3. Kapitel ~ Lee

"Coralee Crown, schwing deinen Arsch aus dem Bett und komm sofort her!", schrie meine Mutter. Sie klang sehr wütend also rieb ich mir schnell meine verschlafenen Augen und sprang von meinem Hochbett herunter.

Auf dem Gang kam mir Marian entgegen und fragte ebenfalls verschlafen: "Was ist denn los?" Gerade als ich ihr antworten wollte, das sich keine Ahnung hatte, fiel mir die Vase wieder ein. Meine Augen weiteten sich panisch und ich rief: "Scheiße, ich muss runter!"

Dann stolperte ich die beiden Stockwerke hinunter und kam außer Atem unten an. Meine Mutter stand, mit in die Hüfte gestemmten Armen, da und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?", fragte ich mit einem leicht genervten Unterton in meiner Stimme, auch wenn ich genau wusste, was sie meinte.
"Die Vase ist nicht von alleine kaputt gegangen!"
"Welche Vase?", stellte ich mich dumm.
"Meine Lieblingsvase! Und da sie nur noch aus Scherben besteht, die ich zufälligerweise im Mülleimer gefunden habe, habe ich geschlussfolgert, dass du dich mal wieder nicht unter Kontrolle hattest", meinte sie streng.
"Und wieso kann es nicht Marian oder Maisie gewesen sein?", fragte ich spöttisch. Ich wusste, dass ich mich tief in die Scheiße reinritt, weil ich es ja doch gewesen war, aber das war mir egal. Ich wollte endlich wissen, wieso sie immer annahm, dass ich die Schuldige war.

"Die machen so was nicht. Besser gesagt, sie würden es wenigstens zugeben."
"Und wie hätte ich Bescheid geben sollen, wenn ihr nicht da wart?"
"Also warst es doch du?", fragte meine Mutter.
"Gut kombiniert, Sherlock", meinte ich frech.
"Sprich nicht in diesem Ton mit mir, Coralee."

Das machte sie absichtlich, sie wusste ganz genau, wie sehr ich es hasste Coralee genannt zu werden. Entweder Cora oder Lee, was mir persönlich am besten gefiel. Aber auf gar keinen Fall Coralee.

"Wie dann? Es ist doch egal, was ich mache, wie ich rede, was ich schaffe, ich kriege immer Ärger und mache immer irgendetwas falsch!" Man konnte meinen verärgerten und verletzten Ton deutlich aus meiner Stimme heraushören, aber das wollte ich auch.
"Das stimmt nicht."
"Ach nein? Und wieso kriegt Marian nie Ärger?", fragte ich, obwohl ich ihre Antwort schon erahnte.
"Sie macht nie etwas falsch. Nimm dir doch ein Vorbild an ihr."

Wenn sie wüsste, wie sehr ich das jetzt schon tat. Doch ich konnte mich manchmal einfach nicht zurückhalten. Wenn ich unfair behandelt wurde, beispielsweise.
"Und wenn du das nächste Mal etwas kaputt machst, bekommst du Hausarrest."
"Aber..., ich mache das doch nicht absichtlich. Ich bin einfach nur ein Tollpatsch."
"Nein, du bist nicht tollpatschig. Du rastest nur zu schnell aus und hast deine Fähigkeit nicht unter Kontrolle", blieb sie standhaft.

"Was soll ich denn machen? Das ist meine Natur!", beschwerte ich mich lauthals.
"Dann kämpf gegen deine Natur an, ansonsten wird nie was aus dir." Enttäuscht von mir ging sie weg und ich stand ein bisschen planlos im Gang da.

Irgendwie hatte sie ja auch recht, ich machte wirklich häufig etwas kaputt, so sehr es mir auch leid tat. Nach einigen Sekunden raffte ich mich dazu auf in die Küche zu gehen und etwas zu essen. Aber als ich auf die Küchenuhr schaute, merkte ich wie viel Zeit mich dieses 'Gespräch' gekostet hatte und verzichtete auf mein Frühstück.

Schließlich begann heute die letzte Schulwoche und ich wollte mit meinen Freunden noch die letzte gemeinsame Zeit verbringen, bevor wir uns nicht mehr jeden Tag sehen würden. Ich schnappte mir eilig eine Tasche, stopfte einen Block und einen Stift hinein und flitzte hinaus.

