1.

In dem Moment, in dem Clay das Zimmer betrat- wobei er es ja eigentlich nicht betrat, er rollte hinein, aber ich bin mir nicht sicher, ob es diskriminierend wäre, dass so auszudrücken. Jedenfalls, als er in das Zimmer kam änderte sich Alles. Naja, also nicht Alles im SInne von wirklich Alles aber auf jeden Fall so einiges und streng genommen änderte es sich auch nicht sofort sondern nach und nach, aber es änderte sich und die Änderungen chronologisch aufzuzählen würde jetzt wohl wirklich den Rahmen sprengen. Der springende Punkt des ganzen ist, dass Clay wohl was ziemlich besonderes ist und dass er es schaffte so einiges zu vollbringen.

Es war nämlich so, am ersten Tag der 12. Klasse, die ich jetzt übrigens zum zweiten Mal besuchte ist er fünf Minuten nachdem der Unterricht- beziehungsweise das übliche informative Gequatsche bei dem ich immer fast einschlief- begonnen hatte einfach so reingekommen, ohne anzuklopfen. Mr. Coburn sah ihn dann erstmal ziemlich perplex an, wobei er fast immer perplex schaute. Mr. Coburn, unser Englischlehrer war ziemlich jung, ließ sich von jeder Außerplanmäßigkeit verunsichern und konnte sich nicht durchsetzen. Ich schätze, deswegen war sein Unterricht echt ganz ok. Der Neue ist dann also zu Mr. Coburn (der immer noch aussah, als hätte er grad eine fliegende Kuh gesehen) gerollt und hat einfach gesagt. "Ich bin Clay. Der Neue." Mr. Coburn löste sich so ganz allmählich aus seiner Schockstarre und sagte einfach nur "Clay." Irgendwie ein bisschen einfallslos von ihm. Von besagtem Clay kam nur "Ja, so heiße ich. Schön, dass ich mich jetzt vergewissern konnte, dass sie meinen Namen richtig aussprechen können. Schafft auch nicht jeder." Ein paar lachten. Clay schien es nicht zu interessieren. Der Neue wurde mir ein bisschen sympathischer, Respekt an ihn und die schlagfertige Antwort. Mr. Coburn räusperte sich. "Nun, Clay. Ich habe mich schon gefragt, wo unser neuer Mitschüler abbleibt. Ähm... möchtest du dich vielleicht kurz vorstellen?" Der Neue drehte seinen Rollstuhl so, dass er sich der Klasse zuwand. "Ich heiße Clay, nein, das ist kein Spitzname, ich sitze im Rollstuhl, ja, das wird für immer so sein." Mr. Coburn räusperte sich wieder. "Also, Clay... Setzt dich doch an einen freien Platz." Er errötete. "Tut mir leid, das war taktlos. Also, ämh, nimm einfach Platz." Clay sah sich kurz um und mein einziger Gedanke war Bitte nicht neben mich, bitte nicht neben mich. Selbst wenn er ganz cool schien, das Einzige, was demütigender wäre, als dass ich alleine saß, war, wenn der Krüppel neben mir sitzen müsste, weil ich allein saß. Und natürlich rollte er sich neben mich. Mr. Coburn lächelte mir zu und sagte dann "Schön. Victor, zeig unserem neuen Mitschüler doch bitte später alles und hilf ihm, bis er sich zurechtgefunden hat." Na super, war ja nicht schon so, dass ich in der High-School Hierarchie nicht sowieso schon knapp über den Strebern aus dem Mathe-Club stand. Mich mit dem Behinderten abzugeben würde mich sicher nicht an die Spitze katapultieren, wo ich eigentlich hingehörte.

Ich nickte dem Neuen kurz zu und beschloss dann, ihn erstmal zu ignorieren.

Er reagierte nicht auf mein Nicken sondern starrte einfach geradeaus. Ich weiß nicht, ob er Mr. Coburn, der mittlerweile weiter unnötige Informationen zum neuen Schuljahr kundgab zuhörte, oder ob ihm das alles eigentlich egal war. Ich tendiere zu Letzterem.

Die weitere Stunde verlief kriechend und als ich aus dem Unterricht hinausging war ich auch nicht schlauer als davor. Eigentlich war der Englischunterricht immer wirklich okay gewesen, aber irgendwie war jetzt alles scheiße. Es war todlangweilig, wenn man nicht die richtige Person neben sich sitzen hatte. Außerdem starrten mich alle an. Am liebsten wollte ich ihnen allen mal die Meinung sagen, aber das konnte ich mir nicht leisten.

