Six
Es war merkwürdig die Stimme von der Person zu hören, von der man geglaubt hatte, sie nie wieder zu sehen. Coles Lachen ertönte auf einer Weise, die ich so zuvor noch nie vernommen hatte. Der angenehme Klang hatte eine Spur von Wärme in sich und wirkte unsinnig vertraut.
Sein Erscheinen warf mich völlig aus der Bahn. Meine Gedanken überschlugen sich, ich war nicht mehr imstande, logische Handlungen auszuführen. Dementsprechend rückte mein Job in den Hintergrund, somit Alec bloß die Nebenrolle in dieser verzwickten Situation spielte.
Im Vordergrund stand selbstverständlich Cole mitsamt meinem Herzen, das aufgeregt schlug und sich nicht mehr zu normalisieren wusste. Seit der Sekunde, in der er zu Sprechen begonnen hatte, reagierte ich mit Leib und Seele ungewohnt seltsam.
Nicht nur der mittige Bereich meines Brustkorbs spielte verrückt, sondern auch sämtliche andere Regionen meines Körpers. Coles Auftreten verwirrte mich dermaßen, dass ich verspätet mitbekam, wie Alec mich zu sich rief.
Ich zuckte unter seiner lauten Stimme zusammen. Dennoch hatte sein Ruf etwas Gutes an sich, denn gleich daraufhin konnte ich wieder die Contenance wahren und rappelte mich vorsichtig auf, bevor ich den Karton ordentlich zur Seite stellte.
Wie absurd das Ganze auch schien, ich musste trotz allem kompetent genug sein und Cole gegenüberstehen können. Unter keinen Umständen durfte ich mir anmerken lassen, dass er mich wiederholt durcheinander gebracht hatte. Entschlossen trat ich aus dem Flur.
Von meiner Anwesenheit hatte er immer noch keinen Schimmer, zumal er mit dem Rücken zu mir gedreht stand. Ungelogen erleichterte es mich, dass er mich nicht sofort erblickte. Das verschaffte mir ein wenig Zeit, ich konnte mich völlig gefasst zu den beiden Freunden gesellen.
Alec, der mir zulächelte, deutete im nächsten Augenblick mit drei Worten auf mich, wodurch Cole den Kopf etwas nach hinten neigte. Sein fragender Blick hielt zwei oder drei Sekunden an, bis er mich vollständig registrierte und sogleich einen perplexen Ausdruck annahm.
Er schien sprachlos- das war die Bestätigung, dass es ihm zumindest im ersten Moment ähnlich erging wie mir. Vermutlich drehte sein Herz nicht durch, gar verfiel er in ein nie enden wollendes Chaos seiner Gefühle, doch offensichtlich rechnete auch er nicht mit diesem Aufeinandertreffen.
Im Gegensatz zu mir fing Cole sich aber schnell wieder, nochmals konnte ich seine Mimik nicht deuten. Er wirkte völlig neutral, gab seine wahren Emotionen nicht länger preis. Das war in Ordnung, schließlich hatte ich bezüglich dem keine großen Erwartungen gepflegt.
Seine verflucht schönen Augen hafteten auf mir, jeden Atemzug bekam er mit. Ich befürchtete, dass er mich durchschaute, obwohl ich gerade das vermeiden wollte. Hitze stieg in mir auf, als wir diesen intensiven Blickkontakt auch dann führten, derweil ich neben meinem Chef stand.
"Celia, das ist- ", Alec wurde abrupt unterbrochen, weil der Casanova offenbar selbst diesen Part der Unterhaltung übernehmen wollte. An sich war daran nichts ungewöhnliches. Fraglich war nur, wieso Cole mir überaus freundlich die Hand entgegenstreckte.
Misstrauisch und zögernd erwiderte ich die nett gemeinte Geste, indem ich sie ergriff. Ich könnte schwören, dass im selben Moment seine Augen dunkler wurden, während der allzu bekannte Feuerstrom durch meine Adern floss, als sich unsere Finger berührten. Was war das nur?
