Acht


Kapitel 8

Das nächtliche Treffen im Garten ließ mir keine Ruhe mehr. All die Dinge, die Minho gesagt hatte, Minho – den ich so vollkommen verdrängt, über den niemand mehr gesprochen hatte, seit er nicht mehr hier war.

Die Polaroids.

Mir fielen meine eigenen Bilder ein, die, welche Hyunjin selbst geschossen hatte, draußen auf der Mauer. Wie seltsam es sich angefühlt hatte und wie unangenehm der Blick auf manchen dieser Fotos gewesen war. Dann die Bilder, die über meinem Bett gelehnt hatten. Mir wurde kalt. Waren das die Polaroids, von denen Minho gesprochen hatte? Und wo waren sie jetzt? Ich hatte sie seit diesem Tag nicht mehr gesehen. Ich hatte auch die Warnung verinnerlicht, dass ich nicht wirklich über ihn und schon gar nicht über unser seltsames nächtliches Zusammentreffen sprechen durfte, auch wenn ich nicht verstand warum.

So wurde das gemeinsame Frühstück zu einer Tortur, die ich mehr schlecht als recht hinter mich brachte, wohl hauptsächlich, weil Hyunjin heute ungewöhnlich rastlos und auch ungehalten war. Mit scharfen Worten wies er Seungmin an, dafür zu sorgen, dass es mir wieder besser ginge, immerhin wäre er dafür da und wehe er würde sich als nutzlos erweisen.

Ich selbst bekam einen Tropfen Besorgnis ab, einen Kuss auf die Stirn und einen mehr als nachdenklichen Blick, der mich beinahe zu durchbohren schien.

„Es ist doch nichts geschehen, auf dieser Party?", fragte Hyunjin ruhig.

„Natürlich nicht", versuchte ich ihn zu beschwichtigen und zwang mich zu einem Lächeln.

„Du würdest es mir doch sagen, wenn es so wäre?"

Dieses Mal strich sein Daumen über meine Wange und ich ertappte mich dabei, wie ich bereits den Mund öffnete, um ihm von Minho zu erzählen, da schepperte es links von uns gewaltig und ich fuhr erschrocken zusammen.

„Entschuldigt", murmelte Jisung zerknirscht und hob die Pfanne vom Fußboden auf. Er stellte sie zurück auf den Tresen und griff sich stattdessen ein Tuch, um aufzuwischen. Hyunjins Aufmerksamkeit kehrte zu mir zurück und ein sanfter Ausdruck war in seinen Augen erschienen.

„Na gut, wenn du heute nicht so auf der Höhe bist, dann ruh dich ein bisschen aus, okay? Ich habe heute Vormittag ohnehin ein paar unaufschiebbare Termine und wir beide verlegen die Arbeit auf heute Nachmittag. Einverstanden?"

„Okay", flüsterte ich, nickte leicht und neigte mich dabei ein wenig zu ihm. Ein vages Lächeln zupfte um seine Mundwinkel, aber er kam mir nicht entgegen und erst als meine Lippen seinen Mund streiften, küsste er mich behutsam. In unserem Rücken klapperte Jisung noch etwas lauter mit Pfannen und Geschirr. Leise seufzend hob Hyunjin den Kopf, ohne sich umzudrehen.

„Ich habe dich verstanden", knurrte er dumpf, hauchte dann noch einen kurzen Kuss auf meine Lippen und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Jetzt wo er nicht mehr bei mir war, fühlte ich mich erneut etwas befangen und warf einen raschen Blick auf den Rest der Jungs, aber einzig Jisung erwidert diesen.

„Ich schlage vor du badest", sagte er in fast dienstlichem Tonfall. „Das ganze Programm", dabei nickte er Seungmin zu, der eben den Kopf hob. „Er weiß schon was ich meine."

„Wa-?"

Aber Seungmin wiegelte mit einer Geste ab, kam zu mir und schob mich behutsam durch die Tür.

„Ignoriere ihn einfach, du musst noch gar nichts machen. Wenn es heute Nachmittag erst losgeht, haben wir noch jede Menge Zeit. Wir fangen nach dem Mittagessen an."

