02. Exiled Into The Forest


"Sadie?", fragte mein Vater, als wir Freitagmorgen Müsli aßen. Eigentlich eher hinunterschlangen. Keiner von uns war ein Morgenmensch und so hatten wir nur ein paar Minuten Zeit, uns fertig zu machen, nachdem wir jeweils siebenundachtzigtausend Mal auf den Schlummerknopf unserer Wecker gedrückt hatten. Er sagte meinen Namen jedoch auf eine Art und Weise, die mich irgendwie an ein kleines Kind erinnerte, das im Begriff war, nach etwas zu fragen, das es eigentlich nicht durfte, und da wusste ich, dass etwas nicht stimmte.


"Ja?", erwiderte ich deshalb ein klein wenig besorgt, und hoffte, dass er nicht sagen würde, dass er seinen Job verloren hätte oder wir nach Sibirien ziehen würden, oder so etwas.


"Du weißt, wie du mir immer sagst, ich soll mehr ausgehen?"


Ich nickte. Wisst ihr, meine Mutter ist gestorben, als sich ungefähr sechs Monate alt war. Aber keine Sorge, mein Leben gehört nicht zu jenen, die von mutterlosen, angstvollen Disney-Channel-Originalfilmen angetrieben werden. Ich habe sie nie wirklich getroffen. Ich meine, es wäre großartig eine Mutter zu haben, die mir bei Mädchen Sachen half, aber dafür hatte ich meine Großmutter, und mein Vater hatte die Dinge selbst perfekt gemeistert.


Also hatte er nie Zeit für sich selbst. Jemals. Ich ermutige ihn immer, auszugehen und Spaß zu haben. Ich denke, es wäre schön, wenn er sich wieder verlieben und heiraten könnte. Es wäre gut für ihn. Und ich war mir sicher, dass mein Vater jemand anständigen auswählen würde, also mache ich mir da keine Sorgen.


"Also,", fuhr er fort, "Ich habe eine .. ähm ... Verabredung. Heute Abend. Mit einer Arbeitskollegin."


Ich quietschte und er wusste nicht, ob er besorgt aussehen sollte oder nicht.  Ich sollte vielleicht das Quietschen vor allen außer Rose unterlassen.


*******


"Also auf jeden Fall gehen er und Dru essen und machen dann einen Spaziergang - einen Spaziergang im Mondschein - im Park. Ist das nicht romantisch?"


"Total.", erwiderte Rose und blies auf ihre frisch lackierten Nägel, damit sie schneller trockneten. "Aber das ist nicht seine Sekretärin, hoffe ich, oder?" Seine Sekretärin ist übrigens ungefähr sechzig.


"Nein, sie ist gerade hergezogen."


"Von?"


"Äh ... weit, weit weg?"


"Man sollte meinen, dass du mit deiner Besessenheit von Märchen, deinen Märchenprinzen bereits gefunden haben solltest."


"Das hat nichts mit dem zu tun, worüber wir gerade gesprochen haben."


"Doch hat es. Du versuchst immer die Leute zu verkuppeln, aber wann bist du das letzte Mal mit jemanden ausgegangen?"


"Ähm ..." Wie wäre es mit ... niemals? Ich weiß, ich weiß, was war mit meinem 'verrückt nach Jungs' Komplex? Man könnte meinen, dass ich zumindest Verabredungen ausprobiert hätte, aber, nun, es ist irgendwie kompliziert. Wie in, dass man tatsächlich gefragt werden muss, um mit jemanden auszugehen. Und dieser Typ, Clyde, der alle nach einem Date fragt, zählt sowas von nicht.


Aber wie ich sagte, es ist kompl-


"Und sag nicht, das es kompliziert ist, weil es das nicht ist."


"Doch ist es.", schnaubte ich.


"Nein, ist es nicht. Weißt du, Jeff hat diesen wirklich süßen, nerdigen Freund, der fast genauso gerne liest wie du. Du und ich, und Jeff und er könnten alle -"


"Wenn du dich nicht beruhigst, wirst du deine Nägel verschmieren."


"Versuchst du das Thema zu wechseln?"


Ja. "Äh. Nein."


*****


An diesem Freitag war ein neues Mädchen in der Schule. Eigentlich zwei. Sie waren Zwillinge. Sie hatten beide blond gefärbte Haare und so klein gewellte Locken, dass ihre Köpfe irgendwie wie Kupferdraht aussahen. Außer das sie gelb waren.


