein heiß aussah. "Du bist eine schlechte Lügnerin, Kleeblatt", äußerte er trocken.
Aus diesem Grund würde ich das Thema wechseln und ich hatte bereits eine Ahnung, wie ich das anstellen würde. Meine Hände zogen ihn fast schon automatisch enger an mich, wofür er sich nicht einmal weigerte. "Erwischt", murmelte ich und biss mir verführerisch auf die Unterlippe.
"Oh no", entfuhr es Cole heiser. "So siehst du mich immer nur dann an, wenn du entweder Unheil im Sinn hast oder verdammt scharf auf mich bist." Ich lachte willkürlich auf. "Es ist beleidigend, dass du letzteres so zweifelhaft ausgesprochen hast. Für mich, als auch für dich."
Meine Finger hakten sich wie so oft in seinen Kragen, nachdem ich über seine definierte Brust gestrichen hatte. "Nein, nein. Ich habe es nie angezweifelt, dass du mich unwiderstehlich attraktiv findest", entgegnete er und grinste schief. Ich nickte wissend. Das hatte er wirklich nie.
"Und stell dir vor, wir sind endlich an dem Punkt angelangt, an dem ich dir das auch hemmungslos bestätigen kann." Ich hatte vor, ihn verlangend zu küssen, denn es sollte mir egal sein, was Reece und Venora über unser Verhältnis dachten, doch er stoppte uns, sodass seine Lippen leider nur dicht über meinen schwebten.
"Wenn wir jetzt in der Küche rumknutschen, werde ich unser eigentliches Vorhaben vergessen, Celia. Bitte, ich habe Hunger. Außerdem hat das Essen immer oberste Priorität." Ungelogen ließ mich diese Aussage völlig dumm aus der Wäsche gucken, während Cole sich vorsichtig aus meinem Griff entzog.
"Ich schätze deine Ehrlichkeit", gab ich genervt von mir, weil er mich nun das zweite Mal heute wegen Essen zurückwies. Okay, es war Essen- deswegen konnte ich irgendwo auch Verständnis aufbringen, aber gleich zweimal? Aus irgendeinem Grund kratzte das mächtig an meinem Stolz.
Wir fingen an, die nötigen Zutaten zu ordnen und teilten uns nebenbei die Arbeit auf. Ich würde mich um den Teig der Arepas kümmern und sie formen, während Cole alles, was wir für die Füllung benötigen würden, zusammenstellte. Aber eine Kleinigkeit fehlte noch. Es war zu ruhig.
Bevor er überhaupt nachfragen konnte, hatte ich mir bereits die Musikbox geschnappt und sie mit meinem Handy verbunden. Wenn ich kochte, musste im Hintergrund meine Playlist laufen. Ich wusste nicht, ob ich irgendetwas machte, wobei keine Musik lief. Ich brauchte sie einfach.
Cole lächelte mir anerkennend zu, nahm sich das Küchenmesser, das ich ihm herausgelegt hatte und fing an, die Tomaten in kleine Stücke zu schneiden. Ich kümmerte mich um meine Pflicht und warf nebenbei verstohlene Blick zu ihm. Ich war erstaunt darüber, wie geschickt er sich anstellte.
Mir wurde bewusst, dass ich ihn zuvor in keinem alltäglichen Moment wie jetzt gerade in einer Küche erlebt hatte. Geschweige denn zu Hause, da ich kein einziges Mal wirklich bei ihm zu Besuch war. Sobald es nicht das Butterfly's war, hingen wir normalerweise nur bei mir ab.
Ich hätte nicht erwartet, dass es mich so glücklich stimmen würde, mit ihm auf dieser Weise Zeit zu verbringen. Schließlich war das neu für mich. Vor lauter Unsicherheit und Ängste traute ich mich früher nie, mit einem Mann auch außerhalb des Schlafzimmers Spaß zu haben.
Das bedeutete nämlich für mich, dass es ernster werden könnte und dem war ich einfach nicht gewachsen gewesen. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Verantwortung von einer richtigen Beziehung tragen könnte, weil ich befürchtete, nicht gut genug für die andere Person zu sein.
