35. Ave Atque Vale

Ave Atque Vale

»Ich gebe dir zwei von meinen Schafen und einmal Holz«, Alec war äußerst verwirrt, als er diese Worte von Charlotte hörte, während er durch das Wohnzimmer ging, um seine Stele zu suchen. Sie saß mit Magnus am Esstisch, vor ihnen ein großes Spielbrett mit mehreren Spielfiguren und Karten.

»Nein«, erwiderte Magnus stumpf und Charlie seufzte dramatisch. »Ich gebe dir zwei Schafe, zweimal Holz und einmal Getreide«, schlug sie vor, woraufhin Alec seine Stirn in Falten legte. Das Spiel klang sehr eigenartig, doch er konnte eindeutig heraushören, dass Charlotte wohl am verlieren war.

Ein Schmunzeln bildete sich auf Magnus' Lippen. »Nein, Charlie«, sprach er erneut, »Ich gebe dir keinen Lehm – Ich brauche ihn für meine eigenen Siedlungen«, erklärte er ihr ruhig. Alec bewunderte ihn; er selbst hatte schon vor vielen Jahren aufgegeben mit Charlotte Brettspiele zu spielen, aus dem einfachen Grund, dass sie die schlechteste Verliererin auf Erden war, was sie vermutlich von Jace geerbt hatte.

Früher hatte Magnus Charlies Wutausbrüche also einfach belächelt und war anders als Alec ruhig geblieben, wenn sie wieder einmal das Spielfeld zerstört hatte. Mit sechzehn Jahren würde sie das Spielbrett vermutlich nicht mehr zerstören, doch es sah bereits so aus, als wäre sie kurz davor diesen Gedanken in Erwägung zu ziehen.

»Bitte, Papa«, bettelte sie verzweifelt, »Ich gebe dir all meine Karten. Wie soll ich sonst an Lehm kommen? Du hast deine ganzen Siedlungen und Straßen an den Feldern für Lehm gebaut«, beschwerte sie sich und hielt ihm all ihre Karten hin, doch an Magnus' großen Stapel an Karten konnte Alec erkennen, dass dieser wohl auf das Angebot verzichten konnte.

»Das ist ein wirklich dummes Angebot, meine Liebe«, sprach Magnus und zeigte kein Interesse an ihren Karten. Charlotte ließ ein paar frustrierte Töne von sich, danach ließ sie ihren Kopf auf die Tischplatte fallen. »Das ist unfair – Ich habe noch nie gegen dich gewonnen«, quengelte sie und diesmal glitt Magnus' Blick zu Alec, der mitten im Raum stehengeblieben war, um die Szene zu beobachten. Ein siegreiches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen.

»Du kannst froh sein, dass du in der heutigen Zeit geboren wurdest. Damals hättest du als Siedler vermutlich nicht überlebt«, kommentierte er, worauf Charlie erneut laut seufzte. Mittlerweile hatte Alec seine Stele gefunden, die er in seine Hosentasche gleiten ließ, bevor er auf den Esstisch zutrat.

»Vielleicht solltest du ein anderes Spiel gegen ihn spielen«, schlug Alec vor und legte eine Hand auf Charlies Schulter. Prüfend hob er die Schachtel des Spiels an, um den Namen zu lesen, »Die Siedler von Catan ist vermutlich keine gute Idee – Dein Vater ist alt genug um selbst einer dieser Siedler gewesen zu sein«, fügte er hinzu und ignorierte Magnus' beleidigten Blick.

»Wie wäre es mit Scrabble?«, schlug er vor, da dies eines der einzigen Brettspiele war, das er kannte. Sofort schüttelte Charlie ihren Kopf, der immer noch auf der Tischplatte lag. »Hast du schon einmal gegen ihn Scrabble gespielt?«, fragte sie empört und hob ihren Kopf. Ihre roten Haare standen zu allen Seiten ab und in diesem Moment erinnerte sie Alec an das kleine sechsjährige Mädchen, die bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht geweint hatte.

»Nein?«, antwortete Alec und blickte unsicher zu Magnus, der sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und die Spielkarten in seiner Hand betrachtete. Er und Magnus hatten ihre freie Zeit bisher eher weniger für Brettspiele genutzt. »Es ist unmöglich gegen ihn zu gewinnen«, frustriert warf sie ihre Karten auf das Spielbrett, sodass die Spielfiguren in alle Richtungen fielen.

»Er kennt mehr Wörter als ein Wörterbuch«, sprach sie entgeistert, »Ich bin immer noch davon überzeugt, dass er sich die Wörter einfach ausdenkt. Hast du schon einmal von einem Eidam gehört?«, fragte sie Alec, der unwissend mit den Schultern zuckte.

»Ich auch nicht«, erwiderte sie schnippisch, »Das ist kein Wort«, fügte sie hinzu.

»Doch – es ist nur etwas veraltet«, sprach nun Magnus, »Das ist ein anderes Wort für Schwiegersohn«, erklärte er ohne von seinen Karten aufzuschauen. Ungläubig legte Alec seine Stirn in Falten. »Eidam?«, hakte er erneut nach und Magnus nickte überzeugt.

»Google es«, schlug er vor. »Siehst du; er durfte Wörter wie Eidam benutzen, aber LMAO hat er nicht gelten lassen«, beschwerte sich Charlie, was Alec noch mehr verwirrte. »L-M- was?«, hakte er nach und sah, wie seine Tochter übertrieben die Augen verdrehte.

»Vielleicht bist du einfach nur ein schlechter Verlierer, Charlie«, sprach Magnus vorsichtig, woraufhin Charlotte empört nach Luft schnappte, »Du bist ein schlechter Gewinner!«, erwiderte sie und Alec konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

»Wo gehst du hin?«, fragte Magnus, der dabei war die Spielkarten und -figuren einzusammeln. Mit dem Kopf nickte er auf Alecs Jacke, die über seinem Arm hing. »Ins Institut«, informierte er seinen Mann, »Clary hat eben angerufen. Sie wollen mit mir sprechen, aber am Telefon wollte sie mir nicht sagen, worum es geht.«

Irritiert legte Magnus seine Stirn in Falten, nickte jedoch. »Dann scheint es wichtig zu sein«, sprach er und schien somit genau das selbe wie Alec zu denken. Normalerweise regelte das Institut seine Probleme selbst, weshalb es sich wohl nicht um eine einfache Dämonenjagd handeln konnte.

»Kann ich mitkommen?«, fragte Charlotte, die sich anscheinend wieder von ihrem Nervenzusammenbruch erholt hatte. »Ich wollte mich noch mit Elias treffen«, fügte sie hinzu und Alec zögerte. Irgendetwas sagte ihm, dass die Situation im Institut doch ernster war, als er dachte.

»Elias?«, hakte Magnus nach, »Oder meinst du doch eher Joseph?«, schelmisch schmunzelte er und Charlottes Augen weiteten sich. Ihre Wangen färbten sich rot und auch Alec konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Wer ist Joseph?«, fragte er und versuchte dabei streng zu klingen. Wie kam Magnus an eine solche Information und wieso hatte Alec noch nie etwas von einem Joseph gehört? »Papa!«, zischte Charlotte und erhob sich von ihrem Stuhl.

