62. "Man kommt nicht davon los..." ✔

A flower cannot blossom without sunshine, and man cannot live without love. - Max Muller

Song: Someone New ~ Johnning, EEVA

Er hat mich tatsächlich wieder angesehen!

Ich kann mein Herz bis zum Hals schlagen hören, kann es fühlen. Zwar verstehe ich nicht ganz warum, aber es ist so, als würde mir eine Zentnerlast von den Schultern fallen.

Es ist nur ein simpler Blick, aber so wütend wie Clive offenbar auf mich war...

Und im gleichen Moment, wie die Last hinunterpurzelt, kann ich den immer größer werdenden Knoten in meinem Magen spüren. Wenn das ein Zeichen der Versöhnung war, dann... wird das Gespräch über mich und Sebastian womöglich alles wieder zurücksetzen.

Nein, nein, nein.

Das darf nicht sein.

Ich weiß noch nicht einmal, was Sebastian und ich überhaupt sind.

Wie kann man das beschreiben, wenn man sich seit ein, zwei Jahren heimlich anschmachtet, aber keiner von beiden etwas unternimmt und erst dann durch eine Schauspiel-Beziehung mit einem Dritten – der zufällig der beste Freund ist – sich näherkommt. Dabei wird ein Streit zwischen den besten Freunden entfacht und zum Schluss läuft es darauf hinaus, dass ich mit ihm im Bett – angezogen – schlafe und wir uns mehrfach geküsst haben.

Ja, das ist eine sehr gute Frage, wie man Das beschreiben, oder gar nennen kann.

„Okay, jetzt sind wir allein. Also, was genau ist gestern passiert?"

Candice fast schwarze Augen fesseln mich regelrecht – selbst wenn ich hätte wegrennen wollen, ich hätte nicht gekonnt. Ich bin ihr wirklich etwas schuldig, für das, was sie gestern für mich getan hat. Sie hasst lügen wie die Pest, schlimmer als ich Clive bis vor ein paar Monaten gehasst habe...

Trotzdem kann ich ihr nicht wirklich in die Augen sehen. Ich weiß nicht warum, aber mich überrollt plötzlich eine Welle des Schams und dieses Gefühl von heute Morgen kehrt zurück, als würde ich etwas entsetzlich Falsches tun. „Ich war bei Sebastian..."

Sie nickt. „Das weiß ich..." Ihr Atem geht ruhig, gleichmäßig, aber ich kann spüren wie sie vor Neugier zittert. „Rose, was ist passiert?"

„Nichts, also, nicht wirklich etwas Gravierendes... wir... wir haben uns geküsst und... einen Film geschaut und sind dann eingeschlafen..."

„Okay."

„Ich habe das Gefühl, als wäre es falsch."

„Wie meinst du das? Du wolltest das doch, also Sebastian..." Sie legt ihre zierliche Hand auf meine und rutscht auf ihrem Sitz herum – nicht das Leichteste, wenn man bedenkt, dass wir in ihrem winzigen Polo sitzen.

„Ja, aber... ich habe das Gefühl es ist falsch es Clive zu verschweigen."

„Also fühlt sich das mit Sebastian im Grunde aber richtig an, oder?"

Ratlos zucke ich mit den Schultern und nicke. „Ich denke..." Ich habe keine Ahnung, es fühlt sich gut an, aber ich kann nicht sagen, ob es richtig ist, solange dieses andere Gefühl mein Herz mitbeschlagnahmt.

„Was fühlst du für ihn?"

„Di..."

„Ja ja, schon klar, schmalzig, aber ich meins ernst! Wie fühlst du dich bei ihm?"

„Gut..."

„Gut?"

„Ja?"

„Gut und weiter?"

„Sicher?"

„Okay... weiter."

„Ich fühl mich bei ihm gut, ich kann das nicht anders beschreiben. Es ist schon richtig, irgendwie, es ist das was ich wollte..."

„Aber?"

„Clive... wir haben uns gerade wieder verstanden und dann... es kommt mir vor, als würde ich ihn verraten."

„Aber warum? Rose, das war doch euer Plan, oder nicht?"

„Schon, aber nicht, dass ich ihn 'betrüge' und einen Keil zwischen ihn uns Seb treibe."

Candice schließt ihre Finger um meine Hand und drückt sie. Sie ist ruhig, das spüre ich und ich weiß, wie gerne sie diese Ruhe auf mich übertragen würde, aber in mir tobt schon wieder alles.

„Du hast ihn nicht wirklich betrogen. Ihr wart nie wirklich ein Paar und an diesem Keil... er ist selbst auch schuld, genauso wie Seb. Es ist nicht deine."

„Hmm..."