"Tschüss!", rief ich noch zum Abschied, bevor ich schnell weiter rannte um Maisie und Marian einzuholen, die auf dem Weg zum Kindergarten waren.

Unser Gespräch fiel knapp aus, das war der Vorteil an einem Dorf. Nichts war weiter weg als fünf Minuten zu Fuß.

"Hey!", begrüßte ich meine Freunde. Sie nickten mir kurz zu, dann unterhielten sie sich weiter. Das versetzte meinem Herz einen kleinen Stich, ein bisschen mehr Nettigkeit hätte ich mir schon gewünscht. Gelangweilt lauschte ich dem Gespräch über die hübschesten Jungs der Jahrgangsstufe.

"Oh, ich hoffe so sehr, dass er mich fragt, ob ich mit ihm auf den Abschlussball gehen will", quietschte Jolene aufgeregt.
"Bestimmt! Und vielleicht fragt Nick ja mich", erwiderte Cleo mit dem gleichen Tonfall.

"Träumt weiter", brummte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und brachte die beiden dazu mich anzuschauen.
"Was hast du gesagt?", fragte Jolene schnippisch.
"Nichts", winkte ich ab.

Meine beiden Freunde konnten nett sein, aber den größten Teil der Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, waren sie einfach nur unglaublich nervig.

"Mit wem gehst du denn auf den Abschlussball?", fügte Cleo mit gerunzelter Stirn hinzu. Oh scheiße, jetzt musste ich mir schnell was einfallen lassen.

"Mit Mike", antwortete ich neutral. Er war der erste gewesen, der mir eingefallen war, Marian hatte mir vor einer Weile von ihm erzählt. Er war der Sohn des Arbeitskollegen meines Vaters und der einzige Junge, mit dem ich irgendwie in Kontakt treten könnte, wenn ich mich denn benahm und beim nächsten Essen mitkommen dürfte.

"Mike? Mike Robertson?", kreischte Jolene. Und Cleo meinte verwundert: "Der ist doch viel zu alt für dich!"

"Wieso?", fragte ich diesmal misstrauisch.
"Er hat vor zwei Jahren seinen Schulabschluss gemacht, er ist 21!", erklärte Jolene Cloes Gedankengang.
"Na und? Wieso sollte ich dann nicht mit ihm zum Ball gehen? Es werden doch sowieso das ganze Dorf und ausgewählte Außenstehende eingeladen, weil wir zu wenig Schüler für eine richtige Feier sind."

Das brachte die beiden zum Schweigen. Den undefinierbaren, aber eindeutig genervten Blick den sie sich zuwarfen, bemerkte ich zwar, ignorierte ihn aber.

"Bereit für Mathe?", wechselte Jolene gekonnt das Thema. Sofort schlug mein Herz schneller und ich wurde so nervös wie ein Schmetterling im Spinnennetz.

Mathe, das einzige Fach, indem ich wirkliche Probleme hatte. Das lag aber nicht daran, dass ich es nicht verstand, sondern mehr aus dem Grund, dass ich unglaublich nervös wurde vor Prüfungen.

In allen anderen Fächern bearbeitete ich einfach schnell alle Aufgaben, die ich konnte, sodass das Blackout nicht die ganze Note ruinieren würde.
Aber in Mathe schaffte ich es nie schnell irgendeine Aufgabe zu bearbeiten, bevor die Erinnerungslücke einsetzte, da man nicht wusste, ob die Aufgabe leicht war oder nicht. Und während dieser Phase, die durch meine Nervosität ausgelöst wurde, wusste ich nicht einmal mehr was Fünf mal Sieben war.
Jolene und Cloe waren im Gegensatz zu mir die absoluten Matheasse.

Wir begaben uns zum Prüfungsraum, auf dem Weg begannen meine Hände zu schwitzen und nervös zu zucken. Verwundert betrachtete ich sie, das hatten sie noch nie gemacht. Egal wie krampfhaft ich es versuchte zu verhindern, es gelang mir nicht.
"Was ist denn mit deinen Händen los, Lee?", fragte Cloe.
"Keine Ahnung! Was ist das?", rief ich panisch. Immer unkontrollierter und stärker fingen sie an zu zucken.