»Ich hole nur meine Jacke und meine Stele«, informierte sie Alec und ehe sich dieser versah, hatte sich Charlie bereits aus dem Staub gemacht. Verwirrt schaute er zu Magnus und hob eine seiner Augenbrauen. »Joseph?«, hakte er nach und sah Magnus lachen.

»Irgendein neuer Shadowhunter im Institut. So wie ich es verstanden habe, scheint unsere liebe Charlie hin und weg von ihm zu sein«, schmunzelte er. Nun erhob auch er sich von seinem Platz und trat um den Tisch auf Alec zu.

»Wie alt ist er?«, fragte er sofort, weshalb Magnus erneut lachte. Er trat dicht neben ihn und strich Alec schließlich mit einer Hand durch seine Haare. »Darf ich dich daran erinnern, dass du nur ein Jahr älter als Charlotte warst, als du mich kennengelernt hast? Und von unserem Altersunterschied brauche ich gar nicht erst anzufangen«, leicht griff er in Alecs Haare und zog seinen Kopf in den Nacken, sodass Alec zu ihm hochschaute. Ein Schmunzeln bildete sich auf seinen Lippen, als er an früher dachte. Ihm kam es nicht so vor, als ob er erst siebzehn Jahre alt gewesen war. Charlotte schien für ihn so viel jünger.

Endlich legte Magnus seine Lippen auf seine und Alec dachte, dass er es seiner Tochter vielleicht gönnen sollte. Er wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte zum ersten Mal verliebt zu sein, vor allem weil er das Gefühl immer noch jedes Mal spürte, wenn er Magnus so nah war wie in diesem Moment. Wenn Charlie auch nur halb so viel für diesen Joseph empfand wie Alec für Magnus, war er von ganzem Herzen glücklich für sie.

Magnus löste sich von ihm und legte seinen Kopf schief, »Was hat Clary wirklich gesagt?«, fragte er. Verwirrt blickte Alec ihn an, »Was ich dir gesagt habe; ich soll ins Institut kommen und mir etwas ansehen«, sprach er, was Magnus jedoch nicht zu überzeugen schien.

»Soll ich mitkommen?«, fragte er nach, doch Alec schüttelte seinen Kopf. »Es wird schon nicht so schlimm sein«, antwortete er, obwohl er selbst große Bedenken hatte. Er warf Magnus ein schmales Lächeln zu, das sein Mann halbherzig erwiderte.

»Ruf mich an, wenn etwas sein sollte«, sprach er und Alec nickte abwesend. »Bis später«, er drückte seine Lippen ein letztes Mal auf die von Magnus, danach rief er nach Charlotte, die ihn ins Institut begleitete.

~*~

»Wie lange wisst ihr schon davon?«, fragte Alec und blickte zwischen Clary und Jace hin und her. Nervös glitten Clarys Augen in die Richtung ihres Mannes, der lange zögerte, bevor er antwortete, »Die erste Leiche wurde vor ungefähr drei Wochen entdeckt«, sprach er kleinlaut und Alecs Augen weiteten sich.

»Drei Wochen?«, entgeistert starrte er seinen Parabatai an, »Und du kommst erst jetzt auf die Idee uns davon zu erzählen?«, er deutete erst auf sich und danach auf Isabelle, die neben ihm stand und ebenfalls geschockt schien.

Nachdem er ins Institut gekommen war, hatte sich sein schlechtes Gefühl bestätigt. Er war von Clary in Jaces Büro geführt worden, wo die beiden ihm von der momentanen Lange in New York berichtet hatten. Auf ihrem Tablet hatte Clary ihm Bilder von mehreren Leichen gezeigt, die in der Stadt verteilt gefunden worden waren. Sie vermuteten, dass es sich um einen Vampir handelte, da an den Opfern Bisswunden aufzuweisen waren. Außerdem starb jeder von ihnen an Blutverlust.

»Wir wollten keine Panik schieben«, versuchte Clary zu erklären, »Wir dachten, es würde sich bloß um einen Vampir handeln und haben mit Lily gesprochen«

»Jeder aus ihrem Clan hat ein Alibi«, wendete Jace schließlich ein und Alec erkannte das Problem. »Also ist es ein Vampir ohne Clan?«, hakte er nach. So etwas war nicht selten. Nachdem ein Vampir verwandelt wurde, hatte er oft Probleme einen Platz zu finden, an den er gehörte. Oft benötigte es Hilfe von außerhalb und nicht jeder hatte das Glück diese zu bekommen.

»Habt ihr beim Praetor Lupus nachgefragt?«, fragte Alec, »Vielleicht sollten sich lieber die darum kümmern«, sprach er und erinnerte sich daran, wie sie damals Simon geholfen hatten. Obwohl die Shadowhunter-Unterweltler-Allianz immer noch bestand, waren für solche Angelegenheiten doch eher die Unterweltler selbst zuständig, wobei die Shadowhunter jedoch gern assistierten.

»Wir haben die Meldung noch nicht durchgegeben«, sprach Clary und schien etwas auf ihrem Tablet zu notieren. »Sagt ihnen Bescheid«, sagte Alec und sah, wie sein Bruder und seine Schwägerin nachdenklich nickten.

»Was eigenartig war...«, fing Clary an, »Wir haben kein Gift in den Körpern der Opfer gefunden«, informierte sie die anderen, was Alec äußerst verwunderte. Eigentlich wird das Vampir-Gift direkt nach dem Biss an den Körper weitergegeben. Dass sie kein Gift auffinden konnten, schien deshalb sehr untypisch.

»Was glaubt ihr, war sein Motiv?«, fragte Isabelle, »Er wollte sie also nicht selbst zu Vampiren machen«, stellte sie fest und Clary nickte erneut. Sie drehte ihr Tablet so, dass auch Alec und Izzy auf den Bildschirm sehen konnten. Alec sah ein Bild des Opfers, das Clary eben schon gezeigt hatte.

»Sein Beuteschema ist immer hin deutlich zu erkennen«, sprach sie und strich über den Bildschirm, sodass andere Bilder erschienen. Die Fotos, die sie zuvor gezeigt hatte, waren alle vom Tatort gewesen, als die Leiche noch nicht bewegt worden war. Die jetzigen Bilder zeigten die Frauen in der Leichenhalle auf einem Tisch, zugedeckt mit einer weißen Decke, sodass man nur Gesichter und Schultern erkannte.

Als Clary durch die einzelnen Fotos blätterte, konnte Alec die Gemeinsamkeiten deutlich erkennen, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Es handelte sich ausschließlich um Frauen – dazu um Frauen, die unter die selbe Kategorie fielen; lange Haare – egal ob blond, braun, schwarz oder rot – außerdem ein sehr junges, kindliches Gesicht mit vollen Lippen und schmaler Nase. Keine von ihnen war über fünfundzwanzig. Dieser Typ Frau war nicht selten in New York aufzufinden, aber es handelte sich definitiv nicht um einen Zufall.

»Alles Mundanes?«, fragte Alec, der er keine Runen an den Körpern erkennen konnte. »Ein Werwolf-Mädchen«, Clary ließ ihren Finger einige Male über den Bildschirm gleiten, bis sie bei einem Mädchen mit langen schwarzen Haaren stoppte. Sie wirkte erschreckend jung.

