folgenschwerer Ausflug (1)

Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Sonntag hatte ich den Rest meiner Hausaufgaben erledigt und mich dem Fernsehprogramm gewidmet. Abends kamen Steve und Lauren wieder nachhause, ganz spät, weshalb ich das nur dadurch mitbekam, dass sie leise über den Flur huschten.
Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag verliefen alle beinahe gleich. Zwar variierten die Fächer und am Dienstag und Donnerstag hatte ich mich nachmittags noch zu einer Runde Sport entschieden, aber im Grunde gab es immer den selben Ablauf: Ich stand morgens auf, machte mich fertig, fuhr zur Schule, traf mich in den Pausen mit der Clique, die aber seltsamerweise immer unvollständig war, und fuhr nach der Schule wieder nachhause, wo mich niemand erwartete, da beide Sorgeberechtigten ja bis Uhren arbeiteten.

Das mit unsere Gruppe fand ich schon komisch. Zwar war Summer fester Bestandteil und durchweg jede Pause bei mir, aber irgendwie fehlten immer mindestens zwei andere den ganzen Tag. Die ersten beiden Tage waren es Sienna und Ava, die anderen beiden Juliet und Luna. Als ich Summer danach fragte, meinte sie lediglich, dass sie sich wohl alle einen grippalen Infekt eingeholt hätten. Um die Stimmung zu lockern, fügte sie noch hinzu, dass es sicherlich nicht an meinen Tapas gelegen haben könnte.

Von Liam hörte ich absolut gar nichts mehr. Ich sah ihn nicht bei seinen Kumpels, sein Motorrad war auch wie von Luft aufgelöst, als würde er gar nicht mehr zur Schule kommen. Summer spielte das herunter, als ich sie danach fragte, und ermahnte mich mit scharfen Ton, nicht von ihm zu reden, wenn wir in der Schule waren. Das Verhalten kam mir mehr als komisch vor. Aber keiner gab mir eine Antwort. Nicht mal, als ich Donnerstag in der Mittagspause Ava und Sienna nach ihm fragte - wofür ich einen ziemlich kritischen und fassungslosen Blick erhielt -, bekam ich, was ich wollte. Irgendetwas war hier im Busch. Das merkte ich.

Am Morgen des Freitags beschloss ich, es aufzugeben. Ich hatte keine Lust, mich weiter mit Fragen zu quälen. Sie ließen mich nachts nicht schlafen; wie ein helles, störendes Licht, das zwar müde machte, aber zu hell zum Einschlafen war. Es war wirklich mehr als lästig.
Gerade, als ich die Treppen herab lief und mir meinen morgendlichen Apfel schnappen wollte, bemerkte ich ein Räuspern in der Küche. Erschrocken drehte ich mich um, um festzustellen, dass der mürrische Chauffeur Schrägstrich Bodyguard in der Küchenecke stand und mit düsterer Miene zu mir herüberblickte. Was hatte er nur gegen mich?
»Mister und Misses Williams lassen ausrichten, dass ihr alle heute Zusammen einen Ausflug in den Aspen Beach Provincial Park macht.«, er rümpfte die Nase, als würde er etwas ganz unangenehmes riechen, und verschwand dann aus der Tür. Das Verhalten der Menschen wurde immer komischer.
Dann realisierte ich seine Aussage erst. Ein Ausflug. Ein richtiger, gemeinsamer Ausflug. Wie eine Familie. Irgendwie machte mich das glücklich. Ich wusste, ich würde Steve und Lauren besser kennen lernen und vielleicht, ganz vielleicht, war ich ihnen bald mehr Wert als ihr Geld. Aber dafür musste ich einen guten Eindruck hinterlassen.

Meine Laune hatte sich auf Anhieb gehoben. Zwar wusste ich nicht, warum eine mehr oder weniger persönliche Übermittlung der Nachricht von Nöten war, aber dennoch lief ich an diesem Morgen grinsend zum Auto. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Tag vielleicht doch gar nicht so schlecht verlaufen würde, nicht so trostlos sein würde, wie ich anfangs gedacht hatte.