Zu dritt rannten wir zum Klassenzimmer in der Hoffnung einen Lehrer zu finden, der mir helfen konnte.
„Guten Morgen!", hörte ich die tiefe, kratzige Stimme meines Mathelehrers und sog erleichtert die Luft ein.
„Hallo, wir brauchen Hilfe!", rief ich. „Ich werde keine Fragen mehr bezüglich der Prüfung beantworten."

„Darum geht es nicht, schauen sie sich mal ihre Hände an!"
Herr Newman hob seinen Kopf und seine Augen weiteten sich.

„Du hast dich nicht unter Kontrolle." Wir schauten ihn fragend an, keiner von uns verstand, was er mir damit sagen wollte.
„Du hast deine Fähigkeit noch nicht unter Kontrolle, du lässt dich noch zu sehr von deinen Gefühlen lenken und wenn du starke Emotionen hast, gerät sie außer Kontrolle, wie jetzt", erklärte er.

„Wie kann das sein? Ich trainiere doch unglaublich viel", hakte ich nach. „Falsche Angewohnheit schätze ich. Wenn du es falsch lernst, machst du es immer so. Hast du öfter Probleme mit deiner Stärke wenn du besonders wütend oder traurig bist?"
„Ja, schon", gab ich offen zu.

„Aber wieso passiert das denn nicht, wenn sie besonders glücklich ist? Es geht doch grundsätzlich um starke Emotionen, oder?", fragte Jolene. Das hätte ich auch als nächstes gefragt.

„Negative Gefühle sind meistens stärker als positive, besonders in eurem Alter hat fast jeder Selbstzweifel und ist unglücklich mit irgendwas. Erst mit dem Alter lernt man sein Leben zu schätzen und zufrieden damit zu sein."

Das klang alles ziemlich stimmig, ich wusste am besten, dass ich des Öfteren von Eifersucht oder Wutgefühlen heimgesucht wurde.
„Und die Auswirkungen der Gefühlsausbrüche sind je nach Gabe unterschiedlich. Bei dir zucken eben die Hände oder du hast den Drang auf etwas einzuschlagen, weil du durch deine Fähigkeit überproportional viele Muskeln besitzt und diese sich verkrampfen. Das ist bei jedem unterschiedlich", führte Herr Newman seine Erklärung weiter aus. Ich hatte nie gewusst, wie schlau mein Mathelehrer eigentlich war.

„Und wie kann ich lernen mich zu kontrollieren?", fragte ich neugierig. „Puh, das weiß ich nicht. Schätze, du solltest versuchen mehr positiv zu denken und positive Gefühle zuzulassen. Sprich mit jemandem, vielleicht hilft dir das ja etwas", schlug er vor und ich nahm mir den Rat zu Herzen. Gleich heute Nachmittag würde ich mit Marian darüber reden. Sie war trotz meiner heimlichen Eifersucht die wichtigste Person in meinem Leben, stand sogar vor meinen Eltern, weil sie mich einfach so liebte wie ich war.

"Okay, danke für die Hilfe!", meinte ich zufrieden lächelnd, da meine Hände aufgehört hatten zu zucken. Die Nervosität war fast verflogen, mein Puls nur leicht beschleunigt.

Wir setzten uns auf unsere Plätze und warteten auf den Schulgong. Als dieser einsetzte, machte sich Herr Newman daran uns die Blätter zu verteilen.

Ich rückte derweil meinen Stuhl zurecht, nahm einen Stift zur Hand und begann.

Drei Stunden und eine zittrige Hand später, verließ ich glücklich den Raum, ich hatte kein Blackout bekommen und noch dazu ein gutes Gefühl. Vielleicht konnte ich damit meine Eltern stolz machen.

Jolene und Cloe saßen noch drin und schrieben fleißig weiter, also suchte ich die Cafeteria auf und holte mir eine Heiße Schokolade.

Dann ging ich nach Hause, der restliche Unterricht war wegen der Prüfung für heute abgesagt worden.

"Ich bin wieder da!", schrie ich durchs Haus, keiner antwortete. Aber das konnte mich nicht von meiner glücklichen Stimmung abhalten.

Ich rannte die Stufen zu meinem Zimmer hinauf, warf meine Schultasche in die Ecke meines Zimmer und schmiss mich aufs Bett, mit dem seligen Gefühl heute etwas erreicht zu haben.

~
Hoffe es hat euch gefallen :)
Wenn ihr das Kapitel mochtet, schaut doch auch mal bei meinem Hauptprofil vorbei: TeaAddict05

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top