»Cora Nielson«, informierte ihn Clary, »Das Rudel hat sie identifizieren können. Sie sei an diesem Abend auf einer Feier gewesen. Wir schätzen sie auf das jüngste Opfer – sie war gerade erst sechzehn«, geschockt riss Alec seine Augen auf und konnte nicht anders, als an Charlotte zu denken. Charlotte mit ihren langen roten Haaren, ihrer Stubsnase und ihrem kindlichen Gesicht. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Alecs Körper aus.

»Es ist also eher eine Sexualstraftat?«, hakte Isabelle nach, nahm das Tablet in ihre Hand und zoomte auf die jungen Frauen in den Bildern.

»Kein Sperma und keine sonstigen Hinweise auf sexuellen Missbrauch – bei keiner von ihnen«, widersprach Clary.

»Haben die Opfer etwas miteinander zu tun?«, fragte Isabelle weiter, doch Clary schüttelte erneut ihren Kopf. »Wir konnten nur wenige von ihnen identifizieren, aber bis jetzt ist keine Verbindung nachgewiesen worden«, verriet sie, was keinen von ihnen weiterbrachte.

Alec konnte nicht mehr klar denken; er dachte nur noch an das Werwolf-Mädchen, dass er mit Charlotte assoziierte. Er fragte sich, ob er der einzige im Raum war, der an Charlie dachte, und er wurde immer unruhiger. Am liebsten wollte er sie aufsuchen und sie in ihr Zimmer sperren, bis der Täter gefunden wurde, wo Magnus' Magie den Mörder fernhalten würde.

»Wo sind Charlotte und Elias?«, fragte Alec vollkommen zusammenhangslos, wobei sich alle Blicke irritiert auf ihn richteten. »Elias?«, hakte Isabelle nach, »Er ist heute in Idris bei einem Kurs in der Akademie«, sagte sie verwirrt, was Alec noch mehr beunruhigte.

Er wusste, dass es keinen Grund zur Sorge gab, schließlich befand sich Charlotte irgendwo im Institut – immer noch in Reichweite. Er dachte an den Shadowhunter, den Magnus erwähnt hatte, und nahm an, dass sie sich bei ihm aufhielt.

»Kennt ihr einen Joseph?«, hakte er nach, was die anderen noch mehr zu verwirren schien. »Ja, Joseph Wildforce«, sprach Clary zögernd, »Er ist erst seit einigen Wochen hier. Ich sehe ihn jedoch eher selten«

»Kommt vom Institut in Chicago, meine ich«, fügte Jace hinzu. »Ich bin mir sicher, dass es Pheonix war«, widersprach Clary, schien sich jedoch ebenfalls nicht sicher zu sein. Unschuldig zuckte Jace mit den Schultern und blickte schließlich zu Alec. »Wieso?«, hakte er nach.

»Charlotte hatte einmal erwähnt, dass sie sich manchmal mit ihm trifft«, es war nur halb gelogen, doch es war zu aufwendig ihnen die wahre Geschichte zu erzählen. »Aus ihr bekomme ich nicht viel heraus, also wollte ich euch fragen«, fügte er hinzu und sah, wie die anderen zögernd nickten.

»Ich, ähm«, nervös sah er sich um, »Ich gehe sie suchen«, das mulmige Gefühl ließ ihn nicht mehr los, weshalb er kurzerhand beschloss nach seiner Tochter zu suchen.

~*~

»Denk an deinen Ellenbogen«, angestrengt versuchte Charlotte Josephs Anweisungen zu befolgen, doch obwohl er sie bereits so oft korrigiert hatte, schien sie keinen großen Fortschritt zu machen. Ein weiteres Mal spannte sie ihren Bogen und schoss den Pfeil ab, doch wieder landete er gerade so auf der Zielscheibe im äußersten Ring.

Seufzend ließ sie den Bogen sinken und spürte Josephs Hand, die sich auf ihren Rücken legte. »Wenigstens triffst du die Zielscheibe«, sprach er aufmunternd und obwohl Charlotte immer noch frustriert war, schlich sich ein schmales Lächeln auf ihre Lippen. Ihr Gesicht wurde heiß und die lachte nervös – Gott, sie benahm sich wie ein Volltrottel in Josephs Gegenwart.

»Wenn mein Vater sehen würde, wie ich Pfeile schieße, würde er mich vermutlich auf die Straße setzen«, lachte Charlie und dachte an Alec, der die Mitte der Zielscheibe auch mit geschlossenen Augen getroffen hätte.

Erst lachte Joseph, dann schaute er etwas verwirrt in ihre Richtung. »Wieso?«, hakte er nach und drehte einen Pfeil zwischen seinen Fingern, den er eben aus der Wand gezogen hatte, als Charlotte vollkommen verfehlt hatte.

»Der große Alexander Lightwood-Bane – berühmtester Bogenschütze der Welt – dessen Tochter noch nicht einmal einen Bogen halten kann«, sprach Charlie dramatisch, »Ich will lieber nicht sein Image beflecken«, fügte sie lachend hinzu und Joseph schien zu verstehen.

»Ah, Alexander Lightwood-Bane«, ihm schien ein Licht aufzugehen, »Ich dachte, du redest über Jace Herondale«, ließ er sie wissen.

»Und so hat jeder seinen Ruf«, schmunzelte Charlie, »Alexander Lightwood-Bane der berühmte Bogenschütze, Jace Herondale der Leiter des Instituts, Magnus Lightwood-Bane der Hohe Hexenmeister von Brooklyn und Charlotte Herondale...«, sie machte eine Pause und drehte sich in seine Richtung, »...das Mädchen mit zu vielen Vätern«, daraufhin musste sogar Joseph lachen.

»Besser zu viele als gar keine«, stellte er fest. »Würde mir aber viel Familien-Drama ersparen«, argumentierte Charlotte und sah ihren Gegenüber nachdenklich nicken.

»Wir können uns unsere Familie leider nicht aussuchen«, sprach er und Charlotte seufzte leise. »Aber hey!«, euphorisch blickte er zu ihr, »Deine Eltern sind Clary und Jace Herondale. Ich denke, man kann in schlechtere Familien geboren werden«, versuchte er sie aufzumuntern.

»Mein Onkel hat meinen anderen Onkel umgebracht, bevor er tausende andere Shadowhunter getötet und danach fast die ganze Welt zerstört hat«, ließ Charlotte ihn trocken wissen, woraufhin er seinen Kopf zur Seite legte und nach einem Gegenargument zu suchen schien.

»Mein Großvater hat unschuldige Unterweltler und meinen Vater umgebracht«, fügte sie hinzu, »Ich kann mir definitiv bessere Verwandte als Jonathan und Valentine Morgenstern vorstellen«, lachte sie und diesmal schien auch Joseph keine passenden Worte zu haben.

Charlotte wusste nicht mehr, wann genau sie von Valentine und Jonathan erfahren hatte, doch es hatte sie nie mehr losgelassen. Die Art, wie ihre Mitschüler sie angeschaut hatten, als über den Dunklen Krieg oder den Kalten Frieden geredet wurde. Als ob sie nur darauf warteten, dass sich Charlotte ebenfalls von jetzt auf gleich in ein kaltherziges Monster verwandeln würde.

Nach solchen Unterrichtsstunden hatte sie sich oft zu Hause vor den Spiegel gestellt, als ob sie erwartet hätte, dass ihre Vorfahren ihr entgegen schauen. Durch ihre Adern floss das Blut jener, die so viel Unheil gebracht hatten. Morgenstern-Blut. Sie war eine Morgenstern, genauso wie sie eine Herondale war. Schon seit sie denken konnte, beneidete sie Rafael und Max aufgrund ihres Nachnamens.