„Ja, aber...", fragte ich recht perplex. „Womit fangen wir da an?"

„Vorbereitungen", warf mir Jisung hin, der sich just in diesem Moment an uns vorbeidrängte und mir dabei jovial die Schulter tätschelte. „Nacktaufnahmen."

Nackt!

Auf der Stelle blieb ich stehen und erstarre fast zur Salzsäule. „Nackt-", war alles, was ich herausbrachte und meine Stimme war seltsam hoch. Seungmin seufzte leise und rollte die Augen.

„Der hat manchmal eine Art. Aber ja, Nacktaufnahmen. Du wusstest doch, dass er sie noch machen würde, hm? Du kennst doch seine Arbeit, also... keine Sorge. Wir werden dafür sorgen, dass du in jedem Winkel nur deine Schokoladenseite präsentieren kannst, okay?"

Nein! Nicht okay! Nicht heute! Und überhaupt – warum klang das plötzlich alles so verdorben? Also – ich hatte mich schon vor anderen Fotografen ausgezogen und dabei waren sicher einige recht intime Fotos entstanden, allerdings niemals welche in der Art, wie ich sie von Hyunjin schon gesehen hatte. Und nein, mir war nicht wirklich bewusst gewesen, dass er diese Art von Fotos auch von mir machen wollte – nicht mehr jetzt, wo wir... Himmel! Wie stellte er sich das vor? Ich würde niemals genug Distanz und Professionalität aufrechterhalten können, wenn er mit der Kamera an mir klebte, während ich mich nackt unter ihm räkeln sollte.

Neben mir kicherte Seungmin leise. „Du machst dir zu viele Sorgen, Felix, wirklich. Hyunjin ist wirklich gnadenlos begabt, in dem was er tut, du musst dich nur fallenlassen."

Verwirrt sah ich ihn an, sparte mir aber jeden Kommentar dazu. Hätte ich ihm etwa sagen sollen, dass die Attribute gnadenlos begabt und fallenlassen, in meinem Kopf ein Bild auslösten, das garantiert nicht deckungsgleich mit seiner Vorstellung war?

„Okay, ich..." Mit einem leisen Schnauben schob ich ihn ein Stück von mir weg. „Ich brauche mal ein bisschen Zeit für mich, okay? Also vielleicht könnte ich einfach bis Mittag... allein...?"

„Sicher." Ergeben hob er die Hand und trat sogar einen Schritt zurück. „Tut mir leid, ich wollte nicht..."

Als Seungmin verschwand, huschte ich zurück in mein Zimmer und dachte über meine Möglichkeiten nach. Noch einmal zerrte ich den Bildband unter meinen Klamotten hervor und blätterte ihn bei entsprechender Seite auf.

„Minho", flüsterte ich wieder, froh irgendwie, dass ich es nicht erneut vergessen hatte. Vielleicht half es ja, wenn ich mir all diese Dinge jeden Tag in Erinnerung rief. Wie... angestrengt dachte ich nach, wusste, dass es da noch etwas gab, woran ich mich dringend erinnern sollte, kam aber nicht drauf. Erst als ich das Buch wieder verstaute und mich umwandte, fiel mein Blick auf mein Handy, das unbeachtet auf dem zerwühlten Bett lag. Langsam trat ich an selbiges heran, zog die Decke glatt, nahm das Telefon in die Hand und setzte mich auf die Bettkante.

Chan. In dem Moment, als ich das Handy entsperrte, fiel es mir wieder ein. Chan und mein Versprechen, mit ihm zu reden. Ich atmete tief durch, dann wählte ich seine Nummer und bereits nach dem zweiten Klingeln hatte ich sein atemloses „Felix? Geht's dir gut?", im Ohr.

Ich lächelte schwach. „Hey", murmelte ich. „Natürlich geht es mir gut. Was soll denn sein?"

Das war eine Lüge und das wussten wir beide, entsprechend dauerte es auch eine Weile, bevor Chan wieder sprach und zunächst hörte ich ihn nur leise seufzen. „So wie du gegangen bist, Felix..."

„Ich weiß", fiel ich ihm ins Wort. „Und es tut mir leid."

