Eine ganze Weile starrte ich Jack ins Nichts nach, bis ich mich heftig schüttelte, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Vorsichtig stand ich auf und musterte das Chaos, das Jack hinterlassen hatte. Auf dem schwarz angekokelten Boden sah man immer noch ein paar Flammen, welche verzweifelt versuchten am Leben zu bleiben, aber mit jeder Sekunde schwächer wurden. Neben halb verbrannten Unterlagen von Gronkel Ford lagen die Scherben des ehemaligen Gefängnisses von Bills, welcher immer noch bewusstlos im Zentrum des Chaos lag.
Wie zum Geier sollte ich das Ford erklären... wie sollte ich das irgendwem erklären?
Seufzend kam ich zu dem Schluss, dass es wohl die beste Idee wäre Ford direkt davon in Kenntnis zu setzen, das ich mich nicht nur heimlich in sein Allerheiligstes Labor geschlichen habe, sondern dieses auch noch demoliert wurde. Da ich nur auf Socken unterwegs war und auf keinen Fall auch noch in eine Scherbe treten wollte, kletterte ich auf dem vermutlich umständlichsten Weg aller Zeiten zur Treppe. Bei diesem Parkour musste ich ein paar von Fords Bücher als sichere Unterlage missbrauchen. Endlich am Ausgang angekommen hielt ich bei meinem ersten Schritt nach oben inne und schaute zurück zu Bill. Genervt schnaubend gewann mein schlechtes Gewissen die Oberhand. Ich konnte ihn nicht einfach so hier liegen lassen. Abgesehen von den Tretmienen der Scherben, die ihm wohl er Freude als Schmerz bereiten würden, würde er sich in seinem Zustand vermutlich schnell eine Erkältung einfangen. Falls ich es nicht erwähnt hatte: er war splitternackt.
Mit weiteren Büchern arbeitete ich mich zu ihm vor und schnappte mir auf halbem Wege die olle Wolldecke von Ford, die er immer hier unten liegen hat. Diese breitete ich nun über Bill aus und lief dann eilig wieder zurück zur Treppe. Als ich gerade das Wohnzimmer betrat konnte ich bereits Fords Schritte im Flur hören. Kurz darauf kam er um die Ecke und starrte mich entgeistert an. "Was ist mit dir passiert?!"
"Ich weiß, das sieht vielleicht jetzt ziemlich mies aus..." sagte ich und versuchte meine Stimme ruhig klingen zu lassen. "Aber... zuerst solltest du dir das da unten ansehen."
Ford musterte mich erneut und runzelte die Stirn. Sein Blick sagte mir, dass mich später wohl eine mächtige Standpauke erwarten würde...
Wortlos ging Ford an mir vorbei hinunter ins Labor. Bevor ich ihm nachlief, holte ich eilig meine Sneaker, welche neben der Eingangstür lagen. Als ich die Treppe herunter eilte und gleichzeitig meine Schuhe anzog, stolperte ich beinahe in Gronkel Ford, der auf der letzten Treppenstufe stehengeblieben war und fassungslos das Chaos anstarrte. Sein Blick wanderte über die Scherben und seine Unterlagen. "Was zum Henker ist hier passiert?!" fragte er aufgebracht und musterte Bill, der noch immer nicht bei Bewusstsein war.
Auf einem Bein balancierend zog ich an meinen Schnürsenkeln und stopfte sie links und rechts neben meinem Fuß in den Schuh, damit ich später bloß nicht darüber stolperte. "Wie beschreibe ich das am Besten..." fing ich an und richtete mich wieder auf. "Du erinnerst dich an Jack? Ja? Ehm... Er ist auf einen Abstecher vorbei gekommen und hat Bill in... das da verwandelt." fasste ich grob zusammen und zeigte auf das Deckenbündel in der Mitte des Labors. Ob er nun wirklich menschlich war, wusste ich nicht mit Sicherheit. Immerhin war er bis vorhin noch ein Dreieck aus purer Energie gewesen.
Ford schien durch meine Erklärung nur noch mehr verwirrt worden zu sein und fing nun fluchend an die verkohlten Zettel aufzusammeln. "Was hast du hier unten überhaupt zu suchen gehabt?" fragte er mich mit einem strengen Unterton, den ich nur zu gut kannte.