Beinahe bekam ich nicht mit, wie er mir unnötigerweise seinen Namen offenbarte. Viel zu sehr fixierte ich mich auf die Frage, wieso mein Körper diese extremen Reaktionen zeigte, sofern Cole derjenige war, der nach mir fasste und eingehend in meine grünen Augen blickte.
Mich irritierte die gesamte Situation ungemein. Jedes Detail davon. Leider wurde es auch nicht besser, da ich zudem bemerkte, wie monoton er schien. So als hätte er mich zuvor noch nie in seinem Leben gesehen. Er tat völlig auf unwissend. Welches Spiel spielst du dieses Mal mit mir?
"Alec hat schon so viel über dich erzählt, Celia!", ergriff Cole erneut das Wort. Sofort hob ich eine Augenbraue in die Höhe und sah den Besagten fragend an. "Natürlich nur Gutes!", räumte dieser grinsend ein. Keine Sekunde lang würde ich dies anzweifeln, ich vertraute auf Alecs Worte.
Nur scheinbar wusste Cole durch Alec mehr von mir als ich von ihm und ich konnte nicht leugnen, dass mich das störte. Schließlich war mir nur sein Name bekannt oder der Fakt, dass er verdammt gut küsste, doch Belangvolleres war mir fremd. Ich tappte bei ihm im Dunkeln.
Diese unangenehme Tatsache versuchte ich zu verdrängen und achtete darauf, kein weiteres Mal gedanklich abzuschweifen. "Und da wolltest du natürlich unbedingt die Person kennenlernen, die hinter dieser ganzen guten Arbeit steckt", erwiderte ich süßlich, wodurch Cole rau auflachte.
"Aber natürlich", brachte er halbherzig, gar ironisch hervor. "Ständig musste ich an dich denken, Celia. So sehr hat es mich interessiert." Er verlieh seinem Ton einen Hauch von Tiefe, keine Spur mehr von der Ironie. Meine Atmung stockte, als ich die versteckte Anspielung wahrnahm.
Es ging ihm gewiss nicht mehr darum, dass ich im Butterfly's arbeitete, sondern um so viel mehr. Diese abrupte- spürbar reizvolle Spannung zwischen uns bestätigte meine Vermutung. Wir sahen uns schweigend in die Augen, weder er noch ich schreckten zurück.
Währenddessen bemerkte ich, dass seine warme Hand nach wie vor in meiner lag. Es glich keinem höflichen Händedruck mehr, wie hielten uns regelrecht fest. Erneut verharrten wir in einer Berührung länger als nötig. Dies schien jedoch uns beide in diesem Moment nicht zu stören.
Die Stille, die während unseres innigen Blickkontakts einbrach, wurde von Alec davongejagt, als dieser sich extra laut räusperte. "Leute, ich verstehe ja, dass ihr jetzt schon Hände und Augen nicht voneinander nehmen könnt, aber konzentriert euch bitte wieder auf das Wesentliche!"
Ertappt entzog ich mich ihm zuerst und wurde augenblicklich verlegen. Peinlich berührt sah ich zu Boden und umschloss den Anhänger meiner Kette fest mit meinen Fingern, während Cole zum ersten Mal in meiner Gegenwart die volle Aufmerksamkeit seinem Freund schenkte.
Ich spielte den stillen Zuhörer, während die Beiden sich über organisatorische Dinge unterhielten, welche mir längst bekannt waren. Zwischenzeitlich schaute ich unwillkürlich auf. Bevor ich mich überhaupt stoppen konnte, fing ich an, Coles Profil zu mustern.
Seine Gesichtszüge wirkten entspannt, lässig hatte er die Hände in die Taschen seiner Hose geschoben. Das markante Gesicht, die wirren schwarzen Haare- alles von ihm sah verboten schön aus. Er wirkte beinahe unwiderstehlicher als in meiner Erinnerung.
Als Nächstes beäugte ich seine Kleidung. Das gelbe Champion Shirt brachte nicht nur seine definierte Brust zur Geltung- sie bildete mit der schwarzen zerrissenen Jeans auch einen fesselnden Kontrast, weshalb er sich wirklich passend angezogen hatte. Es stand ihm.
