Schauermärchen (3)

Ich schluckte. Alles, was Liam gerade erzählt hatte, fühlte sich surreal an.Hexen, Vampire, Werwölfe - warum sollte es so etwas wirklich geben? Der Stamm der Yuamarí, ihr Häuptling, Suraya, und ich sollte wirklich von ihr abstammen?

»Jetzt kannst du mich alles fragen, was dir auf dem Herzen liegt.«, flüsterte er mir zu und sah zu mir herab. Einige Fragen hatten sich in mir versammelt und ich gab diesen Umstand offenkundig zu, indem ich meine Stirn in Falten legte.

»Warum hat Arthur den Säugling nicht einfach umgebracht?«, fragte ich zu allererst. Vielleicht war es nicht die sinnvollste Frage, aber auf jeden Fall eine der mir wichtigeren. Arthur hatte mich selbst schon in seinen Fittichen gehabt, mir mein Handgelenk gebrochen.

»Weil er nicht konnte.«, gab Liam knapp von sich und widmete sich abermals meinem linken Arm. Sanft strich er den oberen Teil auf und ab, nachdenklich, als würde er die richtigen Worte sortieren und zusammen fassen. »Eine Waffe, so mächtig wie der Säugling zu sein schien, das konnte er nicht zulassen. Ganz vom Umstand abgesehen, dass er Säugling ihn mir nichts dir nichts so umlegen könnte, wie du die fünf Wölfe, die es auf mich abgesehen hatten.«, er strich sanft über meinen Handrücken, »Danke nochmal, übrigens.«, nuschelte er noch dazu. Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln und spürte, dass er noch mehr verbarg. Aber vielleicht fehlte mir gerade das Puzzleteil dazu, um es aus ihm herauszulocken, weshalb ich es einfach so stehen ließ.

»Also.. also haben.. haben Steve und Lauren mich mit Absicht adoptiert?«, fragte ich vorsichtiger und spürte, wie mir meine eigenen Worte ein Messer ins Herz rammten, dass durch Liams bestätigendes Nicken nur noch tiefer rein gesteckt wurde. Meine Atmung stockten kurz, aber seine sanften Berührungen sorgten dafür, dass ich mich schnell wieder im Griff hatte. Es wäre mir lieber gewesen, eine Schnöselfamilie hätte mich adoptiert, als eine, die mich derart ausnutzen und in Gefahr bringen wollte. »Warum?«

Liam atmete tief durch. Es schien ihm wirklich schwer zu fallen. »Weil du meine größte Schwachstelle bist. Naja, eigentlich die von allen von uns auf diesem Planeten. Du bist auch.. Amriks größte Schwachstelle.«, flüsterte er und blinzelte langsam, wirkte sehr in seine eigenen Gedanken.
»Und wieso?«
Jetzt schmunzelte er leicht, vermutlich über meine Wissbegierde. »Zum einen, wie ich bereits erwähnte, bist du die mächtigste Waffe, die die Natur geschaffen hat. Du könntest, wenn du wolltest, die Welt binnen einer Sekunde in eine riesige Sahara oder Arktis verwandeln. Allerdings würde ich dir davon abraten, weil dich der Energieverlust umbringen würde. Zum anderen.. nun ja. Du wirkst wie eine Droge auf jeden von uns. Wir würden alles in unserer Macht stehende tun, um dir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern; weil du so oder so über uns stehst, weil wir dich quasi für uns behalten wollen, damit die Toten keine Macht über dich besitzen, und weil.. ohne dich die Natur zugrunde gehen würde.«

Verwirrt blinzelte ich ihn an, um ihn zum Weiterreden anzuregen. Allerdings bekam ich nicht die Antwort, die ich mir erhoffte. »Ich würde es dich gerne selbst entdecken lassen. Wir können meinetwegen gleich morgen aufbrechen.«

Ich nickte etwas benommen. Einen Moment später hatte ich die richtigen Worte in meinem Kopf formuliert. Hoffentlich nahm er mir das jetzt nicht übel. »Wenn ich euch alle quasi zu meinen Untertanen machen könnte, warum.. warum und wie konntest du das alles das so lange vor mir geheim halten?«
Ich war mir sicher, mindestens einmal die Wahrheit in Befehlsform aus ihm rauspressen zu wollen. Ich kam mir zwar sehr unwohl in der Rolle vor, die er mir gerade weiß zu machen versuchte, aber daran musste ich mich wohl jetzt gewöhnen.