„Ich weiß wir sind nicht..." Hier brach Chan ab und ein harter, eisiger Klumpen entstand in meinem Bauch. Ich wusste ganz genau was er sagen wollte, worauf er wartete, doch ich konnte ihm nicht geben, was er hören wollte, ohne die ganze Situation noch schlimmer zu machen.

„Chan, hör zu", begann ich so ruhig wie möglich. „Ich weiß, du machst dir Sorgen, musst du aber nicht. Es geht mir gut, okay? Aber... hier ist jemand, der meine Hilfe braucht und deswegen-"

„Wieso? Was ist passiert?!", unterbrach er mich alarmiert.

„Das kann ich dir jetzt nicht erklären, aber... ich muss noch ein bisschen bleiben und helfen."

„Hat es mit ihm zu tun?" Sofort wurde sein Ton eisiger und ich atmete einmal tief ein und wieder aus, um ruhig zu bleiben.

„Chan, bitte... Er ist mein Boss. Und ich-"

„Und du steigst mit ihm ins Bett, schon klar. Ich bin ja nicht dumm."

„Das wollte ich eigentlich nicht sagen."

„Aber es ist die Wahrheit", grollte Chan und ich rollte mit den Augen. Das konnte er ja nicht sehen.

„Und ich bin eine Verpflichtung eingegangen", machte ich einfach weiter, ungeachtet der Tatsache, dass er jetzt abfällig schnaubte. „Also tritt in keinen Konkurrenzkampf mit ihm, das hast du nicht nötig."

„Was soll denn das heißen?", schnappte Chan sofort. „Glaubst du, so wirst du mich am einfachsten los? Hör mal, Felix, ich bin ja nicht dumm. Die Sache mit den Anrufen, der komische Typ, der letztes Mal durch unsere Wohnung gerannt ist. Irgendwas stimmt hier ganz gewaltig nicht, aber du willst mir nicht sagen, was los ist. Vielleicht kannst du es auch nicht, aber ich will, dass du weißt, dass ich hier bin. Wenn du Hilfe brauchst, wenn ich irgendwas-"

„Danke", unterbrach ich ihn schlicht und meinte es genau so. Ich war dankbar, dass es ihn gab. Dass er nach wie vor dort draußen war und alles für mich tun würde. Womöglich würde der Moment kommen, wo ich auf seine Hilfe angewiesen war, aber gerade hoffte ich, dass das nicht nötig sein würde. Wie hätte ich ihm von diesem seltsamen Treffen im Garten erzählen sollen, ohne sämtliche Alarmglocken bei ihm gleichzeitig zu aktivieren? Nein, ich musste die Sache klären und ich konnte das nur, wenn ich wusste, dass zumindest Chan für den Moment nicht in die Schusslinie geriet.

„Bitte mach dir keine Sorgen, okay? Chan? Es geht mir gut, wirklich. Ich melde mich wieder."

„Okay, aber Felix, du-"

Bevor er noch etwas sagen konnte, unterbrach ich die Verbindung und legte das Handy weg. Gerade schlug mein Herz wie wild und ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu beruhigen. Ich atmete ein paar Mal tief durch, strich mir durch die Haare, dann stand ich auf und machte mich auf den Weg nach unten. Wenn Hyunjin unterwegs war, war das meine Chance, nach den Fotos zu suchen.

Es war seltsam, auf diese Weise durch das Haus zu schleichen und anders konnte man meine Suche nicht betiteln. Mehr als je zuvor spürte ich Hyunjins Abwesenheit, die sich wie eine unangenehme Leere in mir ausbreitete und ich fragte mich unwillkürlich, ob es immer so war, wenn er nicht da war und ich es bisher nur nicht bemerkt hatte. So unerträglich still wie sich alles in mir anfühlte, so klar waren jedoch auch meine Gedanken und die Gegensätzlichkeit überraschte mich. Mein Kopf, mein Verstand schien völlig zwiegespalten. Auf der einen Seite das drängende Sehnen nach einer Verbindung, die gerade nicht existierte und auf der anderen Seite war da diese fast schon pulsierende Nervosität, während ich lautlos durch Flure huschte, behutsam Türen öffnete und in leere, dunkle Räume spähte. Kam es mir nur so vor, oder fühlte sich wirklich jedes Zimmer in diesem Haus irgendwie kalt und leer an, wenn gerade niemand darin war? Es war ein eigenartiges Gefühl, als würde man lediglich durch eine verblassende Erinnerung wandeln.

