8. Er hat mich nicht schlafen lassen ✔

Let joy be your heart's name. ~ Alexandra Vasiliu

Lied ~ "Good old days" by Macklemore ft. Ke$ha

Mister Huckle philosophiert seit sechzig Minuten über die Geschichte Afghanistans, angefangen hat er um 600 v. Chr. und momentan haben wir das vierzehnte Jahrhundert erreicht.

Allmählich habe ich das Gefühl es muss keine Luft holen und hat sicher irgendwo einen Schlauch zu seinen Lungen gelegt, um seine Vorträge besonders langweilig zu gestalten... eine perverse Vorstellung, weshalb ich leicht das Gesicht verziehe. Etwas besseres fällt mir jedoch nicht ein, um mich wach zu halten. Mir sind mittlerweile schon acht Mal die Augen zu gefallen, davon wurden vier mit seinem strengen Blick bestraft.

Früher, das heißt vor zwei Jahren, nahm ich an, Geografie-Lehrer wären die besten. Spannende Erzählungen von ihren eigenen Reisen und Erlebnissen, interessante Themen und all das.

Doch Mister Huckle verwandelte seit Anbeginn seiner Ära dieses Fach zu einem regelrechten Alptraum. Man fühlt sich eher wie in Geschichte, als in Geografie... und er ist noch nicht einmal Geschichtslehrer.

Noch dreißig Minuten... dann ist es vorbei!

Allerdings zweifle ich ernsthaft daran, ob es danach so viel besser wird.

Es sind nicht die rosigsten Aussichten meine Pause mit und vor allem neben Clive verbringen zu müssen. Andererseits... Sebastian sitzt ebenfalls am Tisch und anscheinend nimmt er mich nun wahr, irgendwie...

„Justin Backman!"

Automatisch zucke ich zusammen, nicht nur ich. Mit einem Schlag ist die gesamte Klasse wach. Naja, fast die ganze, mit der Ausnahme von jenem Justin Backman. Sein Name ist fast zu ironisch, er spielt Football und steht meistens irgendwo hinten...

Jedenfalls schlummert er offensichtlich seelenruhig auf seinem Tisch und nicht einmal 'Hucks' - so der Spitzname für unseren teuflischen Geografie-Lehrer – Urwald-Gebrüll kann ihn aufwecken.

Wie ein Luchs schleicht er sich an seinen Tisch heran und positioniert sich exakt vor Justins Tisch.

Oh je, der Arme! Er ist kein übler Kerl, eigentlich ziemlich nett. Er hat mir vor zwei Wochen die Tür aufgehalten und letztes Jahr mein Mäppchen aufgehoben als es der Schwerkraft erlegen ist.

Am liebsten würde ich Mister Huckle etwas an den Kopf werfen, damit er von Justin ablässt, doch keine Chance.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall, der mich Phantomschmerzen in der Hand verspüren lässt, donnert Hucks seine flache Hand auf die Tischplatte, dass der gesamte Tisch bebt und Justin völlig verwirrt hochschreckt.

Reflexartig beiße ich mir auf die Unterlippe, um nicht lautstark die Luft einzusaugen.

„Na, gut geschlafen?" Es sah äußerst schmerzhaft aus, aber wenn, dann lässt sich Mister Huckle nichts davon anmerken. Im Gegenteil seine Gesichtsfarbe hat einen zart-roten Ton und die Kiefermuskulatur ist angespannt, die Fältchen etwas gestrafft. Sein spöttischer Unterton jagt mir einen leisen Schauer über den Rücken.

Das Problem ist hier, dass Justin nicht auf den Mund gefallen ist und dumm ist er schon gar nicht, aber ein bisschen impulsiv – so kennt man ihn vom Football.

„Ja, doch, sehr gut. Bis eben.", schießt er zurück und funkelt Hucks hellwach an. Der Lehrer ballt seine Hände zu Fäusten und ich kann seinen Kiefer malmen sehen.

Er steht schließlich direkt neben mir...

„Mister Backman, raus. Melden Sie sich im Direktorat."

„Warum?"

„WARUM?" Fassungslos schiebt Mister Huckle schiebt seine schwarze Brille auf seiner Knollnase nach oben... sie erinnert mich jedes Mal an eine überreife Tomate, die ungebremst auf den Boden kracht.

