2.

Ich nahm einmal tief Luft, und lief dann durch die Cafeteriatür. Dort drinnen hatten sich die üblichen Gruppen herauskristallisiert- und ich gehörte zu keiner dieser Gruppen dazu. Als ich mich umblickte, sah ich, dass Clay schon an einem Tisch saß, ich kannte dort fast niemanden, außer einem Mädchen dass die 12. Klasse freiwillig wiederholt hatte und früher mit mir Chemie hatte. In der Zeit in der ich an der Essensausgabe anstand beobachtete ihn. Er saß zwar dabei, aber er lachte nicht mit und er redete nicht. Trotzdem war ich irgendwie neidisch. Ich drehte mich ruckhaft wieder um. Kümmer dich um deine Angelegenheiten, Victor. Lass dich nicht von ihm aus der Fassung bringen. Als ob du nicht auch Chancen hättest neu anzufangen.

Als ich mein Essen hatte blieb ich kurz unschlüssig im Raum stehen. Dann lief ich zielstrebig auf einen Tisch zu, an dem ein paar der Basketballer saßen, ich kannte sie nur flüchtig aber einen Versuch war es wert. Also stand ich vor ihnen und sie starrten mich alle an. "Ähm." Mein Gehirn war leer. "Darf ich mich vielleicht zu euch setzen?" kurzes, unangenehmes Schweigen, sie werfen sich Blicke zu, die eindeutig "Nein!" sagen. Dann sagte einer von ihnen, ich kannte seinen Namen nicht einmal. "Nichts für ungut Mann,, aber eigentlich echt nicht." Super. War ja zu erwarten. Ich knirschte mit den Zähnen sah dem Typen nochmal kurz an und versuchte wenigstens ein bisschen einschüchternd zu wirken, während mein Stolz sich am Boden krümmte. Dann drehte ich mich abrupt um und ging den Blick zum Boden gerichtet aus der Cafeteria und versuchte das offensichtliche Kichern zu ignorieren.

 Und das war dann wohl ein weiterer Punkt in der Rangliste "Momente, in denen ich im Boden versinken möchte." Niedergeschmettert lief ich ohne Plan den Korridor entlang, die Hand, in der ich mein Tablett hielt krampfhaft zur Faust geballt. Ich war so ein Idiot, wieso musste ich mir eigentlich alles vermasseln, dieses Schuljahr würde die Hölle werden. Beziehungsweise, war es das jetzt schon, schließlich hatte ich es nicht einmal durch den ersten Schultag geschafft, ohne gedemütigt zu werden. Blind vor Wut lief ich einfach weiter und weiter, bis heiße Tränen in meine Augen stiegen. Ruckartig blieb ich stehen. Reiß dich zusammen Victor, du bist kein kleines Kind mehr. Du solltest über dem Ganzen stehen. Ich ließ mich mit einen tiefen Seufzer auf den Boden fallen und lehnte meinen Kopf an die kalte Betonwand. Mein Essenstablett kickte ich frustriert von mir weg, mein Appetit war spurlos verschwunden. Ich fühlte mich nur noch erbärmlich, wie ich kurz vor dem Heulen auf dem Schulflur saß.

Letztes Jahr war ich einer der Typen gewesen, die andere ausgelacht haben, wenn sie ausgeschlossen werden und andere herumgeschubst hatte. Ich hatte genau die
schikaniert, zu denen ich jetzt gehörte und erst in diesem Moment realisierte ich, dass ich eine schreckliche Person war. Aber ganz ehrlich, als ich da so am Boden saß wäre ich viel lieber eine schreckliche Person, aber dafür angesehen und mit Respekt behandelt als, nun ja, mich in dieser Situation zu befinden. Klar, das klingt moralisch ziemlich verwerflich, aber ich hätte zu diesem Zeitpunkt vermutlich alles getan um meinen Status wiederzuerlangen.

