Merry Christmas (2)
Nachdem ich alle kleineren Dinge, wie meinen Kulturbeutel, Ladekabel und eine Kamera ebenfalls in meinem Koffer verstaut hatte, packte ich noch ein paar Kleinigkeiten zu essen in den Rucksack. Der Flug würde ungefähr zweiunddreißig Stunden dauern, mit Unterbrechungen und Wartezeiten. Und da Flughäfen bekannterweise sind sonderlich billig waren - auch, wenn ich es mir theoretisch hätte leisten können -, beschloss ich, vorzusorgen.
»Und? Bist du schon sehr aufgeregt?«, fragte Summer vorsichtig lächelnd, als ich eine Packung Salzstangen in meinen Rucksack packte. Ich nahm ein bisschen mehr mit, weil ich mich dazu bereit erklärt hatte, die Snacks mitzunehmen, während Liam sich um die Getränke kümmern würde.
Zögerlich nickte ich auf Summers Frage hin. Ihre Worte kamen so ängstlich aus ihrem sonst so übermütigen Mund; es besorgte mich. Genauso wie das Verhalten der anderen, wie Liams Worte. Ich wusste, es war relevant, diesen Schritt zu machen, den Schritt in Richting Selbstentdeckung und Selbstbewusstsein, Identität. Aber gleichzeitig knotete die Angst mir meinen Magen immer weiter zu. Ich wusste nicht, was auf mich zu kommen würde. Würde es dort Gefahren geben? Welche Wesen gab es überhaupt, wenn es schon Werwölfe und Vampire gab? In was ritt ich mich damit rein?
Immer wieder versuchte ich, mich mit dem Gewissen zu beruhigen, dass Liam mitkommen würde. Er würde da sein und auf mich aufpassen, gucken, dass mir nichts passiert. Er hatte selbst gesagt, dass das seine Pflicht war. Ich hatte nichts zu befürchten, immerhin war er der Alpha.
Zumindest versuchte ich, mir das einzureden. Das klappte zwar nur so semi, aber wenigstens konnte sich mein Herz kürzere Pausen vom hellen Galopp gönnen.
»Kommt mir ja nicht zu dritt wieder.«, schmunzelte Summer, um die Stimmung zu lockern.
Ich brauchte einen Moment, bis ich schaltete. Dann stieß ich empört die Arme in meine Seiten und sah sie fassungslos an.
Nicht, dass ich nicht schon an mehr mit Liam gedacht hätte. Aber meine Mission hier war es nicht, mit ihm ins Bett zu kommen, sondern meine Person zu entdecken und herauszufinden, wer ich wirklich bin. Summer wusste, dass ich nicht vorhatte, mit Liam zusammen zu kommen, bevor wir wieder zurück kamen.
»Just saying.«, redete sie sich heraus und hob unschuldig ihre Arme. Gleich danach bekam ich eine große Packung Kondome auf den Tisch vor mir geworfen.
Ich verdrehte die Augen, packte sie aber trotzdem ein. Zum einen, damit Summer Ruhe gab, zum anderen, weil ich mir sicher war, dass Liam nicht daran denken würde und so, wie er die letzten Male drauf war, hätte er sicher nichts dagegen, mal eine Nacht mit etwas anderem als schlafen zu verbringen.
In dem Moment hupte auch schon jemand vor der Haustür; mein Signal dafür, dass Liam da war. Wir hatten besprochen, dass seine Mutter uns hin bringen und abholen würde. Das lag zum einen daran, dass wir uns die Kosten des Parkplatzes sparen würden, und zum anderen wollte seine Mutter wenigstens einmal einen Blick auf mich geworfen haben. Immerhin war ich irgend so ein verrücktes Mädchen, das ihren Sohn dazu verleitete, über Weihnachten und Neujahr über den Ozean nach Asien zu reisen. Ich konnte es nachvollziehen; ich hätte Liam und mich an ihrer Stelle auch als verrückt erklärt. Liam erklärte ich ja jetzt schon als verrückt.
Summer kam zu mir und schenkte mit eine lange Umarmung. Leise hörte ich sie seufzend, als sie ihren Kopf kurz in meiner Halsbeuge ablegte. »Versprich mir, ihm nicht weh zu tun.«, flüsterte sie und ich konnte hören, dass sie das schon länger beschäftigen musste. Es klang leicht verzweifelt, traurig und absolut hoffnungslos. Als würde sie wissen, dass ich Liam schon bald das Herz brechen würde. Warum dachte das denn jeder von mir?
»Das könnte ich nicht.«, murmelte ich zurück, erhielt als Antwort aber nur ein Schweigen.
Ich verabschiedete mich auch noch vom Rest der Familie Blake und nahm meinen großen Reisekoffer mit.