„Ja, warum.", entgegnet Justin, die Ruhe in Person und lächelt ihn sogar noch leicht an.

„Sie besitzen tatsächlich die Frechheit so mit mir zu reden, nachdem Sie in meinem Unterricht schlafen?"

„Ich habe aufgepasst.", schießt er immer noch vollkommen gelassen zurück und ich spüre wie er Huckle damit zur Weißglut treibt. Nicht mehr viel, dann flippt er völlig aus.

Aufgepasst... oh Justin...

Mister Huckles Blick schweift einen Moment lang von dem Jungen, dafür begegne ich Justins Blick. Es ist ein Flehen, ein Hilferuf. Ich bin geschockt wie makellos Justin schauspielern kann, ich hätte es ihm abgekauft...

Unser Lehrer verwandelt sich allmählich in einen Geier, der seine Beute langsam umkreist, ganz langsam schleicht er um Justin herum, weg von mir, drei Schritte und er steht zwischen unseren Tischen.

Ich schlucke. Was zur Hölle sollte ICH tun, um Justin zu helfen? Justin ist ein geselliger Mensch, er kennt womöglich sogar jeden hier an der Schule mit Namen, JEDEN. Warum ausgerechnet ich?

Ist das so eine Art All-inclusive, wenn man eine Beziehung mit einem Footballer eingeht?

Oh Gott!

„Okay. Ich gebe Ihnen eine Chance es zu beweisen. Es soll Menschen geben die tatsächlich schlafen und dennoch die Umgebung klar und deutlich hören..." Hohn, Spott und Ironie. Er ist sich zu einhundert Prozent sicher, dass Justin nicht die geringste Ahnung hat und jeder in diesem Klassenzimmer weiß das auch.

Plötzlich erinnere ich mich an den Unfall in der ersten Klasse. Clive ist der Bleistift heruntergefallen, als Mrs. Johnston die Blätter ausgeteilt hat und zack! Schon hörte man seinen Schrei... Mrs. Johnston hatte an jenem Tag zum Glück auf ihre Pumps verzichtet und stakste auf schwarzen Sneaker herum, Clives Hand war dafür unheimlich dankbar...

Mr. Huckle fokussierte etwas draußen, womöglich verlagerten sich dorthin seine Gedanken, in der Hoffnung etwas zu finden, dass Justin unmöglich wissen könnte, selbst wenn er aufgepasst hätte – nur falls es dem doch so wäre...

Ich schenke Justin einen Blick der Marke: Dafür schuldest du mir was.

Ich habe nicht vor mir die Hand von Mister Huckles ehemaligen Athletenkörper zerquetschen zu lassen, weswegen ich zweimal kräftig mit meinen Nägeln über den Handrücken kratze, gerade so, dass es keine Wunden hinterlässt, aber schön rot ist.

Dann beuge ich mich zeitgleich mit Mister Huckles Schritt hinunter und wimmere kläglich auf. „Aua." Innerlich bete ich, dass es überzeugend genug war für Mister Huckle und beiße mir kräftig auf die Unterlippe, verziehe das Gesicht voller Schmerz und kneife die Augen zusammen.

„Oh Gott, haben Sie sich verletzt? Das tut mir schrecklich leid."

Allgemeines Gemurmel, ich würde gerne lachen, aber ich verkneife es mir und linse durch meine Haarsträhnen.

Es ist das erste Mal, dass ich mich aktiv in so eine Situation einbringe. Normalerweise würde ich beschämt aus dem Fenster starren und hoffen, dass es vorbei geht, aber irgendwas hat mich dazu angestiftet diesmal nicht einfach wegzusehen.

Mein Lehrer beugt sich geschockten Blickes zu mir und wartet auf meine Antwort. „Ich weiß nicht, autsch, es tut schrecklich weh.", jammere ich leise. So amüsant es ist, irgendwie ist es mir auch peinlich vor der Klasse, ich kann nichts dagegen unternehmen.

Er fasst sich schuldbewusst an die Stirn, schiebt die Brille hoch und murmelt irgendeinen unverständlichen Fluch. „Verzeihen Sie mir, ich habe Ihre Hand wirklich nicht gesehen... gehen Sie am besten ins Krankenzimmer und lassen das ansehen oder sich etwas Eis geben."

