Spielerfrau (1)

Als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, stürmte ich ins Haus zu Summer. Ich hatte keine Ahnung von Football. So gar nicht. Ich wusste, dass man diese Sportart jährlich beim Super Bowl betrieb, dem größten Sportfest der Geschichte, bei denen große Stars auftraten und die Werbung unendlich teuer war. Aber mehr wusste ich nicht.

»Summer!«, schrie ich, so laut ich konnte, durch das komplette Haus. Keine Sekunde kam sie die Treppen herunter gerannt, mit großen, panischen, gehetzten Augen und einem vor Sorge starren Blick. Vielleicht hatte ich meinen Ruf weniger theatralisch klingen lassen sollen.
»Ja? Oh Gott, ist alles in Ordnung?«, die letzten Stufen nahm sie langsamer und musterte mich. Sie entspannte sich, als sie merkte, dass keine Gefahr bestand. Naja, abgesehen einer Blamage heute Abend.
»Du musst mir erklären, wie Football funktioniert.«, sprach ich dann, immer noch nach Luft schnappend, etwas ruhiger. Mir war gar nicht aufgefallen, wie kurzatmig ich geworden war. Musste an Liams Wangenkuss liegen.

Summer sah mich zunächst etwas verständnislos an. Sie musterte mich von oben bis unten, sah zur Tür, sah wieder zu mir. Dann gab sie sich einen Facepalm und stützte sich genervt ans Treppengeländer. »Irgendwann bringe ich ihn eigenhändig um.«, murmelte sie, während sie mich mit sich ins Wohnzimmer zog. Die Frage wieso? sparte ich mir bewusst, denn in der gesamten Clique lag seit dem Vorfall im Wald vor über einem Monat eine intensive Spannung, die mir keiner erklären wollte. Ergo erklärte mir auch niemand, warum sie alle so genervt von Liam waren.

Summer und ich setzten uns auf die Couch, während ich in meinen Gedanken wieder etwas weggetretener war. Ich war gedanklich und gefühlstechnisch echt auf einer Achterbahn. Alles tauschte sich aus, wie die Ups und Downs der Dragon Khan im Freizeitpark PortAventura World in Tarragona, Spanien. Eben noch machte ich mir Sorgen um meine Kenntnisse im Football, jetzt schwärmte ich schon wieder von Liams Lippen. Was machte dieser Junge mit mir?
»Ehm, Lia, ist alles gut?«, fragte Summer neben mir und fuchtelte wild mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum, womit sie mich aus meinen Tagträumereien zurück in die Realität zwang. »Du bist ganz rot. Was hat er gemacht?«, schob sie hintendran, als würde sie wissen, dass es die Schuld des braunhaarigen Hotties war, der bis eben noch dieses Haus ins Paradies verwandelt hatte, mit seiner puren Anwesenheit. Herrgott, Malia, so schlimm war's noch nie!, schrie mich meine innere Stimme an und ich wusste, sie hatte recht. Ich hatte noch nie derart von einem Jungen geschwärmt, bis gerade auch nicht von Liam. Vielleicht sollte ich mir bald mal eingestehen, was mir mein Körper zu vermitteln versuchte. Dass ich ihn mochte, mehr als nur mochte. Dass es nie Freundschaft gegeben hatte zwischen uns, seit unserer ersten Begegnung, als mich seine Stimme in Form von Gänsehaut umhüllte. Aber nein, das war totaler Quatsch. Liebe auf den ersten Blick, sowas gibt es nicht.
»Er hat mir einen Wangenkuss gegeben, nachdem er mich zum Spiel eingeladen hat und ich versprochen habe, zu kommen.«, erklärte ich vorsichtig und fokussierte meinen Blick wieder auf Summer. Konzentration, Malia! Es sei denn, du willst dich heute Abend echt noch blamieren!

