Drei


Kapitel 3

Am nächsten Morgen war ich so früh unterwegs, dass noch kein Laut aus Chans Zimmer drang. Immer wieder lief ich dran vorbei, zweimal blieb ich stehen und lauschte, aber alles war still. Dabei musste ich gleich los, weil Hyunjin heute in aller Herrgottsfrühe irgendwo draußen Aufnahmen machen wollte. An einem See, an einem Fluss? Ich war nicht sicher. Außerdem spukte mir die Szene mit Chan immer noch im Kopf herum. Ich hätte mich gerne bei ihm entschuldigt. Ich war zwar nicht so sicher, für was genau, ich hätte es dennoch gerne getan, weil das jetzt einfach zwischen uns stand und sowohl ihn als auch mich den ganzen Tag begleiten würde. Dafür kannte ich ihn zu gut.

Gleichzeitig widerstrebte es mir, ihm eine Nachricht zu schreiben und unter den Salzstreuer zu klemmen, weil das für mein Empfinden den falschen Anstrich hatte. Ich war nicht seine Freundin, ich wollte ihm keine Zettelchen mit Nachrichten auf dem Tisch hinterlassen. Also trödelte ich noch eine kleine Weile herum, blieb so lange, wie ich es vertreten konnte, ohne viel zu spät zu meinem Termin mit Hyunjin aufzutauchen und gab schließlich leise seufzend auf.

Als ich die Wohnungstür zuzog, war Chan immer noch nicht wach. Dafür nahm ich mir fest vor, das heute Abend mit ihm zu klären.

Bis ich am Studio ankam, wurde ich schon ungeduldig erwartet.

„Ach da bist du ja endlich!", rief Jisung schon von weitem und winkte mir wie wild zu, als könnte ich ihn sonst übersehen. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht!"

Schon wieder einer. Es kostete mich einiges an Beherrschung, nicht mit den Augen zu rollen, sondern stattdessen entschuldigend zu lächeln. Mein Blick schwenkte zu Minho, der neben ihm stand, mir nur schweigend zunickte, während er geschäftig auf einem Tablet herumwischte und -tippte.

„Ist Hyunjin noch gar nicht da?", fragte ich hoffnungsvoll. Immerhin war das meine Chance, zu kaschieren, dass ich zu spät war.

„Nein", knurrte Minho und seine Stirn furchte sich verärgert. Noch mehr, weil neben ihm Jisung soeben theatralisch sein Handy zückte. „Nein", sagte auch dieser. „Aber ich rufe ihn gleich mal an, der Gute hat immer so viel um die Ohren..."

Minho schnaubte leise, aber ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich hatte hören sollen. Unterdessen schnatterte Jisung bereits eifrig in sein Handy, marschierte dabei aufgeregt ein paar Schritte auf und ab und zu uns gesellte sich noch ein neues Gesicht.

„Hi", der Kerl blieb neben mir stehen, musterte mich kurz und schob dabei beide Hände in seine Hosentaschen. „Changbin. Fahrer."

Noch ein Ein-Name-Typ und offenbar ebenso gesprächig wie sein Boss. Er sah von Minho zu Jisung und grinste schief. „Was ist er denn so aufgeregt?"

Minho antwortete nicht, warf ihm nur einen warnenden Blick zu, bevor seine Aufmerksamkeit zu mir schwenkte. „Vielleicht hilfst du Felix schon mal, seine Sachen in den Wagen zu bringen?"

Dass ich keine Hilfe brauchte, weil ich lediglich eine kleine Tasche über der Schulter hängen hatte, war so offensichtlich wie die Tatsache, dass Minho unbedingt wollte, dass ich irgendwo anders war, nur nicht hier. Also fügte ich mich, genau wie Changbin, der neben mir die Achseln zuckte und mit einem kaum hörbaren „wie du willst", vorauslief.

In trauter Einigkeit – also in gemeinschaftlichem Schweigen – marschierten wir nebeneinander dahin, umrundeten dabei das halbe Gebäude, bevor Changbin voraus auf einen schwarzen Kastenwagen wies. „Hast du nur die Tasche?"

