34. Was nicht sein darf Part III

Was nicht sein darf Part III

»Was-...«, Magnus zögerte und lehnte sich in seinem Sessel etwas weiter nach vorne, »Was ist ein Portal?«, fragte er verwirrt und Rafael spürte, wie jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Auch Ellie zog geräuschvoll die Luft ein und nur Nathan blieb still. Noch nie hatte Rafael darüber nachgedacht, dass nicht nur Technologie erst später erfunden worden war, sondern auch Magie und Runen. Schnell griff er nach seiner Stele in seiner Hosentasche.

Mit zitternden Fingern malte er eine Rune auf seine Handfläche, danach öffnete er mit einer kurzen Handbewegung ein Portal. Clary hatte die Rune vor vielen Jahren entdeckt, doch bis heute konnte die Rune nur für kleine Strecken benutzt werden. Ein großer Unterschied war außerdem, dass der Shadowhunter, der die Rune zeichnete, bereits an seinem Zielort gewesen sein musste, während bei Warlocks die Koordinaten ausreichten. Rafael erstellte also ein Portal zu Magnus' Eingangstür - nur einige Meter von seinem jetzigen Standort entfernt.

Durch das Portal hindurch konnte man den blonden Mann erkennen, den Magnus Woolsey genannt hatte. Da die Wohnung sehr offen gebaut worden war, brauchte Rafael nur über seine Schulter zu blicken, um die Eingangstür zu sehen. Neben ihr befand sich das Portal und Woolsey, der mit großen Augen in das Innere des Portals schaute.

Magnus hatte sich mittlerweile aus seinem Sessel erhoben und wich einige Schritte zurück, als würde Rafael ein Alien von einem fremden Planten präsentieren. »Was ist das?«, fragte Magnus geschockt, weshalb Rafael beschloss es zu demontieren. »Ein Portal«, sprach er und trat durch das magische Loch. In weniger als einer Sekunde stand er an Woolseys Seite, der ebenso geschockt wie Magnus zurückwich.

»Unsere Portale sind nicht stark genug, um uns zurück in unsere Gegenwart zu bringen«, versuchte Rafael zu erklären und trat wieder zu den anderen. Er spürte Woolseys Blick auf sich, der ihm offensichtlich nicht zu trauen schien. Auch er trat nun an Magnus' Seite und stellte sich beschützend vor ihn.

»Ich denke, ihr solltet jetzt gehen«, zischte er, wobei seine Augen in einem giftigen Grün leuchteten. Verzweifelt schaute Rafael an ihm vorbei zu seinem Vater, der eine Hand auf Woolseys Arm legte und ihn vorsichtig beiseite schob. »Vielleicht solltest du besser gehen«, sprach er, jedoch nicht unfreundlich, trotzdem schien es den anderen Mann zu treffen. Zögernd blickte er in Magnus' Augen, danach warf er Rafael, Ellie und Nathan noch einen letzten mahnenden Blick zu und stürmte aus dem Zimmer. Irgendwo hörte man die Tür eines Zimmers so laut zuknallen, dass Rafael sich einbildete, die Wände vibrieren zu spüren.

»Ich kann keine Portale öffnen«, sprach Magnus mitleidig, doch Rafael gab die Hoffnung nicht auf. »Es ist unsere einzige Hoffnung«, stellte er klar, woraufhin Magnus eine Hand auf Rafaels Schulter legte. Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch sofort wieder und atmete tief durch. Rafael schaute prüfend in seine Augen und stellte fest, dass sein Vater erschöpft wirkte. Ihm fehlte das Leuchten in seinen Augen, das er sonst immer bei sich trug. Vielleicht lag es auch nur an seinem Eyeliner, der etwas unordentlich aufgemalt worden war - vermutlich, da es richtige Eyeliner in dieser Zeit noch nicht gab.

