neue Bekanntschaften (2)
Ich wusste selbst nicht so ganz, warum, aber auf irgendeine Art beruhigte mich das Wissen, dass Summer nicht dank Liam die Augen ausgefallen waren, sondern dank Zack. Ich hätte mir zwar schon vorher denken können, dass der blonde Junge Zack war, aber mein Gehirn war für den Moment, in dem es Liam gesehen hatte, entschuldigt.
»Das war Zack?«, fragte ich dennoch. Ich musste nicht nur mich selbst von meiner Verlegenheit ablenken, die durch Liams kleine Aufmerksamkeit in Form von Schamesröte mein Gesicht besiedelte, nein, ich musste auch generell von der Tatsache ablenken, wie hin und weg ich von seiner Präsenz war. Und seinem Lachen. Ich wusste ja selbst nicht, warum meine Nervenstränge alle Versuche aufgaben, etwas an mein Hirn weiterzuleiten, sobald es auch nur den minimalsten Beweis für Liams Nähe gab.
»Ja, das war er. Sieht er nicht unfassbar gut aus? Aber warte mal.. warum bist du so rot?«, fragte Summer und legte dabei verwirrt die Stirn in Falten. Der erste Teil ihrer Aussage war noch in einer ziemlich hohen Tonlage ausgefallen, absolut schwärmerisch und verträumt, wie es sich für einen Teenager gehörte. Der zweite, auf mich bezogene Teil kam eher zögerlich und langsam aus ihrem Mund, ihre Stimme hatte sich wieder in der normalen Tonlage eingefunden. Sie guckte erneut an mir vorbei und runzelte ihre Stirn in noch tiefere Furchen. Das Geräusch eines startenden Motorrads, gefolgt von einem anderen war zu hören. Kurz darauf drei weitere. Summers braune Augen fokussierten mich wieder und ließen meine Wangen, die sich langsam abgekühlt hatten, wieder aufglühen. »Du stehst doch wohl nicht etwa auf Liam?«, entgegnete sie vorsichtig. Es erschien ihr selbstverständlich, dass ich nicht auf Zack stand, denn dieser war aus der Frage ausgeschlossen.
»Ich? Eh, nein, wieso?«, stammelte ich unbeholfen und öffnete schon mal die Fahrertür meines Fluchtfahrzeugs, auch genannt mein Auto. Ich wollte dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden, denn Summers Gesichtsausdruck zufolge bekam ich gleich genau das zu hören, was ich aus ihrem Mund kommend vermutete.
»Süße, ich will dich echt nicht verletzen, aber lass es bitte jeden anderen als ihn sein. Und als Zack, aber das ist erstmal belanglos. Hör mal, du bist noch nicht so lange hier, als dass du in ihn verliebt sein könntest, deshalb sage ich das jetzt, um zu verhindern, dass du dich zu weit reinsteigerst. Liam Hanson ist unerreichbar. Für uns alle. Es ist hoffnungslos, es bei ihm zu versuchen. Wenn du nicht gerade masochistisch bist, solltest du dich lieber von ihm fernhalten. Ich weiß auch nicht, was er damit bezwecken will. Er ist nicht nur ein richtiges Schnittchen, nein, ich weiß von Luna, dass der Junge Anstand und Manieren besitzt. Aber trotzdem ist er nicht greifbar, für niemanden. Wahrscheinlich hätte es mehr Sinn, auf eine Beziehung mit Charles Melton zu hoffen, als mit Liam.«
Sie versuchte, ruhig zu bleiben und ein ernstes Gesicht hervorzubringen, aber ihre Augen verrieten mir, dass sie wirklich Angst davor hatte, ich könnte auf ihn stehen und mich in ihn verlieben. »Tu dir das nicht an.«, fügte sie hinzu, umarmte mich kurz und lief zur Fahrertür ihres Autos.
Das konnte ich jetzt sicher nicht so stehen lassen. Wie sollte ich bitte in jemanden verschossen sein? Hier? Wenn ich erst seit zwei Wochen hier lebe? Natalia würde über Summers Aussage lachen. Sie wusste, ich war genauso wenig jemand, der alles nimmt, was bei drei nicht auf dem Baum ist. Wie konnte Summer denn nur so überzeugt sein, dass ich ein Auge auf ihn geworfen habe? Immerhin hatte ich nie sonderlich Worte mit ihm gewechselt und hörte auch eigentlich überwiegend Negatives über ihn. Er sei arrogant, unerreichbar, ein Prahler und Protzer, wie er im Buche steht. Einige meinten, er würde rauchen und wieder andere sagen, er scheue vor keiner Prügelei zurück, weil er wusste, dass alle anderen gegen ihn verlieren würden. Das war nicht gerade ein Verhalten, das ich als anziehend empfand. »Mach dir da mal keine Sorgen. Ich bin nur letztens versehentlich in ihn gelaufen und es ist mir immer noch peinlich, nur deshalb bin ich rot.« Den Teil mit dem Starren ließ ich aus, immerhin hatte mir diese Reaktion ihrerseits schon gezeigt, dass sie gerne Interpretationen für Theorien wahr nahm.