Ich war noch abgelenkt von dem Gefährt, das so aussah, als würde jeden Moment ein Sondereinsatzkommando rausspringen, deswegen nickte ich nur schwach.

„Auch nichts mehr im Studio?" Changbin sah mich ganz seltsam an, aber nachdem ich erneut verneinte, sah er sich um und kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Ja, also dann... willst du vielleicht hier warten? Ich muss noch ein bisschen Equipment holen und verstauen. Du kannst dich auch schon reinsetzen." Ein leises Piepen der Zentralverriegelung folgte.

„Ich kann dir auch helfen", bot ich an. Immerhin mussten wir doch ohnehin alle auf Hyunjin warten, was spielte es also für eine Rolle?

Changbin sah mich an, als hätte ich soeben portugiesisch gesprochen oder so etwas in der Art. Er starrte, ohne zu blinzeln, dann folgte ein „hm", das von Zustimmung bis zu höflicher Ablehnung alles sein konnte und ein erneutes Schulterzucken. Am Ende nickte er, darum folgte ich ihm. Im Inneren des Gebäudes standen noch diverse Taschen und kleine Metallkoffer herum und da Changbin auf diese zusteuerte, schnappte ich mir auch etwas davon und lief ihm wieder hinterher. Nur, dass er offenbar deutlich stärker und auch schneller war als ich, denn während ich mich mit der Kiste in meinen Armen recht ungelenk zum Wagen schaukelte, war er schon auf dem Rückweg, grinste, während er an mir vorbeilief und jagte wieder in das Gebäude.

Unterdessen stellte ich die Kiste am Wagen ab, ich wusste ja nicht, wie er das Zeug verstauen wollte und hätte es nicht gewagt, etwas zu stapeln und damit womöglich kaputtzumachen. Dafür machte ich wieder kehrt, um zu sehen, ob noch etwas übriggeblieben war. Wieder kreuzte Changbin meinen Weg, die Arme voll, eine Tasche über der Schulter und dieses Mal lachte er leise. Seine Augen funkelten und er zwinkerte mir zu.

„Tu dir bloß nicht weh. Hernach reißt mir Hyunjin den Kopf ab, wenn du auch nur einen Kratzer hast."

Hyunjin... ach was? Er hatte seine Truppe offenbar bestens im Griff, selbst wenn er nicht anwesend war. Schmunzelnd, aber schweigend quittierte ich die Ansage und gelangte ein weiteres Mal in das Gebäude. Dort schnappte ich mir eine Tasche, die etwas leichter aussah und überließ die restlichen Kisten Changbin, bevor mein Hilfsangebot noch in ein Workout ausartete. Eben hatte ich sie geschultert, da rissen gedämpfte Stimmen meine Aufmerksamkeit an sich. Nicht, weil ich lauschen wollte, sondern weil ich Minhos Stimme erkannte, auch wenn das, was er gerade von sich gab, wie ein wütendes Fauchen klang. Neugierig wandte ich mich um. Er hatte ja vorhin auf dem Parkplatz schon so angefressen gewirkt und das unangenehme Gefühl, dass es mit mir zu tun hatte, ließ mich einfach nicht los. Nur warum? Wir waren uns doch bisher überhaupt nicht in die Quere gekommen, ich war immer höflich gewesen, er auch... Na ja, meistens zumindest, wenn auch sehr kurz angebunden. Was also nervte ihn so sehr an mir? Im Moment galt seine Verärgerung offenbar Jisung, denn ihn erkannte ich als seinen Gesprächspartner. Leise schlich ich den kurzen Flur entlang und spähte vorsichtig um die Ecke. Ich hatte mich nicht getäuscht, dort stand Jisung, die Arme vor dem Körper verschränkt und seine ganze Haltung drückte aus, dass er Minhos ätzende Worte nicht für voll nahm.

„-... weiß ich wirklich nicht, warum du dich schon wieder so anstellst."

Minho konnte ich von meiner Position aus nur sehen, wenn er sich bewegte und zum Teil in mein Gesichtsfeld schwenkte. Dafür hörte ich ihn umso besser.

