Shadows and Lights

Ich lief ein wenig unwohl durch das Zimmer und zu diesem Apparat am Fenster.
Das Klavier zog mich wie magisch an und vorsichtig setzte ich mich auf den eleganten Hocker davor.
Der Blick aus dem Fenster ging hinaus in den grünen Wald, in dem es vor kleinen Häusern nur so wimmelte.
Eine Mutter saß mit ihrem Kind auf einem der Steine und schienen etwas zu beobachen.
Der kleine konnte nicht älter als fünf sein und sah begeistert auf etwas was sich in dem grünen Dickicht regte.
Die Mutter lachte und hob den kleinen auf ihren Schoß.
Da wo ich her kam, war eine solche Situation mit Eltern und ihren Kindern das wohl seltenste.
Beide wirkten auf mich unglaublich unbeschwert und glücklich. Nicht traurig, trüb und abgemagert, so wie krank oder blass.

Mit meinem Arm lehnte ich mich auf das Klavier und zuckte zusammen, als es eine Reihe schiefer Töne von sich gab.
Was zum...?
Mit aufgerissenen Augen und ziemlich verschreckt blinzelte ich und tippte vorsichtig auf eine der Tasten herum.
Der einzelne Ton klang nun grader und nicht mehr so verzerrt wie die vielen eben noch.
Ich tippte auf die nächste, schwarze Taste und ein anderer Ton erklang in meinen Ohren.
Aus neugier wie die anderen klingen würden tappte ich mich durch und stellte fest, dass sie in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet waren.
Von tief zu hoch oder von hoch zu tief.
Ziemlich belustigt begann ich auf dem Ding herumzuklimpern.
So etwas hatte ich noch nie gesehen, was es umso interessanter für mich machte.

Ein leises Lachen holte mich aus meinem klimpern und ich sah Wonho in der Tür stehen, wie er locker in einem schwarzen T-Shirt und einer grauen Hose gegen den Türrahmen lehnte.
Seine Haare hingen ihm nass ins Gesicht und auf seinen vollen Lippen hatte sich ein amüsiertes Lächeln abgezeichnet.
"Ich konnte mir denken, dass es dir gefallen würde. Wenn du möchtest kann ich dir beibringen darauf zu spielen. Es mag verwirrend wirken, doch wenn man einmal hinter die Noten gekommen ist, ist es ganz einfach." erklärte er mir und setzte sich in Bewegung.
Mit seiner Hand fuhr er sich durch die nassen, hellen Haare und schob die Strähnen zur Seite, die ihm eben noch im Gesicht hingen.
Ich rückte auf dem Hocker zur Seite und machte ihm Platz.
Er setzte sich und betrachtete mich mit freudigen und funkelnden, schönen braunen Augen.
"Was hast du in den letzten Tagen so getrieben?" fragte er völlig ohne zusammenhang.
Ein wenig verdutzt suchte ich nach einer richtigen Antwort.
"Ich war viel mit Hyungwon unterwegs." antortete ich knapp und sah wieder auf die Tasten des Klaviers.
Wonho murmelte irgendetwas unverständliches vor sich hin, bevor er seine Hände auf die Tasten legte und seine Augen noch einen Moment auf mir ruhten.

Viel eleganter und gekonnter als ich schwebten seine Finger über die weißen und schwarzen Tasten und spielten eine wesentlich wohlklingendere Melodie, als ich eben noch.
Selten hatte ich Musik gehört, aber das was Wonho spielte war wirklich gut und ließ mich in meine Gedanken eintauchen.
Ich war nicht mehr hier.
Ich schwebte irgendwo weit in den weiten meines Kopfes und erinnerte mich an Dinge, die mir sonst nie durch den Kopf gingen.
An meine Eltern. Ich erinnerte mich nach lagem mal wieder wirklich an sie und nicht nur in Bruchteilen. Ich erinnerte mich an ein Leben in dem es damals besser mit ihnen war, als ohne sie, nachdem sie starben. Aber das ganze hatte sich gelegt.
Mein Bruder und ich lebten nun in einer Umgebung in der es uns gut zu gehen schien.
Zwar wusste ich nicht was ihn so fürchterliches passiert war, aber ich hoffte es noch herauszufinden.