»Achso.«, gab sie zurück und machte aus ihrem Missmut kein Geheimnis. »Also dann, halb acht bei Luna. Vergiss es nicht und sei ja pünktlich!«, rief sie noch, ehe sie sich in ihren roten Wagen schwang. Kurz darauf hörte ich die ersten Anläufe ihres Motors. Nach dem Fünften tuckerte sie davon.
War es denn möglich? Eine Art Liebe auf den ersten Blick? Nein. Summers Worte hatten so fremd geklungen, das konnte nicht nein. Mir war doch von Anfang an gesagt worden, dass Liam nicht für Mädchen von der Schule bestimmt war, dass er sich da für keine interessierte. Und ich war nie eine Person gewesen, die es nötig hatte, sich anderen zu beweisen. Welchen Grund hätte es also haben sollen, dass er mir so anziehend vorkam? Keinen, und deshalb stand ich auch nicht auf ihnen. Es gab keinen Grund dafür.
Dennoch war das mit dem Zettel eben irgendwie schon.. witzig. Er hatte sich also tatsächlich noch daran erinnert. Ich weiß nicht, ob es an seinem sorglosen Lachen gelegen hatte oder vielleicht einfach nur eine Intuition war, vielleicht auch nur so etwas wie eine Wunschvorstellung entgegen der eigentlichen Peinlichkeit der Situation, aber irgendwie nahm ich seine Handlung mit Humor. Und unwillkürlich ließ sie mich lächeln. So ein Idiot. Immer noch lächelnd schüttelte ich den Kopf, ehe ich meinen Motor startete und zu Lauren und Steve fuhr. Ja, ich konnte es immer noch nicht ganz als ‚mein Zuhause' betiteln. Es wirkte immer noch so.. groß und luxuriös wie am Anfang, dass sich mein Verstand und gefühlt sogar mein Körper, mein Mund und meine Zunge, dagegen sträubte, es als Zuhause zu bezeichnen.
An diesem Nachmittag hatte ich absichtlich nicht so viel gegessen, immerhin würden wir bei Luna ja grillen. Dafür bereitete ich meine Lieblingsvorspeise für uns vor - Tapas. Anschließend entschied ich mich noch für eine Runde joggen im Park. Es war zwar warm und die Sonne gab ihr Bestes, um die Erde zu erwärmen, aber Angst vor Sonnenbrand hatte ich nicht. In Spanien hatte die Sonne definitiv mehr auf meiner Haut geprickelt, und dort hatte ich auch nie Sonnenbrand. Anschließend ging ich duschen und entschied mich für eine blaue High-Waist-Jeans, eine rote Bluse und die weiß-goldenen Adidas Superstars. Dazu entschied ich mich dazu, mich heute Mal etwas herauszuputzen und schminkte mich wieder dezent. Die letzten Tage hatte ich das wenige Make-Up sausen lassen, weil ich dadurch länger schlafen konnte, aber ich dachte, heute wäre der richtige Zeitpunkt für ein Comeback. Nachdem ich meine Haare geföhnt hatte und mich dazu entschieden hatte, sie heute offen zu tragen, verriet mir mein extra gestellter Wecker, dass ich in fünf Minuten hier los musste, um pünktlich zu sein. Ich schob mir die schwarz-goldene Sonnenbrille auf den Kopf und die Bügel hinter die Ohren und lief nach unten, nachdem ich mir mein Lieblingsparfüm aufgetragen hatte - Vanille. In der Küche hinterließ ich noch einen Zettel für Steve und Lauren, auf den ich ihnen eine gute Nacht wünschte und Bescheid gab, wo ich war und was ich machte. Sie sollten ja nicht auf mich warten und sich Sorgen um mich machen. Dann ging ich in die Tiefgarage und fuhr los zu Luna; die Adresse hatte ich vorhin schon ins Navi eingetippt.
