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Eine Woche später schickt Emilia mir auf WhatsApp kommentarlos einen Link. Ich pausiere die Serie Shadowhunters, die ich gerade auf Netflix gucke (hauptsächlich um meinen Kopf mit neuem Inhalt zu füllen, nachdem er seit dem Tag im Eisstadion von einem gewissen Thema nicht abrücken will). Es war EINE blöde Begegnung!
Über mich selbst genervt, klicke ich die Webadresse an. Emilia und ich schicken uns häufig gute YouTube-Videos oder Memes, also erwarte ich einen solchen Inhalt. Wo mich die Verknüpfung aber stattdessen hinleitet, ist die Vereinswebsite von den „Eisbären Regensburg". Offensichtlich ein Eishockeyteam. Oh Mann.
Ich nehme den eingehenden Anruf von Emilia an. Scheinbar hat sie auf die kleinen blauen Haken, die als Lesebestätigung bei WhatsApp dienen, gewartet und mich dann sofort angewählt.
„Hey. Was bezweckst du mit diesem Link?", frage ich seufzend. Auf der Heimfahrt im Auto vom Eisstadion habe ich ihr viel zu viel erzählt. Sie klingt aufgeregt.
„Sag nicht, du hast es noch nicht angesehen. Nooooo! Ich wollte jetzt mit dir drüber reden!!" Ich scrolle die Seite weiter nach unten und entdecke ein Bild von der Eishockeymannschaft. Ob da wohl Alex drauf ist? Aber warum schickt sie mir das?
„Du, wenn die da in voller Montur stehen, kann man echt schwer erkennen, wer das alles auf dem Bild sein soll", lasse ich sie vorsichtig wissen.
„Doch nicht das Bild. Das Video!! Warte, vielleicht habe ich dir nicht genau die richtige Link-Adresse geschickt: Klick mal auf der Homepage auf News, dann siehst du's." Ich habe sie selten so aufgedreht erlebt. Eigentlich nur bei Nachrichten von Jan.
Das Video lädt und ich überfliege die darunter stehende Kurzzusammenfassung. Auf dem Eis werden Geschichten geschrieben: Eishockeyspieler Alex Neumann brilliert mit zauberhafter Kür bei der Dancing on Ice Newcomer Competition.
„Ich weiß zwar nicht, warum du mir das schickst", lüge ich, „aber ich leg mal kurz auf und schau mir das an, okay?" Emilia quiekt.
„Okay, aber beeil dich. Ich kann einfach nicht glauben, wie süß das Ganze ist."
Das Video eröffnet direkt mit dem Blick in die Eishalle, in der ich vor kurzem meine unsicheren Schritte gemacht habe, nur dass wunderschöne bunte Farbschweinwerfer die Eisfläche beleuchten und zwei Personen sich in der Mitte aufstellen. Es ist Alex und eine junge Frau. Offensichtlich seine Partnerin. Auch wenn es komisch ist, dass sie nicht in der Video-Beschreibung genannt ist.
Dann setzt die Musik ein, es ist einer der Songs, die beim öffentlichen Eislaufnachmittag auch gespielt wurden. Halt. Moment. Vielleicht sogar der Song, bei dem er mich umgefahren hat. Was für eine Ironie. Aber schließlich hatte er dazu ja geübt.
Irgendwas an der Partnerin ist auch faul. Sie schlittert mehr als sie gleitet und Alex ist ihr bereits nach den ersten Takten weit voraus, auf der anderen Seite der Halle. Sollte das nicht synchroner sein?
Jetzt dreht er um, nimmt Geschwindigkeit auf und vollführt mehrere elegant aussehende Sprünge, bei denen er immer näher an sie heran gerät. Ich bekomme schon Angst beim Zusehen, bis es Klick macht.
Er erzählt eine Geschichte mit dieser Kür. Und zwar unsere. Die von unserem Zusammenprall. Er muss seine Routine noch umgeändert haben. Tatsächlich stoßen sie Sekunden später zusammen, während der Kommentator erwacht.
„Sah das für Sie auch so gewollt aus? Wenn nicht, kostet das viele Punkte." Die Kamera zoomt näher heran, während sich die beiden tänzerisch aufrichten und sich mit wütenden Blicken ansehen. Alex fährt lässig zwei Schritte rückwärts, sie sinkt in einen Spagat und gestikuliert offensichtlich aufgebracht mit abgehakten Bewegungen zu dem Beat der Musik mit den Armen. Und ob das ich sein soll.
Dann kreist er in immer enger werdenden Kreisen um sie herum, wobei er alle möglichen Sprünge und Drehungen absolviert, während sie eindeutig die Bande ansteuert. Aber er verhindert immer wieder mit seinen Schlenkern, dass sie ihr Ziel erreichen kann und schließlich stoppen sie zu einer Pause in der Musik schwer atmend Stirn an Stirn. Dann hebt er das Mädchen mit den Schuhen,- jetzt fällt mir erst auf, dass sie gar keine Schlittschuhe trägt- auf seine und zeigt ihr quasi das Schlittschuhfahren.