»Ich muss nachdenken«, verkündete er und ließ abrupt von Rafael ab. Orientierungslos lief er auf und ab, bis er sich letztendlich wieder zu Rafael drehte. »Ich seid sicher müde«, stellte er fest, wobei es eher weniger wie eine Frage, sondern eher wie ein Verlasst den Raum klang. Zögernd nickte Rafael, obwohl er keinerlei Müdigkeit verspüren konnte. Wenn er seine Augen schließen würde, würde er vermutlich Melo vor sich sehen - wie er vor ihm lag, in einem Blutbad mit Rafaels Pfeil in seinem Kopf. Schnell schüttelte er diesen Gedanken von sich.

»Ich werde euch das Gästezimmer zeigen«, sprach Magnus abwesend und lief den Flur herunter, vorbei an der Tür durch die Woolsey verschwunden war. Er öffnete eine der Türen und schaute Rafael und die beiden anderen erwartungsvoll an. Zögernd trat Rafael als erstes vor und schaute ins Innere des Raumes. Tatsächlich lag hinter der Tür ein kleines Gästezimmer, das gemütlich eingerichtet war; Ein großes Bett stand in der Mitte des Raumes und ein Sofa in der Ecke. Außerdem besaß der Raum zwei große Fenster, die viel Licht spendeten.

»Ruht euch aus. Ich bereite derzeit etwas zum Essen vor«, sprach Magnus flüchtig und Rafael hätte nicht gedacht, dass ihn das Thema wirklich so beschäftigen würde. Fast hätte er damit gerechnet, dass Magnus sie aus seinem Haus schmeißen würde, mit den Worten, dass er für solchen Unsinn keine Zeit hatte. Er hätte nicht gedacht, dass Magnus ihnen tatsächlich glauben würde.

»Sollen wir einfach hier sitzen und nichts tun?«, fragte Ellie verzweifelt und setzte sich auf das große Doppelbett, nachdem Magnus verschwunden war und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Wir sollten ihm ein wenig Zeit geben«, sprach Rafael und versuchte dabei so viel Vertrauen wie möglich in seinen Vater zu haben. Auch er ließ sich neben Ellie auf dem Bett nieder, das überraschend weich war. »Was passiert, wenn er keinen Weg findet?«, verzweifelt vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen, während Rafael eine Hand auf ihren Rücken legte.

»Alles wird gut. Auch zu Hause werden sie irgendwann merken, dass wir weg sind und vermutlich nach Wegen suchen uns zurückzuholen«, sagte Rafael, wobei er hoffte, dass dies besser früher als später geschah.

»Woher sollen sie wissen, dass wir in der Vergangenheit sind?«, hakte Nathan nach, woraufhin Rafael ihm einen strengen Blick zuwarf. Unschuldig warf er seine Hände in die Luft, danach sah er sich das Zimmer genauer an.

»Es gibt nur ein Bett«, stellte er unterschwellig fest, weshalb diesmal Ellie ihren Kopf hob. »Und ein Sofa«, sprach sie streng und Rafael nahm an, dass Nathan schon an ihrem Tonfall verstanden hatte, wo er heute Nacht schlafen würde. Wortlos presste er seine Lippen zusammen, nickte und ließ sich danach auf dem Sofa nieder.

~*~

Magnus' Gastfreundschaft schien sich über die Jahre nicht verändert zu haben. Nachdem Rafael, Ellie und Nathan ein wenig Zeit in ihrem Zimmer totgeschlagen hatten, hatte Magnus sie zum Essen gerufen. Obwohl Rafael wusste, dass er dafür Magie verwendet hatte, war er nichtsdestotrotz überrascht, dass er all das für wildfremde Menschen tat, die einfach so an seine Haustür geklopft hatten.

Woolsey war von der ganzen Sache nicht besonders begeistert gewesen. Wortlos hatte er mit am Tisch gesessen und den anderen nur hin und wieder finstere Blicke zugeworfen. Rafael wusste wirklich nicht, was Magnus an diesem Mann fand, doch er selbst würde wahrscheinlich ebenfalls misstrauisch sein, wenn drei fremde Shadowhunter in sein Haus eindringen würden, die auch noch behaupteten sie seien aus der Zukunft.

