Zwei
Kapitel 2
Am nächsten Morgen war zwischen Chan und mir wieder alles wie gehabt. Vielleicht war sein Grinsen ein bisschen schief, als er mir einen guten Morgen wünschte und womöglich fühlte ich mich für einen kurzen Moment verlegen, aber das verflog bereits mit der ersten Frage.
„Tee? Kaffee?"
Ich kniff die Augen zusammen, zog die Nase kraus und lachte leise. „Kaffee - definitiv Kaffee."
Chan lachte ebenfalls und angelte nach einer Tasse für mich. Kaum war diese mit dem rettenden Koffein gefüllt, stellte er sie vor mir ab und ich schnappte sie sofort.
„Danke!" Ich brauchte dringend einen Schub, der mich wieder in die richtige Zeitebene beförderte. Mein Gott. So spät war es doch gar nicht gewesen, warum fühlte ich mich so groggy? Ich konnte es noch nicht mal auf ein fremdes Bett schieben, denn auch das war etwas, was wir von Anfang an klargestellt hatten. Wir hatten Spaß und dann kehrte jeder wieder in sein Bett zurück, kein „Nachkuscheln", kein „halt mich fest bis zum Morgen". Mit einem leisen Stöhnen bewegte ich den Kopf, trank und konnte gleichzeitig spüren, dass ich angestarrt wurde. Doch als ich blinzelnd die Augen öffnete, ruckte ich überrascht zurück. Chan stand am Tisch, die Hände darauf abgestützt und musterte mich eindringlich.
„Alles okay mit dir?" Sein Unterton war ungewöhnlich rau und das gefiel mir nicht. Sicher, das war gestern vielleicht etwas überraschend für uns beide gewesen, aber durchaus auf angenehme Weise. Also gab es nicht wirklich einen Grund für diese Überfürsorglichkeit.
„Alles supi", erklärte ich also. „Bin nur etwas müde."
Dieses Mal schürzte er nur die Lippen, ließ aber meine Antwort unkommentiert. Dafür hakte er sogleich nach: „Und wie lange musst du heute?"
„Keine Ahnung." Ich zuckte die Schultern. „Open end - wir haben keine Zeiten vereinbart. Manchmal ist es eben so. Es dauert so lange wie es dauert."
Eigentlich wusste er das alles und es kam mir seltsam vor, dass er danach fragte. Allerdings war es gleich darauf ohnehin vorbei. Ein Blick auf die Uhr beendete unser Gespräch und versetzte ihn in leichte Hektik. „Scheiße", hörte ich nur geraunt. „Schon so spät? Ich muss los."
Nur zehn Minuten später fiel die Tür ins Schloss und absolute Stille hüllte mich an. Da saß ich immer noch am Tisch und trank gerade den Rest von meinem zweiten Kaffee. Ich musste zwar noch duschen, aber sonst konnte ich mir alles sparen. Das waren seine Vorgaben für heute gewesen: nicht schminken, nicht die Haare machen. Kleidung?
Zieh an, womit du dich wohlfühlst. Das konnte alles bedeuten, auch, dass es nicht wichtig war, was ich trug, weil ich es ohnehin würde ausziehen müssen. Dachte ich an das Lächeln, das diese Worte begleitet hatte, kribbelte es schon wieder verdächtig in meinem Nacken, aber ich hatte mir geschworen, dass ich das alles heute nicht so an mich heranlassen würde. Nachdem ich also die zweite Tasse geleert hatte, machte ich mich auf den Weg ins Bad, um mich fertigzumachen.
Die erste Ernüchterung folgte mit einem Blick in den Spiegel auf meinen nackten Körper.
„Fuck", hauchte ich leise und trat etwas näher heran, um die Abdrücke auf meinen Hüften besser einschätzen zu können. Ich drehte mich auch leicht und kaute unzufrieden auf meiner Lippe. Konnte man erkennen, was das war? Shit, konnte man wohl. Okay, das war... nicht ganz so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte, oder sagen wir, für das, was ich gefordert hatte, war es vermutlich sogar okay. Nur hatte ich tatsächlich nicht damit gerechnet, dass man es so deutlich sehen würde. Aber es war Tag zwei, vielleicht war es noch nicht an der Zeit, alle Hüllen fallenzulassen.