"Sei wie der Fluß, der eisern ins Meer fließt
Der sich nicht abbringen läßt egal wie schwer's ist
Selbst den größten Stein fürchtet er nicht
Auch wenn es Jahre dauert bis er ihn bricht
Und wenn Dein Wille schläft, dann weck ihn wieder
Denn in jedem von uns steckt dieser Krieger
Dessen Mut ist wie ein Schwert
Doch die größte Waffe ist sein Herz" Wonho zog mich mit seiner melodischen und weichen Stimme aus meinen Erinnernungen und Gedanken und versank mit seiner Stimme in der Musik.
Ich war überrascht darüber, dass ich das Lied kannte und fühlte mich wieder in die Vergangenheit zurückgesetzt.
Meine Mutter hatte mir dieses Lied vorgesungen, als ich kleiner war und nicht schlafen konnte.
Als ich klein war hatte es mich immer beruhigt, doch seit meine Muter gestorben war, hatte ich nicht mehr mit einer Silbe daran gedacht, ich konnte es nicht.
"Lasst uns aufsteh'n
Macht Euch auf den Weg
An alle Krieger des Lichts
Wo seid Ihr
Ihr seid gebraucht hier
Macht Euch auf den Weg
An alle Krieger des Lichts
Das hier geht an alle Krieger des Lichts" nahm ich dem neben mir die Worte aus dem Mund, die wesentlich ungekonnter und leiser klangen als seine und so gar nicht zu der ruhigen Melodie passen wollte.

Wonho ließ die letzten Töne verlklingen und sah mich ungläubig an.
"Woher kennst du das Lied? Laut meines Wissens, ist es in den Regionen verboten." fragte er mich.
Ich sah auf meine Schuhe und spielte nervös mit meinen Händen.
Es war verboten?
Aber es war doch so schön, beruhigend, grade für Kinder ein Lied was sie hoffen und träumen ließ.
"Meine Mutter hat es mir vorgesungen, als ich noch klein war. Ich wusste nicht, dass es verboten war." murmelte ich und schlang meine Arme um mich.
Er lachte leise und mir war, als würde er näher an mich heran rücken.
"Dann muss deine Mutter eine wirkliche Rebellin sein." erklang er amüsiert.
"War." berichtigte ich ihn und seufzte leise.
Einen Moment herrschte Stille, bevor Wonho zögerlich fragte: "Was ist passiert?"
Ich biss mir von innen auf die Wange.
Noch nie hatte ich es in den letzten zwei Jahren selber ausgesprochen, was meinen Eltern wiederfahren war.
Ich hatte es irgendwann einfach verdrängt und mich zum Vergessen gezwungen, doch eben kam alles wieder hoch.
"Es war ein Minenunglück. Meine Eltern waren an dem Tag da unten Arbeiten und aufeinmal..." Ich unterbrach mich selber und wischte eine Träne weg, die sich den Weg aus meine Auge erkämptft hatte.
"Aufeinmal, so hieß es, brachen die Stützpfeiler, die den Schacht zusammen hielten..." Ich schluchzte. "Keiner der an diesem Tag da unten war, konnte mehr gerettet werden."
Ich ließ all meinen Tränen freien Lauf und nahm nur wage wahr, wie Wohno mich auf dem Hocker in seine Arme zog und über meinen Rücken strich.
Immer und immer wieder murmelte er, dass alles gut sei, und Changkyuns und meine Eltern uns doch bestimmt immer beobachtet hatten und dass sie dafür sorgten, dass uns nur gutes passieren würde.

Seine Stimme schaffte es mich zu beruhigen, doch nur schwer ließen sich die Tränen und die Bilder meiner Eltern versiegen.
Sie waren einfach wieder da und würden nicht mehr so schnell verschwinden wollen, doch Wonho schien dies nicht zu stören.
Er behielt mich bei sich, blieb mit der Zeit leise und strich mir nur noch sanft und guttuend über meinen Rücken oder meine Schulter.
Ich wollte nicht weinen und schon gar nicht vor so einem wie ihm.
Er schien der Typ Mensch zu sein, der einfach nie weinen würde, der immer stark bleiben würde, egal was ihm im Leben auch passieren mag.
Für mich fühlte es sich an wie eine Unendlichkeit, als endlich meine letzten Tränen versiegt waren und ich mich leichter, besser fühlte, als hätte die Last dessen auf mir gelegen, dass ich den Tod von Eomma und Appe nie verkraftet, was wohl auch so war, wie ich mir eingestehen musste.
Ich hatte es verdrängt nachdem ich im Bungalow aufgewacht war, den mein Bruder aufgetrieben hatte, hatte versucht einfach weiter zu leben, ich hatte ja schließlich genug getrauert und musste weiterleben, doch eben merkte ich, dass ich die völlig falsche Einstellung hatte.
Ich hätte trauern sollen, dann würde es mit in diesem Moment nun nicht so ergehen, aber ich kann nicht zurückholen, was in der Vergangenheit lag, obwohl ich hätte so viel verhindern können.