Nachdem Summer mir versichert hatte, dass sie sich für mich und ihn freute, dass es ernster wurde zwischen uns, erklärte sie mir die Regeln des Footballs. Allerdings kaufte ich ihr zum einen nicht ab, dass sie sich tatsächlich freute - sie machte ein unergründliches Gesicht, fast so, als würde sie versuchen, telepathisch Liams Kopf zu sprengen -, und zum anderen erklärte sie mir die Regeln insgesamt drei Mal, aber ich verstand es einfach nicht. Warum musste das Ganze so kompliziert sein? Die ganzen Positionen, Begriffe wie Yards, Touch Down, Line of Scrimmage - nicht mal, als sie mir zwei Erklärvideos gezeigt hatte, verstand ich es so ganz. Am Ende war nur in meiner Birne hängen geblieben, dass es darum ging, Punkte zu sammeln, indem man den Ball in die Endzone des  gegnerischen Feldes brachte oder ein Field Goal erzielte. Was ein Field Goal so genau war, begriff ich auch nicht. Außerdem gab es zwölf Spieler pro Mannschaft, und der Quarterback hatte wohl die bedeutendste Aufgabe. Ich glaubte, er musste werfen.
Summer seufzte und ließ sich, völlig hoffnungslos, zurück in die Couch fallen. Ich fühlte mich ein bisschen schlecht, normalerweise war ich nämlich schnell von Begriff, aber Sportarten und deren Regeln waren noch nie so mein Ding gewesen. »Merk dir einfach, dass Liam die Position des Wide Receivers hat. Er muss den Ball fangen, wenn, im Idealfall, Zack ihn geworfen hat. Zack ist Quarterback. Liam hat die Nummer fünfzehn, Zack hat die vier. Jason ist Liams Austauschspieler, Connor Zacks und Payne wird dann vermutlich bei dir sitzen und anfeuern. Er spielte sonst auch immer, hat diese Saison aber durch private Probleme aussetzen müssen.«, ich nickte. Das war ja einigermaßen zu verstehen. »Im Übrigen ist es Canadian Football, nicht American Football.«, schob sie hintendran, aber ich vernahm nur die wichtigsten Informationen. Also die über Liam. Größtenteils, immerhin musste ich die Unterhaltung am Laufen halten.
»Oh. Was ist denn da der Unterschied?«, ich saß im Schneidersitz vor ihr und sah sie neugierig an.
»Hier gibt es zwölf statt elf Spieler. Man hat hier nur drei, statt vier Versuche für zehn Yards  und bei uns ist das Spielfeld größer, somit auch die Endzone. Alle anderen, feineren Unterschiede sind eigentlich nicht so von Bedeutung, wenn du keinen kompletten Durchblick über die Regeln hast. Aber das ist nicht schlimm, ich habe auch lange gebraucht, bis ich alles verstanden hatte.«, lächelte sie sanft, aber irgendwie kaufte ich ihr das nicht so ganz ab.

»Bist du heute Abend auch da? Ich meine, wenn Zack spielt?«, fragte ich vorsichtig und sah verlegen auf meine Hände. Irgendwie wollte ich nicht alleine bei einer Veranstaltung sitzen, dessen Spielregeln ich nicht verstand. Bei meinem Glück würde ich noch für die gegnerische Mannschaft applaudieren.
Auch, wenn Summer mich die ganze Zeit verständnisvoll angesehen hatte, sah sie mich jetzt an, als hätte mir jemand in den Kopf gekackt und vergessen, die Spülung zu ziehen. »Nein. Du weißt ganz genau, dass Zack und ich keine öffentliche Beziehung haben.«
»Aber.. wieso denn nicht? Liam hat mich doch auch-«
»Liam macht was er will, auch, wenn es gegen die Regeln ist und er uns alle in Gefahr bringt.«, trotzig stand sie auf. Ich merkte, dass es ihr absolut nicht passte, dass ich zu dem Spiel durfte, eingeladen wurde, und sie nicht hin konnte, obwohl ihr fester Freund die vermutlich wichtigste Position im Spiel hatte. Ich konnte verstehen, wie gerne sie ihn hatte unterstützen wollen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen.
»Gegen welche Regeln denn?«, flüsterte ich leise und sah betreten nach unten. Ich fühlte mich auf einmal ganz unwohl, als stünde ein riesiges Missverständnis zwischen mir und Summer, dabei wusste ich doch, dass es nicht meine Schuld war. Ich versuchte, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
»Seine eigenen.«, motzte sie und ging aus dem Zimmer. Ich seufzte leise, als ich ihr nach sah. Wann würde mir endlich jemand erklären, was hier los war? Immerhin hatte ich ja gerade die indirekte Bestätigung, dass Liam der Alpha des Rudels war. Warum sonst sollten alle auf ihn hören? Besonders Summer würde sich normalerweise nichts von ihm sagen lassen, sie hatte ihren eigenen Kopf, ein ziemlich temperamentvolles Mädchen. Und so, wie Zack Summer manchmal ansah, war ich mir sicher, dass er für sie über Leichen gehen würde, dass er sich auch normalerweise gegen Liam stellen würde. Wenn er nicht der Alpha wäre.

Noch ein leiser Seufzer entwich mir. Bald, Malia. Bald. Nur noch einen Monat bis zu den Weihnachtsferien, bis Sri Lanka, bis zu deinen Antworten. Ich kniete mich in die Hoffnung, dort alles zu finden, wonach ich suchte. Ich wusste, dass es eine Wahrscheinlichkeit gab, dass es nichts brachte. Aber genauso gab es eine, die mir leise zuflüsterte, dass ich kommen sollte, dass es sich lohnen würde. Ich wusste nur nicht, wie groß diese Wahrscheinlichkeiten waren.