Tatsächlich gelang es mir, pünktlich vor Lunas Haus anzukommen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich einen nahe gelegenen Parkplatz fand, und ging zu ihrem Haus rüber. Es war ein bisschen frischer geworden als vorhin, es ist mehr Wind aufgekommen. Die Sonne verabschiedete sich gerade hinter den Bergen, aber von hier aus konnte ich sie nicht so gut sehen. Auch, wenn ich sie gern betrachtete; gerade war Lunas Haus im Weg. Es war mintgrün, mit weißen Fassaden. Es war eines dieser typischen Häuser aus den berühmten amerikanischen Klassikern. Aber es war wirklich gemütlich und schön. Mit der Veranda und dem Vorgarten wirkte es sehr einladend und kennzeichnete schon von außerhalb seinen Wohlfühlfaktor.
Nachdem ich geklingelt hatte, dauerte es nicht lange, bis ein hellbraunhaariges, kleines Mädchen die Haustür öffnete und mich anstrahlte. »Hey, du hast es ja doch pünktlich geschafft. Gut siehst du aus.«, grinste Luna mir entgegen und zog mich in eine Umarmung. Sie roch nach Blumen, nach Frühling. Ich stimmte mit einem großen Lächeln mit ihrer guten Laune mit ein und folgte ihr.
»Ich hab uns Tapas gemacht, meine Lieblingsvorspeisen. Ich wusste nicht, wie viel Hunger ihr habt, also hab ich von allen vier gemacht. Ich erklär euch am besten gleich allen zusammen, was was ist. Wenn es zu viel ist, könnt ihr sie auch morgen noch essen.«, lächelte ich, um erst ein Lächeln und dann einen amüsierten Ausdruck von Luna in Empfang zu nehmen. Bevor ich überhaupt fragen konnte, was los war, hatten wir schon das Wohnzimmer erreicht und ich konnte dank der offenen Terrassentür Gelächter von den anderen hören. Aber Momentchen mal. Das klang nicht nach ausschließlich weiblichem Lachen.
»Ja, was das angeht, glaube ich eher weniger, dass irgendwas heute Abend übrig bleibt. Zwar muss keiner von uns mehr vor den Grill, das hat mein Bruder freiwillig angeboten, allerdings hat er dafür auch vier weitere Leute zum Essen vorbei gebracht.«, erklärte sie und lächelte entschuldigend.
Dann erreichten wir die Terrasse. Erstmal musste ich feststellen, dass ich - obwohl ich wirklich pünktlich war - trotzdem die letzte war, die ankam. Ich merkte unterschwellig, wie mir die Mädels zuriefen und mich begrüßten, aber mein Blick war eher auf die Jungs gerichtet, die sich zu ihnen gesellt hatten.
Ich wusste, dass Payne - Lunas Bruder, der zwei Jahre älter war als sie - in einer Clique mit Jason, Connor, Zack und Liam waren, aber ich hätte nicht erwartet, dass sie alle zu unserer kleinen Grillparty kämen.
Vor allem aber hielt ich in allen Bewegungen inne, als er seinen Kopf zu mir drehte und seine grünen Augen meinen Blick trafen. Eine Sekunde lang stand die Welt still. Alles, was ich wahrnehmen konnte, waren diese hinreißenden, leuchtenden, grünen Augen. Sein Blick schien mich festzuhalten, mich magisch anzusehen. Ich merkte, wie ich die Luft anhielt, aber ich konnte es nicht ändern.
Und dann war es schon vorbei. Er hatte den Blick abgewendet, und nur den Bruchteil einer Sekunde später hatte ich alle meine Sinne wieder beisammen.
»So Leute, Malia hat uns eine Vorspeise mitgebracht und wird uns kurz erklären, was was ist. Wenn ihr also kurz die Schnäbel halten könntet, um ihr zuzuhören und nachher nicht versehentlich in irgendwas rein beißt, das ihr gar nicht wollt, wäre ich euch sehr verbunden. Sie hat sich echt Mühe gegeben.«, erklärte Luna lautstark, was für einkehrende Ruhe sorgte. »So. Scheu dich nicht, mit spanischen Begriffen herumzuwerfen, solange du sie anschließend erklärst.«, zwinkerte sie mir zu, allerdings war ich nicht gerade in der Lage, irgendetwas zu antworten. Allein die Tatsache, dass ich wusste, dass er mich ansah und mir seine Aufmerksamkeit widmete, ließ die Hitze in mir aufsteigen und mich um meine Fassung ringen.
Ich wusste selbst nicht genau, wie, aber irgendwie hatte ich es geschafft, mich vor den langen Tisch zu buksieren, an dem alle gemeinsam saßen. Es war einer dieser langen Klapptische mit den dazu passenden Bänken. Auf ihm lag eine lange, gelbe Tischdecke und Plastikgeschirr war schon auf alle Plätze verteilt worden. Luna hatte derweil neben einem schwarzhaarigen Jungen Platz genommen, den ich nicht kannte, aber dem ich auch keine große Aufmerksamkeit schenkte. Mein größtes und vermutlich den ganzen Abend anhaltendes Problem war, jetzt Fassung zu bewahren.