Laienhaft mustert er meine Hand, auf die ich ihm einen seichten Blick gewähre, er schluckt. Meine Nägel sind wohl doch für etwas zu gebrauchen.

„Okay.", murmle ich und Justins Augen treffen mich. Die Gefahr ist noch nicht vorbei, lese ich und seufze lautlos. Hilflos blinzle ich Mister Huckle an und hoffe inständig, dass er die flehende Frage in meinen Gedanken lesen kann.

„Brauchen Sie jemand der Sie begleitet?"

Danke!

Zögerlich nicke ich, es soll schließlich nicht komplett übertrieben wirken... eine Hand, als würde deswegen jemand Begleitung benötigen.

Prompt springt Justin auf, sein Einsatz und noch ehe Mister Huckle Protest einlegen kann lächle ich wie ein naives, aber dankbares Mädchen. „Oh, das wäre wirklich lieb, danke dir Justin."

Ein warnender Blick und ich halte die Klappe.

Wir entfernen uns ein paar Meter, dann bricht Justin in hemmungsloses Gelächter aus und ich grinse ihn Augen rollend an. „Nie wieder!"

„Ich wusste gar nicht, dass du so drauf bist.", gluckst er belustigt und ich schüttle abwehrend den Kopf. „Du hast es gehört, oder?" „Ja, jeder hat es gehört." Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen.

„Ist Clive so schlimm?" Justin lacht, aber er weiß gar nicht wie recht er damit hat, also lächle ich scheinbar amüsiert darüber. „Noch viel schlimmer.", scherze ich zurück und meine es im Grunde todernst. „Ich muss dich aber jetzt nicht immer rausboxen, oder? Mr. Huckle hat dich jetzt auf dem Kicker."

Justin grinst mich breit an und greift nach meiner Hand. „Nicht immer, aber, dass du sowas für mich tust, einen Fremden, der nur mit deinem Herzblatt zusammen Football spielt und irgendwie befreundet ist... Boah, dass rührt mich echt." Widerwillig muss ich schmunzeln und wir bleiben vor dem Treppenabgang stehen.

„Wir gehen aber jetzt nicht ernsthaft ins Krankenzimmer, Maggie sieht das sofort!"

Maggie McAnnroy, unsere Krankenschwester Schrägstrich Sekretärin Schrägstrich Traumfrau der Schule. Sie ist zwar schon vierzig, aber dennoch eine herzensgute Frau und ausnahmslos jeder liebt sie, egal ob Lehrer oder Schüler.

„Aww, du bist wirklich süß.", säuselt er übertrieben. „Natürlich gehen wir zu Maggie, sie kennt mich, sehr gut sogar..." Seinem verschmitzten Grinsen nach ist er Stammgast. „Sie wird's merken, aber vermutlich wird sie es noch viel mehr verstehen, wenn wir ihr den Grund sagen."

***

Wie es Justin prophezeit hatte, verstand Maggie unsere Situation und amüsierte sich köstlich über Justins ausführliche Geschichte. Als er ihr dann auch noch Clives und meine Beziehung auf die Nase band, wurde ich rot – ein bisschen Wut, ein bisschen Scham.

Letztlich verließen wir das Zimmer zwanzig Minuten später wieder mit einem Eisbeutel für meine 'höllisch-schmerzende' Hand und guter Laune, zumindest einer von uns, denn für mich würden es gleich die nächsten sechzig Minuten Hölle mit Clive.

Immerhin kenne ich nun Justin, irgendwie.

Für lächerliche zehn Minuten, einen mitleidigen Blick zu mir und einem mahnenden für Justin, saßen wir im Klassenzimmer und ich könnte schwören, Justin wäre beinahe wieder eingenickt.

Dieser Idiot!

Fraglich, ob ich die Klingel diesmal als Erlösung bezeichnen würde, aber ich muss wohl oder übel meinen Kram zusammenpacken und aus dem Klassenzimmer...

Ich will nicht, jammere ich innerlich.

Justin wartet gelassen auf mich und grinst, er grinst anscheinend dauerhaft – ist mir nie aufgefallen. „Du bist wirklich langsam.", wispert er, damit Huckle ihn nicht hört, der uns mit Argusaugen bedenkt. „Ach, glaubst du mit einer schmerzenden Hand geht es schneller.", zische ich mit einem zynischen Lächeln und Justin zuckt nur mit den Schultern.