Später an dem Tag, am Mittagstisch, besprach ich mit Summers Eltern meine Reise nach Asien. Wie Liam und Summer es prophezeit hatten, ließen sie mich nicht alleine fahren. Als ich erwähnte, dass Liam mitkommen wollte, sah die Sache schon anders aus. Dennoch wollten sie erst noch mit den Hansons darüber sprechen, bevor sie eine endgültige Entscheidung trafen. Summer war beim Mittagessen nicht dabei. Sie meinte, sie würde sich mit Ava treffen, aber auch das kaufte ich ihr nicht so ganz ab. Auch ihr kleiner Bruder war nicht da; er war  bei seinem besten Freund, den sie beim Waldspaziergang getroffen hatten.

Am Nachmittag schrieb ich noch den Essay für Geschichte fertig, ehe ich mich gegen fünf Uhr vor den Kleiderschrank stellte und ihn immer weiter auseinander nahm. Das Spiel begann um halb Acht und würde bis mindestens halb Zehn anhalten. Liam hatte mir noch geschrieben, dass Payne mich abholen würde und, dass er neben mir sitzen würde. Das war zwar nicht so beruhigend wie Summers Anwesenheit gewesen wäre, aber wenigstens wusste ich, wann ich zu jubeln hatte. Irgendwie sagte mir eine Stimme, dass Summer vorher schon erwähnt hatte, dass Payne da sein würde, aber das war irgendwie untergegangen,

Ich entschied mich an diesem Tag für einen schwarzen, zu großen Sweater mit dem Aufdruck Los Angeles 1984. Dazu trug ich eine blaue Jeans und schwarze Sneaker, NMDs von Adidas, die rote Balken an der Seite aufwiesen. Nachdem ich mich fertig und dezent geschminkt hatte, immerhin hatte ich schon den Drang dazu, gut auszusehen für Liam, zog ich meine rote Winterjacke an und schulterte meine Tasche. Es war Ende November, wir waren in Kanada, mehr musste ich zu den Temperaturen draußen nicht sagen. Just in dem Moment als ich mir noch mein Lieblingsparfüm aufgetragen hatte, hupte es schon vor der Haustür. Summer und ihr kleiner Bruder waren immer noch nicht Zuhause, aber das wunderte mich nicht. Die Blakes waren nicht so streng, was das Du-Bist-Um-Uhrzeit-X-Zuhause-Und-Keine-Sekunde-Später anging. Das lag aber vielleicht einfach daran, dass Sylvan Lake keine große Kriminalitätsrate besaß.

Ich verabschiedete mich von Summers Eltern, machte die Haustür zu und trottete über die Veranda zu Payne herunter. Er begrüßte mich mit einem warmen Lächeln, dann tauschten wir uns kurz über unseren Tag aus und schon bald hatten wir das Footballfeld unserer Schule erreicht. Ein Heimspiel also.

»Liam ist schon ganz nervös.«, lachte er, als er sein Auto in eine der wenigen, freien Parklücken zwängte. »So kenn' ich ihn gar nicht.«, schmunzelte er und grinste amüsiert, als er den Motor abstellte.
»Oh. Ich wusste nicht, dass es so ein wichtiges Spiel ist.«, entgegnete ich. Komisch, als er mich eingeladen hatte, wirkte er gar nicht so besorgt um den Sieg und generell, als er zwischendurch mal erwähnt hatte, wie das Training lief, hatte er ziemlich selbstsicher gewirkt.
»Doch nicht wegen dem Spiel.«, lachte Payne jetzt leise und schnallte sich ab. Er trug heute nur einen dünnen Sweater, und auch er strahlte eine gewisse Wärme neben mir aus, wenn auch nicht so intensiv wie Liam. »Er ist wegen dir so aufgeregt. Mich würd's nicht wundern, wenn ihm ein Missgeschick passiert.«
Ich wurde augenblicklich knallrot. Meine Wangen glühten, ich wäre am allerliebsten im Erdboden versunken. »Oh.«, kam lediglich aus meinem Mund, als ich mich beeilte, aus dem Wagen zu kommen. Die Röte verflog schnell, vielleicht hatte Payne sie gar nicht bemerkt. Aber irgendwie fand ich das schon süß.. ein nervöser Liam. In der Schule so selbstsicher, nahezu arrogant, und insgeheim nervöser, als die Polizei erlaubt. Und das wegen mir? Ein Grinsen huschte über meine Lippen, ich konnte es nicht verhindern. Das war so schön, dass es schon wieder surreal war. Ein Junge, der mehr einem griechischen Gott glich, stand auf mich? Wenn er dabei nicht auch mir gegenüber so offensichtlich wäre, würde ich den Verrückten, der versuchte, mir das beizubringen, aufs Meer hinaustreiben lassen.