♠
Heute waren es, abgesehen von den üblichen Leuten, die sonst an so einem Set arbeiteten, zwei persönliche Betreuer, die um mich herumhuschten und notfalls auf einen Fingerzeig ihres Bosses reagierten. Minho, immer noch die rechte Hand des Meisters und darüber hinaus dafür zuständig, dass ich alles bekam, um mich wohlzufühlen.
Und Jisung, wie er sich breit grinsend und mit leuchtenden Augen vorstellte - ja, auch er hatte nur einen Namen. „Mal sehen was wir Schönes mit deinen Haaren anstellen können", begann er und schnurrte gleich darauf: „Mhm... blond, ich mag blond..."
Mein Blick huschte zu Hyunjin, aber der war offenbar mit anderen Dingen beschäftigt, oder war einfach nur gut darin, solche Dinge zu ignorieren.
„Lässt du das T-Shirt an?", fragte Jisung und hatte sofort wieder meine Aufmerksamkeit.
„Ahm...", raunte ich heiser. „Ich... ich weiß nicht...Wir-"
„Kein Problem", unterbrach mich Jisung lächelnd, legte eine Hand auf meine Brust, womit er mich an Ort und Stelle stoppte, bevor er lautstark über meine Schulter brüllte.
„Wie viel zieht er aus?" Nicht etwa: Wie viel behält er an?
Hyunjin hob kurz den Kopf und sah her. „Das T-Shirt muss weg." Und schon war er wieder abgetaucht in seine Vorbereitungen.
Jisung strahlte heller als die Sonne. Als wäre diese Ansage ein Geschenk. „Du ziehst das T-Shirt aus und ich bringe dich hübsch in Unordnung."
Das meinte er wortwörtlich, denn eine halbe Stunde später sah ich aus, als wäre ich soeben aus dem Bett gefallen und war zudem halb nackt. Auch heute trug ich Jeans und der Bund verdeckte gerade noch so die Abdrücke auf meinen Hüften. Immerhin etwas.
In meinem Set lag erneut die Matratze sowie das zerwühlte Laken und Hyunjin ließ mir freie Hand, mich in dieser Kulisse so zu interpretieren, wie es mir in den Sinn kam. Okay, was mir so alles in den Sinn kam konnte ich unmöglich zeigen, abgesehen davon fand ich es heute auch eher schwierig, mich derart fallenzulassen, wenn ein halbes Dutzend Leute herumhuschten und ihrer Arbeit nachgingen.
Womöglich war ich also einmal zu oft abgelenkt, mein Blick auf etwas verhaftet, was hier keine Rolle spielte, denn irgendwann brach Hyunjin das ganz ab und sprang mit einem geknurrten „das reicht jetzt!", auf. „Wir brauchen Ruhe", blaffte er seine Crew an und bis auf Minho schienen sich alle anderen Mitarbeiter augenblicklich in Luft aufzulösen.
Dann fiel sein Blick auf mich.
„Besser jetzt?"
Ich nickte stumm, lächelte schließlich doch noch und bremste mich gerade noch, bevor ich durch meine Haare fahren konnte. Langsam ließ ich die Hand wieder sinken.
„Sehr gut - sollen wir weitermachen?"
Das taten wir, aber nach weiteren 20 Minuten ließ er erneut die Kamera sinken und starrte mich stirnrunzelnd an. „Das war gut", raunte er leise, „aber es ist... zu unschuldig. Können wir etwas versuchen?"
Zu unschuldig, okay. Mir wurde ein wenig warm, trotzdem nickte ich bereitwillig. „Was stellst du dir vor?"