Als ich die Tür öffnete, stand Liam schon davor. Wie immer nur im Shirt und schwarzer Jeans, grinste er mich frech an. Der Schnee lag immer noch, aber seine Laune hatte sich um einhundertachtzig Grad gedreht. Er war wieder gut drauf, so wie heute Morgen. Komischer Kauz.
»Hey.«, lächelte er und umarmte mich kurz, ehe er sich Summer und den Blakes widmete und sich von ihnen verabschiedete. Als er nach meinem Koffer griff, damit ich ihn nicht durch den Schnee ziehen musste, wünschten uns Summer und ihre Familie einen guten Flug und dass wir uns doch melden sollten, wenn wir im Hotel angekommen waren. Ich versprach, dass es das erste sein würde, was ich im
Hotel tat, ehe ich durch den Schnee zu dem dunkelroten Honda Civic hinter Liam her stapfte. Während er meinen Koffer neben seinen, der definitiv kleiner war als meiner, in den Kofferraum verlud, setzte ich mich schon mal auf die linke Seite des Rücksitzes.
»Guten Abend Misses Hanson. Vielen Dank dafür, dass Sie uns zum Flughafen bringen.«, entgegnete ich vorsichtig lächelnd und hoffte, dass meine Haare und auch alle meine Klamotten an Ort und Stelle saßen. Klar, das war jetzt nicht vergleichbar mit einem Dinner zum Kennenlernen, aber ich wollte trotzdem einen guten Eindruck hinterlassen. Immerhin war ich diejenige, die sich ihren Sohn krallte, um es hart auszudrücken.
»Das mach ich gerne, Liebes. Nenn mich doch Anna.«, in dem Moment stieg Liam ebenfalls auf dem Rücksitz ein und schnallte sich an. »Du hattest Recht, Liam. Sie riecht wirklich unglaublich gut.«, entgegnete sie noch, ehe sie den Motor startete.
Verwirrt sah ich zu meiner Rechten. Liam war rot angelaufen und zischte nur ein »Mum!« zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Und sie ist auch genauso hübsch, wie du immer behauptest.«, fügte Anna triumphierend grinsend hinzu und fuhr von der Einfahrt auf die Straße.
Ich merkte, wie ich ein bisschen rot wurde und nuschelte verlegen ein »Danke« zu Anna. Liam hingegen wurde noch roter, was ich unglaublich süß fand. Wie ein kleiner Junge, der gerade zum ersten Mal ein Mädchen brachte.
Naja, bis auf, dass er kein kleiner Junge war, war es ja auch so.
Die Fahrt über unterhielten wir uns über Belanglosigkeiten. Anna fragte mich nach meiner Herkunft, nach der Schule und meinen Hobbys. Höflich und vielleicht auch ein bisschen Stolz auf mich selbst in allen drei Kategorien berichtete ich von Laredo, von meinen guten Noten aber auch meiner Schwäche in Physik und Chemie, sowie dem Malen, Joggen und Klavier spielen. Klar, ich hatte letzteres bei Summer nicht wirklich ausleben können, da ich den Flügel mitverkauft hatte, aber Zeichnen tat ich hin und wieder schon. Nicht mehr auf einer Staffelei, aber man konnte mich auch nicht davon abhalten, wenn man mir Stifte und Blätter gab.
»Tatsächlich? Du kannst gerne mal bei uns vorbeikommen, Liam spielt seit er sechs Jahre alt ist auch Klavier.«, lud sie mich ein. Überrascht sah ich zu Liam, der verlegen aus dem Fenster sah und ein warnendes »Mama, es reicht langsam.« vor sich hin nuschelte.
»Das wusste ich gar nicht. Aber ich find's schön, wenn Jungs musikalisch sind.«, sanft lächelte ich zu Liam, der sich kurz darauf wieder etwas entspannte und mir ein warmes Lächeln zurück schenkte.
Es dauerte nicht so lange, bis wir am Flughafen ankamen. Anna brachte uns noch zu unserem Gate und verabschiedete sich von jedem von uns. Mir schenkte sie eine kurze Umarmung, Liam eine etwas längere. Ich glaubte, sie etwas wie »Bring sie ja heil zurück.« in sein Ohr flüstern zu hören, aber die äußeren Geräusche waren viel zu laut, um es genau zu sagen.
Es war sehr viel los am Flughafen. Hunderte Menschen rannten von einem Gate zum nächsten, versuchten verzweifelt, den Ausgang zu finden oder ärgerten sich über die Preise. Die Weihnachtsdekoration ging dabei ein wenig unter, was ich zwar schade fand, aber was sollte man auch anderes erwarten? Wir hatten den zwanzigsten Dezember, Leute aus aller Welt kamen, um ihre Familien hier zu besuchen und flogen fort, um ihre Familien woanders zu besuchen. Keiner kam auf die dumme Idee, einfach mal einen Urlaub über diese Zeit zu buchen. Keiner, außer mir und Liam, der sich mir angeschlossen hatte.