Meine Finger glitten über kühlen Stoff von Sofalehnen, über blank poliertes Holz, berührten Glas und Metall, aber nichts davon schien auch nur einen Hauch von Hyunjins sonst so enormer Aura in sich gespeichert zu haben. Alles war... tot, zurückgelassen.

Mit einem leisen Murren schüttelte ich den Gedanken ab, dass er mich auch auf gewisse Weise zurückgelassen hatte und lief zur nächsten Tür – sein Büro. Mit klopfendem Herzen drückte ich auf die Klinke und war tatsächlich überrascht, als die Tür aufsprang. Irgendwie hatte ich wohl erwartet, dass ich auf mehr Hindernisse stoßen würde.

Aber nein. Ich trat ein, schloss die Tür in meinem Rücken und sah mich um. Der Raum war zweckmäßig und modern eingerichtet, die Wände dekoriert mit einigen Fotos, die nur von ihm selbst stammen konnten, zwei davon kannte ich aus Zeitschriften. Der Schreibtisch stand links, schräg zur Fensterfront, die rechte Wand bedeckte eine deckenhohe Schrankwand mit offenen Fächern, Schubladen und Türen. Dort fanden sich auf den ersten Blick diverse Auszeichnungen, gerahmte Fotografien, Bücher und Bildbände und ich glaubte nicht, dass ich das, was ich suchte, offen in einem Schrank finden würde, also wandte ich mich dem Schreibtisch zu.

Vorsichtig setzte ich mich in den weichen Ledersessel, überflog mit einem Blick die Ordnung auf dem Schreibtisch und mahnte mich zur Vorsicht. So penibel wie hier alles angeordnet war, würde ihm sicher jede Veränderung auffallen, ich durfte also keinen Fehler machen.

Behutsam zog ich die ersten Schubladen auf, durchblätterte eine Vielzahl von Papieren, Ordner, Mappen, ohne zu wissen, wonach ich eigentlich genau suchen sollte. Trotzdem arbeitete ich mich akribisch durch alle Schubladen und lehnte mich am Ende seufzend zurück.

Gar nichts, da war gar nichts, was nicht in einem ganz normalen Büro zu finden war. Missmutig starrte ich erneut auf die Schrankwand und überflog die offenen Regale. Und warum hatte mir dieser...

Es dauerte fast eine halbe Minute, bis mir sein Name wieder einfiel und als ich ihn endlich zu fassen bekam, raste mein Herz in heilloser Panik.

Minho! Minho – Herrgott! War ich bereits wieder dabei, zu vergessen?!

„Minho", flüsterte ich also und presste die Augen fest zusammen. „Minho, sein Assistent, Chan – Chan! Mein Freund."

Rasch sprang ich auf, bewegte mich nun doch auf die überdimensionale Schrankwand zu und öffnete wahllos das erste Türchen.

„Minho", flüsterte ich dabei vor mich hin. „Und Chan."

Wieder stieß ich hauptsächlich auf Papierkram, auf Ordner mit Aufträgen und Rechnungen, auf Kataloge und Broschüren und dergleichen, während ich mich durch die Fächer voranarbeitete. Hinter einer der großen Türen stieß ich immerhin auf ein Register und blätterte rasch durch das Alphabet. Ich fand meine Akte, meine Bewerbung, meine eingereichten Fotos und die ersten Testaufnahmen von mir sowie den Vertrag. Da ich mich aber nicht mehr erinnern konnte, wie Minhos vollständiger Name lautete und dafür zurück in mein Zimmer gemusst hätte, um in den Bildband zu sehen, stand ich erst mal ratlos vor der umfangreichen Kartei. Womöglich war es also pures Glück, dass ich zuerst nach meiner eigenen Akte gesucht hatte, denn jetzt blätterte ich einfach beim Buchstaben L ein Stück weiter. Hätte ich vorab darüber nachgedacht, hätte ich wohl eher mit K begonnen.