Liams Hand strich meinen Arm sanft wieder nach oben, legte sich auf meiner Wange ab. Seine Wärme übertrug sich, entfachte das Feuer in meiner Brust und das Prickeln unter meiner Haut auf ein Neues. »Ich habe es für besser gehalten, wenn du es nicht weißt. Ich wollte dich leben lassen und dir noch nicht so viele Hürden vor deinen Weg stellen.«

Prüfend sah ich ihn an. Irgendetwas fehlte und ich brauchte nicht einmal lange, bis es mir einfiel. »Ich sollte dir versprechen, dich nicht abzustoßen, weil dein Handeln egoistisch war. Wo bleibt also der egoistische Teil der Erklärung?«

Ein leises, raues Lachen erfüllte den Raum und schien, von Liams Wangen ablenken zu wollen, die sich gerade leicht rot verfärbten. »Es ist natürlich, dass du dich zu mir hingezogen fühlst. Du wirst dich auch zu Amrik und noch fünf weiteren so hingezogen fühlen. Aber ein weiterer Grund für mein Handeln, der Egoistische, war, dass ich wollte, dass diese Hingabe mir gegenüber von dir Liebe ist. Also, dass du sie für Liebe hälst. Und, um deine vorherige Frage zu beantworten; ich konnte mich dir widersetzen, weil es meinerseits wirklich Liebe war.. und ist. Liebe steht auch über noch so goldenen Gesetzen.«

Ich schluckte etwas und sah auf meine Beine herab. Bedeutete das, dass mir meine Gefühle die ganze Zeit einen Streich spielten? Dass ich ihn gar nicht liebte, sondern es so bestimmt war? »U-und wieso sollte ich mich einfach so zu dir hingezogen fühlen?«

»Weil ich einer der Alphas bin. Ich bin quasi unsterblich. Ich gehöre zu denjenigen sieben, die dich am besten beschützen können. Es ist reiner Selbstschutz. Hat sich über ein paar Generationen so entwickelt.«

»Aber meintest du nicht, ich könnte alles und jeden umbringen, wenn ich wollte? Warum brauche ich dann Beschützer?«

Wieder ein heiseres Lachen seinerseits, das mein Herz mit Wärme füllte. »Ein Vampir hat dir das Handgelenk gebrochen und du fragst, warum du Beschützer brauchst?«
Mein Blick richtete sich wieder auf zu seinem. Seine smaragdgrünen Augen funkelten mich von oben an. Er schien schon wieder besserer Dinge zu sein, als bis vor ein paar Sekunden. »Wir müssen aufpassen, dass du keine Dummheiten machst und vielleicht die Seiten wechselst oder gar gebissen wirst.«

Ich atmete einmal tief durch und ließ die ersten Antworten sacken. Ich wusste aber, dass ich mir nicht so viel Zeit lassen konnte, weil wir ja noch zu einem Frühstück verabredet waren.
Mir fiel wieder ein, dass Arthur damals auf der Lichtung gewollt hatte, dass Liam nach vorne kam. Und wenn er doch quasi unsterblich war, warum hatte Arthur dann gewollt, dass er sich zeigte?
Als ich danach fragte, stockte ich auf die Antwort kurz. Gar daran zu denken, dass Liam so etwas tun könnte, schnürte mir den Magen zusammen und ließ meinen Mund trocken werden. »Ich bin quasi unsterblich. Ich kann schon sterben, nur eben nicht an Krankheiten oder den schlimmsten Verletzungen.«

»Warte.. das heißt, er wollte mich benutzen, um dich zu erledigen?«

»Nicht so ganz.. Wir sind mit unseren Forschungen nie so weit gekommen, als das wir wüssten, ob du dazu in der Lage wärst beziehungsweise deine Vorfahren es gewesen wären. Aber ich kann sterben, wenn ich mich selbst umbringe und es aus eigenem Willen beendete. Dementsprechend hätte Arthur dich so lange foltern wollen, bis ich mich für dich opfere.«

Ich schluckte. Das klang genauso schlimm. Lieber würde ich sterben, als zu wissen, dass Liam es für mich tat. Bevor ich weitere Gedanken dazu greifen konnte, sprach Liam schon weiter. »Damit gäbe es weltweit nur noch sechs Alphas. Einer weniger, den man erledigen müsste, um an die Macht zu kommen. Den Blutsaugern geht es immer nur um Macht. Darum ging es ihnen immer nur. Und hätte Brutus damals nicht durch die Gegend gerotzt, dann hätten sie jetzt einige Probleme weniger. Und auch, wenn sie einen von uns, der nicht gerade ein Alpha ist, treffen würden, würden sie gewinnen. Aber steht es zwei gegen einen, gewinnen wir immer.«

»D-das heißt, du bist verwandt mit einem der Offiziere?«

Diesmal bekam ich ein echtes Lächeln von Liam, das mein Herz ein paar Schläge schneller schlugen ließ. »Mit Akira Adahy. Aber das ist wirklich schon unendlich viele Jahre her. Aber nicht jeder Alpha ist das. Der von Australien und Europa, das sind Nachkommen von Gaças Höllenhunden. Sie hat sie damals verwandelt, um ihren vorigen Fehler mit der Umwandlung der Offiziere wieder gut zu machen.«

»Warte mal.. das überträgt sich also alles über Gene? Eine gerade Linie?«
Wieder bekam ich ein Nicken zur Antwort und Liam musterte mich intensiv, als könnte er nicht ahnen, worauf ich hinaus wollte.
»A-also war meine Mutter..?«
»Ja, sie war, bis sie dich gekriegt hat die Königin der Nacht.«
»Wusste sie davon?«
»Früher oder später weiß es jede.«

Ich schluckte. Mir war es immer schwer gefallen, über meine leibliche Mutter zu sprechen. Ich erinnerte mich an eine Unterhaltung mit ihr, in der sie davon sprach, dass mein Name eher die Bedeutung einer Königin hatte. Jetzt verstand ich auch, warum.

