61. Nur ein Hoodie ✔
We love the things we love for what they are. - Robert Frost
Song: Everlasting Love - Jamie Cullen
Dunkelheit.
Dunkelheit bedeutet kein Licht.
Kein Licht bedeutet entweder fensterloser Raum oder Nacht oder Stromausfall... oder eine Kombination aus allem.
Das hier ist Nacht und Nacht bedeutet in diesem Fall, dass ich offenbar eingeschlafen bin.
Es dauert einen Augenblick, bis sich mein schläfriges Geblinzel in die schwarze Finsternis in ein starres Starren wandelt. Ein Starren ins Nichts.
Ich bin eingeschlafen!
Der Arm um meine Taille hat urplötzlich ein zentnerschweres Gewicht. Wie heißt es so schön, die Realität boxt einen manchmal gnadenlos in den Magen.
Sebastian hinter mir zu spüren, seinen Körper, seine Wärme, seinen feinen Atem...
Himmel, ich weiß nicht wie lange ich davon geträumt habe... so lange, dass ich weiß, dass das hier zumindest kein Traum ist. Und wenn doch, dann ein verdammt realer.
Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, aber ich habe das dringende Bedürfnis zu laufen, meine Zähne zu putzen und allein zu sein.
Es ist, als hätte jemand mit dem Finger geschnippt und die Mauer eingerissen, die mich vor meinen unzähligen, verwirrenden Gedanken beschützt hat. Gedanken, die ich nicht gescheit einordnen kann und wohl bis eben verdrängt habe.
Allmählich fokussieren meine Augen Umrisse, der schwache Mondschein von draußen ist keine große Hilfe, aber er genügt, um mir zu verraten, wo meine Tasche liegt – auf dem Fensterbrett.
Unter dem alten Stoff blinkt es immer wieder fröhlich – mein Handy.
Vorsichtig schäle ich mich aus Sebastians Arm. Doch statt in einem Schwung aufzustehen, bleibe ich einen Augenblick sitzen und beobachte ihn einen Moment.
Es hat etwas von einem Deja-Vú.
Damals als Clive bei mir war, ich bei ihm war.
Clive...
Gott, wieso kann dieser Junge nicht eine Nacht oder einen Tag einmal aus meinem Kopf verschwinden, er schafft es immer einen Weg hinein zu finden. Wie bei Rapunzel und dem Prinzen. Ich frage mich, wann ich wohl aus dem Turm ausbreche und Clive nur noch einen leeren Raum vorfindet.
Er sieht so friedlich aus. Ich will nicht an Clive denken, sondern Sebastian.
Sanft streiche ich ihm eine Strähne aus der Stirn. Er hat immer noch seinen schwarzen Nike-Hoodie an, ich meine Bluse und das Top.
Lautlos schleiche ich zum Fenster, fische meine Handy aus der Tasche und lehne mich gegen das Brett; ein verpasster Anruf von Clive, einer von Mom und mindestens zehn Nachrichten auf Whatsapp.
Da hätten wir einmal meine Mom: Wo bist du? – Mary? – Viel Spaß noch... - und bei der letzten Nachricht noch dieser perverse Smiley oder wie auch immer man ihn nennen mag. Oh Gott! Die letzte Nachricht kam um acht, die anderen um halb acht.
Clive hat mir geschrieben... Wo bist du?
Und Candice... Clive hat mich eben angerufen, wo du bist... deine Mom hat ihn gefragt, ich hab gesagt, du bist bei mir. Schreib mir bitte, wenn irgendwas ist. – Ansonsten... du musst mir morgen ALLES erzählen.
Im Grunde könnte nichts besser mein Inneres ausdrücken als jenes GIF, in dem sich sämtlich Zuschauer im Kinosaal mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen.
Ich hätte überhaupt früher darauf kommen können meiner Mom Bescheid zu geben, wo ich bin.
Hastig tippe ich ein: Danke, ly an Candice, ignoriere Clives und Moms Nachrichten und lege das Handy zurück in meine Tasche.
Unruhig blecke ich meine Zähne. Ich hasse es, wenn meine Zähne leicht rau sind... es... es macht mich nervös.
Außerdem kneift mein BH. Ein Glück habe ich mich für die Leggings entschieden und ein langes Karohemd... Nicht auszumalen wie unangenehm jetzt Jeans wären.
Aber wer konnte schon wissen, dass ich in Sebastians Armen einschlafen würde... wir haben doch nur „Mission Impossible" angesehen und irgendwie...