„Nichts 'hmm', du weißt, dass ich recht habe. Sebastian hätte früher etwas sagen können, dass er Gefühle für dich hat. Er hätte es Clive sagen können und Clive hätte sich nicht wie ein Platzhirsch aufführen dürfen, du bist und warst nie sein Besitz. Vielleicht war es falsch, dass ihr euch geküsst habt und ich kann verstehen, warum Clive sauer ist, aber nicht auf dich. Ihr habt diese Beziehung ins Leben gerufen, um ein – zwei Ziele zu erreichen. Du hast ihn nicht betrogen."

„Aber ich habe es ihm verschwiegen."

„Das war vielleicht nicht unbedingt richtig, aber er hat dir sicher auch nicht alles erzählt, das traue ich mich wetten."

„Ich bezweifle, dass er Maddie geküsst hat oder ähnliches."

„Ich meine nicht das. Ich meine die Geschichte mit dem Wachhund-spielen und die mit Anita."

Ich hätte eine ganze Menge zu sagen, aber mein Mund fühlt sich staubtrocken an. Vielleicht fühlt sich so ein Tag ohne Wasser in der Sahara an.

„Das was du – wir jetzt wissen... ich hab so ein Gefühl, da fehlt noch was. irgendwas... aber das ist jetzt unwichtig. Es geht darum, dass ihr beide Geheimnisse hattet und habt. Und du musst ihm das klarmachen, dass das nicht deine Schuld war..." Sie mustert mich kritisch, dann stiehlt sich ein schwaches, aber aufmunterndes Lächeln auf ihre Lippen. „Ich kann dir deine Schuldgefühle nicht ausreden, aber sagen, dass es nicht ALLEIN deine Schuld ist, okay?"

Damit ringt sie mir zumindest ein dünnes Lächeln ab.

Ich kann ihren Blick auf mir spüren. Es bedarf keine Worte, sie weiß, was ich denke... und im Grunde ist auch das der Unterschied zwischen ihr und Linda.

Candice ist auf eine andere Weise direkt, nicht gedankenlos. Sie weiß, wie vorsichtig sie mit Menschen umgehen muss. Linda ist freier... sie sagt die Dinge sofort – ich schätze das an ihr, aber manchmal ist es... zu viel.

„Danke, dass du mich mitnimmst."

„Klar, ich hab unsere Fahrten vermisst. Vielleicht sollten wir uns doch noch beim Schulleiter beschweren, dass wir gerne öfter gemeinsam Schluss hätten."

Mit einem Zwinkern wendet sie sich ab.

Vielleicht hat sie recht... vielleicht fühlt es sich falsch an, weil ich überzeugt davon bin all das wäre meine Schuld.

***

Es klingelt.

Es klingelt um halb fünf am Nachmittag, während ich in voller Malermontur vor der halbbunten-trostlosen Leinwand auf dem Boden meditiere. Meine kreative Phase hat vor rund zehn Minuten offenbar Feierabend gemacht und ich versuche durch Ruhe sie zurückzuholen.

Außerdem ist es gut möglich, dass sich ein bisschen himmelblaue Farbe in meinen Haaren verirrt hat und ein paar Spritzer Ketchuprot meine Wangen zieren.

Mal ganz abgesehen von dem Hemd und der Leggings die ich trage... ein wahres abstraktes Meisterwerk – besser als jedes Leinwand-Gemälde.

Vielleicht kann ich es aussitzen.

Eine Minute vergeht und das Klingeln lässt nicht nach, es geht im Zehn-Sekundentakt. Wer zur Hölle ist dermaßen hartnäckig?

Mit einem ergebenen Seufzer stemme ich mich hoch und klopfe mir... was-auch-immer von der Hose. Meine Laune könnte wahrlich besser sein. Das was ich bisher auf die weiße Fläche produziert habe ist gut, aber eben NUR GUT und NUR GUT ist für mich so viel wie ein verfehltes Fieldgoal von der zehn Yard Linie.

Noch in meiner Bewegung zum Türgriff stoppe ich und schüttle so abrupt den Kopf wie meine Katze sich, wenn sie von draußen aus dem Regen hereinkommt.

Warum zum Henker vergleiche ich meine Zeichen-/Malkunst mit Football?

Wie tief hat sich diese Leidenschaft von... nun ja von all den männlichen Wesen, die mir nahestehen, in den Kopf gebrannt?

Entschieden wische ich den Gedanken beiseite und schlucke dieses eigenartige, warme Gefühl herunter. Ich marschiere zielstrebig zur Tür, entschlossen kein Football mehr in mein Bewusstsein zu lassen.

Himmel, wenn das wieder Benji ist mit... naja, Clive, dann...

Nein!

Das kann unmöglich Benji sein, nicht schon wieder. Dieses eine Versprechen wurde eingehalten und Clive wird sicher nicht noch einmal seinen Bruder bestimmen lassen.