Gemeinsam wollen wir den Saal verlassen, da holt uns seine Stimme noch einmal ein. „Entschuldigung nochmal, das ist mir wirklich unangenehm, ich hoffe Ihrer Hand geht es bald besser." Kein Spott oder Ironie, nur ehrliche Reue.

Automatisch fühle ich mich schlecht und hätte am liebsten an Ort und Stelle gestanden, doch mir sind die Folgen bewusst...

Dementsprechend beiße ich mir auf die Zunge und entscheide mich für einen lächelnden Schulterblick. „Alles okay, das wird schon wieder..."

Er nickt, dann schließt sich die Tür hinter uns und ich atme erleichtert aus. Mir ist schlecht, ich hasse es zu lügen. Ein Grund mehr, warum diese Fake-Beziehung eine komplette Schnapsidee ist, die sowieso nach hinten losgehen wird.

"Rosie?"

Clives Stimme holt mich ein und synchron drehen Justin und ich uns nach hinten. Wo zur Hölle kommt er schon wieder her?

„Clive, hey." Ich bemühe mich möglichst erfreut zu klingen und nicht bodenlos enttäuscht, dass ich diese zwei Minuten Weg zu meinem Spind nicht in Ruhe genießen kann. So, als wäre es schon immer so gewesen, drückt Clive mir einen feinen Kuss auf die Wange und greift fast schon reflexartig nach meiner Hand.

Mein 'Freund' schenkt zuerst Justin, dann meiner eisroten Hand seine Aufmerksamkeit und zum Schluss wieder Justin. „Hab ich was verpasst?"

„Nicht viel, ich glaube wir haben eher was mit euch beiden verpasst."

Diesmal werde ich nichts sagen, dass darf Clive übernehmen. „Ist irgendwie einfach passiert."

„Irgendwie einfach passiert? Alter, Rosemary und du habt euch seit Jahren diese Blicke gesteckt."

Hallo? Ich bin auch noch da?

Anscheinend nicht...

Clive zuckt gelassen mit den Schultern und grinst Justin an. „Rosie hatte wohl immer schon eine Schwäche für mich." Seine Stimme strotzt nur so vor Arroganz und Überzeugung, dass ich entnervt mit den Augen rolle, ich kann nicht anders.

„Rosie? Aha, naja, ich schätze eher du hast sie überzeugen müssen. ROSIE ist nämlich ziemlich abgebrüht."

Damit würde ich wohl sagen, eins zu null für mich. Dankbar werfe ich Justin einen Blick zu und grinse Clive triumphierend an. Wie immer scheint es ihn nicht zu interessieren, was mich in den Wahnsinn treibt. Er zieht einfach nur eine Augenbraue nach oben und ignoriert alles vor dem „ziemlich abgebrüht."

„Okay, ich hab definitiv was verpasst. Was ist mit deiner Hand passiert?"

„Ein kleiner Zwischenfall.", schmunzle ich und werde ihm sicher nicht die Genugtuung einer ausführlichen Berichterstattung geben. Justin wird hoffentlich auch seine Klappe halten, wenn er klug ist – was ich glaube – dann versteht er den Wink.

Stur starre ich gerade aus, während wir zu Dritt Richtung Mensa marschieren und zum ersten Mal verspüre ich nicht den Drang meine Hand aus seiner zu ziehen, es ist mir... egal!

Kurz vor der Doppeltür, hinter der es von Stimmen nur so schwirrt und die verschiedensten Gerüche miteinander verschmelzen, ob es nun stimmig ist oder nicht..., bleibt Clive stehen. „Geh schon mal vor, ich muss mit Rosemary noch was besprechen."

„Besprechen... so nennt ihr das also. Okay." Justin wackelt belustigt mit den Augenbrauen und verschwindet, meine Rettung ist weg.

Danke dafür!

„Besprechen?", äffe ich nun nach und trete einen Schritt von ihm zurück. Diese Aktion bringt mir einen skeptischen Blick von zwei vorbeilaufenden Mädchen.