»Hat dir dein Vater nie das Bogenschießen beigebracht?«, hakte Joseph neugierig nach und nahm ihr den Bogen ab, den sie ihm entgegenhielt. Geschickt spannte er den Pfeil, den er bis eben in seinen Händen gehalten hatte und ehe sich Charlotte versah, ließ er ihn durch den Raum fliegen, bis er schließlich in der Mitte der Zielscheibe auftraf. Angeber.

»Ich war noch sehr jung, als er seinen Unfall hatte. Seitdem hat er seinen Bogen selten angerührt«, Charlotte zuckte mit den Schultern und entfernte den Schutz, den sie um ihren Arm getragen hatte. Verständnisvoll nickte Joseph. Sie wusste, dass Alec Rafael das Bogenschießen gezeigt hatte und manchmal wünschte sie sich, dass auch sie irgendetwas hätte, dass sie mit ihren Eltern teilen könnte.

Max hatte all seine Magie-Kenntnisse von Magnus gelernt und Elias hatte ebenfalls das Bogenschießen von Simon gelehrt bekommen. Währenddessen hatte Charlotte zwar doppelte so viele Elternteile, wie jede normale Person dort draußen, und trotzdem teilte sie mit keinem von ihnen ihre Interessen.

»Warum muss man auch Bogenschießen können?«, sprach Joseph schließlich, »Sowieso viel zu unpraktisch, nicht wahr?«, hakte er nach und lehnte seinen Bogen gegen die Wand des Trainingsraums. »Während eines Kampfs musst du den Köcher die ganze Zeit auf deinem Rücken tragen und du hast nur eine Hand frei, weil du deinen Bogen halten musst«, erklärte er und Charlotte lächelte bei seinem Versuch sie aufzumuntern.

»Peitschen hingegen sind viel praktischer«, ließ er sie wissen. Er wusste, dass die Peitsche ihre bevorzugte Waffe war, die sie immer um ihr Handgelenk trug. Charlie grinste noch breiter und musste ihm sogar recht geben. »Ein paar Kilo leichter und durchaus zielsicherer«, fügte er hinzu und griff nach ihrem Arm, um die Peitsche zu betrachten.

Dort, wo er ihre Hand berührte, kribbelte ihre Haut und sie spürte erneut, wie das Blut in ihre Wangen floss. Schon seit einigen Wochen traf sie sich mit Joseph hin und wieder im Trainingsraum und mittlerweile bekam sie ihn nicht mehr aus dem Kopf. Sie wollte es nicht zugeben, doch jedes Mal, wenn sie ihn erblickte, machte ihr Herz einen schmerzhaften Sprung.

Sie wusste, dass Joseph vermutlich kein Interesse an ihr hatte – sie war zu jung und vermutlich nicht sein Typ. Wer stand schon auf das unscheinbare rothaarige Mädchen, das jedes Mal einer Tomate glich, wenn man es ansprach. Joseph hingegen sah aus wie ein Charakter aus den Marvel-Filmen, die Elias ihr gezeigt hatte; Dunkelbraune Haare mit großen braunen Augen und einem Körper, von dem die meist anderen nur träumten.

»Hast du die Peitsche schon einmal benutzt?«, fragte Charlotte nun interessiert und leicht neckend. »Nein, die Gelegenheit hat sich bis jetzt noch nie ergeben«, ließ er sie im Gegenzug wissen, was Charlie auf eine Idee brachte. Geschickt ließ sie ihre Peitsche von ihrem Handgelenk in ihre Hand gleiten, woraufhin Joseph seine Augen weitete.

»Willst du es probieren?«, bot sie ihm an, doch er schüttelte lächelnd den Kopf, »Vielleicht beim nächsten Mal«, lehnte er ab, was Charlotte mehr enttäuschte, als ihr lieb war. »Ich denke, ich bin noch nicht bereit mich dermaßen vor dir zu blamieren«, gestand er, was ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Der Gedanke, dass es für ihn wichtig war, was Charlotte von ihm dachte, ließ ihr Herz schneller schlagen.

»Ich habe mich bereits bei dir blamiert«, ließ sie ihn schmunzelnd wissen, doch sie wusste, dass sie ihn nicht überreden konnte. »Du hast dich nicht blamiert«, widersprach er, doch Charlotte wusste, dass er log.

Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen ging sie an ihm vorbei zu dem großen Schrank, der verschiedenes Equipment beinhaltete. Sie legte den Armschutz, den sie eben getragen hatte, an seinen alten Platz zurück und wollte sich gerade wieder umdrehen, als sie Joseph wahrnahm, der sich dicht hinter ihr befand.

Wie vereist verharrte sie in ihrer Position und drehte ihnen Kopf, sodass sie in Josephs Gesicht schauen konnte, das gefährlich dicht an ihrem war. Überrascht hob sie ihre Augenbrauen und schloss den großen Schrank. Sie war sich sicher, dass das ganze nur ein Missverständnis war, doch schließlich legte sich Josephs Hand auf ihre Schulter, was definitiv nicht aus Versehen passiert war.

Sie wollte nachfragen, doch ihr fehlten die Worte, als sie seinen Atmen an ihrem Hals spüren konnte. Ihr Herz blieb stehen und eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Noch nie war ihr jemand auf diese Weise so nah gewesen und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Insgeheim hatte sie schon lange davon geträumt, dass Joseph ihr Zuneigung zeigen würde, doch jetzt wo sie sie bekam, fühlte sie sich unwohl.

Erschrocken drehte sie sich um, als Joseph einen Kuss an ihrem Nacken platzierte. Es ging ihr zu schnell; sie hatte in ihren sechzehn Jahren noch nicht einmal mit jemandem Händen gehalten, geschweige denn überhaupt Körperkontakt gehabt, der nicht freundschaftlich gemeint war.

Joseph setzte einen unschuldigen Blick auf, »Sorry«, sprach er und lächelte schief. »Das war unangemessen«, gab er zu und sofort bereute Charlotte, was sie getan hatte. Sofort schüttelte sie ihren Kopf, »Nein, ich...«, fieberhaft überlegte sie, wie sie die Situation nicht noch schlimmer machte, »Das war nicht so gemeint«, sagte sie schließlich, was Joseph zu überraschen schien.

Zögernd hob er seine Hand, um ihr schließlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Ihr Herz klopfte schneller und Gott, sie war so ein Klischee, doch sie konnte nicht anders. Ihre Finger zitterten, als sie sie vorsichtig auf Josephs Schultern legte und alles, was sie sich wünschte, waren Josephs Lippen erneut auf ihrer Haut zu spüren.

Gerade als sie einen ihrer Arme bewegte und dabei leicht gegen seinen strich, zuckte er ruckartig zusammen. Erschrocken fuhr Charlotte zurück und beobachtete das schmerzverzerrte Gesicht ihres Gegenübers, der sich seinen Arm an der Stelle hielt, an der sie sich berührt hatten.

Peinlich berührt streckte Charlotte ihre Hand aus Reflex nach ihm aus, doch Joseph wich zurück. Charlotte konnte sich nicht erklären, was ihn verletzt hatte und alles passierte schneller, als sie es verarbeiten konnte. Kurz löste er seine Hand von seinem Arm, um die Stelle ansehen zu können und ein Blick auf seine Wunde genügte, um Charlie geschockt zurückweichen zu lassen.