Bemüht geräuschlos tapse ich über das Parkett und stocke nur eine Sekunde lang bei Sebastians Schreibtischstuhl... einer seiner Hoodies hängt darüber, der waldgrüne, der, der mit seinen Augen so schön harmoniert und sie noch mehr strahlen lässt. Er hatte ihn gestern in der Schule an.
Ich zögere einen kleinen Augenblick, dann schnappe ich ihn mir und stehle mich endgültig aus dem Zimmer.
Wo war gleich nochmal das Badezimmer?
Hier oben ist es wirklich stockdunkel, kein Mond, kein Fenster und das Licht will ich nicht anmachen... lediglich von unten ein bisschen... Helligkeit, aber kein Licht.
„Holy, Rose. Du bist noch da?"
Ich weiß nicht wie, aber mir bleibt der Schrei im Hals stecken. Wie von der Tarantel gestochen springe ich herum und es könnte noch so dunkel sein, George erkenne ich überall her.
„Habt ihr etwa...?"
Mit dieser Frage vertreibt er meinen Schock, erschafft einen neuen, der mich allerdings eher aufweckt, als erstarren lässt.
„Was? Nein, George! Was denkst du von mir?", zische ich erschüttert.
Hinter ihm fällt ein Lichtstrahl in den Flur. Schemenhaft erkenne ich sein verschmitztes Grinsen.
„Was denn? Was soll ich denken, wenn du um halb zwei bei uns im Flur stehst und offenbar aus dem Zimmer von meinem Bruder kommst."
„Nicht das! Ich bin nicht so eine."
„Das sagen sie alle, aber wenn es passt, dann wirft man Prinzipien gerne mal über Bord."
„George!"
„Sorry..." Er lacht leise und zieht mich in eine flüchtige Umarmung. „Eingepennt?"
Ein Glück ist es dunkel, sonst würde er vermutlich Witze über meine Gesichtsfarbe machen. Ich habe das Gefühl innerlich zu verglühen. Aus Angst, meine Stimme könnte versagen, nicke ich schlicht und hoffe er erkennt das.
„Alles klar. Du bist so süß, kleine Rosemary." Es hat etwas von einer Konversation mit einem Hund – und ich bin der Hund. „Kann ich dir helfen, du siehst verloren aus?"
„Was? Ähm, also... ich ähm... das Badezimmer.", stammle ich wirr und kassiere dafür noch ein Lachen.
„Einmal umdrehen und gerade aus."
„D-Danke."
„Immer doch, Rosie."
Und da ist er wieder...
Clive. Er ist wieder in meinem Kopf.
Kurz bevor ich die Türe schließe und auch George wieder verschwindet... „George?"
„Hmm?"
„Ich bräuchte noch eine Zahnbürste..."
„Erste Schublade unterm Waschbecken."
„Danke."
***
Es ist überflüssig zu erwähnen, wie eigenartig es ist neben Sebastian aufzuwachen. Ungewohnt, aber doch irgendwie schön.
Anders als mit...
Nein, ich werde jetzt nicht daran denken.
Draußen dämmert es allmählich, aber wir sind vom Taghell noch weit entfernt. Sein Arm ist wieder um meinen Bauch geschlungen. Ich kann seine Fingerspitzen auf meiner nackten Haut unter dem Hoodie spüren.
Vorsichtig taste ich nach meinem Handy – ein Glück habe ich es doch noch auf den Nachttisch gelegt, aber einer von uns musste ja wohl an den Wecker denken.
Es dauert eine ganze Weile, bis meine Augen die Müdigkeit endlich beiseite geblinzelt haben. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich lieber meine Augen geschlossen halten hätte.
Und hätte mich Sebastians Arm nicht gehalten, wäre ich sicherlich aus dem Bett gepurzelt.
Halb acht. Wir haben noch eine halbe Stunde, um in die Schule zu kommen. Von hier aus braucht man allein schon gute fünfzehn Minuten und Sebastian schläft noch...
Verflucht!
„Sebastian...", flüstere ich. Meine Stimme klingt aufgescheucht, nervös.
„Hmm?" Ein einsilbiges Brummen.
Entschlossen winde ich mich aus seinem Arm und setze mich auf die Bettkante, um ihn über meine Schulter hinweg anzusehen. „Steh auf, wir kommen sonst zu spät."
„Wie viel Uhr haben wir?", grummelt er und rollt sich immerhin schon einmal auf den Rücken.
„Halb acht, komm! Wir müssen meine Sachen noch holen."
Mein Leben lang war ich schüchtern und bisher konnte mich nur eine Sache davon ablenken – die Schüchternheit verdrängen: Die Angst vorm zu spät kommen.