Clives Augen verdunkeln sich minimal und er tritt genau diesen Schritt wieder auf mich zu. Ergeben bleibe ich stehen und weiche nicht wie ein klischeehaftes Püppchen immer weiter zurück, bis mir die plötzlich aufgezogene Wand, die noch nie dort war, in den Rücken sticht...

Nein, so ein Klischee bin ich definitiv nicht.

„Woher kennt ihr euch nochmal?" Er wirkt ehrlich verwirrt und das bringt mich zum Grinsen. Schön, dass er doch noch nicht alles weiß.

„Was interessiert es dich?"

In diesem Moment hätte ich gerne die Wand vor mir gehabt, um meinen Kopf dagegen zu hämmern, wie ein Specht. Was interessiert es ihn, denk nach Rosemary... vielleicht, weil er dein 'Freund' ist und über dich Bescheid wissen sollte?

Oh man, ich wusste, dass diese Geschichte einen endlosen Rattenschwanz mit sich ziehen würde und das hier soll nur der Anfang sein... deswegen sollte man auch keine Entscheidungen nach zwei Uhr nachts treffen, es stimmt wirklich.

Ich habe nicht einmal eine gescheite Erklärung für mein plötzliches zickiges Verhalten. Vielleicht liegt es daran, dass ich Clive etwas beweisen möchte. Wieso kann er nicht einmal den Eindruck erwecken, als hätte ich ihn geschlagen?

„Rosie.", seufzt er müde und legt seinen Kopf ein wenig schief.

Schon gut, er sieht wirklich attraktiv aus, ich weiß es ja.

„Sorry... keine Ahnung warum Justin plötzlich mit mir spricht, ich schätze, wegen dir. Deswegen habe ich auch eine Schauspieleinlage vor Hucks gegeben, um ihn zu retten, er hat geschlafen."

Wieder wünsche ich mir die Wand. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Clive verwirrt mich.

Der Junge vor mir mustert mich eindringlich und nickt schließlich, das warme Lächeln aus dem Auto auf den Lippen. Zum ersten Mal nehme ich bewusst wahr, wie er nervös auf seiner Lippe kaut, ehe er den Mund aufmacht... ob er das öfter macht?

„Rosie... du bist jemand, der auf andere Menschen sympathisch wirkt. Man mag dich einfach und deswegen wirst du glaube ich sofort zu uns gehören, ob du willst oder nicht. So ist das bei uns."

„War das gerade ein Kompliment?", necke ich ihn und Clive stöhnt hoffnungslos auf. „Bild dir nichts drauf ein, Rosie. Für mich wirst du immer das Mädchen mit Matsch in den Zöpfen bleiben."

Ein seltsam-nostalgisches Gefühl durchflutet meinen Körper und ich muss für eine Sekunde Lächeln. Der Regen damals... und er hat mich überzeugt weiterzuspielen... „Oh Gott, meine Mutter ist ausgerastet...", gluckse ich und halte mir die Hand reflexartig vor den Mund.

„Meine auch, war nicht meine beste Idee."

„Du hattest bessere..." Ich schlucke und der Moment ist vorbei. Prompt setze ich wieder meine genervte Miene auf. Wenn er glaubt, er könnte mit so einer dämlichen Erinnerung alles wieder gut machen... dann hat es sich geschnitten. „Können wir? Ich hab Hunger.", murmle ich dumpf und greife pflichtbewusst nach seiner Hand.

Clives Lachen verschwindet, wie meines eben, dann verzieht er die Mundwinkel arrogant und mahnt mich mit einem tiefen Blick dasselbe zu tun.

Hand in Hand schlendern wir drauf los, in mein Verderben...

"Wir sind da hinten.", raunt er lautlos zu, mein Herz stolpert einmal mehr, sobald ich Sebastian entdecke. Er sitzt mit seinem traumhaften Rücken – natürlich in einen Hoodie gepackt – zu uns. Hach! „Ich weiß...", platzt es unbewusst aus mir und ich reiße geschockt die Augen auf, als es mir bewusst wird. Oh Gott! Das gleicht einem Schuldeingeständnis.

Seine Augen funkeln und das Grinsen ist wieder so echt wie Gold. „Stimmt, du bist eine kleine Stalkerin." Die Naivität in seiner Stimme macht mich fuchsig, dass ich meine Lippen aufeinanderpresse. „Du bist ein I-d-i-o-t!", fauche ich.