Es handelte sich um eine Verbrennung – Eine Verbrennung, die entstanden war, als Josephs Haut mit ihrer Peitsche in Kontakt gekommen war, die sich an ihrem Handgelenk befand. Erschrocken riss sie ihre Augen auf und trat einen Schritt zurück, wobei sie an die Schranktür stieß, woraufhin Joseph aufsah.

Das schöne Braun seiner Augen war verschwunden und stattdessen blickte Charlotte in zwei schwarze Löcher, die das Blut in ihren Adern gefrieren ließen. Sie wollte wegrennen, doch ehe sie sich versah, hatte sich Joseph auf sie gestützt. Ein lauter Schrei entwich aus ihrem Mund und sie duckte sich aus seinem Griff.

Mit klopfendem Herzen rannte sie zur Tür, doch Joseph war schneller und versperrte den Ausgang. Geschickt ließ Charlotte ihre Peitschte in ihre Hand gleiten und holte weit aus, nur um im nächsten Moment nach ihrem Gegenüber zu schlagen. Erschrocken ließ dieser einen Schrei ertönen, der keineswegs menschlich klang, sondern eher wie ein wildes Tier.

Das Elektrum ihrer Peitsche verbrannte seine Haut, doch er war schnell und wich ihr aus. Für einen Moment verlor sie ihn aus den Augen und sie dachte wieder darüber nach wegzurennen, doch wenige Sekunden später spürte sie einen harten Schoß von hinten, sodass sie ungeschickt zu Boden fiel. Schnell drehte sie sich auf ihren Rücken und blickte in Josephs Gesicht, dass immer näher kam.
Verzweifelt versuchte sie von ihm wegzukrabbeln, doch er griff nach ihrem Fuß und zog sie weiter zu sich. Zwei spitze Zähne wurden entblößt, als er seinen Mund öffnete und erneut einen unmenschlichen Schrei von sich gab. Auch Charlotte schrie, so laut sie konnte.

~*~

»Es handelt sich um irgendeinen Vampir«, sprach Alec und hielt sein Handy an sein Ohr, während er mit Magnus telefonierte. »Soll ich vorbeikommen?«, schlug er nicht zum ersten Mal vor, doch Alec verneinte. Es war bloß ein Vampir – Magnus würde nichts machen können, auch wenn seine Hilfe lieb gemeint war.

Prüfend öffnete er einen der Gemeinschaftsräume des Instituts, doch auch hier war Charlotte nicht zu finden. Er redete sich ein, dass er sich keine Sorgen machen sollte, doch nach all den Horrorgeschichten, die er sich nun angehört hatte, konnte er nicht anders.

»Kommst du nach Hause?«, fragte Magnus und Alec hörte ihm nur halbherzig zu. »Ich... ähm... später«, antwortete er und öffnete die nächste Tür. Er schaute sogar in Jaces Büro nach, doch auch da war sie nicht aufzufinden.

»Was machst du?«, hakte Magnus prüfend nach und Alec seufzte leise. »Ich suche Charlotte. Sie ist nirgends zu finden und sie ist nicht bei Elias«, ließ er ihn wissen und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen, um Magnus nicht unnötig Sorgen zu bereiten.

»Ich weiß, es ist unsinnig, aber dadurch, dass es der Vampir anscheinend nur auf junge Mädchen abgesehen hat...«, er brach ab und suchte nach Worten, »Ich mache mir wieder unnötig Sorgen«, stellte er fest und erwartete, dass ihm Magnus das gleiche sagte.

Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, »Nur junge Frauen?«, hakte Magnus nach und Alec legte seine Stirn in Falten. »Ja, das scheint sein Beuteschema zu sein«, er zuckte mit den Schultern und trat durch den langen Flur zurück in die Richtung des Eingangsbereichs.

»Warte beim Haupteingang auf mich«, sprach Magnus ernst, was Alec erstaunte, bevor sein Mann plötzlich auflegte. Verwirrt blickte Alec auf sein Handy, danach legte er seine Stirn in Falten. Magnus' Verhalten ließ noch mehr Sorgen in ihm aufsteigen und er war froh, dass er Jace und Isabelle im Flur entdeckte.

»Ich kann Charlotte nicht finden«, ließ er die zwei wissen, die gerade in eine Konversation vertieft waren. Jace war der erste, die ihn wahrnahm und ihn überrascht musterte. »Vielleicht trainiert sie«, schlug er vor, doch das mulmige Gefühl wollte nicht von Alec weichen. Erst als wenig später Magnus durch die Tür spazierte, löste sich seine Anspannung minimal. Er trug ein dickes Buch unter seinem Arm, das er schließlich auf den Tisch vor sich legte, um den sich die anderen versammelt hatten.

Ohne sie zu begrüßen blätterte er eine der Seiten auf, in die er ein Lesezeichen gelegt hatte. »Aulak«, sprach er und deutete auf die Zeichnung eines Dämons auf der Buchseite. Die Zeichnung zeigte eine hässliche Kreatur mit spitzen Zähnen, die denen eines Vampirs ähnelten. In seinen Armen hielt der Dämon eine Frau, die leblos schien.

»Er vergeht sich grundsätzlich an Frauen und Kindern«, ließ Magnus die anderen wissen, die sich erschrocken anschauten. »Also kein Vampir?«, hakte Isabelle nach, woraufhin Magnus nickte.

»Das erklärt zumindest, warum wir kein Gift gefunden haben«, sprach Jace und verschränkte seine Arme vor der Brust. Alec wusste nicht, ob es ihn wirklich beruhigte, dass sie nun wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Ein Vampir wäre ihm eigentlich lieber gewesen; diese waren definitiv einfacher zu bekämpfen. Über den Dämon hingegen wusste er nicht viel und aus einem unerklärlichen Grund wurde er immer unruhiger, wenn er an Charlotte dachte.

»Ist es ein mächtiger Dämon?«, fragte Isabelle an Magnus gewandt, der kurz zu überlegen schien. »Man darf ihn nicht unterschätzen. Obwohl er es nur auf junge Frauen abgesehen hat, heißt das nicht, dass er uns alle nicht ebenfalls angreifen würde«, stellte er klar. Er blickte auf den Text neben der Zeichnung im Buch, der auf einer Sprache geschrieben war, die Alec nicht bekannt war. Natürlich konnte Magnus sie lesen.

Während sein Mann den Text versuchte grob zusammenzufassen, entfernte sich Alec langsam von der Gruppe. Unauffällig entfernte er sich immer weiter von seiner Familie und trat in die Richtung des Flures, der zum Trainingsraum führte. Charlotte wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen, dabei wusste er, dass seine Sorgen unbegründet waren.

»Alec!«, rief Jace, woraufhin sich Alec zu seinem Parabatai drehte, »Wir werden einige Shadowhunter durch die Stadt patrouillieren lassen«, informierte Jace ihn, weshalb er abwesend nickte.

»Willst du–«, den Rest nahm Alec nicht mehr wahr, da er einen dumpfen Schrei ausmachen konnte. Er kam aus der Richtung des Trainingsraums und war so leise, dass er wohl der einzige war, der ihn hören konnte. Erschrocken fuhr er zusammen und eine Gänsehaut breitete sich auf seiner Haut aus, als er erkannte, zu wem dieser Schrei gehörte.