Die Bilder aus seinem letzten Fotoband schwebten durch meinen Geist. Sie waren wunderschön, sehr künstlerisch und mitunter frivol, aber nicht obszön. Manche waren, na ja, wie sollte man das galant ausdrücken? Äußerst exponiert.
Ich hatte mich von Beginn an nicht gefragt, ob ich bereit war, so weit zu gehen, aber ich hatte es auch nie ausgeschlossen. Ich wollte es von meinem persönlichen Empfinden abhängig machen, aber jetzt stand die Frage wohl im Raum.
Zunächst antwortete Hyunjin nicht, sondern drehte sich suchend nach Minho um.
„Ist der Keller hergerichtet?"
Der Keller?!
„Sicher." Minho nickte rasch. „Aber noch nicht beheizt. Ich kann schnell-"
„Nein." Ungeduldig winkte Hyunjin ab, stand auf und reichte mir die Hand.
„Wir sehen uns das an, komm." Diese Worte waren sanft gesprochen, denn sie galten mir. Blind reagierte ich, nahm seine Hand und ließ mir auf die Beine helfen. Da war es wieder, ein leichtes Britzeln, wie ein kleiner Stromschlag, in meinen Fingern, als ich seine ergriff, nur dass es sich ausbreitete und wie ein leises Summen unter meiner Haut dahinkroch. Augenblicklich jagte eine Gänsehaut über meinen Körper und ich sah ruckartig auf. Hatte er das auch gespürt?
Aber Hyunjin sah nicht her, lief einfach los, hielt dabei immer noch meine Hand und erst als ich ihm mit ein paar schnellen Schritten folgte, ließ er sie los. Meine Finger glitten aus seinen und dafür legte sich nun seine Hand auf meine nackte Schulter.
„Hier entlang." Mit der anderen Hand öffnete er eine Tür zu seiner linken. Für eine Sekunde sah ich über die Schulter zurück, entdeckte Minho, der uns mit Abstand gefolgt war, doch jetzt blieb er stehen und sein Blick glitt zu Hyunjin, der sich ebenfalls umgewandt hatte.
„Du kannst hier warten, wir kriegen das hin", bremste er seinen Assistenten aus und nun geschah doch noch etwa in Minhos Gesicht. Es war nur für einen Augenblick zu sehen und ich tat mich schwer, es einzuordnen. War es Wachsamkeit, Besorgnis, Unmut?
Ohne ein Wort wandte sich der Assistent ab und kehrte zurück in den Studioraum, aus dem wir gekommen waren.
Unterdessen folgte ich Hyunjin durch einen kurzen Flur und dann eine Treppe hinab. Er stieß die nächste Tür auf, machte Licht und ließ mir den Vortritt. Ich machte zwei Schritte und blieb wieder stehen. Auch dieser Raum sah aus wie das Studio oben, nur von der Ausstattung her war er deutlich düsterer und es war kühl. Leicht fröstelnd schlang ich die Arme um den Körper und sah mich aufmerksam um. Metall, raues Holz, schwarze Vorhänge. Auf der anderen Seite befanden sich all die modernen Gerätschaften, welche die Illusion wieder zerstörten und trotzdem wühlte mich die Szenerie auf eine merkwürdige Weise auf.
Ein neuerlicher Schauer jagte meinen Rücken hinab, aber erst, als Hyunjin eine Hand auf mein Schulterblatt legte.
„Entschuldige... ist dir kalt?"
„Nein, geht schon."
„Das war unbedacht von mir", raunte er, schlüpfte dabei aus dem dünnen Mantel, den er heute wieder trug und legte ihn um meine Schultern. „Hier."
„Du musst nicht-"
„Jetzt zieh ihn schon an", schnurrte er. „Ich will nicht, dass du dich erkältest." Die Hand rutschte von meinem Körper und er wandte sich ab, stellte den Regler eines Thermostats in der einen Ecke neu ein.