Es war ein ziemlich ruhiges Abendessen gewesen; Woolsey hatte geschwiegen und auch Magnus schien in Gedanken versunken gewesen zu sein, weshalb sich kein anderer getraut hatte zu sprechen. Selbst als die drei Shadowhunter nach dem Essen wieder auf ihr Zimmer gegangen waren, hatte keiner von ihnen ein Wort gewechselt. Nun lag er neben Ellie in dem großen Doppelbett, während er hörte, wie Nathan versuchte auf dem Sofa eine bequeme Position zu finden.
Ellie war neben ihm schon längst eingeschlafen und obwohl auch Rafael erschöpft war, bekam er kein Auge zu. Immer musste er an Vincent Melo und Rhoda Nero denken, die heute beide ihr Leben verloren hatten. Zumindest einen Tod hätte Rafael verhindern können und immer noch fragte er sich, ob Melos Tod nun Auswirkung auf die Gegenwart hatte. Er hoffte, er hatte die Zeit nicht vollkommen aus der Bahn gebracht und obwohl er es vor Ellie nicht zugeben wollte, hatte auch er große Angst, dass sie nie wieder zurückfanden.

Seufzend richtete er sich in dem Bett auf und schlug die Decke vorsichtig zurück, um Ellie nicht zu wecken. Kurz blickte er in Nathans Richtung, der sich ebenfalls nicht regte und genau wie Ellie zu schlafen schien. Noch kurz hielt Rafael inne, um sicher zu gehen, dass keiner ihn bemerkte, doch als er das laute Atmen von beiden Shadowhuntern hören konnte, stand er aus dem Bett auf. Leise schlich er zur Tür und trat in den Flur, wo er sich neugierig umschaute.

Er wusste nicht genau, was er vorhatte, doch er konnte keine Sekunde länger neben Ellie liegen und so tun, als ob alles gut wäre. Wie konnte sie friedlich neben ihm schlafen, wenn er jemanden umgebracht hatte. Er hatte Vincent Melo ermordet, obwohl er das Problem anders hätte lösen können. Verzweifelt lehnte er sich an die geschlossene Tür des Gästezimmers und atmete tief ein und aus.

Irgendwann richtete er sich wieder auf uns bemerkte Licht, das unter der Tür des Wohnzimmers hindurchscheinte. Irritiert legte Rafael seine Stirn in Falten und trat auf die Tür zu, hinter der das Licht brannte. Neugierig legte er sein Ohr an die Tür und wollte sich gleichzeitig anlehnen, bemerkte jedoch erst viel zu spät, dass die Tür nur angelehnt war und stolperte ungeschickt ins Wohnzimmer.

Gott sei Dank war es nicht Woolsey, den er im Zimmer vorfand, sondern Magnus. Der Warlock saß auf dem Sofa, eine Tasse in seiner einen und ein dickes Buch in seiner anderen Hand. Nur kurz schaute er auf und schien nicht besonders überrascht zu sein, als er Rafael erblickte.

»Tut mir leid, ich wollte nur... Ich-«, fing er an, doch fand keine Erklärung und verstummte. Das Buch, was Magnus in der Hand hielt, sah aus wie eines der Bücher, die in Magnus' Büro gehörte. Rafael hoffte, dass seine Probleme nicht der Grund waren, warum sein Vater die Nacht zum Tag machte.

»Nimm Platz«, bot Magnus ihm an und deutete auf den freien Platz neben sich. Hastig nickte er und trat an die Seite seines Vaters. In diesem Moment wünschte er sich nichts mehr, als seinen Kopf auf die Schulter seines Vaters zu legen, damit dieser ihn fest in den Arm nahm, doch natürlich wäre das in dieser Zeit äußerst unangebracht, weshalb Rafael so viel Abstand wie möglich zwischen ihm und Magnus schaffte.