»Charlotte«, hauchte er und dachte nicht lang nach, bevor er den langen Flur entlang rannte.

~*~

»Alec?«, Jace legte seine Stirn in Falten und auch Magnus schaute seinem Mann verwirrt hinterher, der wie gestochen im Flur verschwunden war, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Panisch blickte Magnus zu den anderen, die seinen Blick erwiderten, und er beschloss als erster die Beine in die Hand zu nehmen und Alec hinterherzurennen. Es würde wohl einen guten Grund geben, schließlich hatte er seinen Mann schon sehr lange nicht mehr rennen gesehen.

Magnus war schnell und erhaschte noch einen letzten Blick auf Alec, der um eine Ecke verschwand. Mit einer hektischen Handbewegung forderte er die anderen dazu auf schneller zu laufen, bevor er sich erneut in Bewegung setzte.

Erschrocken zuckte er zusammen, als er einen schrillen Schrei hörte, der nicht weit entfernt schien. Der Schrei ging ihm durch Mark und Knochen und ließ sein Herz für einen kurzen Moment stoppen. Scharf zog er die Luft ein und warf einen Blick über seine Schulter, wobei er auf Jace schaute, dessen Augen sich weiteten. Magnus hatte sich also nicht verhört; dieser Schrei gehörte eindeutig zu Charlotte.

Noch nie in seinem Leben war Magnus so schnell gerannt, wie in diesem Moment und er war schon vor vielen Dingen davongerannt. Er hatte Alec schnell eingeholt, der seine Hand bereits auf die Klinke einer großen Tür gelegt hatte, die er ohne zu zögern öffnete. Ehe er sich versah, war Magnus an der Seite seines Mannes und stürmte zusammen mit ihm in den großen Saal.

Magnus erkannte den Trainingsraum, in dem er schon einige Male mit Alec trainiert hatte, doch sein Fokus lag auf der Szene, die sich vor seinen Augen abspielte. Tatsächlich war es Charlotte, die wie am Spieß schrie – über ihr ein Mann, der sie auf den Boden gedrückt hatte. Verzweifelt zappelte Charlie und versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu lösen, jedoch ohne Erfolg.

Wut stieg in Magnus auf und er spürte die Magie, die um seine Finger tanzte, ohne dass es ihm bewusst war. Er schien auf Autopilot zu laufen, als er weit ausholte und mit seiner Magie auf den Mann zielte, wobei ihm vollkommen egal war, was mit ihm passierte, solange er sich so weit wie möglich von seiner Tochter entfernte.

Erneut war ein lauter Schrei zu hören, doch diesmal ging er nicht von Charlie aus. Der Mann, der über ihr gekniet hatte, wurde von Magnus' Magie gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert, wobei er einen Schrillen Schrei ertönen ließ, der sich alles andere als menschlich anhörte. Schnell zählte Magnus Eins und Eins zusammen und realisierte, wer genau dort über seiner Tochter gekniet hatte.

Auch Alec schien den Ernst der Lage realisiert zu haben und entfernte sich von Magnus' Seite. Geschickt griff er nach einem Bogen, der an der Wand lehnte und schnappte sich einen Pfeil aus dem Waffenschrank. In der Zwischenzeit waren Isabelle und Jace eingetroffen, die bereits bewaffnet in der Tür standen und den Raum überblickten.

»Aulak«, informierte Magnus sie knapp, doch sie schienen zu verstehen. Magnus nickte in die Richtung des Dämons, der sich schneller erholte, als es ihm lieb war. In der Zwischenzeit versuchte sich Charlotte wieder aufzurichten, schien jedoch Probleme zu haben und fiel erneut zu Boden, als sie sich versuchte mit ihrer Hand abzustützen. Beschützend hielt sie die Hand vor ihre Brust und blickte mit ängstlichen Augen zu Magnus.

Ehe sich dieser jedoch versah, rannte Jace los und an die Seite seiner Tochter, vor die er sich kniete. Alles passierte zu schnell; Magnus wollte erneut nach Aulak Ausschau halten, doch dieser war nicht mehr an seinem alten Platz. Der Dämon rannte auf Charlotte und Jace zu und obwohl Jace bewaffnet war, hatte Magnus die Befürchtung, dass das ganze kein gutes Ende nehmen würde.

Ein Pfeil schoss durch den Raum und vergrub sich in der Brust des Dämons. Überrascht blickte Magnus zu Alec, der besser gezielt hatte, als Magnus gedacht hatte. Eigentlich hatte Magnus erwartet, dass der Dämon nun geschwächt war, oder Alec ihn bereits erlegt hatte, doch der Pfeil in seiner Brust schien ihm rein gar nichts auszumachen.

Nur einen kleinen Schritt stolperte er zurück, fing sich jedoch schnell und trat auf Jace und Charlotte zu. Schnell richteten sich die beiden auf und Jace stellte sich beschützend vor Charlie, die sich immer weiter von ihrem Vater entfernte und in Magnus' Richtung trat. Ihre Augen waren auf den Dämon fixiert, der Jace kaum Aufmerksamkeit schenkte.

Die schwarzen Augen der Kreatur waren auf Charlotte gerichtet und er bewegte sich selbstsicher, als ob er überzeugt war, dass er bekommen würde, was er wollte. Er hatte eine menschliche Gestalt angenommen; die eines attraktiven jungen Mannes mit dunklen Haaren, mit der er keine Probleme haben würde andere Frauen zu verführen. Das einzige bestialische Merkmal waren seine pechschwarzen Augen und die zwei scharfen Eckzähne, die denen eines Vampirs ähnelten.

Langsam trat er auf Jace zu, der sein Schwert schwang und es ebenfalls in die Brust des Dämon sinken ließ, doch dieser zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ruckartig griff er mit einer Hand um Jaces Hals und schob ihn unsanft zur Seite. Das Schwert zog er mit einer eleganten Bewegung aus seinem Körper. Schwarzes Blut tropfte von der Klinge und verteilte sich auf den Fliesen, als der Dämon das Schwert zu Boden warf.

Flüchtig warf Magnus Alec, Isabelle und Jace einen prüfenden Blick zu und versuchte den Dämon nicht aus den Augen zu lassen. Alle drei Shadowhunter analysierten Aulaks Schritte, der sich untypisch langsam bewegte. Selbstsicher schlenderte er auf Charlotte zu, die kleine Schritte nach hinten trat und sich nicht traute wegzurennen.

Keiner schien ruckartige Bewegungen machen zu wollen und ein breites Grinsen bildete sich auf den Lippen des Dämons, als er dies zu realisieren schien. Es war schließlich Isabelle, die sich als erstes Bewegte; ganz plötzlich fing sie an auf den Dämon zuzurennen, zückte ihre Peitsche und wickelte sie geschickt um den Hals ihres Gegenübers. Dieser fauchte erneut und griff nach der Peitsche, die seine Hände verbrannte.

Das Elektrum hielt ihn jedoch nicht davon ab weiter an der Peitsche zu ziehen, sodass Izzy ungeschickt stolperte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Magnus, dass sich auch Alec in Bewegung setzte und im Rennen nach Jaces Schwert griff, was der Dämon durch den Raum geschmissen hatte.