So aber hielt ich nur wenig später Minhos Akte in den Händen und mir wurde heiß und kalt.

„Lee Minho", las ich murmelnd, überflog alle Angaben, blätterte in den beigefügten Fotos und schauderte unwillkürlich bei dem Gedanken, dass wir denselben Namen trugen. Hatte das was zu bedeuten oder war das nur ein schlichter Zufall?

So oder so, auch seine Akte enthielt nicht jene Polaroids, die ich eigentlich suchte, also steckte ich sie zurück.

Ich vergeudete auch keine Zeit mehr, mit dieser Ablage, weil sie offenbar keine brauchbaren Informationen enthielt, sondern schloss die Tür wieder und ging stattdessen in die Knie, um die bodennahen Schrankfächer zu untersuchen. Zumindest stieß ich hier zum ersten Mal auf lose Fotografien, zum Teil in Farbe, zum Teil schwarz-weiß, welche unsortiert in mehreren Kartons lagerten. Ich blätterte aus zwei dieser Kartons jeweils einen ganzen Stapel durch, konnte aber nichts damit anfangen. Frustriert bugsierte ich die Kisten zurück, kroch auf Knien weiter und öffnete die nächste Klappe, als hinter mir die Tür zum Büro aufging. Keine Chance, mich zu verstecken, es blieb mir nicht mal die Zeit aufzuspringen und so kauerte ich immer noch auf dem Boden als Seungmin das Tablet sinken ließ und mich mit offenem Mund anstarrte.

In diesem Augenblick war es wirklich schwer zu sagen, wer von uns beiden überraschter, schockierter und entsetzter war. Aber dem Schockmoment zum Trotz fing sich Seungmin unfassbar schnell. Seine linke Hand krampfte sich um die drei Mappen, ähnlich meiner eigenen Bewerbungsmappe, die er trug, sein Blick huschte in rascher Reihenfolge von mir zum Schrank, über geöffneten Türen und wieder zu mir.

„Was machst du hier?"

„Ich..." Wackelig stand ich auf und suchte dabei händeringend nach einer Erklärung, die einigermaßen glaubwürdig sein würde. Leider fiel mir natürlich keine ein.

„... habe etwas gesucht", schloss ich also lahm, woraufhin sich Seungmins Blick nahezu brennend auf meine Augen richtete.

„Das sehe ich", entgegnete er kühl. „Aber das beantwortet meine Frage nicht. Was – machst du hier?"

„Ich..."

„Hast du seine Erlaubnis hier zu sein?"

Verdammt! „Ahm... ich..." Mein Stammeln verschlimmerte sicher alles noch zusätzlich, während ich die Schultern zuckte und vage lächelte. „Also... Hyunjin... er hat, er... hat mir nicht ausdrücklich verboten, dass..."

Aber auch das ließ Seungmin nicht gelten und seine Worte unterbrachen meine hilflose Rechtfertigung wie ein Peitschenhieb.

„Kein ausdrückliches Verbot ist noch lange keine Erlaubnis. Du hast hier nichts verloren."

„Ich habe wirklich nicht-"

Mit einem missbilligenden Schnalzen der Zunge wandte er sich von mir ab, sodass ich wieder verstummte und stattdessen verfolgte, wie er die Mappen auf dem ordentlichen Schreibtisch drapierte.

Dass er nicht auf dem Absatz kehrgemacht hatte um Alarm zu schlagen, ließ ein wenig Hoffnung in mir aufkeimen, dass diese Misere noch zu retten war.

„Seungmin, hör zu. Ich weiß, wie das hier aussieht, aber-"

„Es ist nicht, wie es scheint?", unterbrach er mich sarkastisch und lächelte abfällig. „Glaub mir, Felix, es ist immer ganz genau so, wie es scheint und ich weiß, du denkst ich bin jung und unbedarft und – es ist egal, was du denkst. Du liegst falsch. Ich weiß, was du hier treibst, ich weiß nur nicht warum."

„Weil..." Ich starrte ihn an und versuchte zu entscheiden, welcher Fehler der schlimmere wäre. Die Wahrheit zu sagen oder ihm eine Lüge aufzutischen. „... mich jemand darum gebeten hat."