Wenn sie nicht in zwei meiner Klassen gewesen wären, hätte ich sie wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Ich gehe auf eine wirklich große Schule und es gibt hier so viele Leute, die ich noch nie gesehen habe. Das ist jedoch schön, denn es gibt immer jemand neues, den man kennenlernen kann.


Ich wünschte jedoch, dass ich Lucy und Flor Davidson nie kennengelernt hätte. Mein Leben wäre zumindest etwas weniger kompliziert gewesen. Zumindest für den Moment.


Wisst ihr, ich kam zur zweiten Stunde und sie waren dort, und sahen die Leute an, die vorbeigingen. Ich dachte mir, dass sie vermutlich wirklich nervös waren, weil das ihr erster Tag und alles war, also bin ich zu ihnen hin, um mit ihnen zu reden.


"Hey.", grüßte ich und hielt ihnen meine Hand entgegen. "Ich bin Sadie."


"Sadie?", fragte Nummer eins.


"Ähm, ja."


"Oh.", fügte Nummer zwei rotzig hinzu.


"Ähm ja. Und ihr zwei seid ...?"


"Lucy.", erwiderte Nummer eins, und Nummer zwei setzte "Flor.", hinterher. 


"Also, wie gefällt euch die Edison High?", fragte ich, in meiner freundlichen, es ist schön euch kennenzulernen, Stimme.


"Ist okay, schätze ich.", antwortete Flor und nippte an einer Wasserflasche. Einer dieser überteuerten, die jeweils ungefähr drei Dollar kosteten, weil sie angeblich gereinigt und  veredelt worden waren. Sie gehörte zu den Personen, die unnötigerweise viele extra Wörter betonten. "Aber die Toiletten sind wirklich dreckig."


"Es ist erst die zweite Stunde und du warst schon auf der Toilette?" Das wollte ich eigentlich nicht laut sagen, aber dass hatte ich irgendwie, aber egal.


Sie sah mich angewidert an, als würde sie etwas Schlechtes riechen. "Nun, einige Leute kümmern sich um ihr aussehen."


Was? Oh. Oh! Hey! "Warte mal kurz, jetzt -", begann ich und musste einen geschockten Gesichtsausdruck haben, den ich versuchen wollte in einen verächtlichen Ausdruck zu verwandeln, der selbst Attila den Hunnenkönig Angst eingejagt hätte, aber egal wie es für Lucy und Flor aussah, es brachte sie sicherlich nicht dazu, mich zu mögen. Genau genommen, wenn ich in der Lage gewesen wäre, meinen Mund zu halten, hätte ich möglicherweise vermeiden können, was als Nächstes geschah.


Anscheinend waren Lucy und Flor es gewöhnt immer zu kriegen, was sie wollten. Man würde meinen, dass sie tatsächlich Prinzessinnen wären, wirklich, mit der Art, wie sie sich benahmen, als ob alle sie verehren sollten.


"Wie auch immer.", sagte Lucy. "Also, was macht ihr hier so, um Spaß zu haben?"


"Spaß?", blinzelte ich, "Oh. Klar, manchmal gehen wir, ihr wisst schon, ins Einkaufszentrum oder ins Kino.  Oder schauen einfach Filme zu Hause. Ha, ha, einmal sind meine Freundin Rose und ich Nachmittags zum Wal-Mart gefahren und haben -"


"Wir meinen, sowas wie Partys.", unterbrach mich Flor. "Wer schmeißt die besten Partys? Wo wir herkommen, gab es jedes Wochenende eine Party. Der alte Bobby konnte die besten Bloody Marys mixen, ist es nicht so Luce?"


Lucy nickte, was überraschend einschüchternd war. "Ähm.", erwiderte ich. "Ich gehe nicht wirklich zu solchen Partys." Was ich wirklich sagen wollte, war etwas Witziges und Anspruchsvolles, aber wie auch immer.


Flor verdrehte die Augen und nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Wasserflasche, und Lucy schnaubte und kicherte gleichzeitig, und das nicht einmal auf eine süße Art.


"Klingt so, als ob jemand ein wenig Spaß in ihrem Leben braucht.", kommentierte Flor, mit dieser wirklich beängstigenden, gedämpften Stimme, da es einen Aufruhr im Flur gab. Ein Lehrer kam herein und befahl allen, sich auf ihre Plätze zu setzen.