"Ich hab übrigens noch etwas für dich." flüsterte Wonho schließlich und fuhr mir vorsichtig über meinen Kopf.
Ich hob ihn und sah direkt in seine braunen und nun mitleidigen, ausdrucksstarken Augen.
"Warte schnell. Ich hole es."
Er lächelte und stand eilig auf, bevor er mich ein weiteres Mal alleine in seinem Zimmer ließ, aber wenige Sekunden später wieder auftauchte und sich neben mich setzte.
"Das hab ich an einem der letzten Tage gefunden und dachte, dass es dir gefallen würde."
In seiner Hand hatte er ein silberschimmerndes Armband mit ein paar kristallenen Blumen als Anhänger.
Es sah wunderschön und unbezahlbar teuer aus.
Wer auch immer es verloren hatte, musste sich darüber unglaublich ärgern.
Zögerlich griff er nach meinem Handgelenk und machte es mir um.
Kühl schmiegte sich das Metall an meine Haut und wie Automatisch hob ich meinen Arm um es besser betrachten zu können.
Leise lachte Wonho.
"Wusste ich doch, dass es dir gefallen würde."
Ich nickte. "Es ist wunderschön." nuschelte ich und senkte meinen Arm wieder.
Ein schwaches Lächeln hatte sich auf meine Lippen geschummelt, während ich nicht aufhören konnte das Armband zu betrachten.
Es glitzerte in dem Licht der Sonne, was darauf schien und die kristallenen Blumen schimerten wie kleine Regenbögen.
"Es muss einen unmessbaren Wert haben." flüsterte Wonho und betrachtete das Armband an mir ebenfalls einen Moment mit ernster Miene.
"Aber es steht dir. Es ist dezent, unauffällig, hübsch. So wie du."
Flüsterte er und im selben Moment spürte ich mich rot werden.
Ich mied seinen Blick und sah auf die Tasten des Klaviers.

Mir hatte, bis auf meine Familie, nie jemand gesagt, dass ich hübsch sei, oder mir andere Komplimente gemacht.
Ein warmes Gefühl machte sich in meine inneren breit und ließ mich hier tatsächlich och wohlfühlen, doch auf Wonhos Worte wusste ich nichts was ich dazu sagen konnte.
Er lachte leise.
"Wer wird da wieder Schüchtern. Du hast doch immerhin ebend noch in meinem Zimmer gestöbert." scherzte er.
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich hab mich nur hier hingesetzt und auf die Tasten getippt." hielt ich dagegen und sah, mich verteidigend, zu ihm.
Er holte tief Luft und ließ seine Lippen ein Lächeln zieren. "Von dir hätte ich auch nicht erwartet, dass du in meinen Sachen stöberts, dafür bist du mir viel zu brav." lachte er und klopfte mir auf die Schulter, bevor er sich dem Klavier wieder zuwandt.
"Komm. Ich zeig dir wie man Krieger des Lichts spielt. Es ist einfacher als es aussieht, oder klingt." lud er mich ein und nahm plötzlich meine Hände, um sie auf die Tasten zu legen.
Er erklärte mir irgendetwas, aber seine Worte gingen an meinen Ohren vorbei.
Ich verstand sie, aber sie schienen in meine Kopf zu keinem Sinn kommen zu wollen.
Viel mehr interessierte mich dieses wohlige Gefühl in meine Bauch und die Tatsache, dass ich nun angefangen hatte mich hier wie zu Hause zu fühlen.
Mit dem was war hatte ich abgeschlossen und wollte nun nur noch hier Leben, egal was es noch mit sich aufhatte.
Das könnte ich auch irgendwann noch herausfinden, was mir jetzt erstmal wichtig war, war dass Wonho mir beibrachte eine Tonleiter zu spielen und wo welcher der Töne auf dem Klavier vor uns lag.
Er meinte es würde dauern, eh man es sich merken würde, doch hatte man es einmal im Kopf, ginge das spielen wie alleine.
Ich könnte dann alle möglichen Lieder spielen, die ich schon immer spielen wollte.
Er meinte, dass hier nichts verboten sei. Es gab keine musischen Einschränkungen, sogar Stücke aus anderen Ländern könne er mir beibringen, sollte ich es wollen.
Ich würde es wollen. Würde herausfinden wollen was für Lieder es auf anderen Teilen dieser brachen Welt gab, doch ersteinmal würde ich, wie ein Kind, klein anfangen und an meinen Fähigkeiten wachsen.

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