Man könnte sagen ein Schalter wird in meinem Körper umgelegt, sobald die Uhrzeiger in ein kritisches Fenster gewandert sind.
Seine Augen werden groß, als er die Zeit realisiert, dann schlägt er die Decke mit einem Ruck zurück und schon sitzt er neben mir. Allerdings verfliegt der Anschein von Hektik und Eile so schnell wie er gekommen ist.
Sein Blick ruht auf mir.
Fast so, als wollte er ein Foto von mir machen und es mit jedem noch so winzigen Details versehen, um es in Erinnerung behalten zu können.
Die Uhr tickt zwar weiter, doch es fühlt sich so an, als würde sie stehen bleiben. Vielleicht läuft sie langsamer, es heißt ja: Zeit ist relativ. Gelegentlich kann ein ganzer Tag wie wenige Stunden sein und manchmal kann sich eine einzige Sekunde wie eine Unendlichkeit anfühlen.
Und noch bevor ich irgendetwas hätte tun können – was ich sicher nicht vorhatte – spüre ich seine Lippen auf meinen.
Dem Gefühl kommen Pancakes mit Ahornsirup am nächsten. Goldbraune Teigeier, gestapelt und noch etwas dampfend und darüber gießt man den leicht gekühlten Sirup.
Ein Traum.
„Wir sollten uns beeilen...", hauche ich gegen seine Lippen, sobald sich nur eine winzige Chance bietet.
So gerne ich diesen Moment genossen hätte, ich will nicht zu spät kommen.
Und wenn ich ehrlich bin... in mir lauert ein Gefühl, von dem ich nicht genau weiß, ob es gut oder schlecht ist.
Ich wollte genau das hier so lange und jetzt... es scheint zum Greifen nahe und trotzdem ist irgendwas...
***
Meine Eltern sind schon weg. Ein Glück!
Fraglich, was ich ihnen hätte erzählen wollen, wenn ich plötzlich mit Sebastian vor der Tür gestanden hätte und dazu noch in einem Hoodie, der definitiv nicht mir gehört. Einer, der mir weiß der Geier zu groß ist und einer, der vermutlich nach dem herben Hugo Boss Parfüm riecht, dass auf Sebastians Schreibtisch stand.
Sebastian wartet unten, in der Küche.
Ich weiß, ich sollte mich beeilen, sollte nicht versuchen diesem Gefühl zu widerstreben, dass mich drängt pünktlich zu sein, und doch tue ich es. Ich starre mich im Spiegel an, starre auf den Hoodie, die Knoten an den Kordeln und in mein Gesicht.
Was ist nur los mit mir?
Einerseits bin ich glücklich, aber dann ist doch dieses Gefühl in mir, als hätte ich etwas Verwerfliches getan, als wäre es mit Sebastian nicht richtig – vielleicht nicht jetzt?
Warum?
Sebastian war doch das was ich wollte und will?
Hastig schüttle ich meinem Kopf. Es bringt jetzt rein gar nichts mich in meinen Gedanken zu verlieren. Wir kommen nur zu spät – obwohl ich mir sicher bin, dass wir das sowieso schon tun.
Entschlossen streife ich mir den Hoodie vom Leib und lege ihn über meinen Schreibtischstuhl. Sebastians Geruch ist so anders als... als...
Als was? Als wer? Mir fällt es nicht ein, aber ich weiß, dass er anders ist.
Wahllos fische ich ein Shirt und einen Cardigan aus meinem Schrank, lasse die Schranktür dumpf auf einen heraushängenden Ärmel fallen. Das ist etwas, dass ich nicht leiden kann. Ich hasse es wenn meine Kleidungsstücke nicht ordentlich im Schrank liegen.
Und ich weiß genau, wer das fast permanent macht... Clive.
Es gab noch kein einziges Mal, dass ich bei Clive war und seine Schranktüren sauber geschlossen waren.
Mir ist es schleierhaft, weshalb ich ausgerechnet jetzt daran denke.
„Rose?"
„Komme."
Vielleicht fühle ich mich schlecht gegenüber Clive... immerhin bin ich schuld an dem Streit zwischen ihm und Sebastian.
Ich muss mit ihm über Sebastian und mich reden. Ich darf ihm das nicht verheimlichen. Zwischen Clive und mir stehen genügend Geheimnisse.
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Hey Hey,
Habt ihr das erwartet?
Was glaubt ihr, was mit Rose los ist.
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💌N°64: Eure Meinung zu Fußball?
Ich liebe es
XOXO Maggie🌷
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Gleicher Name wie hier auf Wattpad, dort gibt es alles rund um Wattpad und co. und allgemein BÜCHER. 😏
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