Es war das erste Mal seit ewiger Zeit, dass ich darüber nachgrübelte, warum meine Mutter all das getan hat, was sie getan hat. Die Drogen, die Prostitution, die Freigabe zur Adoption von mir. Was hatte das alles für einen Sinn? Als ich sie besuchte, das einzige Mal, um sie zur Rede zu stellen, war sie im Schatten ihrer versifften Messibude in einem Armenviertel von Laredo.

Versifft.
Das war das Stichwort.

»Sie.. sie wollte mich beschützen.«, stellte ich nach einigen Minuten der Stille zwischen mir und Liam fest. »Das.. das alles war pure Absicht.«, entgegnete ich entsetzt und setzte mich langsam auf.

Im Augenwinkel vernahm ich Liams Nicken. »Sie wollte den Geruch mit den Drogen und den Männern abdecken, damit man sie nicht fand. Du musst wissen, vor ein paar Generationen gab es eine Rebellin, sie hieß Yakuta, die das alles nicht so wahrhaben wollte und abgehauen ist. Ab diesem Moment enden auch unsere Forschungen, das ist so etwa zweihundert Jahre her. Auf jeden Fall wollte Yakuta das alles nicht wahrhaben. Sie verschwand eines Nachts und war nie mehr gesehen, unauffindbar. Das Einzige, was uns bewies, dass dieser Strang überhaupt noch existiert, war, dass die Königinnen der Nacht immer noch jede einzelne Nacht zwei Stunden blühen. Deshalb waren wir auch nicht zu besorgt darum, dass euch andere Kreaturen etwas hätten antun können. Solange die Blumen blühen, so lange lebt auch deine DNA in irgendwem weiter.«

Wieder schluckte ich. Ich hatte meine leibliche Mutter immer zu Unrecht verurteilt. Als ich sie besuchte, habe ich sie zu Unrecht beleidigt und angeschrien. Sie wollte sich doch bloß selbst schützen.
Tränen schossen mir in die Augen, ein Kloß erstickte jedes Wort, wenn es raus gewollt hätte. Ich fühlte mich ekelhaft und falsch.

Ich spürte, wie sich zwei Arme um meinen Körper schlangen und auf den dazugehörigen Schoß zogen. Liam ließ die Arme um meinen Rücken geschlungen und zog mich eng an sich heran. Seine Wärme und Nähe spendete mir ein wenig Trost, konnte aber den Selbsthass nicht ändern, der gerade meine Emotionen beherrschte.

»Sie macht dir keine Vorwürfe. Sie weiß, dass du nichts wusstest. Wie denn auch?«, flüsterte er mir vorsichtig ins Ohr und umarmte mich endgültig. Vorsichtig platzierte ich meinen Kopf auf seiner Brust, nicht mehr möglich, die Tränen auf zu halten. Immer wieder strich Liam mir beruhigend über den Rücken. Es dauerte einige Momente, bis ich mich überhaupt dazu bringen konnte, irgendetwas aus meinen Lippen hervorzupressen.
»W-woher weißt du das?«
»Nachdem du bei uns aufgetaucht bist, haben wir sie darüber informiert. Also, naja, eigentlich hat sie uns gefunden und uns einen Brief geschrieben. Natürlich wussten wir schon vorher, wer du warst - wir riechen dich zwanzig Meilen gegen den Wind -, aber deine Mutter hat es uns bestätigt und forderte seither immer einen Bericht darüber, wöchentlich, wie es dir geht. Wäre sie nicht einverstanden gewesen, hätte ich das mit Sri Lanka nicht zugelassen.«

Ich stockte wieder. Ich konnte nicht glauben, was er mir da gerade erzählte. Mein Kopf schien leer und voll zugleich zu sein, ich bekam Kopfschmerzen vom Denken.

»H-hat sie immer noch genauso eine Macht w-wie ich? I-ist sie.. Ist sie in Gefahr?«
»Nein. Du bist auch unsterblich und ab einundzwanzig wirst du solange nicht altern, bis du eine Tochter bekommen hast. Die Erstgeborene kriegt das Gen und nimmt es dir quasi ab, ab diesem Moment bist du ein ganz normaler Mensch, wie alle anderen. Bei uns ist das auch so. Der Erstgeborene Alpha kriegt das Gen, der andere behält zwar die Gestalt, wird aber sterblich und tritt seine Position ab dem fünfzehnten Lebensjahr des Sohnes ab. Wenn du möchtest, können wir Maria bald besuchen. Ich hab ihre derzeitige Adresse. Aber jetzt müssen wir uns fertig machen, Süße. Es wird echt unangenehm, wenn Amrik wütend ist.«

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