Eine Stille breitete sich zwischen uns aus, die sich wie ein tiefer Abgrund immer weiter vor uns auftat und weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, verließ ich mich nun auf den einzigen Strohhalm, nachdem ich greifen konnte. Seungmin war mein Assistent, er war abgestellt um mir zu helfen. Konnte ich wirklich darauf spekulieren?

„Du weißt, wen ich meine", flüsterte ich also, weil ich mich nur zu gut daran erinnerte, dass Minho mich eindringlich gewarnt hatte, seinen Namen nicht zu erwähnen. „Jemand, der nicht mehr hier ist... Der..."

Noch während ich sprach, wandte sich Seungmin einfach von mir ab und mir wurde eiskalt vor Angst. Wenn er jetzt ging, wenn er Hyunjin erzählte, was ich getan hatte, dann...! Nein, das Schlimmste war ja, dass ich gar nicht wusste, was dann sein würde und trotzdem flößte mir diese abstruse Situation gerade solche Angst ein, dass selbst meine Knie zitterten. Er durfte nicht gehen, er durfte mich nicht verraten!

„Seungmin!"

Die Tür wurde ins Schloss gedrückt und der junge Mann drehte sich zu mir um. Da war etwas in seinem Blick, ein Funkeln, ein undefinierbares Leuchten, das mir gleich noch mehr Angst machte, aber es dauerte einen Moment, bis ich begriff, warum das so war.

Es schürte meine Angst, weil das, was ich sah, ebenfalls Furcht war.

Für den Bruchteil einer Sekunde lag das alles in seinem Blick, die Angst vor dem, was hier gerade wie ein unüberschaubares Geheimnis zwischen uns lag. Dann war es verschwunden und Seungmin presste das Tablet an seine Brust.

„Tu das nicht, Felix", sagte er ruhig.

Was? Aber wie konnte er...?! Auf wackeligen Beinen tappte ich auf ihn zu.

„Aber er war da, er hat mich um Hilfe gebeten, er hatte Angst, bitte – du... weißt, wovon ich spreche, von wem ich spreche, was hier passiert, oder? Du weißt es."

Zum ersten Mal überhaupt wich Seungmin meinem Blick aus, starrte mit leerem Blick über meine Schulter, bevor er kaum merklich den Kopf neigte. War das ein Zugeständnis? Womöglich.

„Dann hilf mir."

„Das kann ich nicht."

„Hilf ihm!"

Sein Blick kehrte auf meine Augen zurück. „Das kann ich nicht. Und du auch nicht, also lass es."

„Aber-!", begehrte ich auf, wurde allerdings erneut unterbrochen.

„Nein, Felix. Keine weiteren Fragen mehr. Wir beide verlassen jetzt diesen Raum und vergessen-"

„Minho", stieß ich atemlos hervor und setzte damit alles auf eine Karte. „Sein Name ist Minho, du kannst nicht so tun, als wäre er vergessen."

„War...", entgegnete Seungmin ruhig und kam nun einen Schritt auf mich zu. „Sein Name war Minho und du begehst gerade einen gewaltigen Fehler, Felix, lass dir das gesagt sein. Ich warne dich und ich tue das nur dieses eine Mal. Vergiss das alles, vergiss seinen Namen, vergiss, dass wir beide miteinander gesprochen haben. Wir verlassen jetzt dieses Zimmer und werden nie wieder ein Wort darüber verlieren, hast du mich verstanden?"

„Du willst ihm nicht helfen?", hauchte ich. Da drehte sich Seungmin bereits zur Tür um.

„Niemand kann ihm helfen", gab er zurück und öffnete resolut. Mit einem knappen Nicken beorderte er mich aus dem Raum. „Komm jetzt, wir müssen dich herrichten."

Schnaubend wollte ich mich an ihm vorbeischieben, brummelte dabei: „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich jetzt einfach so dieses Shooting abreißen werde", und wurde sogleich am Arm gepackt. So fest, dass es wehtat.

„Au!", knurrte ich, sah ihn dabei entsetzt an, aber Seungmin hatte kein Lächeln, keine nette Geste für mich.