Unterdessen schlüpfte ich in den Mantel und zog den weichen Stoff über meine Haut. Er war körperwarm und er roch gut, nach ihm. Schon wieder rieselte eine Gänsehaut über mich hinweg und Bilder flackerten in meinem Verstand auf. Unanständige Bilder, verruchte, schmutzige Fantasien, die meinen Körper zusätzlich in Aufruhr versetzten.
„Okay, das dauert nicht lange", erklärte Hyunjin, kam zu mir zurück und legte beide Hände auf meine Schultern. „Also... was sagst du? Was kannst du dir hierzu vorstellen?"
Meine Finger griffen in den dünnen, weichen Stoff. Die Bilder waren zurück in meinem Kopf... verbotene Bilder... Mein Herz klopfte wie wild.
„Vieles", murmelte ich rau. „Nichts davon ist sonderlich unschuldig."
Und da lachte er leise. „Okay", meinte er nur. „Das war meine Intention. Ich denke, wir sehen uns die Requisiten an - komm." Er führte mich an die Seite, zu einer Kommode und zog mit der Linken das erste Schubfach auf. Der rechte Arm lag um meine Schultern.
„Sag mir womit du dich wohlfühlst." Er zog die zweite Schublade auf.
„Was spricht dich an?" Das dritte Schubfach wurde geöffnet.
Seile, Fesseln, Lederriemen. Handschellen, Ketten. Waffen! Pistolen und Messer.
Rasch befeuchtete ich meine Lippen, während meine Hand bereits über Metall und Leder strich. Warum war das so aufregend? Es waren Requisiten und nahm man es genau, hatte ich mit nichts davon wirklich ein Problem... oder Erfahrung. Meine Finger schwebten über einer Pistole. „Ist die echt?" Meine Stimme war ganz rau.
„Ist sie." Ohne zu zögern griff er an mir vorbei, schnappte sich die Pistole und hielt sie mir hin, aber ich griff nicht danach. „Ist nicht geladen, siehst du?" Mit schnellen Handgriffen zerlegte er die Waffe „auch keine Kugel im Lauf, hm?", und setzte sie wieder zusammen. „Kann nichts passieren, nimm."
Nicht geladen. Ungefährlich. Und doch, als ich die Pistole von ihm entgegennahm, jagte mein Puls schon wieder in die Höhe. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Waffe in der Hand hielt, ganz im Gegensatz zu ihm wie er gerade eindrucksvoll bewiesen hatte. Die Sicherheit und Geschwindigkeit, mit der er mir die Waffe vorgeführt hatte, sprach dafür, dass ihm die Handgriffe geläufig waren. Ich drehte die Pistole in den Händen, immer noch verblüfft von ihrem Gewicht.
„Hast du schon mal geschossen?"
Ohne Aufzusehen schüttelte ich den Kopf, hob stattdessen prüfend die Pistole hoch, in der Hoffnung, dass ich nicht vollkommen lächerlich damit aussah. Neben mir lachte Hyunjin leise.
„Mit beiden Händen", sagte er leise, führte meine Hände da hin, wo sie hingehören. „Ausstrecken, höher, genau so." Einen Moment lang hielt ich die Waffe so, aber sie war wirklich schwer und ich spürte das Gewicht, es ließ meine Hände bereits nach kurzer Zeit leicht zittern.
„Gut", flüsterte Hyunjin neben mir dennoch und seine Hand legte sich auf meine. „Und jetzt - abdrücken."
Das tat ich und ich weiß nicht, war von uns beiden überraschter war. Ich selbst, dass ich es wirklich getan hatte oder er, weil er es mir nicht zugetraut hatte. Über das kühle Metall der Pistole hinweg trafen sich unsere Blicke.
„Der Bad Boy also", murmelte Hyunjin und lächelte vage. „Gefällt mir."
Es gefiel ihm immer noch, als ich mit meinen neuen Requisiten vor dem Metallgitter an der Wand stand. Im Zuge dieser Fotoserie bekam ich unter andere noch eine qualmende Zigarette in den Mund gesteckt, obwohl ich nicht rauchte, eine abgeranzte Schirmmütze thronte auf meinen out-of-Bed-Style Haaren und sein Mantel war längst wieder verschwunden. Kalt war mir jetzt auch nicht mehr, erst recht nicht, während ich so eifrig mit der Pistole zugange war. Irgendwie war es dreist, ziemlich cool und sicher auch auf eine schräge Art heiß.