Leider habe ich nicht weit genug gedacht mir dafür eine Ausrede einfallen zu lassen. "Ich... bin geschlafwandelt?" versuchte ich mein Glück und erntete nur einen strengen Blick von Ford. "Ich konnte nicht schlafen..." gestand ich schließlich und hob die Bücher auf, die ich vorher benutzt hatte, um unbeschadet das Labor zu verlassen. "Ich wollte mich nur nochmal davon überzeugen, dass das wirklich Bill in unserem Keller ist... weil der Gedanke so abstrus war." Ich stapelte die Bücher auf einem der Schreibtische und sah zu Bill.
Ford folgte meinem Blick und legte die Seiten auf einen der Stühle. "Was genau hat Jack gemacht?" fragte er und trat vorsichtig näher zu dem regungslosen Häufchen Elend. Während ich versuchte das Ritual, oder was auch immer, bis ins kleinste Detail zu beschreiben, trat ich neben Ford und beobachtete ihn dabei, wie er zunächst vorsichtig die Decke etwas beiseiteschob und dann den Puls von Bill fühlte.
"Leider kann ich dir nicht genau sagen, was er da gebrabbelt hat, aber es war wie damals mit Gronkel Stan, diese komische alte Sprache..." beendete ich meinen Bericht und ging neben Ford in die Hocke.
Ford seufzte und strich sich über seine müden Augen. "Vielleicht kann er uns ja mehr darüber erzählen." sagte er und deutete mit seinem Kinn auf Bill. "So auf den ersten Blick sieht es wirklich so aus, als sei das hier ein ganz normaler Mensch." beantwortete er mir meine Frage noch bevor ich auch nur daran denken konnte diese zu formulieren und stand seufzend auf. "Bringen wir ihn erst mal nach oben, damit er beim Aufwachen hier unten nicht noch mehr Chaos verursachen kann."
Gemeinsam schafften wir es Bill durch das zerstörte Labor, die Treppe hinauf und auf das Wohnzimmersofa zu verfrachten. Halbherzig zog Ford die Decke zurecht und scheuchte mich, nachdem er meine Schnitte verarztet hatte, mit der Aussage wieder ins Bett, dass er auf den zum Menschen gewordenen Traumdämon aufpassen wird. Jetzt da er schon wach war, meinte er, könne er eh keinen Schlaf mehr finden und unbeobachtet wolle er Bill auf keinen Fall lassen.
Widerwillig ging ich die Treppe hinauf und spürte, wie die Erschöpfung mit jedem Schritt das Adrenalin aus meinen Adern schwemmte. In meinem Zimmer ließ ich mich aufseufzend ins Bett fallen und brachte es nicht einmal mehr zustande mich zuzudecken, bevor der Schlaf mich bereits mit offenen Armen empfing und ins Traumland zog.
Die Morgensonne kroch, begleitet von dem Gezwitscher der Vögel, mit langen Fingern durch das Fenster und kitzelte mich zu einer viel zu frühen Stunde wach. Noch während ich mir verschlafen den Schlaf aus den Augen rieb und mich fröstelnd aufsetzte, krochen, ähnlich wie die Wärme der Sonnenstrahlen auf meiner Haut, die Erinnerungen and die gestrigen Ereignisse in mein Bewusstsein. Schlagartig war ich wach, sprang aus dem Bett und sprintete die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Auf Gronkel Stans Sessel saß Gronkel Ford, den Kopf im Nacken und laut schnarchend. Schmunzelnd betrachtete ich ihn noch einen Moment, bevor sich meine Aufmerksamkeit dem sich nun bewegenden Deckenknäul auf dem Sofa zuwandte. Ähnlich wie eine Schnecke, die sich in ihren Panzer verkroch, hatte Bill all seine Gliedmaßen mitsamt seinem Kopf unter die Decke gezogen und kauerte nun als ein Deckenball in der Mitte des Sofas. Durch den Stoff hindurch konnte man ihn gedämpft wimmern hören und ich meinte auch ein Zittern zu erkennen.