„Ich habe dich gewarnt, Felix – du spielst mit dem Feuer." Womöglich wollte er ja noch mehr sagen, doch plötzlich kam ein fröhlich pfeifender Jisung um die Ecke und blieb breit grinsend vor uns stehen.

„Ihr steht ja immer noch herum. Hopp, hopp, ab ins Wasser mit dem Küken, Kunst braucht Zeit und du willst doch keinen 6 Dollar-Haarschnitt von mir, hm?" Er packte mich am Kinn, grinste, aber da war etwas Lauerndes in seinen Augen. Oder ich sah bereits Gespenster, wo keine waren.

„Wir beeilen uns", erklärte Seungmin an meiner Stelle und schleifte mich nun resolut mit sich.

„Eine Stunde!", rief uns Jisung hinterher. „In einer Stunde sitzt der Kleine bei mir oder ich ziehe ihn höchstpersönlich aus der Wanne, ist das klar?"

„Glasklar", erwiderte Seungmin und bugsierte mich dabei vor sich her, wie ein unliebsames Spielzeug.

Kaum waren wir allein im Badezimmer angekommen, verriegelte er die Tür, stieß dabei die Luft aus und drehte sich dann zu mir um.

„Okay, hör zu, ich sage dir, wie das jetzt hier läuft und besser du hörst ganz genau zu und hältst dich daran. Wenn nicht, kann ich für gar nichts mehr garantieren, hast du mich verstanden?"

Nein, hatte ich nicht, wie auch, wenn ich mehr und mehr den Eindruck gewann, dass ich in etwas hineingeraten war, das ich gar nicht überblicken konnte. „Aber...!" begann ich, wurde jedoch sofort wieder unterbrochen.

„Kein -aber- Felix. Du tust genau was man dir sagt, wenn man es dir sagt. Du stehst am Rand einer Katastrophe, also hör mir einfach zu."

Er drehte das Wasser auf, sodass es sich laut sprudelnd in die Wanne ergoss, drehte sich um und trat ganz nah an mich heran. Ohne mir in die Augen zu sehen, ohne auf meine abwehrende Haltung oder meinen Protest zu achten, begann er energisch an meinen Kleidern zu zerren und gleichzeitig redete er so schnell und leise, dass es beinahe unverständlich war.

„Du hast nur diese eine Chance, Felix, also zerstöre sie dir nicht. Wenn du ihn verärgerst, wenn er davon erfährt, dass du herumschnüffelst, wenn er dich... verstößt – ist dein Name der nächste, der vergessen wird." Mein Shirt verabschiedete sich, meine Jeans und ich war so perplex von seinen Worten, dass ich meine Gegenwehr aufgegeben hatte und stattdessen gehorsam die Füße hob, einen nach dem anderen, um mich weiter entkleiden zu lassen.

„Er hat dich ausgewählt", fuhr Seungmin unterdessen flüsternd fort, „und du hast ihn nicht abgelehnt. Du musst dafür sorgen, dass er sich nicht mit dir langweilt. Sei seine Muse – wenn er deiner überdrüssig wird, gibt es kein Zurück."

„Zurück wovon!?", warf ich gezischt ein. „Seungmin!"

Jetzt sah er mich an. „Minho war seine Muse vor dir", sagte er nur und sah wieder weg.

Was?! Und warum tat dann jetzt jeder so, als hätte es ihn nie gegeben?

„Und warum sprecht ihr dann nicht mehr über ihn?"

Mit einem Ruck zog Seungmin meine Unterwäsche hinab und völlig gleich ob es mir peinlich war oder nicht, er schien mich kaum wahrzunehmen. „Ich war sie vor Minho", murmelte er stattdessen. „Changbin vor mir und Jisung...", er seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht so genau wie lange er schon hier ist, also sei vorsichtig mit Jisung. Dazu noch ein Dutzend Namen dazwischen, an die sich keiner von uns mehr erinnert. Man kann versuchen sie zu bewahren, dennoch verblassen sie mit der Zeit."

„Herrgott nochmal!" Ich drehte mich um und packte den jungen Kerl an den Schultern. „Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst! Was soll das bedeuten?"