Das erste Mal sah ich das Aufflackern in seinen Augen, als ich auf ihn zielte. Plötzlich sackte die Kamera ein Stück herab und sein Blick war so intensiv, dass mir erneut ein Schauer über den Rücken jagte. Und dann war doch ich es, der den Fokus verlor, in dem Moment, wo sich sein Mund ein wenig öffnete und seine Zungenspitze über seine Lippen huschte und einen feucht-glänzenden Film darauf hinterließ.
Ich schluckte, die Waffe zitterte kurz in meinen Händen, aber ich nahm sie nicht runter. Auch nicht, als er die Kamera ganz sinken ließ und auf mich zukam, als der Lauf der Pistole auf seiner Brust aufsetzte.
Blinzelnd starrte ich in seine Augen. Gerade wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte, war irgendwo zwischen Aufregungen und Verlegenheit gefangen und zuckte unwillkürlich zusammen, als er mich berührte.
„Mach die Jeans auf." Heiser geflüstert.
Die Waffe wackelte, während ich eine Hand von ihr löste und meine Finger automatisch zu meinem Hosenbund zuckten.
Hyunjin sah hinab. „Nur den Knopf", wies er mich flüsternd an. „Und ein kleines Stück vom Reißverschluss, nicht zu viel."
Okay. Mein Puls hämmerte wie verrückt, jagte das Blut durch meinen Körper, aber vielleicht falsch herum, keine Ahnung. Mir war auf alle Fälle plötzlich ganz seltsam schwindlig und meine Hand zitterte. Trotzdem fasste Hyunjin nicht in den Stoff, sondern sah in alle Ruhe zu, wie ich mich mit bebenden Fingern abmühte.
„Ja, so", merkte er schließlich zufrieden an, nahm nun doch meine freie Hand und schob sie langsam in meine geöffnete Jeans. Sein Blick glitt dabei wieder auf meine Augen und was immer er dort sah, schien ihn zu amüsieren, denn ein Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln.
„Perfekt", urteilte er schließlich, trat zurück und hob seine Kamera wieder an.
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Der Tag endete früher als gedacht, aber zu meiner Überraschung war Chan ebenfalls schon zuhause. Er saß im Wohnzimmer auf der Couch, hatte die Beine angezogen und gegen den Tisch gestützt. Dabei balancierte er ein Buch auf seinen Beinen und erst als ich das zweite Mal an ihm vorbeilief sah ich, welches Buch das war.
Mein hochheiliger Fotoband - abrupt bremste ich hinter ihm und Chan tippte auf einer der vorderen Seiten auf ein Foto des Künstlers selbst.
„Ist er das?"
„Ja", gab ich leise zurück. „Was-?"
„Hwang Hyunjin" fiel er mir ins Wort, während er den Text unter dem Foto halblaut vorlas. „Wie alt soll der sein?! 29?!"
„29, ja...", murmelte ich ebenfalls und jetzt hob Chan den Blick und sah mich zweifelnd an.
„Ernsthaft." Er hielt mir das Buch hin. „Wow... Dann will ich mit knapp 30 auch so aussehen..."
Das klang so zynisch, dass ich unwillkürlich in eine abwehrende Haltung ging.
„Was soll denn das?"
Aber Chan antwortete nicht, schüttelte nur stumm den Kopf und blätterte weiter. Die ganz Art, wie er dort saß und beinahe aggressiv, oder auch aufgebracht weitere Seiten umschlug, ließ mich selbst auch mit einem seltsamen Gefühl in der Magengrube verharren.
Was war los mit ihm? Es waren doch nur... Bilder. Aber immer noch schlug Chan - fast schon zornig jetzt - weitere Seiten um, bevor er abrupt stoppte.