Nach der Schule musste ich direkt zu einer Sitzung mit meiner Sozialarbeiterin. Die Sitzungen waren eigentlich echt okay, manchmal etwas langweilig, aber ich verstand mich ganz gut mit meiner Sozialarbeiterin, sie war keine zehn Jahre älter als ich. Frau Fischer begrüßte mich nicht einmal, sondern sagte nur "Scheiß ersten Schultag?" Ich nickte nur und ließ mich in den Sessel gegenüber von ihr plumpsen. "Noch beschissener als gedacht." sagte ich dann, als sie mich erwartungsvoll ansah. "Hast du wenigstens den Versuch unternommen, dich wieder einzugliedern?" Ich schnaubte nur. " 'N Scheiß, eingliedern. Das wird nichts mehr mit eingliedern, jeder verachtet mich." Sie hob eine Augenbraue. "Hast du etwa jeden gefragt, was er von dir hält?" Ich sah sie genervt an. Sie wusste genau, wie sie mich provozieren, mich aus der Reserve locken konnte. "Sie wissen, wie ich das meine. Ständig hat mich jemand angestarrt. Mit mir geredet, geschweige denn sich zu mir gesellt hat sich auch niemand freiwillig." Sie schmunzelte "Und unfreiwillig?"
Ich überlegte kurz, ob ich ihr von Clay erzählen sollte, es würde ihr sicher nicht gefallen, dass ich so unfreundlich und unaufgeschlossen ihm gegenüber war. Sie sah mich eindringlich an, ich wich ihrem Blick aus und biss die Zähne zusammen. "Okay, also da ist dieser Typ namens Clay, er sitzt im Rollstuhl und ich soll ein bisschen auf ihn aufpassen. Aber er ist irgendwie seltsam und ich hab keine Lust Babysitter zu spielen." Sie nickte langsam. "Und du bist sicher nicht ein bisschen voreingenommen?" Ich sagte nichts. Ich wollte mich verteidigen, aber ich wusste ja selber, dass ich eigentlich nicht in der Position war, so mit Leuten umzuspringen, wie ich es mit Clay getan hatte.
Sie wartete einfach, das machte sie oft. Sie redete nicht weiter, oder wechselte das Thema, bis sie die Antworten hatte, die sie wollte.
"Okay, ich gebe zu, vielleicht war ich ein etwas abweisend, aber zu meiner Verteidigung, er war es auch!" Sie schmunzelte und nickte leicht. "Weißt du, Victor, du möchtest akzeptiert werden, aber sobald dir neue Chancen geboten werden, blockst du ab. Wieso? Weil er nicht deinem ehemaligen sozialen Stand entspricht? Weil er nicht genug für dich ist, um wieder beliebt zu werden? Oder einfach, weil er anders ist?" Sie hatte ziemlich ins Schwarze getroffen, mit allen ihren Fragen und ich wurde wirklich wütend. Ein bisschen wütend auf sie, weil sie Recht hatte und ich ein ziemlich arroganter Idiot war, aber auch auf mich selbst, eben weil ich so ein arroganter Idiot war und sonst sowieso auf alle, die mich heute nicht so behandelt hatten, wie ich es von früher gewohnt war.
"Sie sind nicht meine Therapeutin und auf Moralpredigten hab ich wirklich keine Lust. Hören sie auf zu versuchen mich zu analysieren." Ich schleuderte ihr das ganze entgegen und es klang aggressiv und härter als geplant, ich war einfach nur von Zorn beherrscht, den ich an irgendjemandem auslassen musste. Frau Fischer ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, sie war es gewohnt, dass ich manchmal explodieren konnte. Sie antwortete, wie die Ruhe selbst "Ich hätte gedacht, so langsam zu sehen, wie du zu einem neuen Menschen wirst und den alten Victor zurücklässt." Doch das brachte mich nur noch mehr in Rage. Ja, einerseits war ich früher kein besonders netter Mensch gewesen (jedenfalls nicht zu denen, die nicht in meiner damaligen Liga spielten), aber andererseits war auch alles viel einfacher gewesen. Teilweise aus Selbstdefensive, teilweise aus wachsendem Groll warf ich ihr ganz unverblümt an den Kopf "Ganz ehrlich, lassen sie mich in Ruhe mit ihrem pseudopsychologischen Kram. Ich bin der, der ich immer war und Ihre scheiß Lektionen werden das sicher nicht ändern." Dann stand ich einfach auf und ging.


Heyhooo, nach Ewigkeiten endlich mal das zweite Kapitel :D
Hoffentlich gefällt es euch!

xoxo, Andy



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