„Aww, wie nett du bist."

„Ehrlich, so nennt man das."

„Hmm, sicher. Soll ich auch ehrlich sein?"

„Wag es ja nicht.", knurre ich und Clive schmunzelt spitzbübisch. „Tja, dann nicht." Ich kenne sein ehrlich, es ist fies und beinhaltet Worte wie „seltsam" und „besonders". Im Grunde könnte er mich auch gleich als „hässlich" und „verrückt" – im negativen Sinne – bezeichnen, das wäre dasselbe.

Prompt begegne ich Justins Blick, kaum dass wir den Tisch erreichen. „Ach, und wie war eure 'Besprechung'?" Demonstrativ zeichnet er Gänsefüßchen in die Luft, weil seine laute Stimme nicht schon genug war.

Meine Wangen fangen reflexartig an zu glühen und ich wünsche mich einmal mehr weg von hier. Schlechte Idee. Ganz schlechte Idee!

Vielleicht ist das alles nur ein böser Traum, ein Traum meiner Dummheit, die mich vor dem echten Fehler in der wahren Welt bewahren will?

Nein, sonst würde mein Herz nicht so rasen, wegen Sebastians Blick. Notiz an mich selbst, bessere Menschenkenntnisse entwickeln. Justin, beispielsweise, gibt ein perfektes Paradebeispiel dafür ab, von wem ich mich fernhalten sollte, wenn ich nicht gerne im Rampenlicht stehe.

Krampfhaft zwinge ich mich Sebastian nicht weiter anzustarren und lasse meinen Blick in der Runde einmal umherwandern. Ich kenne die Football-Mannschaft oder die Cheerleaderinnen nicht, aber diese Menschen hier, ähneln Halbgöttern, weswegen ich davon ausgehe, dass alle von innen versammelt sind.

Da sind Azura und Madison, Justin, Sebastian, Rebecca... wen kenne ich noch? Ich glaube der Brünette vor Azura heißt Louis oder Leroy, der Blonde gegenüber von Madison müsste... keine Ahnung.

Oh, Ronnie, also Veronica, kenne ich noch. Sie ist mit mir in Mathe und genauso schlecht wie ich, das macht sie extrem sympathisch.

Sehr schön. Mindestens ein Dutzend namenloser Gestalten, von denen vermutlich noch zwei oder drei zu Clives engen Freunden zählen.

„Besprechung?"

Ein Deja-Vú ereilt mich und ich verziehe einen Mundwinkel zu einem Lächeln. „Rosemary, richtig?" Azura schenkt mir ein umwerfendes Lächeln und ihre langen Wimpern wirken unwirklich schön. Ein wahrgewordener Männertraum. „Rose.", korrigiere ich sie zurückhaltend und merke wie fest ich Clives Hand zusammenquetsche, zum zweiten Mal heute.

Immerhin lässt er das stillschweigend über sich ergehen, oder ich bin erbärmlich schwach.

„Setzt euch doch endlich und... lasst Rose in Ruhe." Der erste Teil war für uns, der zweite galt den Jungs, die uns mit einem durchtriebenen Blick angrinsten und davon ausgingen, Clive und ich hätten eben heftig rumgemacht. Igitt!

„Und ich?"

Azura mustert Clive eingehend, dann verzieht sie den Mund entschuldigend und grinst fies. „Tja, sie muss dich ertragen..."

„Haha."

Geschmeidig steigt Clive über die Bank. Ich hasse diese Ecke der Aula, man fühlt sich wie in einem Festzelt, nur, dass es keine echten Bierbänke sind, sondern massive Holzbänke, eine Lehne haben sie trotzdem nicht.

Einer der Gründe, weshalb wir auf der linken, Plastik-bestuhlten Seite der Mensa sitzen und nicht... hier.

Gentleman-like bietet Clive mir seine Hand an, die ich widerwillig annehme. Wie immer gibt er mir nicht den Funken Chance mich von ihm zu distanzieren, sondern legt den Arm um mich, seine Hand gefährlich nahe an meiner Rückseite.

Ich schenke ihm einen warnenden Blick, den er ignoriert.