Nur weil er mich heute in der Schule angesehen hat, heißt das nicht, dass wieder alles Friede Freue Eierkuchen ist. Vielleicht, aber nur vielleicht, ist das der erste Schritt. Und wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man sicher lieber erstmal ruhig verhält und wartet, bis der andere auch für den zweiten Schritt bereit ist.

„Komme schon.", murmle ich mehr für mich als den, der draußen steht.

Kurz vorher stoppe ich und atme tief durch.

Ich sehe absolut fürchterlich aus, so, als wäre ich eben in eine Pyramide Farbeimer gestolpert und es haben sich zufällig sämtliche Deckel gelöst.

Ich könnte nochmal nach oben sprinten mir eine frische Jogginghose und Shirt...

Könnte.

Nein, ich male gerne und das kann jeder sehen...

So selbstsicher das klingen mag, so zittrig und unsicher drücke ich den Griff nach unten. Schwunglos öffne ich die Haustür.

Es ist weder die eisige Luft, die mir den Atem raubt, noch die Panik darüber was der vor mir wohl über meine Erscheinung denken mag. Nein, was ihm über mein Outfit und die Farbe durch den Kopf geht ist mir völlig einerlei. ER ist es, der mich regelrecht schockfrostet.

Die Dämmerung wirft rosarote Schleifen hinter ihm, die Sonne versteckt sich zwischen glühenden Wattebauschen. Alles wirkt so traumhaft schön und Clive wurde passend hinein gezaubert.

„Hi."

Zwei Buchstaben und mein Herz macht einen Satz.

Es ist einer dieser Momente, in denen mir einmal mehr bewusst wird, wie sehr Clive mir tatsächlich in den letzten Monaten ans Herz gewachsen ist.

Fast ein bisschen wie früher... damals habe ich mich auch jedes Mal gefreut, wenn wir uns gesehen haben – was so gut wie jeden Tag war.

„Hi.", stammle ich völlig benebelt zurück und denke gar nicht daran meine Hand vom Türgriff zu lösen. Ich würde vermutlich zusammenklappen.

Ohne eine Einladung schlüpft er darunter hindurch und schenkt mir anschließend ein schwaches Lächeln.

„Es wird kalt, Rosie."

„Oh." Etwas peinlich berührt tapse ich die Treppenstufe hinunter und schließe die Tür hinter mir - den Griff immer noch fest umschlossen.

„Du siehst... speziell aus."

Prompt gleichen sich meine Wangen den roten Farbspritzern an und trotzdem zuckt mein rechter Mundwinkel. Das kommt mir doch bekannt vor, dieses „speziell"... „Ich... ich hab gemalt."

Er nickt, so, als hätte er es schon bevor ich ihm in diesem Aufzug die Tür geöffnet habe gewusst. Seine Augen blitzen mich spitzbübisch an, es ist dieses alte Glitzern, dass immer wieder neu strahlt – das, was ich an ihm so faszinierend fand... und finde.

Eine ganze Weile sehen wir uns nur schweigend an. Das letzte bisschen Licht erhellt den Flur noch durch das milchige Glas.

„Warum hast du ihn geküsst?"

Es platzt einfach so aus ihm heraus.

Und ich...

Ich bin zu meiner Überraschung nicht einmal schockiert oder starr vor Panik und Angst... ich habe damit irgendwie sogar gerechnet, noch bevor er vor meiner Haustür stand.

Und es ist auch kein Vorwurf seinerseits, es ist eine leere Frage, hinter der sich dennoch ein ganze Menge Emotionen versteckt.

„Ich schätze... weil es gepasst hat."

Anders kann ich es mir nicht erklären. Ich wollte Sebastian immer küssen, seit ich ihn so... naja, toll finde. Warum sonst sollte man jemanden küssen? Wenn es passt, dann küsst man sich. Dann ist es egal, ob es aus Liebe oder aus dem Moment heraus passt, oder weil man den anderen trösten oder ablenken möchte. Passen kann man nicht erzwingen, passen kommt einfach und ergibt sich.

Ich weiß nicht genau, was ich von Clive erwarte: ein Kopfschütteln, ein „Wie meinst du das?", ein „Ich muss gehen", nichts?

Von all dem, was mir an Reaktionen durch den Kopf geht, was er nun machen würde, hätte ich am wenigsten – wenn überhaupt – mit einem sanften Nicken gerechnet.

„Wir haben diese Beziehung angefangen, weil... weil jeder von uns etwas erreichen wollte..." Ich schlucke, lasse dem aufbäumenden Mut in mir Raum. „Du wolltest Maddie etwas beweisen und ich Sebastian kennenlernen und... ich weiß, wie es gelaufen ist war wirklich... blöd und es tut mir leid. Ich wollte es dir früher sagen, aber ich hatte Angst."