In den ersten beiden Pausen passierte nichts Spannendes. Ich saß wieder mit Summer, Ava, Sienna und Luna zusammen am Tisch; Juliet fehlte vor wie nach. Wir unterhielten uns über unsere Pläne des Tages; Summer würde mit Zack ausgehen, Sienna half ihren Geschwistern dabei, deren Zimmer zu streichen und Ava und Juliet gingen zusammen ins Kino.
»Und was machst du heute so?«, fragte Summer und lächelte warm in meine Richtung, während sie sich den Müsliriegel in den Mund schob. Ihre Sommersprossen hatten sich nochmal vermehrt; er war sonnig gewesen die letzten Tage, und umso süßer sah sie aus.
»Lauren und Steve wollen mit mir zusammen einen Ausflug in den Park machen. Asl.. Ase...-«
»Aspen Beach Provincial Park.«, korrigierte Sienna, wobei sie aussah, als hätte ich ihr nicht gesagt, wo der Ausflug hingehen würde, sondern, dass sich gerade ihre Oma verschluckt hätte und beinahe erstickt wäre. Nun lagen auch die Blicke der anderen, allesamt etwas fassungslos und irgendwie nahezu besorgt auf mir. Hatte ich etwas falsches gesagt oder getan?
Summer war die einzige, die sich einigermaßen zusammen raffen und wieder fangen konnte. »Ehm, okay. Cool, weißt du auch, warum?«
Irgendwie verbreitete sich in mir eine Panik. Ich spürte sie langsam meine inneren Wände hinauf krabbeln, ihre Spuren in jedem Zentimeter meines Körpers hinterlassen und mich wieder fluchtbereit anspannen. Warum reagierten sie so komisch?
Alle, bis auf Summer, senkten den Blick auf ihr Essen und schienen über irgendetwas zu grübeln. Als würden sie einen Plan ausfeilen, Strategien überdenken und wortlos untereinander austauschen.
»Weiß nicht. Ich schätze einfach mal, dass sie ein bisschen mehr Zeit mit mir verbringen wollen.«, es klang mehr wie eine Frage als eine Aussage. Ich spürte, wie sich die lockere Stimmung mit einem mal angespannt hatte. Nicht nur mein Körper verspürte einen Fluchtinstinkt, sondern auch der der anderen Mädchen. Zumindest glaubte ich, dass ihre steifen Haltungen dem Fluchtinstinkt zu verdanken waren.
Summer nickte auf meine Aussage bloß und sah in die Ferne, die anderen sagten immer noch nichts und starrten vor sich hin. Das wurde mir alles zu unheimlich. Ich fühlte mich wieder wie ein Eindringlich, als wäre ich die Einzige, die nicht wusste, was los war. Wie das fünfte Rad am Wagen fühlte ich mich.

Ich beschloss, die Mädchen einfach mal in Ruhe zu lassen. Vielleicht mussten sie dringend etwas besprechen, aber konnten es nicht tun, weil ich dabei war. Sie sahen so aus, als würden sie gleich vor Anspannung zerplatzen, wie ein Luftballon, dem man mehr und mehr Luft zumutete, bis er es nicht mehr halten konnte und in tausend Fetzen zersprang. »Ich.. geh dann mal zum Unterricht. Ich hatte eh noch eine Frage an Mister Clarkson.«, erklärte ich und stand auf. Die anderen antworteten mit einsilbigen Verabschiedungen, die mehr aufgesetzt als ernst gemeint klangen, und so verließ ich die Gruppe. Und ich hatte schon Hoffnungen gehabt, dass das 'neu sein' vielleicht endlich ein Ende gehabt hatte. Nach drei Wochen. Wie töricht von mir.