Doch der Gedanke, dass ich mit Cole zusammen sein könnte, war überhaupt nicht beängstigend. Ich stellte es mir sogar schön vor, ihn als meinen festen Freund bezeichnen zu dürfen. Sagte das dann eigentlich nicht aus, dass ich ihn als den Richtigen ansah- es aber erst jetzt bemerkte?
Ganz gleich, was ich auch ich für ihn empfand; Trotzdem wäre es auf alle Fälle besser, wenn ich mich zuerst vergewisserte, ob er dasselbe fühlte, statt mich sofort Hals über Kopf in Hoffnungen zu stürzen. Für mich war es wichtig, dass wir uns beide absolut sicher waren.
Vielleicht wäre es hilfreich, wenn ich mich bei naher Zukunft darüber erkundigte, ob er je eine ernste Beziehung geführt hatte. Klar, offensichtlich hatte Cole ebenfalls seine vielen Liebschaften, insbesondere in diesem Sommer, aber das deutete noch lange nicht auf eine Bindungsangst an.
Ich machte mir im Augenblick darüber Gedanken, das zwischen uns zu vertiefen, während er über etwas lachte, was er auf seinem iPhone sah. Keine Ahnung, ob mich das nun zu einer verknallten Idiotin machte. Sofort sah ich ihn erwartungsvoll an, als er damit zu mir an den Tisch kam.
Er zeigte mir ein Foto von Gray und Suela in der Bowlinghalle. Sie strahlten beide glücklich in die Kamera und zogen eine unsinnige Grimasse, was mir einen zufriedenen Seufzer entlockte. "Sie scheinen viel Spaß zu haben", äußerte ich grinsend, wobei mir Cole lächelnd zustimmte.
"Sie werden uns noch so dankbar sein", meinte er anschließend mit einem stolzen Gesichtsausdruck. "Weil wir sie verkuppelt haben?", versicherte ich mich lachend. Er nickte bestätigend. "Das beweist unter anderem auch, dass wir beide immer noch ein super Team abgeben."
Er legte von hinten seine Arme um mich und lehnte sich zu mir herunter, derweil sein Blick über den Teig huschte, welchen ich mittlerweile Stück für Stück in Arepa-Form brachte. "Ja... jetzt wo du es ansprichst", erwiderte ich etwas unsicher, worauf ich deutlich seine Verwunderung spürte.
Anhand seiner Aussage könnte ich ihn theoretisch gesehen mit meinem vorherigen Gedanken vertraut machen. In selber Sekunde erinnerte ich mich jedoch, dass ich keinen blassen Schimmer davon hatte, wie er zu diesem Thema reagieren würde. Das ließ mich noch unschlüssiger fühlen.
Was wenn Cole gar nicht soweit nachgedacht hatte? Oder im Augenblick nichts von mehr wissen wollte? Nein, nein. Das Risiko, ihm die Laune mit meinen Zweifeln und Wünschen zu verderben, war möglicherweise viel zu hoch, somit ich es lieber lassen und nicht darauf aufbauen sollte.
"Siehst du das etwa nicht so?", ergriff er erneut das Wort, nachdem ich einige Sekunden lang stumm blieb. "Doch, doch. Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass ich gleicher Meinung bin." Ich rang mir daraufhin ein Lächeln ab und hoffte, dass ich glaubwürdig geklungen hatte.
"Mhm", murmelte er nur. Weder überzeugt noch zweifelnd. Ouch. "Cole, cielo mío würdest du bitte-", ich machte eine erklärende Handgeste, dass er mir das ganze Haar nach hinten streichen sollte, da sie mich allmählich störten und zu meiner Erleichterung begriff er auf der Stelle.
"Sicher, ich kann sogar etwas viel besseres als das tun." Ohne jegliche Vorwarnung löste er mein Haarband und nahm es zwischen die Finger. Meine Locken fielen mit sofortiger Wirkung in mein Gesicht, somit sie mir endgültig die Sicht versperrten. Gereizt versuchte ich, sie wegzupusten.