Ich riss im nächsten Moment die Augen auf, als mich plötzlich die schreckliche Erkenntnis traf, dass nicht nur er heute diese farbliche Kombination trug. Ungläubig sah ich zuerst rasch an mir herunter, bevor ich wieder zu Cole einen Blick warf, bis ich fassungslos die Schultern hängen ließ. Tatsächlich waren wir im Partnerlook angezogen.
War das etwa die Ironie des Schicksals? Als hätte es nicht gereicht, dass ausgerechnet er sich als mein neuer Arbeitskollege herausstellte, mich allgemein in den Wahnsinn trieb und all meine Einstellungen ruinierte. Jetzt ähnelten wir uns auch noch optisch.
"Ach, scheiß doch die Wand an!", entfuhr es mir unüberlegt entnervt, womit ich zeitgleich aller Aufmerksamkeit auf mich zog. Alec schaute mich erschrocken an, dagegen Cole einen verständnislosen Eindruck machte. Nun war es offiziell. Ich wollte mich vergraben gehen.
"Celia, ist alles in Ordnung?", erkundigte sich Alec vorsichtig. Mir fiel auf die Schnelle keine Ausrede ein, weshalb ich beschämt ein Lächeln aufsetzte und eifrig nickte. Einen Herzschlag später nahm mich der Blonde lachend in seine Arme. "Ich bin doch nur bis morgen weg!"
Okay, jetzt stand ich vollkommen auf dem Schlauch. Was hieß hier, er sei bis morgen weg? Cole, der meinen verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte, verkniff sich sichtbar ein Lachen. Diesem Arschloch war doch garantiert bewusst, dass ich ihm diese Peinlichkeit zu verdanken hatte.
Glücklicherweise klingelte ein Handywecker, welcher mich rettete und verlieh der Situation auch eine angenehmere Stimmung. Zumindest empfand ich sie so, hingegen Alec sich hysterisch durch die Haare raufte. "Verdammt, ich muss los zur Blutabnahme!"
Bevor ich überhaupt einer Erwiderung ansetzen konnte, rauschte er an mir vorbei und ging sein Zeug holen. In der kurzen Zwischenzeit sah ich Alec nach und versuchte währenddessen Cole zu ignorieren, dessen brennender Blick auf mir lag. Gott, er sollte sein Interesse in Grenzen halten.
"Cole, lass dir bitte von Celia zeigen, wo sich alles befindet- die Einrichtung ist neu!", rief Alec an seinen Freund gewandt, während er den Rucksack schulterte. Pah! Als ob er da meine Hilfe bräuchte- er war schlau genug. Sollte er eben auf eine kurze Entdeckungstour gehen.
"Und du Celia, hast in meiner Abwesenheit die ganze Verantwortung. Seid gefälligst nett zueinander und treibt bloß keinen Unsinn!" Mit diesen Worten steuerte er geradewegs zum Ausgang zu, rief zuletzt ein Ciao in unsere Richtung und verließ das Butterfly's.
Seufzend stemmte ich meine Hände in die Hüfte. Das hatte mir gerade noch gefehlt- sechs gemeinsame Stunden mit Cole. Sofern er natürlich dieselbe Schicht arbeitete. Ganz egal wie, das Hier und Jetzt zählte und in dieser war ich mit ihm für mehrere Stunden gefangen.
"Also, wo alles ist, kannst du dir selbst ansehen. Ich habe anderes zu erledigen", unterbrach ich die eingekehrte Stille, da mir sein Schweigen allmählich zu blöd wurde. Eine Antwort kam nicht, also klärte ich das Gespräch für beendet und wollte mich wieder meiner Arbeit widmen.
"Stört es dich so sehr, dass ich hier bin, Kleeblatt?" Auf der Stelle hielt ich mitten in meiner Bewegung inne. Seine Stimme war nicht mehr als ein Wispern gewesen, er musste dicht an mich herangerückt sein. Anders hätte ich ihn mit dieser Lautstärke nicht hören können.