»Ich hoffe, unsere Probleme sind nicht das, was dich wach hält«, sprach Rafael vorsichtig und war sich nicht sicher, ob er Magnus bei seiner Arbeit unterbrechen durfte. Dieser schüttelte bloß den Kopf. »Ich kann sowieso nicht schlafen«, gestand er und nahm einen Schluck aus seiner Tasse, die er schließlich auf den kleinen Kaffeetisch vor sich stellte. Sofort erkannte Rafael den Geruch des Tees, der ihn an Zuhause erinnerte.

Magnus trank diesen Tee fast jeden Abend - es war irgendeine Teesorte aus Indonesien und Rafael wusste noch genau, wie seine Eltern damals gelacht hatten, wenn er als Kind versucht hatte den Namen des Tees auszusprechen. Aufgrund des Koffeingehalts hatte er den Tee nur selten trinken dürfen, doch Magnus hatte oft eine Ausnahme gemacht. So hatte sich Rafael früher oft nachts zu ihm geschlichen, wenn er wieder lang in seinem Büro gearbeitet hatte, und beide hatten sich eine Tasse Tee mit Milch eingegossen, die sie im Wohnzimmer getrunken hatten.

Jetzt fragte er sich, warum Magnus ihm, Max und Charlotte eigentlich nie seine Muttersprache beigebracht hatte. Vielleicht hätte er dann den Namen des Tees aussprechen können, doch Magnus hatte nie über seine Kindheit geredet. Von Alec hatte er erfahren, was mit Magnus' Mutter passiert war, doch Magnus selbst hatte er noch nie über seine Zeit in Indonesien reden hören.

Über seine Zeit in London - hier in der Zeit, in der sich Rafael nun befand - wusste er auch nicht viel. Er hatte einige Bilder gesehen, doch letztendlich musste er sich eingestehen, dass er nicht viel über seinen Vater wusste. Wenn er ihn nun ansah, realisierte er, dass es eine Menge gab, die er nicht wusste. Magnus sah aus, als hätte er nicht nur diese Nacht nicht schlafen können. Dunkle Ränder lagen unter seinen Augen und von seinem sonst so energetischen und fröhlichem Vater konnte Rafael nichts erkennen - vor ihm saß eine vollkommen andere Person.

»Möchtest du auch etwas Tee?«, hakte Magnus irgendwann nach, ohne seinen Blick von dem Buch zu wenden. Zögernd schaute Rafael auf den Kaffeetisch, wo Magnus' Tasse und eine Teekanne stand. Er wollte ihm keine Umstände machen, doch letztendlich nickte er. Mit einer kurzen und geschickten Handbewegung ließ Magnus eine weitere Teetasse auf dem Kaffeetisch erscheinen.

»Danke«, sprach Rafael und griff nach der Teekanne, um sich etwas Tee einzugießen. Er stoppte bereits bei der Hälfte, danach griff er nach der kleinen Milchkanne, da er sich noch genau erinnern konnte, wie stark der Tee schmeckte.

Als er die Tasse schließlich an seinen Mund führte, warf er einen prüfenden Blick zu seinem Vater, der ihn interessiert musterte. Diesmal schaute er sogar von seinem Buch auf und ließ es in seinen Schoß fallen.

»Schmeckt dir der Tee?«, fragte Magnus, als Rafael die Tasse wieder auf ihren alten Platz stellte. Sofort nickte Rafael. »Er ist aus Indonesien«, informierte Magnus ihn überflüssiger Weise und Rafael schmunzelte. »Sumatra Oolo-«, er stoppte, da er sich nicht mehr an den Rest des Namens erinnern konnte.