„Und ich verstehe nicht, wie du jedes Mal diese beschissene Gelassenheit zur Schau tragen kannst. Wer soll dir das glauben? Wen versuchst du zu täuschen? Denkst du wirklich, er durchschaut dich nicht?"

„Wer sagt denn, dass ich was zur Schau trage, hm? Vielleicht habe ich einfach nicht so viel Angst wie du, Minho. Daran solltest du dringend arbeiten. Du scheißt dir ja gleich in die Hosen."

„Wirklich?", keifte Minho auf die derbe Ansage zurück. „Soll ich so werden wie du? Scheuklappen auf und durch? Ganz gleich wie dreckig der Sumpf ist?"

Ich sah wie Jisung lässig die Schultern zuckte, aber er antwortete nicht, was Minho wohl noch mehr aufbrachte, denn sein Ton wurde noch eine Spur schärfer.

„Du weißt genau, was nach heute passieren wird. Tu doch nicht so. Wir alle wissen das, so wie wir alle wissen, was das im Umkehrschluss bedeutet. Hältst du dich für so viel besser, als alle anderen, dass du ernsthaft glaubst, du bist unantastbar?"

„Immerhin bin ich noch hier", gab Jisung lässig zurück. „Immer noch...", betonte er ein weiteres Mal und ich konnte im Profil sehen, dass ein abfälliges Lächeln auf seiner Miene entstand.

„Tatsache", knurrte Minho und trat plötzlich einen Schritt auf ihn zu. „Und ich dachte, ich hätte die Manifestation von Selbstverherrlichung schon längst kennengelernt, aber du erstaunst mich jedes Mal aufs Neue." Mittlerweile war Minho ihm so nah, dass er ihn fast berührte, aber Jisung regte sich nicht, wirkte auch nicht unangenehm bedrängt oder etwas in der Art.

„Danke", entgegnete er nur trocken, das vage Grinsen blieb.

„Leck mich", fauchte Minho.

Aber auch der recht deftige Seitenhieb schien Jisung nicht wirklich zu stören.

„Du kannst hier gerne noch ein bisschen weinen und was immer dir noch hilft, aber ich würde dir raten, krieg das in den Griff und untersteh dich und mach die Pferde scheu, verstanden?"

„Drohst du mir etwa?!", schnappte Minho und rückte noch ein Stück weiter auf. Da lachte Jisung plötzlich und schüttelte den Kopf.

„Nein", erklärte er fast amüsiert, wie es klang. „Es ist nur ein gutgemeinter Rat, mein Schöner." Damit tätschelte er ihm auch noch die Wange, wie einem kleinen Kind und hauchte ihm im nächsten Moment einen Kuss auf. „Nur ein gut gemeinter Rat, wirklich..."

Wie perplex starrte ich auf die Szene, womöglich blieb mir sogar der Mund offenstehen, zumal ich mir in diesem Augenblick absolut sicher war, dass Minho ihm dafür eine saftige Ohrfeige verpassen würde. Alles an ihm drückte das aus, seine Haltung, die Art, wie er die Kiefer aufeinanderpresste oder die Hände zu Fäusten ballte. Aber es geschah nicht! Warum nicht?!

Hatte er Angst vor diesem Kerl? Aber warum? Hatte Jisung irgendetwas gegen ihn in der Hand? Konnte ihn das seinen Job kosten? Ich konnte mir vorstellen, dass keiner, der in Hyunjins Crew war, in Ungnade fallen wollte. Was also ging zwischen den beiden vor?

Bis zu diesem Moment bezog ich auch nichts davon auf mich, bis Minho plötzlich sagte: „Hast du ihn dir angesehen? Lässt dich das wirklich alles kalt? Es ist Felix' letzte Chance, das weißt du doch."

Meine?! Was?! Und was hatte ich jetzt bitteschön damit zu tun?!

Womöglich machte ich irgendein Geräusch, atmete erschrocken ein oder etwas dergleichen, denn plötzlich ruckte Minhos Kopf herum und ich duckte mich rasch hinter die halbhohe Wand, in Gedanken fluchend und die Augen festzusammengepresst.

Fuck, fuck – nein! Hatte er mich gesehen? Oh bitte, bitte nicht. Nicht, nicht, nein, bitte nicht!