Aus irgendeinem Grund beschloss Flor, mir ihre Wasserflasche zu geben. Sie war fast leer, also dachte ich, sie wollte, dass ich sie für sie wegwarf, obwohl ich nicht viel näher am Mülleimer stand als sie, aber der Lehrer sagte, dass niemand aufstehen sollte, also saß ich einfach da, wie eine Idiotin. 


In diesen Moment stürmte ein Polizist in den Raum, der von einem Hund mitgerissen wurde, der hektisch an allem schnüffelte. Er lief meinen Gang entlang, und ich nahm an, dass es sich um einen Drogenspürhund handelte, der es auf den Jungen, der vor mir saß und der regelmäßig High zur Schule kam, oder mit einer Schachtel Pferfferminzbonbons mit Schuss, abgesehen hatte. 


Aber dann lief er an den Jungen vorbei.


Und blieb vor mir stehen.


Als nächstes passierten mehrere Dinge, die alle so schnell gingen, dass ich mich kaum daran erinnern kann.


A) Der Hund fing an mich wie wild anzubellen.


B) Der Polizist fing an, ein paar Sachen in sein Walkie-Talkie zu sagen, sah mich dann an und sagte "Miss, sie müssen mich nach draußen begleiten.", in dieser wirklich monotonen, ernsten Stimme.


C) Er nahm mir die Wasserflasche weg und steckte sie in eine Plastiktüte. 


D) Er brachte mich dazu, all meine Sachen zu nehmen und nach draußen auf dem Flur zu gehen, während der Hund die ganze Zeit weiter bellte.


E) Das folgende Gespräch fand statt:


"Was wir hier haben, Miss, ist Banngut, und ist auf dem Gelände nicht erlaubt. Wir benötigen die Kontaktinformationen ihrer Eltern oder ihrer Erziehungsberechtigten Personen, um sie zur Vernehmung herzubestellen."


"Äh, was?"


"Miss, ist ihnen bewusst, dass das Mindestalter für Alkoholkonsum in den Vereinigten Staaten von Amerika 21 Jahre beträgt?"


"Ähm, ja."


"Selbst in den Händen eines volljährigen ist diese Substanz auf diesem Gelände nicht erlaubt."


"Wasser ist auf dem Schulgelände nicht erlaubt?"


"Wir wissen, dass sie wissen, dass dies kein Wasser ist. Sie können also genauso gut gestehen. Es ist nicht ratsam, uns einen Bären aufbinden zu wollen."


"Äh ...  das ist nicht einmal meins."


"Sie erwarten, dass wir ihnen das glauben?"


"Das gehört mir wirklich nicht. Ich schwöre. Ich weiß nicht einmal was das ist. Sie können bei mir einen Drogentest oder was auch immer machen."


"Wem gehört es dann?"


(Flor warf mir durch das Fenster der Klassenzimmertür einen wirklich mörderischen Blick zu)


"Ähm. Ich weiß es nicht."


F) Er machte mit mir einen Drogentest.


G) Mein Blutalkoholspiegel war Null.


H) Ich musste dennoch jeden Samstag bis zum Ende des Schuljahrs Nachsitzen, weil ich ihnen nicht sagte, wem die Flasche ursprünglich gehörte. Nicht das sie gewusste hätten, dass ich es wusste, sie nahmen es lediglich an. Idioten.


Ich erzählte meinem Vater davon und ich dachte, er würde die Schule verklagen oder so etwas, aber dann fand er heraus, dass ich mich weigerte ihnen zu sagen, wer mir die Flasche gegeben hatte.


Aber man konnte nicht einfach so jemanden verpetzen. Das ist sowas von Grundschulniveau. Außerdem hatte ich Angst davor, was Flor mir antun würde, wenn ich es erzählen würde. 


An diesem Samstag nachsitzen zu müssen war (was mir ähnlich wie Belle aus der "die Schöne und das Biest" Situation erschien, oder vielleicht Rapunzel, oder möglicherweise sogar Dornröschen), wie in einem Turm gefangen zu sein. Ich habe ein Opfer für Flor gebracht, wie Belle für ihren Vater, obwohl Flor es nicht zu verdienen schien. 


Und das Schlimmste daran war, ich steckte dort mit dem Biest fest.



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