Sein Atem streifte meine Haut, hinterließ ein Kribbeln und breitete sich über meinen ganzen Körper aus. Der Gedanke, dass er bloß einen Herzschlag entfernt stand, machte mich nervös. Er machte mich nervös. Diese geringe Distanz schwächte mich.
"Es ist mir völlig egal, dass du hier bist, Cole." Die brüchige Stimme mit der fehlenden Überzeugungskraft untermauerten meine Lüge und ich wusste, dass er sich dessen im Klaren war. Seine Antwort konnte ich dennoch nicht erahnen, geschweige denn die Reaktion.
Er seufzte leise auf, im Augenwinkel sah ich, wie er den Kopf kurz zur Seite drehte, bevor er wieder mich betrachtete. "Dann war es vorhin nur Einbildung gewesen." Schneller, als ich überhaupt nachdenken konnte, blickte ich mit einer halben Drehung direkt in Coles Augen.
"Was war nur Einbildung gewesen?", gab ich sofort verblüfft zurück. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben. Es schien, als hätte ich ihm mit dieser überstürzten Frage seinen Willen gegeben. Cole wusste nämlich, ich würde anbeißen, sobald er nur die Worte gezielt einsetzte.
"Alles. Dein ganzes Verhalten, Celia", hauchte er. "Dass dich unsere Begegnung durcheinander gebracht hat." Mein Herz fing an schneller zu schlagen, als ich sah, wie er dabei einen weiteren Schritt näher kam. "Wie du krampfhaft versucht hast, dir nichts anmerken zu lassen."
Verdammt, er hatte es gemerkt. Er wusste genau, was die ganze Zeit über in mir vor sich ging, während er nicht einmal annähernd denselben Eindruck gemacht hatte. "Dass du dich an nichts anderes mehr, außer auf mich fixieren konntest. Dass ich deine Aufregung gespürt habe."
Ich schluckte, das alles hatte ich nie eingeplant. Mit ihm rechnete ich nicht. Nicht nur jetzt, auch an jenem Tag am Hafen. Als wäre Cole schicksalhaft wie ein Meteorit in mein Leben gestürzt. Und nun nistete er sich Stück für Stück in mein Alltag ein.
"Wie hast du das bemerken können?", entgegnete ich überrascht. Mir war bewusst, dass ich ihm somit Bestätigung gab, aber in diesem Moment war mir das gleichgültiger als jemals zuvor. Schließlich lag es bereits offen da, dass ich mein Ziel nicht erreicht hatte.
Coles Lippen umspielte augenblicklich ein Lächeln. Wie gebannt sah ich zu, welchen Weg seine Hand annahm. Mein Herz setzte für einen Bruchteil einer Sekunde aus, als plötzlich seine Fingerkuppen sanft über meine Wange fuhren.
"Weil es mir gleich erging", raunte er, nahm eine lose Locke zwischen seine Finger und strich mir diese zaghaft hinter mein Ohr. Ich erschauderte bei dieser Intimität, genoss sie jedoch auch. Die Berührung löste in mir ein angenehmes Gefühl aus. Ließ mich nach mehr sehnen.
Seine Augen trafen wieder auf meine, während er die Hand langsam herunter nahm. Beinahe wünschte ich mir die behagliche Wärme zurück, die er eben verursacht hatte. "Dich wieder zu sehen, ist auch nicht an mir spurlos vorbeigegangen, Celia. Das kann ich dir versprechen."
Benommen blinzelte ich, das schien alles so surreal. Coles Worte, die sich unglaublich ehrlich anhörten, wirkten nicht echt. Was taten wir nur hier? Was damals mit ihm am Hafen einen problemlosen Anschein machte, fühlte sich hier plötzlich falsch an. Dazwischen lagen Welten.
"Entschuldige, ich muss zurück an die Arbeit", sagte ich aufgewühlt, entfernte mich von ihm und eilte schnellstens in die Richtung des Lagerraums. Mit klopfendem Herzen lehnte ich mich dort drinnen gegen die Tür an und schloss die Augen. Ich musste dringend mit Suela sprechen.
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