Ich war schon dabei wegzulaufen, als der Krüppel von hinten angerollt kam. Ich weiß übrigens, dass es nicht besonders nett ist ihn Krüppel zu nennen, aber ich bin weder besonders nett oder sozial. Meine Sozialarbeiterin meinte, ich sollte etwas an meiner Einstellung ändern, offener und weniger fies werden. Habs ungefähr 10 Minuten lang versucht, dann kreuzte das erste Arschloch meinen Weg und ich bin nicht umhingekommen ihn zu beleidigen. Jedenfalls sackte meine Laune, die sich eigentlich schon am Tiefpunkt befand (jedenfalls dachte ich das) noch ein Stückchen weiter. Ich hab mich zu ihm gedreht, das Rad seines Rollstuhs gepackt, damit er stehenbleibt und gesagt "Hör zu, ich hab absolut keine Lust dich zu bemuttern und ich hab auch keine Lust dazu, zu tun als hätte ich Lust dazu." Er runzelte die Stirn. "Trifft sich gut, ich würde nämlich ungern einen Typ wie dich Mutter nennen müssen. Außer natürlich du stehst auf sowas. Aber eigentlich möcht' ich nur zum Biosaal. Danke für die Unterhaltung." Dann rollte er einfach weiter. Seine Antwort gefiel mir zwar ganz und gar nicht, aber er war zu schnell -oder ich zu langsam- als dass ich etwas schlagfertiges erwidern könnte, also nahm ich es einfach mal hin und war glücklich darüber ihn los zu haben.

Ein bisschen irritiert von Clays Auftreten lief ich auch Richtung Biosaal, Clay und ich hatten wohl nicht nur Englisch zusammen und ich hatte wirklich keine Ahnung ob mir das gefiel. Aber gut, das war fürs erste meine kleinste Sorge, mein eigentlicher Plan war es schließlich nicht irgendeinem behinderten Kind aus dem Weg zu gehen, sondern wieder an die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide zu gelangen. In den Footballverein konnte ich nicht mehr, das war ganz ausgeschlossen und sonst gab es keine außerschulischen Aktivitäten, die dich wirklich cool machten- naja, außer vielleicht Cheerleading, aber das erübrigte sich. Aber irgendetwas brauchte ich, dass mir einfach Zugehörigkeit verschaffte- am besten Sport, Basketball oder so. Oder ich versuchte mit einer der Cheerleader die neu waren und noch keine Ahnung hatten, wer ich was anzufangen - aber das war die unmoralischere und unehrliche Methode und ich wollte schließlich zu einem moralischen und ehrlichen Mensch werden. Gut, eigentlich wollte das eher meine Sozialarbeiterin aber das kann man denke ich außer Acht lassen.

Nach Mathe, was ich zur Abwechslung mal nicht mit Clay hatte, kam ein wirkliches Problem auf mich zu: Mittagessen in der Cafeteria. Ich hatte keine Freunde (mehr) und wirklich absolut keine Ahnung, wer mich noch neben sich am Tisch akzeptieren würde und nun stellte sich die Frage: Was war weniger demütigend: Irgendwo alleine zu essen oder zu versuchen sich mit irgendwelchen 9.-Klässlern anzufreunden? Aber bevor ich mich mit dem Problem weiter befassen konnte, kam jemand ganz bestimmtes auf mich zu. Er hielt neben mir und begann ohne Umschweife zu reden "Eigentlich möchte ich echt nicht auf deine Hilfe angewiesen sein, weil du wirklich verzweifelt und jämmerlich wirkst, aber ich hab keinen blassen Schimmer wo die Cafeteria ist und du bist der Einzige, mit dem ich bis jetzt überhaupt gesprochen habe. Ich nehm' mir jetzt also die Freiheit mit dir mitzukommen, von mir aus auch in gebührendem Abstand, dass man dich ja nicht mit dem armen behinderten Jungen zusammen sieht." Ich starrte ihn an, machte meinen Mund auf, schloss ihn wieder und sah dabei wahrscheinlich wie ein verhaltensgestörter Fisch aus. Dann ging ich einfach los. "Möchtest du dich nicht rechtfertigen oder so?" meinte Clay während er neben mir herkam. "Ich sehe Nichts wofür ich mich rechtfertigen sollte. Was du gesagt hast ist wahr, ich hab kein Bedürfnis jemanden wie dich an der Backe zu haben. Hier an der Schule sind die Leute nicht nett und akzeptieren jeden wie er ist. Ich meine, keine Ahnung wo du herkommst, aber sobald du hier ein Stückchen anders bist, bist du ein Freak. Und ich kann es mir echt nicht erlauben, noch tiefer zu sinken." Er musterte mich von oben bis unten. "Ich wüsste nicht wie du noch tiefer sinken könntest." Wir waren fast an der Cafeteriatür. "Danke, ich komme jetzt allein klar," kam noch von Clay, dann rollte er davon. Ich lief ihm hinterher, in Gedanken darüber, dass er eigentlich echt ganz interessant war, vor allem, weil er in meiner High-School-Geschichte bis jetzt der einzige war, der sich getraut hatte mir so die Stirn zu bieten und mich so perplex stehen zu lassen. Ich war es gewohnt der Stärkere mit den guten Sprüchen zu sein, aber der Junge hier war wirklich nicht auf den Mund gefallen- vielleicht sollte ich ja wirklich nicht ganz so ein Arschloch ihm gegenüber sein, aber jetzt war es dafür wohl zu spät und außerdem war ich so schon immer durchgekommen.

Danke fürs Lesen des ersten Kapitels! (falls das hier jemand liest :D)
Ich hoffe einfach mal die Geschichte kommt gut an, bis zum nächsten Kapitel.

P.S.: Kommentare und konstruktive Kritik immer erwünscht :)

xo, Andy

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