64. Singles unter sich ✔
If music be the food of love, play on. - Shakespeare
Song: Little Love - Tom Speight
"Rosemary, steh endlich auf. Wir wollen in einer halben Stunde fahren und du hast noch nicht einmal gepackt!"
Todmüde reibe ich mir über die Augen, streiche mir die Haare aus dem Gesicht und versuche halbwegs die Helligkeit durch langsames Blinzeln erträglich zu gestalten.
Mein Zopf ist aufgegangen. Der Zopf, den ich gestern Abend noch mühevoll geflochten habe..., während ich möglicherweise mit Clive telefoniert habe.
Zu meiner Verteidigung, es ging hauptsächlich darum, was er seiner Mutter Last-Minute schenken könnte.
Ich weiß nicht, warum ich mit ihm darüber eine volle halbe Stunde diskutiert hat. Und noch weniger verstehe ich es, weil sein zweiter Vorschlag eine DVD-Box mit sämtlichen Staffeln „Brooklyn Nine Nine" war.
Seine Begründung: Sie fand die zwei Folgen, die sie mit ihm gesehen hat „voll lustig".
Letztlich lief es darauf hinaus, dass er heute noch in die Stadt fährt und ihr ihr Lieblingsparfüm kauft. Immerhin das wusste er: Boss – the scent.
„Rosemary!"
Ich richte mich auf, dann schwingt die Tür auf und meine Mom steht in marineblauen Jeans und ihrer weißen Bluse vor mir.
„Es ist jedes Jahr dasselbe mit dir."
„Mom..." Ich stöhne und kann mich gerade noch so zusammenreißen nicht wieder zurückzufallen. „Nicht meine Schuld...", murmle ich. Am liebsten hätte ich mir im nächsten Augenblick dafür eine Geohrfeigt.
Meine Mutter verzieht ihre Augenbrauen und trippelt erhaben auf mich zu, als wüsste sie die Antwort längst – und will sie nur noch von mir hören. „So?"
„Ähm... ich..." Damit springe – nein, man könnte schon sagen ich falle – aus dem Bett und schiebe sie nach draußen. „... die Serie war so gut."
„Die Serie... aha."
Wahrscheinlich würde Clive sich jetzt auch über meine Mom beschweren. Wenn mein „Okay" tatsächlich tausend Bedeutungen hat, dann hat das „Aha" von ihr mindestens drei Millionen.
„Ja." Hitze steigt mir unweigerlich in die Wangen. Selbst bei einer so winzigen Lüge kocht das Blut unter meiner Haut.
Im Grunde verbaut mir diese Körperreaktion ein ganzes Berufsfeld – nicht das ich jemals etwas in diese Richtung geplant hätte: Polizei, FBI, CIA. Jegliche Jobs, in denen man Bluffen muss, in denen man auch mal mit Hilfe einer Lüge an die Wahrheit kommen muss.
Die Türe klickt ins Schloss und ich atme erleichtert aus.
Knapp...
***
Ich liebe Weihnachten. Ich liebe es wirklich.
Und noch mehr liebe ich unsere traditionelle Familienfeier. Wir feiern seit ich denken kann bei Grandma Joy. Alle kommen: Onkel Beck – unser ewiger Single; Tante Giselle mit Walter, Jake und Isabelle; Onkel Damien mit Tante Beth, Don und Mary und wir natürlich. Oh, und natürlich Grandma Maggie.
Über die Jahre hat sich bei uns ein gewisser Ablauf eingeschlichen. Onkel Beck und mein Vater kümmern sich um den Ofen, Holz und Bier; Mom, Grandma und meine Tanten schnattern in der Küche und kochen, während Onkel Walter mit Onkel Damien fernsehen – egal was, Hauptsache Sport, auch wenn es eine Wiederholung ist.
Tja und ich? Jake und ich ziehen meist noch durch die Straßen mit Isabelle und halten nach Last-Minute-Weihnachtsgeschenken Ausschau.
Don und Mary könnten gerne mit, aber Don war schon immer sehr eigene, hat lieber mit seinem Lego gespielt und seine Ruhe genossen. Mary hingegen scheint ihren – mir unergründlichen – Hass mir gegenüber nicht beiseitelegen zu können und bleibt lieber zuhause.
Ich weiß nicht was Mary gegen mich hat, keiner von uns weiß das so recht... und sie bemüht sich auch nicht wirklich es zu verstecken.