Überrascht hob Magnus seine Augenbrauen, danach schmunzelte auch er, »Ja, fast«, hauchte er, obwohl Rafael sicher war, dass seine Aussprache schrecklich gewesen war. »Du kennst den Tee?«, hakte Magnus nach und Rafael nickte zögernd. »Damit bist du die erste Person«, lachte er, »Zumindest die erste Person, die ihn mag«, fügte er hinzu, »Woolsey hält nicht viel davon«.

»Ist er dein... Partner?«, fragte Rafael zögernd, obwohl er die Antwort eigentlich nicht wissen wollte, da er sich an Magnus' Seite niemand anderes als seinen Vater vorstellen konnte.

Es herrschte eine lange Stille und Magnus schien zu überlegen. Er schaute in die Richtung des Flurs - in die Richtung seines Schlafzimmers, »So etwas in der Art«, antwortete er schließlich, danach schien er lange über diese Antwort nachzudenken, »Eher nicht«, sprach er schließlich und widmete sich wieder seinem Buch. Als ob es das normalste auf der Welt wäre, blätterte er eine weitere Seite um und sprach, »Es ist nur Sex«.

Geschockt verschluckte sich Rafael an seinem Tee, von dem er noch einen Schluck genommen hatte. Hätte er nur nicht gefragt. Das waren Informationen, die er definitiv nicht wissen wollte, und er wusste nicht, ob er sie jemals wieder aus seinem Kopf kriegen würde. Überrascht musterte Magnus ihn, der Rafael natürlich nicht als seinen Sohn sah, sondern quasi als Gleichaltrigen, falls man diesen Begriff bei Warlocks überhaupt verwenden konnte. Zumindest sahen er und Rafael gleich alt aus.

Während sich Rafael den ausgespuckten Tee von seiner Kleidung wischte, schien Magnus inne zu halten. »Du magst meinen scheußlichen Tee und trägst einen Anhänger mit meiner Magie um deinen Hals«, stellte er fest, »Bist du... Bist du ein zukünftiger Liebhaber von mir?«, hakte er nach und Rafael war froh, dass er seinen Tee bereits abgestellt hatte, sonst hätte er vermutlich mehr als nur ein paar Tropfen verschüttet.

»Oh, Gott, nein!«, sprach er empört. Bis jetzt hatte er Dinge aus dem Mund seines Vaters gehört, die er nie wieder wiederholen wollte. »Nein, alles andere als das«, fügte er noch hinzu, wobei Magnus seinen Kopf schief legte.

»Aber wir sind Freunde?«, hakte er nun nach, »Sonst hätte ich dir vermutlich nicht diesen Anhänger gegeben«, stellte er fest und für einen kleinen Moment zog Rafael es sogar in Erwägung ihm die Wahrheit zu sagen, doch diesen Gedanken verdrängte er sofort wieder. »Ja«, sprach er schließlich und lächelte, »Ich würde sogar sagen, wir sind beste Freunde«, schmunzelte er, obwohl er es vorher noch nie so gesehen hatte. Magnus war sein Vater und mit seinen Eltern war man eigentlich nicht befreundet, doch wenn er darüber nachdachte, hatten seine Eltern alle Eigenschaften, die seine besten Freunde auch besaßen.

Magnus war immer für ihn da, wenn er Hilfe brauchte, und Rafael wusste, dass sein Vater für ihn alles stehen und liegen lassen würde. Ein Blick genügte und er wusste genau, was Rafael brauchte, wie er sich fühlte, und was er tun musste, damit es ihm wieder besser ging. Magnus war sein bester Freund, genauso wie Alec, Max und Charlie... nur auf eine andere Art und Weise.

»Warum kannst du nicht schlafen?«, fragte Rafael schließlich, was Magnus zu überraschen schien. Wieder ließ er das Buch in seinen Händen auf seinen Schoß sinken, danach zögerte er, »Zu viele Erinnerungen, die mich wachhalten«, antwortete er schließlich und setzte ein gezwungenes Lachen auf.