„Wir haben schon von deiner kleinen Schauspieleinlage gehört... ziemlich mutig bei Hucks." Ich kenne seinen Namen leider nicht, aufgrund der gold-blonden Locken beschließe ich ihn Goldlocke zu nennen, vorübergehend natürlich.

Es ist einer dieser Momente, in denen ich mich völlig fehl am Platz fühle. Ich weiß nicht, ob ich lächeln soll oder stolz grinsen muss. Mir ist nicht danach zumute, ich würde lieber weit wegrennen.

Also überwinde ich mich zu einem Lächeln, dass mehr unsicher als sonst was ist und hoffe, dass Clive endlich die verfluchten Tapas auspackt. Wer isst, kann nicht reden. Ganz einfach!

Mein Dad sagt das immer und ich stimme ihm voll und ganz zu.

„Oh sorry, ich weiß nicht, ob du mich kennst, ich bin schließlich kein supertoller Footballer. Ich bin Josh."

Josh, der mir nun leicht schräg gegenübersitzt, grinst vorsichtig, als habe er plötzlich Angst bekommen, ich könnte wie ein scheues Reh davon laufen... als ob das mit Clives Hand an meinem Rücken möglich wäre.

Die Blicke von Tisch Eins – so habe ich ihn kurzfristig getauft – liegen gebündelt auf mir. Was bin ich, eine Attraktion im Zirkus? So gerne ich wütend werden würde oder mich darüber beschweren wollte, ich werde rot.

Aber nicht der Blicke wegen, sondern wegen Joshs Annahme, ich würde sämtliche Footballer kennen. Das einzige, was ich mit Football am Hut habe, ist mein Vater, der mich jährlich zwingt, den Superbowl mit ihm zu sehen.

Eine komplett unnötige Aktion, denn ich starre größtenteils in mein Handy oder schlafe zufällig ein. Mein Vater wagt es nicht seine kleine Prinzessin aufzuwecken, mein Vorteil.

„Ähm... also ehrlich gesagt, kenne ich vermutlich nur die Hälfte hier, wenn überhaupt.", gestehe ich leise, doch anscheinend verstehen es alle und das Gelächter ist groß.

„Oh mein Gott, ich fass es nicht. Endlich jemand normales.", seufzt er unbemerkt dazwischen, aber ich höre es. Wir grinsen uns an und ich bin unendlich froh, dass es Josh gibt. Seine sitzende Statur wirkt auf mich nicht angsteinflößend trainiert und seine Brille verleiht ihm die extra Prise Intelligenz, zumindest wirkt es so.

„Okay, wen kennst du alles?" Der schwarzhaarige Junge grinst mich herausfordernd an.

Ich lache erstickt und beginne auf der sicheren Seite, links, mit Madison, Azura, Sebastian, Rebecca, dann stocke ich zum ersten Mal. Leroy oder Louis... Ich wage es nicht zu raten, das wäre noch peinlicher.

„Leroy.", lächelt er sanft.

Hoffentlich kann ich mir das alles merken.

„Josh, Justin, ähm..." Den Herausforderer selbst kenne ich genauso wenig wie Leroy... „Marco" „Okay, dann Marco und Ronnie. Die drüben... keine Ahnung, gar nicht."

Marco gluckst amüsiert und winkt ab. „Wird noch, glaub mir. Hauptsache du merkst dir unsere Namen."

Artig nicke ich und bin heilfroh, als Clive endlich die Box auf den Tisch stellt, wie eine hungrige Löwin stürze ich mich darauf und bemühe mich die abklingenden Blicke zu ignorieren. Ich würde es als Schonfrist bezeichnen, oder Bonus, weil ich Justin aus der Patsche geholfen habe.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie anfangen uns zu löchern.

Nach und nach stimmen die Jungs Gespräche an, die mir herzlich egal sind. Meine Konzentration gilt alleinig den Tapas und dem Bedürfnis meinen Hunger zu stillen.

„Du wirkst so, als wärst du am Verhungern." Madison zwinkert mir belustigt zu, worüber ich nur ertappt grinse. Peinlich, mein Mund ist voll. Hastig kaue und schlucke ich alles hinunter, ehe ich mich mit vorgehaltener Hand zu ihr wende. „War ich auch."

Ich frage mich, was es ist, das Madison so herzlich erscheinen lässt.