So hockte ich dort an der Wand, die Hände in meine Beine gekrallt, den Kopf an die Wand gelehnt, während ich tonlos Stoßgebete und Verwünschungen ausstieß. Fast erwartete ich, dass sekündlich Minho um die Ecke kommen und mich an den Haaren in die Höhe zerren würde, um mich zu schütteln wie einen ungehorsamen Hund, aber nichts geschah. Irgendwann öffnete ich blinzelnd die Augen wieder und fuhr mit einem Aufschrei zusammen. Meine Beine rutschten weg und ich plumpste mit dem Hinterteil auf den Boden. Vor mir stand Changbin, zu mir herabgebeugt, ein tiefes Stirnrunzeln im Gesicht.

„Was machst du da?"

Vielleicht starrte ich ihn auch an wie den Leibhaftigen, denn mittendrin kratzte er sich verlegen am Kopf und zeigte ein schiefes Grinsen.

„Bin nur ich, hm? Ist dir schlecht geworden, oder warum hockst du da? Du bist ja ganz blass um die Nase."

„Ich...", krächzte ich nur und schüttelte dann den Kopf. Was sollte ich denn auch sagen?

Changbin schenkte mir ein vages Lächeln, tätschelte meine Schulter und reichte mir die Hand. „Na komm", sagte er gutmütig. „Auf jetzt, der Boss ist da."

Hyunjin!

Eiligst rappelte ich mich auf, Changbin nahm mir die Tasche ab und legte eine Hand in meinen Rücken, um mich zur Tür zu dirigieren. Das hatte einerseits einen sehr fürsorglichen Anstrich, andererseits wirkte es aber auch beinahe so, als wolle er verhindern, dass ich plötzlich abhaute. Warum? Ich schielte ihn vorsichtig von der Seite an. Warum kam mir der Gedanke, dass hier jeder Angst hatte, dass ich plötzlich flüchten könnte? Außer Minho... dem es wohl nur recht gewesen wäre, wenn ich alsbald wieder verschwunden wäre.

Zu weiteren Gedanken hierzu kam ich nicht, denn kaum trat ich an der Seite von Changbin aus dem Gebäude, hatte ich die Aufmerksamkeit aller. Dabei lächelte Jisung so werbewirksam, als gelte es eine neue Zahncreme zu vermarkten, aber der Ausdruck in seinen Augen blieb kühl. Minhos Miene sprach von Gewitterwolken und Sturm, auch wenn er sich wohl redlich bemühte, das so gut es ging zu verstecken.

Und Hyunjin...

Mein Blick wurde ganz automatisch von ihm angezogen, wie er da stand, erneut von Kopf bis Fuß in weiß gehüllt, die hellen Haare, die im ersten Tageslicht aufleuchteten, vor dem Hintergrund des schwarzglänzenden Wagens.

Mein Gott, was hatte dieser Mensch für eine Ausstrahlung, das war doch einfach nicht gerecht. Das hätte doch locker für zwei Kerle gereicht und die wären immer noch jeder für sich ein Eyecatcher gewesen. Ich war mit meinem Gedanken noch nicht am Ende angekommen, da sah ich, wie ein sanftes Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte, als hätte er erneut meine Gedanken erraten. Stand es mir so ausgeprägt ins Gesicht geschrieben? Das war peinlich.

„Felix." Sobald ich nah genug war, machte er einen Schritt auf mich zu, legte mir eine Hand auf die Schulter und begrüßte mich heute – ganz neu – mit Küsschen rechts, Küsschen links. Die Geste überrumpelte mich derart, dass ich einfach nur stocksteif dastand, sogar den Atem anhielt und gar nicht so schnell begreifen konnte, was da mit mir geschah, bis es schon wieder vorbei war. Noch ein Lächeln traf mich.

„Geht es dir gut? Ausgeschlafen?"