Gerade, als ich die Caféteria verlassen wollte, spürte ich, wie sich die Blicke der Schüler um mich herum anhoben und zwischen mir und etwas hinter mir hin und her sahen. Ich spürte meine Wangen leicht erröten, das hatte mir jetzt noch gefehlt. Ansehen in einer der Momente, in denen es mir nicht gerade bombastisch ging. Hatten sie sich an der Neuen nicht endlich mal satt gesehen?
Aber als mir dann jemand auf die Schulter tippte, waren die Banalitäten, die sich mein leichtsinniges Gehirn als Gründe für das Starren der anderen vorstellten, wie weggepustet. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, stieg mir der Geruch von Aftershave, einem Vanille-Tropen-Mix und, heute etwas intensiver, nassem Wald in die Nase. Ich spürte meine Wangen augenblicklich glühen. Jetzt wusste ich, warum mich jeder so anstarrte. Und was, oder besser gesagt wen sie hinter mir anstarrten.
Als ich mich umdrehte, sah ich augenblicklich in smaragdgrüne Augen. Wie funkelnde Edelsteine sahen sie zu mir herab, strahlten eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit und dennoch irgendwie etwas Freches und Schelmisches aus.
Da stand er vor mir, Adonis höchstpersönlich. Seine kurzen, dunkelbraunen Haare waren wie immer leicht gestylt, aber nicht zu übertrieben mit Haargel vollgeklatscht. Er trug heute ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jeans, und, drei Mal durfte man raten, schwarze Schuhe. Er hatte beide Hände wieder lässig in die Hosentaschen gesteckt, während ich wahrscheinlich neben ihm aussah wie ein Fan, der grade seinen Helden anhimmelte.
»Hey.«, sagte er nur, und das reichte. Seine sanfte Stimme entlockte meiner Haut sich aufstellende Härchen, als wäre es ein Befehl oder ein Knopfdruck gewesen. Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen, hervorgelockt durch sein freches, schiefes Grinsen. Es war dasselbe Grinsen, dem ich sofort verfallen würde. Das Liam-Grinsen.
»Hey«, erwiderte ich, aber es klang mehr gehaucht. Er hatte es schon wieder geschafft, meine Stimme zum Ersticken zu bringen. Wie machte er das nur?
Ich spürte die Blicke der anderen auf uns. Dieses Mal war es keine Einbildung, dieses Mal konnte ich die Stille, die sich in der Mensa ausbreitete, wahrnehmen. Man würde vermutlich die Flügelschläge eines Schmetterlings hören können, wenn nicht die Atmung jeder einzelnen Person so laut gewesen wäre. In der Mensa war es so voll wie immer. Als ich kurz meinen Blick zurück warf, stockte ich. Ava, Sienna, Luna und Summer blickten wütend in unsere Richtung. Nein, in seine Richtung. Sie sahen so aus, als würden sie gleich explodieren vor Wut.
Doch Liam war ganz locker. Entweder, er bemerkte die wütenden Mienen seiner Freundinnen echt nicht, oder er war ein verdammt guter Schauspieler und blendete es für sich aus. Egal, was davon zutraf, sein immer noch schiefes Grinsen ließ eine wohltuende und beruhigende Wärme auf mein Innerstes los und nahm es ein.
»Tut mir leid, dass ich nicht schon eher dazu gekommen bin.«, seine Augen funkelten immer noch wie kleine Edelsteine. »Steht das mit dem Kaffee noch?«
Überfordert musste ich erstmal schlucken. Tagelang meldete er sich nicht, ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben und mich damit abgefunden, dass ich es ihm nicht Wert gewesen war, und auf einmal schneite er in die Mensa rein und fragte mich abermals nach einem Date? Seltsam. Aber selbst, wenn ich hier tatsächlich im falschen Film war, konnte ich diesem Grinsen nicht lange, wenn überhaupt, widerstehen. Vorsichtig nickte ich, wie gebannt starrte ich in seine Augen. »Es steht jetzt erst.«, entgegnete ich und bemühte mich um ein provokantes Lächeln. Ich konnte ihn ja nicht auf ewig anstarren wie ein Gemälde von Picasso. Auch wenn er noch schöner war, als Picassos Gemälde es je hätten sein können. Liam war verboten schön. Das war illegal, wie gut er aussah.
Nach wie vor mit beiden Mundwinkeln nach oben gerichtet, schüttelte er den Kopf. »Okay, um wie viel Uhr hast du heute Zeit?«, fragte er dann und kam einen Schritt auf mich zu. Die Mensa war immer noch verstummt und ich fühlte mich wie in einem schlechten Theaterstück. Vielleicht hätte ich ihn doch nicht dazu auffordern sollen, mich in der Schule zu fragen. Andererseits hätte er sich ja auch eine weniger zuschauerreiche Kulisse aussuchen können.
»Ehm, heute? Heute kann ich leider nicht. Ich mache mit Lauren und Steve eine Ausflug. Es geht in den Aspen Beach Provincial Park.«, lächelte ich entschuldigend. Ich wollte zwar etwas hinzufügen, aber wie vom Blitz getroffen erstarb das Grinsen. Ein finsterer Gesichtsausdruck beherrschte seine Züge für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er sich um eine neutrale Miene abrang. Er war ein verdammt guter Schauspieler, dieser Mimikwechsel wäre mir beinahe entgangen. Aber nur beinahe. Und wenn er so ein guter Schauspieler war, entgingen im die Blicke seiner Genossinnen vermutlich auch nicht.
»Achso.«, antwortete er tonlos.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich wohl schon wieder gestarrt hatte. Vorsichtig klappte ich meinen Mund zu. Irgendwie faszinierte es mich, wie schnell und gut er seine Gesichtszüge wechseln und überspielen konnte, aber irgendwie gefiel mir das gleichzeitig so gar nicht. Irgendwas in mir verspürte noch tiefere Abneigung gegen etwas Vorgespieltes, als ich sie ohnehin schon hatte. »Wir können aber morgen gerne Frühstücken gehen.«, ergänzte ich und rang mir erneut ein Lächeln ab, diesmal aber nicht, um der Trance zu entweichen, sondern eine gute Miene zu behalten und nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Das war mir so unangenehm.
»Ich hol dich um halb zehn bei dir ab.« Sein scharfer Ton war nicht zu überhören, es klang beinahe wie ein Knurren. Im nächsten Moment war er schon weg und hinterließ mir nur noch seinen Geruch, dessen Umarmung sich auch langsam von mir löste und mich alleine zurückließ.

Nicht so die Blicke der anderen. Ich wurde angestarrt von allen, die meisten Blicke neidisch und eifersüchtig, andere erstaunt und wieder andere drehten sich arrogant zur Seite weg, als mein Blick an ihnen vorbei glitt. Nur Betty, die gerade zum Ausgang raus wollte, schenkte mir einen zutiefst enttäuschten Ausdruck, bevor sie die Mensa verließ.
Aber das blieb alles nebensächlich, das merkte ich mir nicht. Ungewollt hatte mein Gehirn es keine Sekunde später wieder verdrängt. Mein Fokus lag ganz woanders.
Warum hatte scheinbar alle meine Freunde und Bekannten etwas gegen den Ausflug? An mir konnte es nicht liegen, immerhin ließen sie mich in den engeren Freundeskreis und hatten mir ihre Freundschaft untereinander offenbart. Es musste an etwas anderem liegen. Lag es vielleicht am Ausflugsziel, Aspen Beach Provincial Park? Oder lag es gar an Lauren und Steve?

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