Die Magie in Magnus' Händen wurde immer heißer und heißer und nun trat auch er einige Schritte auf die anderen zu. Tief atmete er ein und führte seine Hände zusammen, während er auf einen Moment wartete, in dem er seine Magie benutzen konnte. Als Isabelle auf die Knie fiel, sah Magnus seine Chance und schoss den geformten Magie-Ball in seinen Händen in die Richtung des Dämons.

Dieser war viel geschickter, als Magnus erwartet hatte. Als hätte er Magnus' Zug kommen sehen, griff der Dämon grob nach Alec, der geschockt seine Augen aufriss. Wie ein Schild zog er den Shadowhunter vor sich, sodass Magnus' Magie den Dämon nicht erreichte und stattdessen auf Alec traf, der schützend einen Arm vor sein Gesicht hielt.

Magnus' Herz setzte aus, doch er wusste, dass seine Magie Alec niemals verletzen würde, schließlich trug Alec die Kette, die ihn vor jeglicher Magie schützte. Sie schien zu wirken, doch wie bei einem Spiegel wurden die roten Funken nun reflektiert und schossen auf Magnus zu, der keine Zeit hatte zu reagieren. Kurz nachdem er sah, wie Alec durch den heftigen Stoß durch den Raum flog, wurde er auch er durch seine eigene Magie aus seinem Stand gerissen. Schmerzhaft stieß er gegen die Wand hinter sich und ihm wurde schlagartig schwindelig, als sein Kopf mit der Wand kollidierte.

Geschockt riss er seine Augen auf und trotz verschwommener Sicht erkannte er, wie der Dämon auf Charlotte zu trat und nach ihr griff, ohne dass sie sich wehren konnte. Magnus versuchte sich aufzurichten, doch ihm wurde schwarz vor Augen und ein stechender Schmerz zog sich durch seinen Schädel. Hilflos versuchte er sich vom Boden abzustützen und fiel dabei unsanft auf seine Knie. Verzweifelt blickte er zu Charlotte, die sich in den Armen des Dämons wand und nach ihm trat.

Erneut bildete sich ein weites Grinsen auf den Lippen des Dämons, der somit seine Zähne zeigte, die er in Charlies Hals vergraben wollte. Mit einer Hand griff er in ihr Haar und zog, damit er ihren Hals entblößen konnte. Erleichtert stellte Magnus fest, dass sich Jace wieder aufgerichtet hatte, der sich seiner Tochter und dem Dämon näherte.

Mit seiner Faust holte er aus, doch Aulak kam ihm zuvor; mit einer Hand griff er nach dem Pfeil in seiner Brust, den er ruckartig entfernte und blind hinter sich in Jaces Richtung schwang. Ein dumpfes Stöhnen war von dem Shadowhunter zu hören, der schlagartig zu Boden fiel. Währenddessen beugte sich der Dämon wieder über Charlotte und Magnus musste mit ansehen, wie sich die scharfen Zähne der Bestie in die zarte Haut seiner Tochter bohrten, die einen schrillen Schrei ertönen ließ.

Das Blut gefror in Magnus' Adern und er versuchte sich aufzurichten. Ungeschickt taumelte er ein paar Schritte hin und her, bevor er sicher auf beiden Beinen stand und auf seine Tochter zutrat. Gerade hob er seinen Kopf, als erneut ein lautes Geräusch ertönte. Diesmal war es der Schrei des Dämons, der sich ruckartig von Charlotte löste und sie von sich stieß, sodass sie unsanft auf den Boden fiel und sich hilflos versuchte von dem Dämon zu entfernen.

Sofort rannte Magnus an ihre Seite und hätte vor Freude weinen können, als er Charlie in seine Arme schloss. Vorsichtig drückte er sie an sich und drapierte sich so, dass sein Körper ihren schützte. Über seine Schulter hinweg sah er zu dem Dämon, der ebenfalls auf die Knie fiel und sein Gesicht vor Schmerz verzerrte.

Er schrie laut und schrill, sodass Magnus das Bedürfnis hatte sich die Hände vor die Ohren zu halten. Stattdessen tat er dies bei Charlotte, die sich ängstlich in sein Jackett krallte und ihr Gesicht an seine Schulter rieb.

Erstaunt beobachtete er, wie Aulak sich vorbeugte und geräuschvoll würgte, bis er pechschwarzes Blut erbrach und sich auf dem Boden krümmte. Der Dämon warf seinen Kopf in den Nacken und Magnus hielt die Luft an, als Risse in der Haut der Bestie erkennbar wurden. Durch die Risse schien grelles Licht, das Magnus blendete, als er genau hinschaute. Immer mehr Risse tauchten zuerst im Gesicht, danach auf dem ganzen Körper des Dämons auf, der sich somit aufzulösen schien.

Magnus spürte, wie das Licht, das auf seinen Rücken traf, immer heißer und heißer wurde, weshalb er Charlotte dichter an sich drückte, um sie vor den Strahlen zu beschützen. Er musste sein Gesicht abwenden, da es schien, als würde seine Haut verbrennen und auch seine Kleidung leistete nur wenig Schutz.

Angestrengt biss er seine Zähne zusammen und gerade, als er dachte, er könnte die Schmerzen nicht mehr aushalten, spürte er eine Hand auf seiner Schulter, die nicht zu Charlotte gehörte. Ein anderer Körper drückte sich an seinen, sodass er vollkommen bedeckt wurde und den Schmerz tatsächlich nicht mehr spüren konnte. Vorsichtig drehte er seinen Kopf und erkannte rotes Haar – ein dunkleres Rot als das von Charlotte. Clarissa.

Noch für einige Zeit hielt er den Atmen an, bis der Schrille Schrei des Dämons verschwand und sich das grelle Licht dimmte, sodass Magnus seine Augen wieder öffnen konnte. Erleichtert atmete er aus, als er Charlotte unversehrt in seinen Armen wiederfand – noch nicht einmal eine Einstichstelle war an ihrem Hals zu erkennen.

Seine Vermutung bestätigte sich, als er sich umdrehte; vor ihm kniete Clary, die beide Arme um ihn gelegt hatte, um ihn vor den Lichtstrahlen zu beschützen. Dort, wo vorher der Dämon gestanden hatte, war nun nichts mehr zu erkennen.

Clary war unversehrt - ihr hatte das grelle Licht anscheinend nichts ausgemacht. Erstaunt richtete sich Magnus auf und blickte durch den großen Trainingsraum. Isabelle tat es ihm gleich. Auch allen anderen hatte das Licht keine Schwierigkeiten bereitet.

Sofort suchten Magnus' Augen nach Alexander, den er schließlich am anderen Ende des Raumes fand. Er lag er auf der Seite und krümmte sich vor Schmerz – sein Mund geöffnet, doch kein Ton war zu hören. Äußerlich schien er unversehrt, doch er hielt sich seine Hüfte und Magnus konnte sich denken, was der Grund für seine Schmerzen war.

Vorsichtig löste Magnus sich von Charlotte und trat mitleidig auf seinen Mann zu, der sich auf dem Boden hin und her wälzte. Andere Stimmen ertönten um ihn herum – er erkannte die von Clary und Isabelle – doch in diesem Moment widmete er sich ganz Alec, der seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte; ein Anblick, der dem des Dämons glich.