Ja. Ja. Und immer noch überfordert, weswegen mein Sprachzentrum nicht mal die einfachste aller Antworten artikuliert hervorbringen konnte. Womöglich weil in meinem Kopf gerade alles durcheinanderging. Denken, reden, fühlen, Eindrücke verarbeiten. Dass er unverschämt gut roch zum Beispiel, nicht nach einem Rasierwasser oder ähnliches, nein, irgendwas... unschuldigeres, etwas, das ich als vertraut wahrnahm, ohne es wirklich benennen zu können. Oder dass er einen wirklich – wirklich! – schönen Mund hatte. Meine Haut prickelte immer noch, dort wo er mich berührt hatte und ich musste an mich halten, nicht hinzufassen. Oder...

Mit einem lautstarken Räuspern zerstörte Minho den Moment. „Wir sollten los, oder nicht?"

... dass ich unbedingt meine Gedanken besser im Zaum halten musste!

„Ja!" Mit einem Lächeln drehte ich mich zu ihm um, auch wenn mir ganz flau wurde, kaum dass ich seinen Blick traf. „Bereit." Mein Enthusiasmus konnte den anderen auch nicht versöhnlich stimmen, wie ich sofort bemerkte, denn er wandte sich nur schweigend ab und riss die Wagentür auf.

„Noch mehr ins Profil... okay... bleib so."

Die leisen Geräusche, die uns umgaben, überlagerten das Surren und Klicken der Kamera, weswegen ich zum Teil tatsächlich ausblenden konnte, dass es sie gab. Der tagtägliche Straßenlärm war hier so weit weg, dass es nur wie ein Rauschen im Hintergrund klang, davor lagerten das leise Plätschern von Wellen, die am Ufer leckten, Wind, der ein wenig dürres Gras aufwirbelte, hin und wieder das helle Kreischen eines Greifvogels irgendwo in der Umgebung.

Die raue Rinde eines Baumstamms drückte sich in die nackte Haut zwischen meinen Schulterblättern und wenn ich die Augen schloss, spürte ich ganz genau die warmen Tupfer der Sonnenstrahlen, dort, wo sie mich berührten.

Alles andere war nämlich verdammt kalt, die Temperaturen so weit abgesackt, dass der Atem sichtbar wurde und eine Gänsehaut meine Arme überzog

Deswegen wurde ich von Zeit zu Zeit in angewärmte Decken gehüllt. So wie jetzt.

„Pause", ordnete Hyunjin an. Wandte sich halb um und forderte mit einer ungeduldigen Geste die Decke, die Minho schon bereithielt. Sorgsam schlang er den weichen Stoff um meine Schultern.

„Tut mir leid, wenn ich dich quäle", raunte er dabei leise. „Aber das Licht um diese Jahreszeit vermittelt eine ganz besondere Stimmung. Die Aufnahmen werden großartig, du wirst sehen."

„Ist okay", antwortete ich schmunzelnd. „Ich halte ein bisschen was aus."

Das brachte mir ein vages Grinsen ein.

„Gut zu wissen", murmelte Hyunjin. „Denn gleich wird es noch ein wenig frostiger. Also noch ein bisschen aufwärmen, hm?" Seine Hände rieben auf der Decke über meine Arme, ganz so, als wolle er mir beim Aufwärmen helfen. Rasch wich ich seinem Blick aus. Das war... nicht unangenehm, nur ungewöhnlich und womöglich auch etwas, das Minho noch mehr in Rage brachte, wenn ich mir seine Miene so vor Augen rief.

War es das? War da irgendwas zwischen Hyunjin und ihm und nun sah er durch mich seine Felle davonschwimmen? Dabei konnte er doch unmöglich wissen, dass ich... Sofort brach ich den Gedanken wieder ab. Nein, das durfte ich gar nicht zulassen, keine persönlichen Verstrickungen mit wem auch immer. Das hier war immer noch ein Job und ganz gleich was alle anderen um mich herum trieben, ich durfte mich da nicht hineinziehen lassen.

Leichter gesagt als getan, lagen doch Hyunjins Hände immer noch auf meinen Armen, ganz ohne dass er mich zum Aufwärmen ein wenig gerieben hätte. Mehr so, als hätte er vergessen, sie wegzunehmen. Unbehaglich bewegte ich mich etwas, aber das veränderte meine Position nicht unbedingt zum Besseren. Zwar sank seine linke Hand jetzt hinab, dafür rutschte die rechte auf meinen Rücken und er gesamt noch etwas näher heran. Beschützend oder besitzergreifend, ganz wie man es sehen wollte.