„Und auf sowas kannst du dich einlassen?"
Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung, was genau er denn mit sowas meinte, deswegen trat ich jetzt näher an ihn heran und warf einen Blick über seine Schulter. Okay das... mir wurde ein wenig wärmer, als ich sah, bei welchen Fotos er gestoppt hatte. Die geöffnete Seite zeigte sehr nackte und zum Teil sehr explizite Bilder und ich schluckte. Wenn ich ehrlich war, wusste ich selbst nicht, ob ich das konnte oder wollte, aber ich war durchaus gewillt, mich auf Neues einzulassen.
„Kommt darauf an", antwortete ich ausweichend.
„Kommt darauf an?!" Chans Kopf ruckte herum und er sah mich an, dabei tippte sein Finger auffordernd auf die großformatige Aktfotografie. „Und worauf genau kommt es bei sowas an? Ich meine, das ist... schon ein bisschen was anderes, als du sonst machst, hm?"
Natürlich war es anders! Es sollte mich ja auch endlich aus dem Schatten katapultieren! Das sagte ich so nicht, sondern riss mich endlich von dem Bild los und sah ihn an.
„Was soll das jetzt werden, worüber reden wir? Es ist ein Job. Und er wird hervorragend bezahlt."
Sekundenlang zog Chan die Augenbrauen zusammen, seine Lippen pressten sich aufeinander, dann wandte er sich halb ab, nur um mich gleich darauf wieder anzufunkeln. „Ja, aber worauf kommt es an?"
Ich starrte zurück. „Ob er mir das Gefühl gibt, mich fallenlassen zu können. Zum Beispiel."
Für zwei oder drei Atemzüge sahen wir uns nur an, dann wich Chan mir erneut aus und wandte sich schroff ab, klappte das Buch hörbar zu und bugsierte es auf den Tisch. Es war nicht die Art an sich, die Bewegung, es war etwas anderes, seine Haltung, die verkrampften Schultern oder dass er sich eben weigerte, mich weiter anzusehen, was dieser Geste so viel Gewicht verlieh.
Dafür hatte ich jetzt echt keinen Nerv. Ich war hundemüde, der Tag war anstrengend gewesen und ich wollte eigentlich nur noch unter die Dusche, was zu essen und mich dann auf der Couch ausstrecken. Also wandte ich mich wortlos ab und ließ ihn einfach sitzen.
Kaum unter der Dusche, wühlten sich seine Worte jedoch wieder in meinen Verstand. Ernsthaft? Dann will ich mit knapp 30 auch so aussehen. Ich schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Hyunjin sah unfassbar jung aus, das stimmte. Hätte ich nicht gewusst, wer er ist, hätte ich ihm keinen Tag mehr als mir selbst gegeben. Und doch, hinter diesem so unglaublich jungem Aussehen verbarg sich etwas, das überhaupt nicht dazu passen wollte. Manchmal war es in seinem Blick, oder auch in seiner Stimme. Etwas, das sich kaum beschreiben ließ. Eine Müdigkeit vielleicht, die seinem Blick einen Ausdruck verlieh, als gäbe es nichts mehr auf der Welt, was er nicht schon in einem uralten, verstaubten Folianten gelesen hätte. Oder es klang jene Nuance in seiner Stimme an, die dem Gesagten alles Gewicht raubte, weil nichts mehr für ihn von Bedeutung war. Und wenn ich so über meine eigenen, verschrobenen Gedanken nachgrübelte, kam ich mir unsäglich dumm vor, weil das alles so abgehoben und trotzdem abgedroschen klang.
Dabei war er nur eins: Unfassbar begabt.
Okay, und unerwartet charmant. Unglaublich interessant. Unbeschreiblich sexy. Sicher auch unanständig reich. Und unerhört attraktiv.