Es ist mir ein Rätsel wie zwei so eigenartige Kinder bei Onkel Damien und Tante Beth herauskommen konnten. Onkel Damien ist einer der lustigsten und fröhlichsten Menschen der Welt und das auf eine völlig ruhige Art und Weise. Und Beth ist Grundschullehrerin, sie hat immer ein Lächeln auf den Lippen und offene Arme für jeden...
„Rosemary!"
Jake stürmt förmlich aus dem Haus, mir entgegen und reckt mir lässig seine Faust entgegen.
Ein paar schnelle Bewegungen, denen meine Eltern – im Grunde niemand außer uns beiden – nicht folgen können und wir grinsen uns an.
Hinter ihm kann ich Mary im Flur ausmachen, ich habe das Gefühl ihr giftiger Blick würde mich am liebsten auf der Stelle töten.
„Das ist schlimm ohne dich."
„Aww." Ich wuschle Jake einmal durch sein haselnussbraunes Haar – er besteht auf das „Haselnussbraun", da es nicht einfach nur ein lasches Braun ist.
„Vielleicht auch schlimmer mit dir.", stöhnt er mit einem Lachen auf den Lippen.
Jake ist locker eineinhalb Köpfe größer als ich und nur ein Jahr jünger. Ein Wunder, dass er mich noch immer durch seine Haare wuscheln lässt. Andererseits kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es führ ihn lustig aussehen muss, wie ich mich recke und strecke, um überhaupt eine Strähne zu berühren.
„Du bist nicht gewachsen."
„Du schon?"
„Zwei Zentimeter."
„Oho."
Jake grinst selbstgefällig und ich muss prompt an Clive denken. Die beiden würden sich prima verstehen... und Clive würde Mary hassen.
Er hat sie alle zwar schon einmal getroffen, auf dem Geburtstag meiner Mom, aber das ist viel zu lange her.
„Hat Onkel Beck endlich jemanden dabei?"
Noch so etwas, dass zu einer Tradition geworden ist: die Frage, ob Onkel Beck endlich eine Freundin hat.
Hin und wieder bekommen wir mit, dass er jemanden gefunden hat, aber es ist letztlich doch immer dasselbe an Weihnachten: Er kommt allein.
„Nein, Onkel Beck hat niemanden dabei. Hast du denn jemanden mitgebracht, liebste Rosemary?"
Schlagartig werde ich feuerrot, aber ich kann nicht aufhören zu grinsen, nicht einmal als ich in Onkel Becks bemüht-strenges Gesicht blicke. Erwartungsvoll blinzelt er mich an.
„Ich? Bin ich nicht genug?"
Woah! Wo kam das her?
Jake und Onkel Beck scheinen genauso überrascht davon zu sein. Die beiden mustern mich misstrauisch.
„Wir haben gehört du und Westwood würdet euch wieder verstehen?" Onkel Becks Stimme klingt listig und sein schiefes Grinsen lässt keine Zweifel: Mom hat geplappert.
„Wirklich?" Ich spiele naiv.
Eifrig nickt Jake. Dieser kleine Fiesling, er hat sich eben nichts anmerken lassen.
„Tut mir leid, er ist bei Josh. Wir sind nur Freunde."
„Soso, das sagen sie alle."
„Jake!" Ich bin entsetzt. Wie kann mir mein Lieblingscousin nur so dermaßen in den Rücken fallen? Normalerweise ist er es, der Onkel Beck auf den Arm nimmt und ich bin diejenige, die ihn dabei unterstützt.
„Sorry, er hatte gute Argumente."
Schmollend verschränke ich die Arme vor der Brust, es fällt mir schwer nicht zu lachen. Ich verstehe nicht einmal, warum mir so nach lachen zumute ist.
„Ach komm her Kleine, sag erstmal Hallo."
Damit zieht er mich in eine knuddelige Umarmung.
„Halten wir fest, wir sind beide single und glücklich? Oder?"
Ich nicke.
„Gut, dann können wir ja da drinnen eine Party crashen... also, beziehungsweise wir müssen erst eine starten, dann können wir crashen – so wie ich meine Geschwister kenne..."
***
„Doch, genau das hat er getan."
„Du kannst uns nicht weiß machen, dass Walter – unser Walter hier an diesem Tisch – Karaoke gesungen hat, nur weil du sauer warst." Mom wischt sich eine Träne von der Wange.