Wieder bemerkte ich, wie Minho mich finster anstarrte und hätte mich am liebsten von ihm weggedreht. Ging nur leider nicht, so dicht wie Hyunjin neben mir stand und dabei wild gestikulierend Anweisungen gab.

„Okay, wir gehen ans Wasser. Jisung, du kommst mit, die anderen bleiben hier. Minho, kontrollier den Winkel zur Brücke, da oben sind die ersten Gaffer, die kann ich jetzt nicht brauchen. Notfalls mit Sichtschutz. Verstanden?"

„Sicher", erklärte Minho nur und wandte sich ab. Jisung schnappte sich unterdessen alles, worauf Hyunjin zeigte und machte sich nach weiteren gemurmelten Anweisungen auf den Weg hinunter zum Wasser.

Schon war ich mit Hyunjin alleine.

Schmunzelnd glitten seine Hände erneut über die weiche Decke.

„Gut, du wirst gleich ins Wasser gehen und das wird nicht schön, das weiß ich. Trotzdem. Jeans an, für die ersten paar Aufnahmen, dann ist sie sowieso komplett nass und der Effekt ist weg. Unterwäsche... schwarz oder weiß?"

Es war der geschäftsmäßige Ton, der klang, als würde er beim Gemüsehändler über die Ware diskutieren, der mich gerade noch so ruhig hielt.

„Schwarz", antwortete ich also, zog dabei den Bund meiner Jeans sogar ein Stück hinab, um den Beweis anzutreten.

„Ah", machte er jetzt und schnalzte unzufrieden mit der Zunge. Also setzte ich ansatzlos hinterher: „Aber ich kann mich umziehen." Damit wies ich auf meine Tasche.

Seine Miene hellte sich auf. „Bitte..." Seine Hand schob mich bereits in Richtung des Wagens. „Weiß ist so viel besser im Wasser."

Besser, meinte in diesem Fall: Durchsichtiger, wie ich nur wenig später verstand, während Hyunjin nicht müde wurde, alle meine Vorzüge hundertfach abzulichten und beinahe genauso oft wörtlich hervorzuheben. Dazwischen musste Jisung anrücken, die ein oder andere Haarsträhne so richten, wie es Hyunjin gefiel, während ich mich, mehr oder minder nackt, im eisigen Wasser räkeln durfte, bei sichtbar wachsender Begeisterung des Künstlers. Dem waren seine weißen Klamotten nämlich mittlerweile wohl auch völlig egal, oder besser die Tatsache, dass er sie hinterher ganz sicher wegwerfen konnte, weil sie nicht mehr sauber wurden. Kniete er doch keinen Meter von mir entfernt im Uferschlamm und knipste sich in Ekstase. Dazwischen streckte er von Zeit zu Zeit die Hand aus, strich mir eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn, wischte womöglich einen Schlammspritzer von meiner Haut oder korrigierte Nuancen in meiner Kopfhaltung.

Währenddessen war mir so kalt, dass meine Unterlippe immer wieder unkontrolliert bebte und schließlich hatte Hyunjin doch noch ein Einsehen.

„Okay, fertig. Raus mit dir, bevor du mir noch erfrierst. Deine Lippen sind schon ganz blau."

Glaubte ich ihm unbesehen und ich lächelte auch nur schwach, ließ mich von Jisung in ein großes Handtuch hüllen, weil sprechen gar nicht mehr ging, so sehr schlugen nun meine Zähne aufeinander.

„Fertig oder brauchst du noch mehr?" Zwar wickelte mich Jisung gerade mit geübten Griffen zusätzlich in eine Wärmedecke und stellte mich auf eine Gummimatte, damit ich nicht mehr im Dreck stand, aber seine Aufmerksamkeit galt nur einem.

Hyunjin sah sich mit verkniffener Miene um, blinzelte in die Sonne und schüttelte dann den Kopf. „Nein, das Licht ist nicht mehr gut, das war's für heute. Bringen wir unseren kleinen Zitteraal nach Hause und wärmen wir ihn auf."

