Urlaub (3)

Das Stückchen Pancake, das ich gerade mühsam abgeschnitten, in meinen Mund gesteckt und belanglos heruntergeschluckt hatte, blieb mir im Hals stecken. Augenblicklich begann dieser, Alarm zu melden und meine Birne glich schon bald dem Rot einer Tomate. Während ich versuchte, das Stückchen entweder wieder raus oder komplett rein zu bekommen, stiegen vor lauter lauter die Tränen in mein Auge. Ich glaubte, ich hatte mich verhört.

»Was? Klingt das so abwegig?«, grinste Liam amüsiert zu mir herüber und schüttelte nach wie vor mit süffisanter Mimik seinen Kopf über meine Reaktion.
Summer verdrehte die Augen und schob mir mein Glas Wasser zu. Augenblicklich griff ich danach und schluckte den Inhalt in großen Zügen runter. Das Stückchen schien besänftigt, denn mit einem der Schlücke gelang mir das Atmen wieder besser. Liam lachte leise und rau, was mir augenblicklich Gänsehaut, ihm hingegen einen wütenden Blick von mir mit zusammen gekniffenen Augen bescherte. Idiot.
»Ich wüsste nicht, dass du darüber zu entscheiden hast, mit wem ich fahre und mit wem nicht.«, entgegnete ich, nun noch etwas trotzig von seiner dominanten Art. Dass mir diese eigentlich gefiel, gestand ich mir selbst nicht einmal ein, ganz zu schweigen davon, dass ich es je zugegeben hätte.

Das Liam-Grinsen verließ immer noch nicht das Gesicht des schönen Jungen vor mir. Wenn ich es nicht so begehren würde, würde es mir vermutlich leichter fallen, sauer auf ihn zu sein. »Ich bin mir sicher, dass ich Summers Eltern und meine Eigenen ganz schnell davon überzeugt kriege, dass es keine gute Idee ist, eine Siebzehnjährige über abertausende Meilen allein verreisen zu lassen. Ganz davon, dass es ja furchtbar schade ist, wenn sie dann auch noch an Weihnachten und Neujahr alleine wäre.«, er zog dabei einen Schmollmund, als hätte er tatsächlich Mitleid mit mir.

Ich wusste, ich hatte verloren. Liam war der Liebling von Summers Eltern, das war mir schon beim ersten Mal, als ich es in live erleben durfte, aufgefallen. Sie hatten extra vor seiner Ankunft eingekauft, hatten ihn die ganze Zeit in Gespräche verwickelt, während er sein Prince-Charming-Lächeln aufsetzte. Er bekam sie rum, das wusste ich. Und wenn er schon fremde Eltern überzeugen konnte, würden die Eigenen auch kein Problem sein. Aber.. »Als wenn dich deine Eltern über das heilige Fest wegfahren ließen.«, ich verschränkte die Arme triumphierend vor der Brust. Ich wusste, dass aus seinem Kreis nur Jason katholisch und Connor evangelisch gekauft waren, aber allesamt waren Atheisten. Nichtsdestotrotz galt diese Regel nicht für die Eltern; sie waren meist katholisch, so auch Liams, und ich wusste, dass Weihnachten auch ohne Gottesglauben wichtig für die Menschheit war - mit Gottesglauben vermutete ich, wären seine Eltern noch etwas strenger.

»Die sind nicht alleine, die haben ja noch Heather bei sich.«, wendete er ein und verschränkte die Arme genauso theatralisch und symbolisch vor der Brust, wie ich es einige Momente zuvor getan hatte. Heather war Liams kleine Schwester. Noch so eine Eigenschaft, die ich unglaublich an ihm mochte; er war dieser große Beschützer-Bruder. Ein Mal hatte er die Schule geschwänzt, um auf die Theateraufführung seiner zwölfjährigen Schwester zu gehen und ein anderes Mal war er mitten im Unterricht fürs Telefonieren verschwunden, kam aber nicht wieder. Es hatte sich herausgestellt, dass Heather, die im übrigen ebenso dunkles Haar aber blaue Augen besaß, einen Fahrradunfall hatte und sich ihr Vorderrad nicht mehr bewegen konnte. Sie hatte zuerst Liam angerufen, weil das Fahrrad neu gewesen war und sie Angst davor hatte, es den Eltern zu sagen - zumindest erzählte Liam das, aber so ganz hatte ich es ihm nie abgekauft. Auf jeden Fall ist er dann vier Meilen zu ihr gejoggt, mitten aus dem Unterricht, hatte sie auf den Arm und das Fahrrad mitgenommen, sie zur Schulsanitäterin bei uns gebracht, die sich um ihr offenes Knie kümmerte, und anschließend hatte er ihr ein neues Fahrrad gekauft, genau das selbe Modell.

»Und du willst deine kleine Prinzessin wirklich an Weihnachten allein lassen?«, fragte ich provokant und zog eine Augenbraue nach oben. Liam öffnete den Mund, als hätte etwas dazu sagen wollen, hatte es sich dann anscheinend doch anders überlegt und schloss ihn wieder. Ich legte die Stirn in Falten. »Du bist ein komischer Kauz.«
Wieder erwärmte das leise, raue Lachen den Raum, doch er sagte nichts mehr dazu. Summer hingegen schien zu wissen, was er hatte sagen wollen, bevor ich ihn als Vogel bezeichnete, und warf ihm einen vorwurfsvollen Seitenblick zu. Was hatte sie denn heute gegen ihn?
»Um ehrlich zu sein muss ich Liam zustimmen. Es ist vermutlich tatsächlich keine gute Idee, allein zu fahren. Meine Eltern waren schon mal in Sri Lanka und hatten einige unangenehme Erfahrungen mit dort ansässigen Jugend- und Räuberbanden machen dürfen. Nie im Leben lassen sie dich dort allein hin. Auch nicht, wenn du deine Flugtickets und das Hotel schon gebucht hast.«, ihre Stimme war kalt und klar. Ihr schien etwas, was zwischen ihr und Liam im Raum stand und mich betraf, gewaltig gegen den Strich zu gehen, aber ich hatte keine Ahnung, was das sein konnte.