Seungmin nickte stumm auf die Wanne und ich krabbelte mit einem Augenrollen hinein. Gleich darauf schnappte ich nach Luft. „Zu heiß!"

War Seungmin wohl egal, denn er drückte mich in das Wasser, so dass ich gleich wieder nach Luft schnappte, griff sich dann einen Waschhandschuh, Peelingsalz und meinen Arm.

In den nächsten Minuten wurde ich so gründlich abgeschrubbt, dass ich hinterher leuchtete wie ein rosa Schweinchen und ich hatte wirklich jeden letzten Funken von Schamhaftigkeit verloren, gleichzeitig hatte mich Seungmins geflüstertes Stakkato mental beinahe in einen Ausnahmezustand versetzt.

Von Hexenwerk hatte er gesprochen und von einem schier unsterblichen Leben, gefüttert mit der Lebenszeit eines anderen. Von Bildern in denen die eigene Seele eingeschlossen wäre, weswegen es unmöglich sei einfach wegzugehen. Verkümmern würde man, wenn man es versuchte und am Ende doch wieder zurückkehren, wissend, dass die eigene Zeit so gut wie abgelaufen war. Jeder würde das wissen und jeder hätte andere Freunde kommen und gehen sehen.

„Das ist unsere Welt und es gibt keinen Weg hinaus", schloss Seungmin und legte endlich den Handschuh weg, bevor er mir in die Augen sah. Traurig wirkte er nun und unendlich müde. „Also lass ihn niemals spüren, dass du zweifelst."

Fassungslos starrte ich ihn an. „Wie lange geht das schon so?"

„Zu lange", antwortete Seungmin prompt. „Es ist ein endloser Zeitraum. Wenn du leben willst, sei gut zu ihm, er wird es auch zu dir sein."

Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich gehört hatte und öffnete gerade den Mund, um meine unzähligen Fragen zu stellen, da wiegelte er mit einer knappen Geste ab.

„Das ist alles, was ich dir sagen kann, Felix. Und ich werde nie wieder darüber sprechen. Jedes Wort, das gefallen ist, existiert nur in diesem Raum und es wird mit dem Wasser verschwinden – hast du das verstanden?" Er sah auf die Uhr. „So, du musst gleich zu Jisung und bist noch nicht fertig. Rasieren", er sah mich an, „alles – kriegst du das allein hin oder brauchst du Hilfe?"

Wie gesagt, meine Schamgrenze war schon Minuten zuvor zerbröselt, deswegen nickte ich jetzt auch nur und nuschelte „krieg ich hin."

Seungmin nickte, für ihn war das wohl alles nur Routine. „Nimm dir noch ein bisschen Zeit, um über alles nachzudenken, ich lass dich jetzt allein. Aber Felix – ich kann dir nicht mehr helfen, wenn du den falschen Entschluss triffst."

Und was war falsch oder richtig? Wie entschied man sowas?!

Ich kletterte stumm aus der Wanne, ließ mir einen Bademantel überstreifen und drehte mich dann zu Seungmin um. Der zog mit einem bitteren Lächeln die Kapuze über meine nassen Haare und strich dabei ein paar feuchte Strähnen aus meinem Gesicht.

„Ich weiß, du glaubst gerade, dass du das nicht kannst, aber du wirst die richtige Entscheidung treffen, hm? Ich bin mir sicher."

Welche Wahl hatte ich denn? Zu sterben oder mich dem zu beugen? Glaubte er allen Ernstes, das wäre eine freie Entscheidung?

Gerade drehte er sich um und wollte gehen, da packte ich ihn nochmal rasch am Arm.

„Warte! Sag mir... wie alt ist er?"

Seungmin schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht."

„Dann sag mir wie alt du bist!"

Jetzt lächelte er bitter. „Ich war 22 Jahre alt, als ich zu ihm kam."

Das war keine Antwort auf meine Frage und das sagte ich ihm auch. Wieder erntete ich dafür ein trauriges Lächeln.

„Du würdest mir nicht glauben, Felix. Aber du hast es längst begriffen, hm?"

Ohne ein weiteres Wort befreite er sich aus meinem Griff und war durch die Tür, bevor ich ihn ein weiteres Mal aufhalten konnte.

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