„Wovor?" Seine Stimme ist vollkommen ruhig.

„Dich zu verlieren.", seufze ich leise und füge noch ein fast lautloses „Schon wieder" hinzu.

Clive möchte etwas sagen, schließt seinen Mund allerdings sofort wieder. Ich ahne, dass er mich fragen wollte, warum ich davor Angst gehabt habe. Aber ich schätze, er weiß die Antwort selbst.

Seine Augen senken sich auf meine Socken – quietschpinke Teile mit einem fetten Einhorn darauf, das seinen Schokoladen-Cookie futtert.

Kein Kommentar.

Die Haare fallen ihm in die Stirn.

„Ich wäre auch dann ausgerastet, wenn du's mir gleich gesagt hättest, glaube ich..." Er linst durch den Haarvorhang. „Es tut mir leid, ich weiß nicht was mit mir los ist. Es war nur... es war das zweite Mal, dass Seb meine Freundin küsst und ich... schätze, ich war eigentlich nicht wirklich sauer auf dich, sondern auf ihn und verletzt."

Clive so offen über seine Gefühle sprechen zu hören ist neu für mich. Diese Seite kenne ich noch gar nicht an ihm.

„Das heißt... zwischen uns..."

„Ich war ein Idiot. Damit hattest du wohl schon immer recht."

Vorsichtig grinse ich ihn an.

„Bild dir nichts drauf ein, ROSIE Laurel Adams."

„Musst du meinen ganzen Namen sagen?", stöhne ich leise, kann das Grinsen jedoch nicht verkneifen.

Und er auch nicht. „Nein, das klingt so viel dramatischer... und es nervt dich ein bisschen."

„Sind wir wieder beim Nerven oder beim Freunde-sein?"

„Hmm.. beides vermutlich."

„Oh Cly."

„Nein!"

„Aber du darfst?"

„Ich verschandle deinen Namen immerhin nicht!"

„Und was ist dann Rosie?"

„Rosig ohne G und mit IE?"

„Sehr lustig."

„Hey, ich habe immerhin keine Farbe im Haar und seh nicht aus wie frisch aus einem Eimer Farbe."

„Was hat das damit jetzt zu tun?" Empört verschränke ich die Arme vor der Brust und funkle Clive an.

Der Schalk glüht und flackert drohend in seinen Augen. „Ich weiß nicht. Aber es ist lustig."

„Haha."

„Siehst du."

„Wirklich lustig...", äffe ich ihn nach und rolle einmal demonstrativ mit den Augen.

„Okay, ich muss dann mal wieder. Benni ist allein daheim."

„Warum bist du dann hergekommen?" Ich stocke und lasse meine Arme wieder sinken. Unverständlich starre ich den Jungen vor mir an. Man kann Benji natürlich allein lassen, aber man sollte nicht – zumindest nicht länger als zwanzig Minuten. Er mag wie ein Engel wirken und sich benehmen, aber er kann auch ein kleiner Teufel sein – das weiß ich.

Ich würde glatt behaupten es ist eine nervöse Geste, wie er sich durch die Haare fährt, aber dieses Funkeln in seinen Augen...

„Ich musste das hier klären. Mit dir."

„Wirklich?"

„Nein, unwirklich. Mensch, Rosemary! Du bist manchmal so... so... DU eben. Ich kann das nicht beschreiben. Du bist einfach einzigartig und ich hab keine Ahnung ob das positiv oder negativ ist, aber was auch immer... man kommt nicht davon los..." Er saugt die Luft regelrecht ein. „Ich geh jetzt."

„Okay..."

Seine Worte schwirren gefährlich durch meinen Kopf, aber sie finden noch keine Anlegestelle.

Ich sehe ihm nach, wie er auf die Wattebauschen zusteuert und dann abbiegt auf den Gehweg.

„Oh, und Rosie?"

„Hmm?"

„Ich hol dich morgen um Halb."

„Okay."

Er grinst mich noch einmal dümmlich an, dann stapft er davon.

Clive Alfred Westwood...

Unfassbar wie ein Mensch mein Wohlbefinden steuern kann...

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HeyHo ihr Lieben,

allgemeine Meinungen zum Kapitel?

Was sagt ihr zu Candice Aktion, wie findet ihr ihr Verhalten?

Und wie steht ihr zu Clives Besuch, der Versöhnung?

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💌N°65: Schwarz/Weiße Socken oder lieber bunte Socken?

... Wie schätzt ihr mich ein? Bunt oder S/W

XOXO Maggie💕

Ps. Folgt mir gerne auf Instagram: @sxmelittlestories

Gleicher Name wie hier auf Wattpad, dort gibt es alles rund um Wattpad und co. u allgemein BÜCHER. 😏

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