Ein Lächeln traf mich, aber irgendwas an seinen Worten jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Ich hätte schwören können, mir war noch nie in meinem Leben so kalt. Zwar trug ich mittlerweile trockene und saubere Klamotten, obendrein eine Jacke, eine Mütze auf den feuchten Haaren und war wie ein Opa in eine Decke gewickelt, während ich auf der Rückbank saß. Trotzdem fror ich wie ein Schneider und von Zeit zu Zeit erbebte ich regelrecht unter den Kälteattacken. Minho hatte sogar heißen Tee für mich parat, aber selbst der half nicht wirklich. Wahrscheinlich war es diesem halb erfrorenen Status zu verdanken, dass ich alles andere nur äußerst verlangsamt wahrnahm.

Zum Beispiel, dass wir zurück ins Studio fuhren, womit dann auch geklärt war, was Hyunjin mit „nach Hause", meinte. Überhaupt schien keiner von ihnen auf die Idee zu kommen, dass ich vielleicht tatsächlich nach Hause wollte. Unter meine Dusche, in meine Wohlfühlklamotten, unter einen Berg von Kuscheldecken, mit Wärmflasche, Tee...

Nein, wir kehrten zurück ins Studio und dort verkündete Hyunjin, dass die Arbeit für heute beendet sei. Das war offenbar jedoch nicht gleichbedeutend mit: ‚jeder kann jetzt heimgehen', sondern nur die offizielle Eröffnung einer After-Work-Party zur Mittagszeit. Bevor ich überhaupt begriff, machten Bestellzettel die Runde, Jisung notierte fröhlich summend Essenswünsche, während Changbin noch ein paar Sachen verstaute und dann ebenfalls zu uns stieß. Minho wurde angewiesen, mich in die Lounge zu bringen und auch jetzt kam ich nicht mal zu einem halbherzigen Protest. Minho griff ohne Umschweife meinen Arm und schleppte mich mit sich.

„Was... meint er denn mit Lounge?", fragte ich nervös. „Ich meine, ich... weiß ihr seid alle wie eine Familie, aber..."

„Ach... das macht er bei jedem großen Projekt, sobald alle ein bisschen aufgetaut sind", erklärte Minho. „Teambuilding, hm?" Sagte er und klang dabei so unbeteiligt, dass es mir schwerfiel, seine Erklärung einfach so hinzunehmen.

„Aber...", begann ich, da fiel er mir ins Wort.

„Und wir sind keine Familie." Dann verstummte er abrupt wieder und sah weg.

Verwirrt lief ich neben ihm dahin. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm die Situation gerade nicht wirklich behagte und ich war immer noch davon überzeugt, dass es mit mir zu tun hatte. Allerdings war jetzt auch kein guter Zeitpunkt für eine Aussprache. Wir betraten soeben einen weiteren Raum im Untergeschoss, den ich noch nicht kannte und als Minho das Licht anmachte, sah ich mich überrascht um. Das war also die „Lounge"? Es sah aus wie eine Mischung zwischen Nachtclub und Cocktailbar. Indirekte Beleuchtung, diverse gemütliche Sitzgelegenheiten, Sessel oder auch Sofas, kleine Tische. Minho steuerte über sein Tablet wohl die Musikanlage an, denn kurz darauf drang unaufdringliche Musik aus versteckten Boxen.

„Das ist der Treffpunkt für euer Teambuilding?" Ich musste schmunzeln, aber Minho wirkte immer noch mürrisch.

„Kann man so sagen, ja", murrte er, sah sich zur Tür um, dann wieder mich an. Der Blick, der mich traf, war seltsam, doch noch mehr erschrak ich, als er mit zwei Schritten bei mir war, eine Hand auf meine Schulter legte und mich ganz nah heranzog.