Obwohl ich den Auftritt nicht live erlebe, bin ich richtig berührt. Alex trägt das Mädchen mittlerweile in einer wunderbaren Figur auf den Schultern. Bis zum Ende der Kür, berühren ihre Füße kein einziges Mal mehr den Boden. Das muss ein richtiger Kraftakt für ihn sein. Aber die Wirkung ist der Hammer. Seine Bewegungen sind beinahe poetisch und von dem Macho-Alex ist nichts mehr übrig.
Bevor die Einstellung auf die Jury schwenkt, fängt die Kamera noch ein, wie seine Lippen sich schwer atmend zu einem Lächeln verziehen. Er ist sichtbar zufrieden mit seiner Leistung. Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass ich offensichtlich die Inspiration für dieses Kunstwerk auf dem Eis war. Das warme Gefühl in meinem Inneren ist auf jeden Fall nicht zu leugnen.
Ich überspringe die Bewertungen, da ich eh nichts von der Punkteabstufung verstehe. Am Ende ist noch ein kurzes Interview geschnitten. Der Verein hat scheinbar eine echt gute Öffentlichkeitsarbeit.
„Möchtest du vielleicht erzählen, was du genau mit dieser Kür aussagen wolltest? Sie war ja technisch sehr anspruchsvoll, aber gleichzeitig unfassbares Storytelling, Mann! Dass du das Mädchen noch dazu geholt hast, war echt ein toller Überraschungseffekt."
Oh. Also scheinbar nicht seine Partnerin. Alex lacht.
„Ja, ich wusste gar nicht, ob das überhaupt erlaubt ist, weil ich ja in der Kategorie „Einzelkür" antrete, aber tatsächlich wollte ich unbedingt etwas einbauen, was mir letztens passiert ist."
„Passiert?", der Interviewer-Typ zieht eine Augenbraue hoch.
„Ja, bis vor kurzem ist die Kür größtenteils gestanden und dann bin ich beim Publikumsnachmittag mit diesem Mädchen zusammengestoßen. Sie hat mich regelrecht zur Schnecke gemacht, dass ich mich benehme, als würde mir die gesamte Eisfläche gehören und nicht rücksichtsvoll gegenüber Anfängern auf dem Eis bin. Also habe ich ihr nach einigem Hin und Her - sie müssen wissen, ich war aufs Training fokussiert - als Entschädigung eine Heiße Schokolade spendiert. Und dann habe ich gesagt, sie sähe aus wie ein Pinguin..."
Der Interviewer versucht sichtlich bemüht zu folgen, aber kann es natürlich nicht, schließlich sind das alles Insider. Mein Herz versteht das dagegen nur zu gut. Er hat diese unerklärliche Anziehung zwischen uns auch gespürt.
„Und der Rest hat sich dann wahrscheinlich nur in meinem Kopf abgespielt. Aber irgendwie ist sie mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen und ich habe meine Cousine, die Ballett tanzt, herbestellt und dazu rekrutiert mit mir diese Begegnung nachzuspielen."
Der Interviewer nickt anerkennend.
„Du warst übrigens sehr mutig, Hanna", ergänzt Alex grinsend. „Danke dir. - Und Eisprinzessin, falls du das siehst: du warst ein sehr inspirierender, schlagfertiger Pinguin! Ich würde dich gerne wiedersehen." Das Grinsen in meinem Gesicht ist wie festgetackert. Hach. Passiert so was im echten Leben??
Nachdem ich Emilias Anruf dreimal hintereinander abgelehnt habe, habe ich mich soweit beruhigt, dass ich mich in der Lage fühle ranzugehen. Ohne Begrüßung rufe ich:
„Sag mir, dass du an seine Nummer kommen kannst!?!" Sie lacht.
„Schon erledigt, Jan hat sie mir weitergeleitet." Die Nachricht mit der Nummer kommt im selben Moment auf meinem Smartphone an. Ich unterdrücke noch eine Minute meine Aufregung.
„Und ist das okay für dich, wenn ich mich eventuell ein bisschen in den Bruder von deinem Freund verguckt habe?" Eine ewige Sekunde lang lässt sie mich schmoren, bevor sie kichernd antwortet:
„Klar, solange du mir Jan nicht wegschnappst. Ich freue mich für dich. Zwischen Alex und dir hat's echt regelrecht geknistert."
„Okay, okay, bitte keine solchen Aussagen!" Ich verabschiede mich von ihr und öffne dann einen Chat mit der Nummer 01775833543.
Pinguin hier. Wo geht's nochmal in die nächsthöhere Kategorie?
Eine Antwort kommt postwendend. Ich kenne da zufällig jemanden, der das neu beurteilen könnte.
Und dann noch: Bitte sag, dass du es nicht auch so händelst wie Emilia und wir erst ein halbes Jahr lang schreiben müssen, bevor wir uns wieder sehen können.
Ich grinse mein Handy an. Mal sehen, schreibe ich dann gönnerhaft. Bin ich noch in der Pinguin-Kategorie?
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