Es ist faszinierend wie fröhlich und warm sie und Azura wirken, als würde man sie seit Jahren kennen und könnte mit ihnen über alles plaudern. Dabei kenne ich keine von ihnen...

„Kein Frühstück?"

Azuras Stimme... was außer wunderschön könnte ich darüber sagen. Nicht quietschend hoch, aber auch nicht so tief wie meine. Etwas Weiches dazwischen.

„Er hat mich nicht schlafen lassen.", seufze ich und merke leider erst zu spät, wie zweideutig meine Aussage klang. Die beiden ziehen synchron eine Augenbraue nach oben und bemühen sich nicht los zu kichern. „Nein, nein, nicht das... Ich ähm, wir haben telefoniert und... ach... egal."

„Alles gut, Rose."

"Sorry.", flüstere ich beschämt von mir selbst und will mich schon fast wieder den Teigstücken widmen...

„Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?"

Mir bliebt die Spucke im Hals stecken, immerhin verschlucke ich mich nicht. „Ähm... das ist... kompliziert, oder nicht, CLIVE?" Ich zupfe an der Schnur seines Hoodies, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, zum ersten Mal... und hoffentlich letzten.

„Hmm?" Er ist glücklich... ehrlich glücklich, Clive? Und keiner hat einen Schaden davon, ich habe keinen? Wow, dass ich das noch erleben darf...

„Wie lange wir zusammen sind, ist kompliziert, nicht wahr?" Mein Ton ist etwas schärfer als beabsichtig, aber das bringt ihn schließlich nur zum Grinsen, sonst nichts. „Seit Sonntag, kann man sagen."

Sein Pokerface ist astrein und ich bin einmal mehr beeindruckt über sein Kalkül, mit welchem er agiert. Er hat die richtige Mischung Sicherheit und Zögern.

„Aber, wie kann das genau kompliziert sein..."

Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz, eine Möglichkeit, Clive endlich zum Schweigen zu bringen, vor Schock.

„Ach, Clive wollte schon vorher, aber ich war mir noch unsicher, er war manchmal ziemlich kitschig. Rosen und so...", plappere ich locker und schenke ihm einen Blick zurück. Ein Funkeln, dass nur er versteht. Es ist eine Herausforderung.

„Tja, Rosie, hat vor ... ich weiß gar nicht mehr... angefangen mir kleine Briefchen zu schreiben..."

„NUR, weil du überhaupt zu schüchtern warst mit mir zu reden. Ich meine, seht ihn an, er und schüchtern..."

„Schüchtern... ich, nein, ich glaube das warst du, schon immer. Obwohl wir so oft NEBENEINANDER saßen."

Oh, das hat er nicht gesagt!

„Manchmal habe ich mich noch nicht REIF dafür gefühlt!"

„Aber mich dann so anschmachten, über Entfernungen!" Er säuselt es liebevoll, aber für mich sprechen seine Augen und die knurren, meine fauchen wie eine Bestie. „Hättest du mal den Braten früher gerochen.", schieße ich liebvolle hervor und seine Hand umschließt meine Taille ein wenig enger, zieht mich näher zu sich.

„Habe ich doch, aber du hast dich immer hinter einer CAP versteckt und diesem alten Ho-"

„Ist gut, ja!", stoppe ich ihn und tue das einzig richtige in diesem Augenblick. Ich stopfe ihm regelrecht eine Tapa in den Mund und funkle ihn drohend an.

„Ihr seid wirklich süß.", schwärmt Azura plötzlich und erst jetzt wird mir wieder bewusst, wo wir eigentlich sind. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf uns, und unseren Streit.

Auf Knopfdruck gehen meine Wangen in Flammen auf und ich habe das Gefühl Sebastians Blick nicht ertragen zu können. Oh Gott! Was mache ich, wenn er Eins und Eins zusammen zählt...

Verdammt!

„Süß... ja, genau so ist Rosie.", wispert Clive spöttisch, aber in den Ohren aller anderen muss das unglaublich romantisch wirken.

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Habt ihr schon mal Tapas gegessen?

Was sagt ihr zu Rosie und Clives Schlagabtausch? Wer war besser?

💌 N°11 & 12 :

Eher Schreiber oder Leser? & Was ist euer Lieblingsbuch (hier auf Wattpad und oder auch sonst) ?

XX Ane 








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