„Hör zu, Felix", begann er flüsternd. „Ich weiß, das ist jetzt schwer zu verstehen und ich habe keine Zeit, dir das zu erklären, aber – du musst nach Hause, okay? Du darfst nicht bleiben." Er haspelte die Worte so schnell heraus, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen und entsprechend lächelte ich jetzt auch ein wenig verloren. Oh, ich hatte recht gehabt, oder? Er nahm es mir übel, dass Hyunjin so offensichtlich einen Narren an mir gefressen hatte, auch wenn das alles absoluter Humbug war. Trotzdem wollte mich Minho aus dem Weg haben.

„Ich glaube das ist ein Missverständnis", begann ich also und wollte gerade erklären, dass ich kein Interesse hatte, mich in irgendeine unmögliche Affäre zu stürzen, aber da packte er mich so fest, dass sich die Finger schmerzhaft in meine Schulter gruben. Finster fixierte er mich.

„Nein, Felix. Du hörst mir nicht zu! Das ist wichtig! Du darfst heute Nacht nicht hierbleiben!"

„Aber ich habe doch gar nicht vor-", versuchte ich ihn zu beruhigen, da fuhr er mir erneut über den Mund.

„Sie werden-" Und brach augenblicklich ab, als hinter uns die Tür aufging.

Hyunjin war der erste, der zu uns stieß, wie selbstverständlich den Platz an meiner Seite einnahm, sodass Minho rasch auswich, sich fast wegduckte. Ich sah entschuldigend zu ihm hin, während Hyunjin den Arm um meine Schultern legte. Sicher würde er das wieder missverstehen, dabei war es doch nur...!

Die Hand rieb meine Schulter.

„Ist dir immer noch kalt?", schnurrte Hyunjin. „Wird bestimmt gleich besser. Komm, setzen wir uns." Und schon landete ich mit ihm zusammen auf einem der Sofas. Der Arm blieb auf meiner Schulter.

Minho hielt Abstand. „Was zu trinken?", fragte er knapp.

„Sicher. Was zum Aufwärmen."

Doch bevor Minho diese Aufgabe nun erfüllen konnte, stand plötzlich Jisung neben ihm.

„Ich mach das", sagte er und dirigierte ihn mit einer Hand und einem freundlichen Lächeln zur Seite. „Möchtest du auch was?"

„Nein danke." Wieder tauchte Minho fast aus seiner unmittelbaren Nähe weg, beäugte aber von dort ganz genau, was Jisung an der Bar mixte. Zumindest bis Jisung innehielt und ihn mit einem weiteren breiten Lächeln sowie gehobenen Augenbrauen fixierte.

„Traust du mir das nicht zu?"

Dieses Mal schwieg Minho, sah weg und sein Blick streifte mich. Nur wenig später polterte Changbin herein, balancierte zwei riesige Papiertüten voll mit Essen und lachte leise, während er sie auf einen der Tische bugsierte. „Jemand muss den Lieferservice noch bezahlen."

Hyunjin nickte Minho zu. „Bist du so gut?"

Und auch jetzt fügte sich Minho, auch wenn es so wirkte, als würde es ihm fürchterliche Schmerzen bereiten, jetzt zu gehen. In der Tür sah er nochmal kurz zurück und sein eindringlicher Blick traf mich. Vielleicht weil immer noch Hyunjins Arm um meine Schulter lag.

Die anderen beiden sorgten unterdessen dafür, dass diese Zusammenkunft innerhalb von Minuten wirkte, als wäre man mitten in einer Casinoparty gelandet. Die Musik wurde aufgedreht, Alkohol machte die Runde und das Essen wurde verteilt.

Jisung kündigte einen besonderen Aperitif an und kredenzte sodann fünf wunderschön verzierte Gläschen, in denen jeweils ein Minzezweig steckte. Zufrieden verteilte er sie und auch wenn Minho noch gar nicht zurück war, stießen wir an.

„Auf ein neues Mitglied in der Familie", sagte Hyunjin, was mich nun doch etwas verlegen machte. Trotzdem griff ich grinsend nach meinem Glas und klirrte es an die anderen.

„Vorsicht", sagte Jisung verschmitzt. „Scharf!"

Auch dazu nickte ich, während ich das Glas an die Lippen setzte und trank. Was auch immer es war schmeckte würzig, tatsächlich etwas scharf, aber auch süß.

Und das war das Letzte, was ich noch mitbekam.

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