»Alexander?«, sanft legte Magnus eine Hand auf seine Schulter und legte seine Stirn in Falten, als er die Tränen sah, die über Alecs Wangen liefen. Ein herzzerreißendes Wimmern war von Alec zu hören, als er seine Augen öffnete und mit leerem Blick an die Decke starrte.

»Alles in Ordnung?«, hakte Magnus nach und blickte erneut an die Stelle an Alecs Hüfte, die sich der Shadowhunter mit beiden Händen hielt. Um sicher zu gehen, dass es sich nicht doch um eine Wunde handelte, legte Magnus seine Hand auf die von Alec und drückte sie beiseite. Zum Vorschein kam nichts. Nichts. Und obwohl Magnus erleichtert sein sollte, beunruhigte ihn dies noch mehr.

Er kannte Alec Körper in- und auswendig; er kannte jeden Leberfleck, jede Narbe und jede Rune auf Alecs ebener Haut, weshalb in das Nichts mehr beunruhigte als eine tiefe Wunde. Ruckartig ließ er von Alec ab und drehte sich um seine eigene Achse, sodass er die anderen Shadowhunter im Raum beobachten konnte.

Sie waren alle in der Mitte des Raums versammelt, jeder von ihnen auf seinen Knien. »Nein«, hauchte Magnus leise und drehte sich wieder zu Alec, der seine Augen geschlossen hatte und stumm weinte. Immer mehr Tränen flossen über die Wangen des Shadowhunters und auch Magnus spürte, wie seine Augen anfingen zu brennen.

»Nein, nein, nein«, wiederholte er immer und immer wieder und legte eine Hand an Alecs Wange, um seine Tränen aufzufangen. Seine Hände zitterten und er drehte sich erneut in die Richtung der anderen. Diesmal drehte sich Isabelle um und erwiderte seinen Blick. Auch über ihre Wangen liefen Tränen und Magnus brauchte keine Erklärung, um zu wissen, was passiert war.

Mühsam richtete sich Alec auf und robbte über den Boden des Trainingsraums, bis er bei seiner Familie angekommen war. Sofort machte Isabelle ihm Platz und auch Magnus taumelte seinem Mann hinterher. Dieser kniete an der Seite eines leblosen Körpers, der auf den Fliesen lag, auf denen sich frisches Blut verteilte. Schmerzhaft schluckte Magnus und fiel hinter Alec auf seine Knie.

Er erblickte Clary – bitterlich weinte sie um den Mann, der vor ihr lag. Seine Augen waren geschlossen und es schien, als würde er friedlich schlafen. Immer wieder strich sie über seine Wange und hinterließ dabei dunkles Blut, was auf seinem bleichen Gesicht hervorstach.

In all den Jahren hatte Magnus Jace Herondale als unsterblich angesehen. Anders als die anderen war er mit der Zeit kaum gealtert und Magnus war immer davon ausgegangen, dass der Parabatai seines Mannes jeden seiner Familie überleben würde. Außerdem fiel ihm auf, dass er Jace noch nie so friedlich gesehen hatte. Der Shadowhunter hatte immer unter Strom gestanden und sich Hals über Kopf in Gefahren gestürzt, denen er nicht gewachsen war.

Jeder war davon ausgegangen, dass ihm eine dieser Gefahren irgendwann das Leben kosten würde, doch dies war kein unüberlegter Angriff gewesen. Er hatte nicht unnötig sein Leben aufs Spiel gesetzt, nur um sein Können zu Beweisen. Er hatte versucht das zu beschützen, was er am meisten liebte und dass er dabei ums Leben kam, war nicht fair.

Jace hatte in Edom gekämpft, hatte Valentine und Jonathan besiegt und hatte in den wichtigsten Kriegen der letzten Jahre mitgekämpft. Er war bei Valentine aufgewachsen; all das hatte er überlebt und nun war es ein einfacher Dämon gewesen – weder bewaffnet noch überaus mächtig – der ihn in die Knie gezwungen hatte.

Ein leises Schluchzen war von Alec zu hören, der sich über seinen Parabatai beugte und vorsichtig um den Pfeil griff, der immer noch in Jaces Brust steckte. Alec kniff seine Augen zusammen, bevor er ihn herauszog. Lange betrachtete der Shadowhunter den Pfeil in seinen Händen und Magnus wusste, was er dachte. Alec hatte den Pfeil abgeschossen – es war sein Pfeil, der seinen Parabatai getötet hatte, obwohl er nicht auf ihn gezielt hatte.

Mitleidig legte Magnus eine Hand auf die seines Mannes und nahm ihm den Pfeil ab. Es würde ihm nicht guttun sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Erneut beugte sich Alec vor und legte seine Stirn an die von Jace, während Tränen über seine Wangen rollten – ein Anblick den Magnus nie wieder vergessen würde.

Mit der Zeit vergaß er viele Dinge – die schönsten Momente blieben ihm erhalten, doch leider auch die schlimmsten. Er konnte sich an den Tod so vieler Menschen erinnern; Es kam vor, dass er sich an einen bestimmten Tod erinnerte, doch den Namen der Person vergessen hatte. Auch nach all den Jahren war der Tod eines Menschen für ihn ein so traumatisches Ereignis, dass er ihn die vergessen konnte.

Alec hatte seine Eltern sterben sehen, seinen kleinen Bruder Max. Er hatte selbst getötet und mehr Leid gesehen, als manch andere in seinem Alter, doch dies war sein Parabatai. Ein Verlust der mit keinem anderen vergleichbar war und selbst Magnus konnte diesen Schmerz nicht nachvollziehen. Er hatte miterlebt, was der Tod eines Parabatai mit dem Verbliebenen anrichtete. Er wusste, was für fatale Folgen er hatte.

Isabelle legte ihren Arm um Alec und lehnte sich an die Schulter ihres großen Bruders. Sie schluchzte lauter als Alec, der stumm um seinen Bruder trauerte. Flüchtig ließ Magnus seinen Blick durch den Raum schweifen und erblickte eine große Gruppe Shadowhunter, die sich am Eingang befanden – ihre Köpfe waren gesenkt und in ihren Gesichtern spiegelte sich tiefste Trauer. Vermutlich waren sie mit Clary eingetroffen, deren Ankunft Magnus zuerst nicht bemerkt hatte.

Am anderen Ende des Raumes erkannte Magnus Charlotte, die mit großen Augen zu ihrer Familie schaute und sich nicht von der Stelle rührte. Schnell erhob sich Magnus von Alecs Seite und ging zu ihr herüber, woraufhin sie ihren starren Blick zu ihm wendete. Sie schluchzte, als sie Magnus wahrnahm, der sich zu ihr hockte und sie mitleidig in seine Arme zog. Sofort krallte sie sich in sein Jackett und weinte bitterlich.

»Ich wollte das nicht, Papa«, schluchzte sie und Magnus' Herz zog sich schmerzhaft zusammen. »Es ist nicht deine Schuld«, hauchte Magnus und drückte seine Lippen an ihre Stirn. Er blickte zu Jaces leblosen Körper, danach zu Isabelle, die an der Schulter ihres Bruders weinte. Mit leeren Augen schaute Alec auf die Leiche seines Parabatais und Clarys Schluchzen konnte Magnus bis ans andere Ende des Raumes hören.

»Es ist nicht deine Schuld, Charlie«, flüsterte Magnus erneut und drückte seine Tochter enger an sich.

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(23.07.2019)

pls don't kill me

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