Ich begann, erstmal alle verschieden Tapas auf dem Tisch zu verteilen, immerhin hatte ich sechs Sorten à vier Tapas gemacht. Während ich erklärte, was was war, lief ich herum und blieb hinter den einzelnen Speisen stehen, um die es gerade ging. Dabei versuchte ich, diesen intensiven Blick einfach auszublenden, was mir glücklicherweise und vor allem überraschenderweise gut gelang. »Das hier sind Albóndigas, Fleischklößchen. Die hier sind Almendras frites, gesalzene und in Öl geröstete Mandeln. Hier haben wir Patatas bravas, frittierte Kartoffelwürfel mit scharfer Soße. Hier sind Pinchos morunos, also marinierte Fleischspießchen und die letzten beiden sind Gambas al ajillo, also gebratene Garnelen mit Knoblauch und Chili und Boquerones en Vinagre, also in Essig marinierte Sardellen. Die müssten alle noch warm sein, also.. guten Appetit.«, lächelte ich vorsichtig und sah mich nach einem Platz um. Ganz außen neben Ava war noch einer, den ich auch augenblicklich wahr nahm. Da Liam in der selben Reihe saß wie ich, fiel es mir leichter, mich bei mir selbst zu behalten und es begann ein ziemlich entspannter Abend unter Freunden.
Im Verlauf der Stunden lernte ich die anderen besser kennen. Es tat gut, mal etwas außerhalb der Schule zu unternehmen und sich auch mal in der Freizeit zu treffen, obwohl wir mehr Teilnehmer hatten, als ursprünglich geplant. Jason, Connor und Payne waren alle ziemlich nett. Wie Luna hatte Payne hellbraune Haare, dafür aber blaue Augen. Er spielte, so wie alle anwesenden Jungen, in der Footballmannschaft der Schule. Connor und Jason waren beide blond. Connor hatte hellgrüne Augen, aber lange nicht so einprägsam wie Liams. Er war der älteste von allen und wurde in wenigen Monaten zwanzig. Jason, ebenfalls blond, hatte braune Augen. Er war der Ruhigste von allen, aber das machte nichts, denn diese ruhige Aura strahlte trotzdem Wärme aus.
Im Gesamten waren alle Jungs sehr muskulös und durchtrainiert. Alle waren groß, wenn auch nicht ganz so groß wie Liam. Aber so groß zu sein war auch echt eine Kunst. Generell schaffte es keiner der anderen Jungs, an Liams gutes Aussehen heranzukommen. Seine markanten Gesichtszüge, ausgeprägten Wangenknochen und makellose Haut sprachen einfach für sich. Jedes Mal, wenn er die Stimme hob - und das tat er zu meiner Überraschung relativ häufig - huschte mir eine warme Welle der Gänsehaut über den Körper. Ich fragte mich, wie eine Stimme so angenehm und beruhigend sein konnte wie die seine und genoss jedes Wort, das seine Lippen zu formen wagten, obwohl ich ihn zu meiner eigenen Sicherheit nicht anzusehen wagte. Allein die Gewissheit, dass er in der Nähe war, ließ mich all das Leid und die Gefahren vergessen, die da draußen in der Welt lauerten.
Nachdem wir uns alle satt gegessen hatten, entschieden wir, uns nach drinnen ins Wohnzimmer zu verziehen. Es war ziemlich kalt und noch windiger geworden, der Himmel hatte sich zugezogen und die Nacht war eingebrochen. Übrigens floss an diesem Abend kein Tröpfchen Alkohol, denn wir alle fuhren mit dem Auto nach Hause und Alkohol hinterm Steuer endet nie gut.
Als wir ins Wohnzimmer kamen, schmissen sich alle erstmal kampfbereit auf die Couch. Lachend schüttelte ich den Kopf, wie Kinder stritten sie sich um den bequemsten Platz. Da ich mich aus sowas lieber raushielt und ohnehin zu spät war, um noch irgendeine reelle Chance zu haben, beschloss ich einfach, mir eines der Kissen zu nehmen, mich vor das eine Ende der Couch zu setzen und mich dort anzulehnen. Es war einigermaßen bequem und definitiv besser, als die Hände und Füße der anderen an Stellen vorzufinden, wo sie nicht hingehörten. Zu meiner Überraschung nahm sich einer der Jungs ebenfalls ein Kissen von der Couch und platzierte es direkt neben mir. Noch bevor er sich setzte, schoss mir der Duft aus dem Vanille-Tropen-Mix in die Nase, der mich jedes Mal aufs Neue derart benebelte, als wäre ich high.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top