"Wenn du dieses jetzt auch noch behältst, garantiere ich dir, dass ich dich dafür wirklich schlagen werde", ließ ich ihn grimmig wissen, doch der Junge lachte bloß und fing an, mein Haar sachte in seine Hände zu nehmen, bis keine einzige störende Strähne mehr in meinem Blickfeld lag.
"Was genau machst du da?", fragte ich misstrauisch, weil ich nichts klares spüren konnte, sondern nur, wie er sie ab und zu mit den Fingern kämmte und herumprobierte. "Na, na, na, du belästigst mich bei meinem Kunstwerk." Wow, und nun musste ich auch noch die Klappe halten.
Einen Moment später bemerkte ich das Endergebnis. Cole hatte mir tatsächlich mithilfe meines Haarbandes einen festen Zopf gebunden. Es fühlte sich nicht einmal so an, als hätte er etwas katastrophal aussehendes kreiert. "Danke sehr!", stieß ich daher beeindruckt aus.
Er drückte mir einen federleichten Kuss auf die Wange. Unwillkürlich musste ich lächeln. "Ich heize für dich schon mal die Pfanne vor." Cole entfernte sich wieder von mir, sogleich ich mich beeilte, um die letzten Arepas fertigzustellen, damit wir sie endlich anbraten konnten.
Inzwischen war schon wieder eine Dreiviertelstunde vergangen. Wir hatten schon zweimal die Playlist gewechselt und diesmal erklang seine Musik. Zu unserer Überraschung stellten wir fest, dass wir denselben Geschmack teilten. Seltsam, wie wir uns in jeglicher Hinsicht ergänzten.
Unser Abendessen schien so gut wie fertig. Die Küche roch wundervoll, somit mein großer Hunger nicht wegzudenken war. Das Fleisch und die Pommes hatten wir bereits zubereitet, also fehlten lediglich die Getränke. Ich nahm unsere gefüllten Teller in die Hand und überreichte diese Cole.
"Geh damit schon mal ins Wohnzimmer. Wenn du willst, kannst du uns einen Film heraussuchen. Ich bin gleich da", informierte ich ihn schmunzelnd, während ich zwei Trinkgläser aus dem Schrank herausholte. "Mach schnell", sagte er hetzend und verschwand aus der Küche.
Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, konnte ich mich endlich zu ihm auf die Couch setzen. "Würde meine Mutter sehen, dass wir hier essen, würde sie glatt einen Anfall bekommen", erzählte ich nebenbei grinsend und griff nach der Ginger Ale Flasche.
"Aus Angst, dass wir kleckern?", vermutete er belustigt. Ich nickte eifrig. "Kenne ich von meiner Nana. Falls ich den Teppich beschmutze, lässt sie mich solange erbarmungslos schrubben, bis der verdammte Fleck nicht mehr sichtbar ist. Seither versuche ich es zu vermeiden."
Ich lachte bei dieser Vorstellung amüsiert auf, worüber er bloß den Kopf schüttelte. "Dann bist du erfahren genug und ich kann dich beruhigt dasselbe machen lassen, falls etwas auf diesen Teppich kommen sollte", ergänzte ich halb im Scherz. Cole hingegen fand das gar nicht witzig.
"Darf ich anfangen zu essen?", erkundigte er sich stattdessen. Ich konnte seine Reaktion darauf kaum erwarten, weshalb ich sofort aufgeregt bejahte. In der nächsten Sekunde nahm er eines der kleinen Arepas in die Hand, begutachtete es kurz und biss anschließend zum allerersten Mal ab.
Ich konzentrierte mich genauestens auf seinen Gesichtsausdruck. "Ja, koste es aus. Sei deinen Geschmacksnerven dankbar. Genieße es! Achte auf jede einzelne-", plötzlich schlug er mich leicht gegen den Arm, um mir vermutlich zu signalisieren, dass ich den Mund halten sollte.
Cole kaute zu Ende, ehe er den Blick zu mir wandte. Er ließ sich bei seinem Statement Zeit, indem er mir nur schweigend in die Augen schaute. "Celia", begann er, wodurch meine Neugierde erheblich stieg, "das schmeckt göttlich. Episch. Einfach geil. Scheiße, das ist echt himmlisch gut!"