Jede Menge Un's - woah, ich war so ein unbegreiflich dämlicher... Trottel... Am liebsten hätte ich mit der Stirn gegen die Fliesen geschlagen. Aber das hätte nur Chan auf den Plan gebracht. Dann hätte er sich wieder Sorgen gemacht, wäre reingeplatzt und hätte gesehen...
Ohne die Augen zu öffnen tastete ich nach dem Temperaturregler und stellt das Wasser kühler. Sofort spürte ich, wie viel zu kaltes Wasser über meinen Körper rann, blieb jedoch trotzig unter dem Wasserstrahl stehen, bis meine Zähne klapperten und meinem Körper jedes un- ein für alle Mal vergangen war. Schließlich stellte ich das Wasser ab, trat schlotternd aus der Dusche und wickelte mich ein übergroßes Badetuch ein. Half nur bedingt. Meine Zähne klapperten immer noch aufeinander und der weiche Stoff auf meiner ausgekühlten Haut befeuerte gleich einen neuen Bilderreigen.
Dort unten, im Keller, war es zu Beginn auch nicht sonderlich warm gewesen. Im Gegenteil, es war kalt genug gewesen, um die körperlichen Auswirkungen der empfindlich kühlen Umgebungstemperatur wirklich gut sehen zu können.
Hatte ich mir Gedanken um das leise Summen des Objektivs gemacht, das jedes Heranzoomen verraten hatte?
Nein.
Hatte ich mir Gedanken gemacht, während er näher herangekommen war und mich dabei auf eine Weise in das Metallgitter dirigiert hatte, die man selbst mit viel gutem Willen nicht mehr als harmlos hatte betrachten können?
Nein.
Okay, dann hatte ich mir vielleicht darüber Gedanken gemacht, dass die Kamera, während er so nah vor mir gestanden war, genau zwei Mal abgesackt war und sein Blick sich in meinen gebrannt hatte, ohne dass ich eine neue Anweisung erhalten hatte?
Fuck! Ich konnte ja schlecht schon wieder an Chans Bettpfosten kratzen, nur weil ein hübsches Paar Augen die Sicherungen in meinem Kopf durchbrennen ließ.
Leise murrend bewegte ich den Kopf, fühlte mich gerade fürchterlich angespannt und immer noch irgendwie aufgekratzt. Lag vielleicht auch daran, dass meine Jeans dann doch noch ein Stück weiter von meinen Hüften gezogen worden war. Nicht hinab, nur so, dass es aussah, als würde sie gerade über meine Haut rutschen und sich sekündlich verabschieden. Und daran, dass ich wusste, dass er die Abdrücke gesehen hatte.
Und dass ich wusste, dass er gewusst hatte, dass...
„Mein Gott!", unterbrach ich mich selbst lautstark und würgte damit jeden weiteren Gedanken ab. Gut so. Anziehen, essen, schlafen. Ich sollte lieber auf mich achten.
Doch als ich wenig später aus der Dusche trat, stand da Chan und musterte mich stirnrunzelnd.
„Alles klar?", begann er das Verhör.
Ich atmete einmal tief durch und zwang ein Lächeln auf mein Gesicht. „Sicher. Chan... bitte. Hör auf dir Sorgen zu machen, okay?"
„Würde ich." Er stieß sich von der Wand ab und lief hinter mir her. „Wenn ich nicht... hey! Jetzt warte doch mal!" Damit fasste er nach meinem Arm und hielt mich auf. „Ich will nicht, dass-!", begann er aufgebracht und brach den Satz so abrupt wieder ab, dass ich kopfschüttelnd wartete, ob er ihn nicht doch noch zu Ende führen würde. Aber nein, stattdessen sah er jetzt weg und wirkte durch und durch unzufrieden mit sich selbst, der Situation oder was auch immer.
„Chan..."
„Ach, das ist doch alles scheiße!", stieß er nun hervor, zog dabei seine Hand zurück als hätte er sich an mir verbrannt, fuhr sich einmal durch die Haare und verschränkte schließlich die Arme. „Dieser Kerl! Willst du mir sagen, dass das alles cool ist?"