Liam hingegen, wie ich es erwartet hatte, ignorierte ihren Blick vollkommen und stopfte sich das letzte Bisschen seines vierten Pancakes in den Mund. Mittlerweile war ich es gewohnt, dass er viel aß. Also noch mehr, als normale Jungs tun. Aber ich hatte mich daran gewöhnt, denn schließlich gab es in meinem Kopf eine gute Begründung dafür. Neben Summer sah es auch gar nicht so viel aus, sie begann nämlich gerade ihren dritten, während ich nach einem schon ziemlich kämpfen musste. Summer machte ihre Pancakes immer besonders groß.

Nachdem ich ihr beim Abräumen geholfen hatte, bestand Liam darauf, mit hoch ins Zimmer zu kommen und neben mir zu stehen, wenn ich seine Tickets dazu buchte und das Hotelzimmer umwandelte. Er schlug vor, dass ich aus dem Einzelzimmer einfach ein Zimmer mit Doppelbett machte, weil das am günstigsten wäre. Natürlich entging mir sein unterdrücktes Grinsen dabei nicht, allerdings war er nicht der Einzige, dem der Gedanken daran, mit dem anderen ein Bett zu teilen, gefiel. Schnell hatte ich alles gebucht und in runter zur Tür gebracht, weil er zu seinem Footballtraining musste. Sie hatten heute Abend ein Spiel gegen die Schule von Lacombe und wollten nochmal die Feinheiten besprechen.

»Also.. wenn du willst, ich meine.. nur wenn du Zeit hast, versteht sich..«, er stand stammelnd in der Haustür der Blakes, hatte die Schuhe schon angezogen. Obwohl es November und ziemlich frisch war, trug er keine Jacke. Verlegen kratzte er sich im Nacken, wobei die Muskeln an seinen Oberarmen hervortraten. Ich musste aufpassen, nicht zu sabbern. »Ich meine, du bist ein Mädchen. u-und dich interessiert das alles vielleicht auch gar nicht so, aber, also, wenn..«, er atmete tief durch und hob den Blick von seinen nervös hin- und her tretenden Füßen, guckte mir aus seinen kristallklaren, grünen Augen tief in meine. »Also, wenn du möchtest, kannst du gerne vorbei kommen heute Abend. Ich.. hab dir einen Sitzplatz freigehalten, ganz vorne.«, meinte er, kramte in seiner Hosentasche und streckte mir eine in der Mitte gefaltete Eintrittskarte entgegen. Deshalb war er also vorbei gekommen, ich verstand allmählich. Und ich wusste, dass Sarkasmus jetzt auch nicht angebracht war, immerhin wirkte es geradezu, als hätte er das erste Mal in seinem Leben ein Mädchen zu irgendetwas eingeladen.
Vorsichtig lächelnd sah ich von dem blau-weißen, warmen Kärtchen in meiner Hand zu ihm auf. Sein Ausdruck erhellte sich augenblicklich, als er mein Lächeln sah, und er nahm die Hand aus seinem Nacken. »Ich komme gerne, danke.«, lächelte ich weiter, während mein inneres Ich die Party des Jahrhunderts schmiss. Liam hatte mich tatsächlich zu seinem Spiel eingeladen. Einfach so. In der vordersten Reihe.
»Gut,..«, er wirkte mit einem Mal ziemlich unsicher. Als würde er nicht wissen, ob das, was er scheinbar plante, legal wäre oder ob er gleich eins auf die Nuss bekam. Ich sah noch, wie er den Kopf kurz schüttelte, ehe er mir mit einem Satz nach vorne sanfter als sanft einen Kuss auf die Wange gab.

Für einen Moment hielt meine Welt an. Kompletter Stillstand. Für die Party in mir wurde die Notbremse gezogen.

In dem Moment nahm ich nichts mehr wahr. Seine Lippen, so weich und zart wie die Innenseite einer Rosenblüte, ließen mein Herz vier Sätze schneller schlagen. Mir wurde ganz warm drum herum, als hätte er mit dem Wangenkuss eine direkte Verbindung zu meinem Herzen geschaffen und würde es mit einer vorsichtigen aber intensiven Umarmung umschließen. Alles in mir kribbelte. Ich spürte meine Zehen, meine Knie, meinen Bauch, meine Schultern, meine Ohren - und doch spürte ich nur und ganz allein die Berührung seiner Lippen an meiner Wange. Kaum hatten sie sich davon gelöst, hinterließ er eine Spur, die heißer prickelte als die Oberfläche der Sonne. ».. bis heute Abend dann.«, flüsterte er mir tonlos und doch intensiver, als ich es erwartet hatte, ins Ohr. Meine Knie wurden weich, ich musste mich an der Tür festhalten. Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren. Jetzt konnte ich verstehen, warum Bella bei Edwards Berührungen ohnmächtig wurde. Halleluja.

»B-Bis dann.«, stotterte ich vor mich hin, immer noch meilenweit davon entfernt, die Realität wieder fassen zu können. Liam schenkte mir noch ein sanftes, warmes Lächeln, seine Wangen hatten sich leicht rosa verfärbt, wie vorhin, als er mich aufgefangen hatte. Keine Sekunde später hatte er sich umgedreht und mich völlig bedeppert in der Tür stehen lassen.

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