Mit vorsichtigen Schritten trat ich näher und zog vorsichtig an einem Zipfel der Decke. "Bill?"
Erschrocken blitzten mir zwei bernsteinfarbene Augen aus der Dunkelheit unter der Decke entgegen, bevor mir der Deckenzipfel grob aus der Hand gerissen und ein "Verschwinde!" entgegen gespien wurde.
Verdattert stand ich da einige Sekunden, ein wenig überrumpelt von dieser Reaktion, bevor sich Empörung in mir breitmachte und ich erneut nach der Decke griff. "Was ist das denn bitte für ein Benehmen jemanden gegenüber, der dir gnädigerweise eine Decke und einen weichen Schlafplatz gegeben hat?" fragte ich und versuchte den strengen Ton von Ford zu imitieren. Als ich erneut an der Decke zog, diesmal um einiges stärker, schaffte ich es doch tatsächlich den Kopf von Bill freizubekommen und hielt mitten in der Bewegung inne, als ich in das schmerzverzogene und verängstigte Gesicht des Jungen schaute.
Dieser versuchte seine Mimik eilig unter Kontrolle zu bringen, krümmte sich jedoch unter offensichtlichen Schmerzen aufwimmernd zusammen und zog seine Beine fest an sich.
Besorgt trat ich näher und musterte Bill stirnrunzelnd. "Was ist los? Bist du verletzt?" Meine Augen suchten eilig nach irgendwelchen Anzeichen einer Wunde, Blut oder dergleichen, doch als ich ein tiefes, nur allzu bekanntes Grollen vernahm, entspannten sich meine Züge wieder. "Sag mir nicht, dass das eben dein Magen war." sagte ich ungläubig und schaute zu Bill, der mich stumm anstarrte und schamerfüllt die Decke über den Kopf zog. Laut lachend schlug ich mir auf den Oberschenkel. "Ist nicht dein Ernst! Du machst so eine Szene, nur weil du etwas Hunger hast?"
Wütend funkelte Bill mich durch die Falten der Decke an. "Ich bin es nicht gewohnt solch ein menschliches Verlangen wie Hunger zu verspüren!" fauchte er mich an und krümmte sich etwas mehr zusammen. "Und etwas Hunger ist das ganz und gar nicht... Ich kann kaum klar denken..." fügte er kleinlaut hinzu und vergrub sein Gesicht in der Decke.
Immer noch lachend musterte ich ihn. "Tatsächlich? Ich dachte, dass hättest du während deiner Besessenheit anderer Menschen wenigstens einmal erlebt." sagte ich und verschränkte meine Arme.
Bill schnaubte kurz auf und hob seinen Kopf ein Stück. "Das ist etwas ganz anderes! Wenn ich jemandes Körper besetzte, ist das nichts anderen, als wenn ich ein Kostüm oder dergleichen trage. Das Einzige, was ich wirklich spüren kann, sind Schmerzen oder besonders starke Emotionen." Er hielt einen Moment inne und schien in sich hineinzuhorchen, bevor er mit gedämpfter Stimme weitersprach. "Aber das hier... das fühlt sich anders an..."
Ich beobachtete ihn einen Moment, wie er dasaß und irgendwie verloren wirkte. Ich straffte etwas meine Schultern und riss mich aus der Starre. "Vielleicht sollten wir vorerst etwas gegen deinen Hunger tun." schlug ich vor und ging in Richtung Küche. Auf halbem Wege blieb ich stehen und schaute zurück zu Bill, der mich etwas verdutzt anschaute. "Alleine gehen kannst du aber hoffentlich noch, oder?" fragte ich mit einem leicht herausfordernden Unterton, welcher seine Wirkung nicht zu verfehlen schien. Der nun menschliche Bill raffte die Decke wie einen Umhang um seine Schultern und schob seine Beine über die Sofakante. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern stemmte er sich hoch und machte ein paar patzige Schritte in meine Richtung, den Blick wie ein trotziges Kind, dass deutlich machen wollte, dass es keine Hilfe brauchte, fest auf mich gerichtet.
Grinsend drehte ich mich wieder um und ging in die Küche, bereits am überlegen, was ich dem Dämon am besten vorsetzen sollte.
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