»Also dann, macht's gut.«, lächelte Anna und ich glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen. Ich winkte ihr noch, Liam tat es mir gleich, und dann gingen wir in durch Check-In und hatten Anna schon bald hinter Menschenmassen aus unseren Augen verloren.
Die beiden Flüge verliefen eigentlich recht ruhig. Die meiste Zeit hatten Liam und ich Musik gehört, über dies und das tiefsinnig philosophiert oder geschlafen. Ich musste sagen, dass ich wirklich froh war, den Trip nicht alleine durchziehen zu müssen. Noch froher war ich, dass ich Liam an meiner Seite hatte. Ich fühlte mich sicher bei ihm, fühlte mich wohl. Er war ein unglaublich guter Redner und Zuhörer, brachte mich immer wieder zum Lachen und ich hatte noch nie etwas Bequemeres unter meinem Kopf gehabt, als seine überdurchschnittlich warme Schulter. Er war wie ein Zuhause zum Mitnehmen; Geborgenheit, Wärme, Wohlbefinden, Liebe - all das umarmte mich, wenn er nur wenige Zentimeter von mir entfernt war. Und diesen Genuss hatte ich über zwei Flüge und auch an den Flughäfen.
Nachdem wir endlich am Flughafen in Katunayake in Sri Lanka angekommen und unsere Koffer hatten, war es bereits sieben Uhr morgens. Wir hatten zwar viel im Flugzeug geschlafen, aber nichtsdestotrotz war dieser Schlaf durch die Aufregung und die Tatsache, sich nicht hinlegen zu können, nicht gerade erholsam gewesen. Dementsprechend müde waren wir beide.
Als wir den Flughafen verließen, stieß mir die Wärme des Morgens wie eine Wand gegen das Gesicht. Es ware nahezu windstill, weit und breit viele Menschen, die etwa meine Körpergröße hatten oder noch kleiner waren. Es war sehr viel los und Liam und ich hatten Mühe, zu den Zügen zu gelangen. Wir mussten erst nach Colombo, um dann nach Kandy zu kommen. Es dauerte auch einige Zeit, bis wir überhaupt die richtigen Züge fanden und durchgelassen wurden, zumal kaum jemand dort die englische Sprache beherrschte.
Als wir endlich, noch viel erschöpfter, gegen elf Uhr in Kandy ausstiegen und es nur noch wenige hundert Meter bis zum Hotel waren, fiel ich fast um vor Müdigkeit. Zwar konnte ich Wärme eigentlich gut ab, aber die Tatsache, dass ich gerade einen Wechsel von Schnee zu tropischem Klima hatte und wir Dezember hatten, machte das ganze nicht gerade besser.
»Das erste Weihnachten bei etwa dreißig Grad. Könnte recht interessant werden.«, gähnte Liam neben mir. Wir hatten die Koffer auf sein Geheiß getauscht, weil die Größenverhältnisse so besser passten.
»Ist auch mein erstes in so einer Hitze.«, gab ich ihm recht. Für viel mehr Wortwechsel waren wir beide einfach zu erschöpft gewesen. Nach etwa fünfzehn Minuten des Gehens waren wir endlich im Hotel angekommen. Es sah von Außen eher unscheinbar aus, viel mehr wirkte es wie ein hohes Wohngebäude. Als wir drinnen waren und zur Rezeption liefen, empfing uns aber ein gemütliches Ambiente in orangenen und roten Töten. Es war ein bisschen an die Kultur angepasst, wirkte aber sehr wohlwollend und angenehm. Meinen müden Augen zumindest gefiel es, denn es leitete die Müdigkeit noch umso weiter in meine Venen.
Wir schleppten uns noch zum Aufzug, fuhren in unser Zimmer. Ich hatte kaum verstanden, was uns die Rezeptionistin mitteilen wollte, weil ihr Englisch sehr brüchig gewesen war, aber alles, was ich wissen musste, war die Nummer siebenundvierzig, und die stand auch auf unserem Schlüssel.
Kaum erreichten wir unser Zimmer, schloss ich es ab und Liam inspizierte nahezu jede Ecke. Ich wusste nicht, warum er das tat, aber ich war zu müde, um Theorien aufzustellen oder ihn zu fragen, weshalb ich es einfach sein ließ. Ich duschte mich noch ab, machte mich bettfertig, ehe ich endlich um halb eins Mittags in das große Doppelbett fiel, das mich schon seit dem Betreten des Zimmers empfing. Später hörte ich nur noch, wie Liam die dunklen, dicken Vorhänge zu zog, nachdem auch er frisch geduscht aus dem Bad gekommen war, sich dann mit unter meine Decke kuschelte und mich an seinen warmen Körper heran zog.
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