Ich verstand ihn wirklich nicht, runzelte die Stirn und hob dabei hilflos die Hände. „Worum geht es dir? Dass ich mich vor einem fremden Kerl nackt ausziehe? Bist du neuerdings... so prüde?"
„Das hat doch mit prüde nichts zu tun!", ereiferte er sich. „Es geht doch nur um.... Ahm... warte, du... du hast das schon... du...?"
Sein Gestammel hätte sicher amüsant sein können, wäre ich nicht gerade so geladen gewesen. Also spiegelte ich seine Haltung, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn an „Nein." Mehr sagte ich nicht und ärgerte mich dennoch, weil es gerade so aussah, als würde er erleichtert aufatmen.
„Noch nicht", schoss ich jetzt nach.
Chan hob den Blick und sah mich an. Er wirkte verletzt und das brachte mich nur noch mehr auf.
„Was soll das, Chan, jetzt spuck es schon aus."
„Nichts", knurrte er. „Gar nichts. Ich bin nur... verwirrt."
Okay, damit waren wir wohl der Wahrheit einen Schritt näher. Ich schwieg, wartete und beobachtete, wie er sich durch die Haare fuhr, unwillig die Lippen aufeinanderpresste, bevor sein Blick auf meine Augen schwenkte und gleich wieder weg.
„Also schön! Bitte! Das gestern... hat mich verwirrt. Zufrieden? Und wenn du dann heute losrennst und - ach scheiße, vergiss es einfach."
Schon wandte er sich ab, wollte gehen und während ich so auf seinen Rücken starrte, begriff ich auch endlich. Er war - eifersüchtig! Eifersüchtig? Ernsthaft? Allein die Vorstellung war so absurd, dass sie mich im ersten Moment sprachlos zurückließ. Aber das hier war immerhin Chan, wir mussten weiter miteinander klarkommen, also hielt ich ihn mit einem scharfen „hey!", wieder auf. Mir war auch klar, dass ich das Wort „Eifersucht" gar nicht erst in den Mund nehmen brauchte, weil er dann vermutlich durch die Decke ging. Und doch...
Meine diplomatische Seite entschied sich für: „Ich dachte, wir wären uns einig, was das betrifft? Wir haben Spaß und alles ist gut."
Chan nickte heftig und starrte mich dabei auf eine Art nieder, die etwas in mir zündete, was mir nicht gefiel. Seine Augen sprühten beinahe Funken vor unterdrückter Wut.
„Spaß. Alles gut", presste er hervor, nickte schon wieder verärgert und dann ging das zustimmende Nicken in ein noch wütenderes Kopfschütteln über. Sein ausgestreckter Finger wies in Richtung seines Schlafzimmers.
„Aber das gestern war kein Spaß, okay? Das war...! Keine Ahnung was es war! Auf jeden Fall meilenweit hinter jedem Spaß... meilenweit, Felix... Tu nicht so, als wüsstest du nicht wovon ich spreche."
Doch, ich wusste es. Aber dass er es auf diese Weise ansprach, brachte meine chaotischen Gefühle gerade noch mehr durcheinander. Ich wusste gerade nicht, ob ich lachen sollte, oder doch eher vor Empörung nach Luft schnappen. War er jetzt völlig am Durchdrehen? Warum entschied er sich ausgerechnet jetzt für kompliziert?!
„Und was war es dann?", blaffte ich zurück.
Das brachte mir einen weiteren vernichtenden Blick ein und ein giftiges: „Keine Ahnung, sag du es mir."
Als ich nun schwieg, zuckten seine Augenbrauen bedeutungsvoll. Ach verdammt nochmal!
„Ich habe jetzt keinen Nerv für diesen Blödsinn, okay?", murrte ich. „Ich will ins Bett, ich muss morgen früh raus."
Das kommentierte Chan mit einer recht deftigen Geste, drehte sich wortlos um und ging. Gleich darauf hörte ich, wie seine Zimmertür ins Schloss knallte und das war jetzt mehr als deutlich.
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