Walter grinst vor sich hin. Meinen größten Respekt. Ich schätze, würde Mom oder Dad oder sonst wer so eine Geschichte von mir auspacken – sollte jemals so eine existieren – ich würde vor Scham im Boden versinken oder vor Röte explodieren.
Aber nicht mein Onkel. Er sitzt völlig entspannt neben Tante Gigi, hält weiterhin ihre Hand und wirft ihr hin und wieder einen verliebten Blick zu.
„Doch. Ich war so sauer und als er angefangen hat zu singen... puff weg!"
Bewundernd klopft ihm mein Vater auf die Schulter. „Can't hurry love ist ein schwerer Titel mein Freund."
„Ging schon, Hauptsache Gi ist nicht mehr sauer. Ich hätte glaube ich alles gesungen."
Wir sitzen im Wohnzimmer. Isabelle, Marco – ihr Freund – und ich auf dem Zusatzsofa – ein hereingeschobenes Möbelstück, das eigentlich gar keinen Platz mehr im Raum hat, aber das ist egal. Alle anderen haben aus dem Dreisitzer einen Fünfsitzer gemacht und das Riesensofa wird endlich wieder ausgefüllt.
Ich liebe diese Tradition. Am dreiundzwanzigsten Dezemberabend setzen wir uns ins Wohnzimmer und tragen Geschichten aus diesem Jahr zusammen.
In diesem Moment spüre ich den Frieden. Um mich herum sind nur Menschen, die ich liebe – ja, auch Mary irgendwie. Wir erzählen uns Erlebnisse, schöne Erinnerungen, die jedem etwas bedeuten.
Es ist schwer vorstellbar, dass man irgendwie MEHR Weihnachten haben könnte.
Jeder lächelt selig vor sich hin – sogar Mary.
So schön es ist, mein Hals schreit nach einer frischen Tasse Früchtepunsch. Mit einem fragenden Blick und Tassenheben biete ich Isabelle und Marco an, ihnen ebenfalls eine mitzubringen, doch die beiden winken lächelnd ab.
Klammheimlich stehle ich mich davon.
Es ist glaube ich das erste Mal seit Langem, dass ich mir nicht den Kopf über Clive, Sebastian oder sonst irgendwen mache. Ich bin einfach hier, jetzt, Ruhe.
Und das beste ist der Punsch... Zimt, Orange...
„Na, Kleine. Was geht dir durch den Kopf?"
Erschrocken wirble ich herum und brauche einen Augenblick, bis sich mein Herzschlag wieder beruhigt hat.
Onkel Beck schenkt mir ein warmes Lächeln, dann hält er mir seine halbvolle Weihnachtsmanntasse entgegen.
„Nichts... ich bin glücklich." Und ich meine es so.
Noch ein prüfender Blick, dann nickt er.
„Du hast aber was... du bist komisch." Ich mustere ihn intensiv, umklammere seine Tasse fest.
Onkel Beck ist heute ungewöhnlich ruhig. Normalerweise kommentiert er jede Geschichte, macht sich selbst mit seinen Erlebnissen zum Affen und lacht am meisten über sich selbst. Aber nicht heute... heute ist er ruhig.
Und mein Onkel ist vieles, aber ruhig ist er nicht.
„Ich?"
„Ja, du."
Scheinheilig weicht er meinem Blick aus. Ich kann nicht fassen, dass ich meinen Onkel gerade zur Rede stelle. Andererseits... er ist der Jüngste, das Küken der Familie und mit seinen sechsunddreißig Jahren kann man ihn noch irgendwie als „Jung" bezeichnen.
Still summt er vor sich hin. Ich lasse ihn.
Etwas sagt mir, dass mein Onkel darüber reden will. Warum sonst sollte er sich aus der Runde schleichen? Ich bezweifle, dass er aufgestanden ist, um seine HALBVOLLE Tasse nachzufüllen.
„Es kann sein... dass ich heute Vormittag nicht ganz ehrlich war."
„Was meinst du?" Ich reiche ihm seine Tasse, er hat Glühwein darin.
Dankbar nippt er daran. Fraglich, warum er sie mir in erster Linie überhaupt gegeben hat.
„Naja... ich bin vielleicht gar nicht mehr so single..."
„Was?" Gerade so kann ich meinen Tonfall kontrollieren, obwohl ich am liebsten schrill aufgeschrien hätte.
Onkel Beck ist wegen einer Frau so nervös? Ich weiß nicht genau, wie er sich sonst verhält, wenn er eine Frau kennenlernt.