Wir passierten den Eingang, zeigten unsere Karten und machten uns auf zum Spielfeld. Hier war ich noch nie gewesen, immerhin hatte ich bisher keinen Grund dazu gehabt. Es war unglaublich groß, auf beiden Seiten einer riesigen Rasenfläche waren Tribünen. Ich erkannte auf der rechten Seite dunkelblaue Trikots und weiß-dunkelblau bemalte Gesichter, auf der linken Seite selbiges mit den Farben Gelb-Rot. Es war laut, sehr laut. Viele Leute da, ich erkannte einige aus ein paar meiner Kurse. Jetzt tat es mir noch mehr leid, dass Summer und die anderen nicht hier sein konnten, weil er es ihnen verbot.

Payne und ich passierten einen Imbissstand, an dem sich schon einige Leute tummelten. Es gab noch zwei weitere Stände auf dieser Seite, einer verkaufte Merchandise unserer Mannschaft und der andere war ein Eisladen. Wir gelangten zur rechten Tribüne und ich sah außen in der ersten Reihe noch zwei freie Plätze. Gleichzeitig vernahm ich vom Spielfeld, wie die Cheerleader beider Mannschaften und die Mannschaften selbst sich aufwärmten und warm liefen.

»Dein erstes Footballspiel?«, fragte Payne von der Seite. Er musste wohl meinen neugierigen, aufmerksamen Blick bemerkt haben. Ich nickte, und wir erreichten unsere Plätze.

Gerade, als ich mich setzen wollte, sah ich aus dem Augenwinkel etwas großes auf mich zu laufen. Mein Körper zuckte instinktiv zusammen und ich fuhr wieder herum. Leises Lachen ertönte aus dem Helm auf dem Spielfeld, ein Lachen, das ich unter Abermillionen erkennen würde. Liam stand auf der anderen Seite der Bande und nahm seinen Helm ab. Seine gesamte Statur schien mir noch größer als sonst; er hatte gepolsterte Schultern, mit Sicherheit irgendetwas, das seinen Bauch schützte. Durch das Abnehmen seines Helmes sahen seine Haare ganz zerzaust aus, was ihn aber nicht weniger, gar noch attraktiver machte. Er grinste sein Liam-Grinsen zu mir herüber und ich wagte ein paar Schritte an die Bande. Ich war überrascht davon, wie offen er meine Präsenz anging. Immerhin wich er mir in der Schule größtenteils aus, auch, wenn er mir ab und zu sei  Lächeln schenkte.
»Na?«, grinste er mich warm an und zog, warum auch immer, seine Handschuhe aus. Ich spürte von hinten ein paar Blicke auf mir, aber versuchte, sie auszublenden. Ja, es war nicht einfach, wenn ein Junge, der dafür bekannt war, heißer als Ashton Kutcher zu sein und trotzdem kein Mädchen an sich ran zu lassen, plötzlich doch mit einem da stand. Und dann war das auch noch die Neue.
»Erschreck mich bloß nicht nochmal so.«, schmollte ich kurz, grinste dann aber zu ihm zurück und stand letztlich genau vor ihm. Jetzt spürte ich auch Paynes neugierigen Blick auf uns, aber ich ignorierte auch diesen. So oder so hätte ich gerade kein Interesse an anderen Menschen gehabt, denn diese smaragdgrünen Augen hatten mich wieder in ihrem Bann.
»Entschuldige. Beim nächsten Mal schleich' ich mich von hinten an, damit's dir direkt auffällt.«, grinste er dümmlich, was mich genauso zu einem amüsierten Grinsen brachte.

»Komm mal her.«, fügte er hinzu und deutete mir, noch näher zu kommen. Ich war ein bisschen verwirrt, immerhin stand ich schon so gut wie ganz an der Bande, beugte mich dann aber erwartungsvoll etwas zu ihm rüber. Keine Sekunde später sah ihn noch gerade so, wie er seine Finger in blaue und weiße Fingerfarbe tunkte, mich angrinste und mir dann mit unglaublich sanften, warmen, aber sehr schnellen Bewegungen je einen blauen und darunter einen weißen Strich auf die Wange malte. Meine Haut loderte unter seiner Berührung auf. Kurz darauf wischte er sich seine Hände einfach an seinem Trikot sauber, blieb aber so nahe bei mir. Seine Worte prallten sachte an meinen Lippen ab, als er nahezu verlegen grinsend flüsterte »Eine Spielerfrau sollte immerhin zu erkennen sein.«

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