Meine Mundwinkel zuckten bei seiner Antwort nach oben. So begeistert hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, als seine Grußmutter seinen Lieblingskuchen gebacken hatte. Er befahl mir an diesem Tag, auch davon zu kosten, weshalb er mit dem Kuchen zu mir herüber geklettert war.
"Du bist so besonders, Cole", erwiderte ich ehrlich. Zu dieser Reaktion war mir nur das eingefallen. Er gab darauf nichts zurück, aber in seiner Mimik änderte sich etwas, somit er wieder diesen schüchternen, verlegenen Eindruck machte. Das bestätigte es. Er war einmalig besonders.
"Dein Essen wird kalt", nuschelte er, nahm rasch die Fernbedienung und drückte auf Play. Ich lachte leise auf, als der Film startete. Das sollte mein Stichwort sein, um nach vorne zu sehen, doch ich gewährte mir noch diese paar Sekunden, in denen ich ihn nur schweigend musterte.
Anschließend tunkte ich eine Pommes in Ketchup, während mir auffiel, dass Cole den Film Ibiza auf Netflix ausgewählt hatte. Ich hatte den eigentlich schon mit Suela angesehen, aber das schien in diesem Moment sowieso belanglos, also ließ ich ihn dies erst gar nicht wissen.
Ab und zu checkte ich, ob meine Freundin mir geschrieben hatte. Denn auch wenn ihr Date offenbar problemlos verging, wollte ich vorbereitet sein. Schließlich wurde mir heute erneut vor Augen geführt, wie schlagartig sich die Situation in eine negative Stimmung umwandeln konnte.
Jetzt da Cole und ich gerade nichts zu bereden hatten, schweiften meine Gedanken zurück zu Noras Worte. Ich fragte mich, ob sie mich schon immer als einen egoistischen und herzlosen Menschen angesehen hatte. Wenn es so war, musste sie eine verdammt gute Schauspielerin sein.
Im selbem Atemzug erinnerte ich mich auch an Reece, der sich Cole gegenüber genauso abfällig verhielt. Mir fiel auf, dass ich nie den wahren Grund dafür erfahren hatte, wieso zwischen diesen beiden Jungs böses Blut floss. Sie wollten sich nicht einmal vertragen.
Eigenartig, wie ich zu Beginn nicht das Verlangen danach verspürt hatte, Cole über den Teil seines Lebens auszufragen, bei der ich weder eine Rolle spielte noch es mich angehen sollte und nun förmlich darauf brannte, etwas über die Zeit zu erfahren, in der wir uns noch nicht gekannt hatten.
Er lachte wegen einer Szene des Films und mir wurde ein weiteres Mal bewusst, dass ich nicht nach diesem Tag, an diesem Abend, derartiges zum Gesprächsthema machen durfte. Bis der richtige Moment kam, würde ich einfach hoffen, dass sich vieles mit der Zeit von alleine klärte.
Cole warf einen Blick zu mir, welchen ich sofort auffing. "Du isst erstaunlich wenig für jemanden, der heute morgen nur Frühstück zu sich genommen hat. Und wir haben fast einundzwanzig Uhr", bemerkte er. Eine verräterische Sorgenfalte schlich sich auf seine Stirn. "Geht es dir gut?"
Wortlos schmiegte mich an ihn, worauf Cole seinen Arm um mich legte. Ich bettete meinen Kopf an seine Brust. "Mir ging es nie besser", murmelte ich wahrheitsgemäß. Er sagte nichts mehr, sondern umarmte mich eine Spur fester. Mit der perfekten Intensität. Das reichte vollkommen.
Es gab keinen anderen Ort, an dem ich mich nun wohler fühlen würde. Als mir müde die Augen zufielen, ich nur noch seinen Herzschlag spürte, schien all das Schlechte in unserem Leben unsinnig fern, sodass ich mit jeder Faser meines Körpers endlich zur Ruhe kommen konnte.
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