„Ähm... Gott, du bist meine Nichte und es fällt mir schon so schwer."
„Warum denn? Onkel Beck, ich freu mich für dich."
„Danke, Mars."
Ich grinse über den Spitznamen...
„Wie heißt sie denn?"
„Danielle und sie ist großartig. Gott, ich liebe diese Frau so sehr. Mit ihr ist alles so leicht und schön. Wir haben so viel gemeinsam und trotzdem gibt es zwischen uns tausend Unterschiede. Als würde sie die fehlenden Puzzlestücke meiner Differenzen sein. Sie bringt mich runter und baut mich auf, wenn ich nicht mehr kann oder mir der Job zu viel wird..."
Plötzlich blinzelt er mich an und stößt die angestaute Luft aus. Vermutlich realisiert er jetzt erst, was er da alles gesagt hat und vor allem: Wem.
Ich bin achtzehn.
Meine Mundwinkel verselbstständigen sich, meine Augen werden feucht...
„Entschuldige... ich... keine Ahnung. Allein der Gedanke an sie macht mich... alles andere vergessen."
„Nein, nein, du brauchst dich nicht entschuldigen. Dich so glücklich zu sehen... ist schön, richtig schön."
„Danke... wirklich..."
„Warum hast du sie nicht mitgebracht?"
„Wir kennen uns erst seit drei Monaten..."
„Drei Monate? Onkel Beck, weißt du wie lang das ist?"
„Glaub mir, das ist nicht im Vergleich zu deinen Eltern oder meinen."
„Drei Monate sind genug fürs Familie-kennenlernen und wenn ich dich so reden höre, so... so... so komplett versunken. Du hast da glaube ich die Eine gefunden."
„Meinst du?"
„Weiß ich."
„Du meinst das wirklich, oder?"
„Ich bin zwar jung, aber nicht blöd. Genau so sollte es doch sein, oder? Dass man allein beim Gedanken an den Anderen Herzklopfen bekommt, alles andere vergisst."
„Hmm, ich hab ehrlich das Gefühl du bist tausend Jahre alt."
Unweigerlich muss ich darüber schmunzeln.
„Wirklich, du... du wirst sie mögen."
„Hast du ein Foto?"
„Oh, ja klar. Warte..."
Rasch fischt er sein Handy aus der Jeans, doch sobald er in seiner Galerie das gefunden hat, was er gesucht hat und mir vor die Nase hält, stockt mir der Atem.
Diese Frau ist nicht einfach nur schön, sie ist Megan Fox, Gal Gadot und Mila Kunis zusammen.
„Ist sie... ein Model?"
„Was? Nein, aber... ja... also..." Onkel Beck lacht leise auf. „Sie ist einfach Wow."
„Ja... so würde ich es auch beschreiben."
„Wir haben uns zum ersten Mal im Park getroffen... also, genau genommen habe ich sie getroffen. Spade und ich waren dort und haben gespielt und..."
„Sag mir nicht, dass du sie mit diesem versifften Kauball abgeworfen hast."
„Ähm... sie fand das sogar lustig."
„Oh Gott."
„Ja, wir haben uns dann unterhalten und... dann ist sie gegangen."
„Was?"
„Langsam, langsam. Ich war so überwältigt von ihr, ihrem Lachen, allem und hab alles vergessen. Danach hab ich mich so geärgert und musste mich regelrecht durch Spielen mit Spade quälen." Hatte ich schon erwähnt, dass Onkel Beck dramatische Pause liebt? „Und dann kam sie zurück, nach einer halben Stunde oder so. Und... und sie hat mir gesagt, dass sie in der Arbeit saß und mich nicht vergessen konnte und..."
„Oh mein Gott. Wirklich?"
„Ja, ich weiß, das hört sich so absurd und ... unwirklich an, aber diese Frau..."
„Hol sie! Hol sie hierher. Meine Güte, zeig ihr was sie dir bedeutet."
_________________________
Hellou,
Christmas-Time = Family-Time
Seid ihr gespannt wie's weitergeht?
***
💌N°67: Planung oder Spontan; wie geht ihr vor bei... egal was XD.
XX Ane
Ps. Folgt mir gerne auf Instagram: @sxmelittlestories
Gleicher Name wie hier auf Wattpad, dort gibt es alles rund um Wattpad und co. u allgemein BÜCHER. 😏
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top