»2030 also?«, hakte Magnus nach, bevor Rafael eine weitere Frage stellen konnte, »Das hört sich ziemlich surreal an«, stellte er fest. »Für mich hört sich 1878 ziemlich surreal an«, konterte Rafael, der immer noch nicht begreifen konnte, wie die Leute ohne moderne Technik überleben konnten.

»Eigentlich müsste ich dir so viele Fragen über die Zukunft stellen«, lachte Magnus und klappte das Buch auf seinem Schoß nun endgültig zu. Rafael vermisste seinen amerikanischen Akzent; im Moment bestand Magnus' Akzent größtenteils aus Britisch mit einem Hauch von Spanisch.

»Ich denke nicht, dass ich sie dir beantworten sollte«, erwiderte Rafael, der schon die ganze Zeit über Angst hatte sich zu verplappern. »Ja, ich denke nicht«, lachte Magnus und lehnte sich in den Sofakissen zurück. Es entstand eine lange Stille, bis Magnus fragte; »Werde ich glücklich sein?«.

Er stellte diese Frage so ernst, dass es Rafael beunruhigte. »Ja«, sprach er sofort. In letzter Zeit hatte er sich zwar eher selten über Magnus' Wohlergehen erkundigt, aber im Großen und Ganzen ging er davon aus, dass es seinen Eltern sehr gut ging. »Wir sind alle sehr glücklich«, fügte er hinzu, woraufhin Magnus seinen Kopf auf die Sofalehne legte und ins Leere schaute.

»Dort war eine Frau«, fing er an zu erzählen, »Sie... Sie hat mir wirklich das Herz gebrochen«, spöttisch lachte Magnus, doch an seinem Gesichtsausdruck erkannte Rafael, wie sehr es ihn wirklich mitnahm. Er nahm an, dass sie wohl der Grund war, warum sein Vater nachts nicht schlafen konnte.

»Eigentlich trauere ich meinen Verflossenen nie dermaßen hinterher, aber sie und ich... Ich sollte dich nicht mit meinen Problemen belasten, tut mir leid«, unterbrach er sich schließlich selbst, doch Rafael schüttelte seinen Kopf. »Nein, das ist kein Problem«, so makaber es klingen mochte; er wollte mehr über seinen Vater aus dieser Zeit erfahren, auch wenn es sich um negative Erinnerungen handelte. Er hatte ihn noch nie in diesem Zustand gesehen; seit Rafael ein kleines Kind gewesen war, waren seine Eltern immer glücklich miteinander gewesen. So verzweifelt kannte Rafael ihn nicht.

»Ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle«, lachte Magnus erneut und wendete seinen Blick von Rafael ab. »Wie hieß sie?«, hakte dieser nach und Magnus' überraschter Blick glitt erneut zu ihm. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sich Rafael so sehr für sein persönliches Leben interessierte.

»Camille«, antwortete Magnus kleinlaut und blinkte in seine Teetasse, während er den Inhalt hin- und herschwenkte. Es war merkwürdig, da sein Vater in diesem Moment wie ein Freund wirkte, der ihm von seinem ersten Liebeskummer erzählte, und Rafael wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er nickte nachdenklich - von Camille hatte er schon gehört; viele Jahre lang war sie die Anführerin des New Yorker Vampir-Clans gewesen, bis Lily diese Position übernommen hatte. Persönlich hatte er sie nicht gekannt, da sie war noch vor Rafaels Ankunft in New York umgebracht worden.

Dafür wusste er jedoch, dass sein Vater lange in einer Beziehung mit ihr gewesen war. Er hatte selten davon erzählt; die eigentliche Geschichte und wie schlecht es ihm in der Beziehung ergangen war, hatte er von Alec erfahren - nur ganz nebenbei. Dass ihn die Trennung wirklich so mitgenommen hatte, hatte Rafael nicht gewusst.

»Kennst du sie?«, fragte Magnus schließlich und schaute erneut in Rafaels Gesicht, der angestrengt überlegte, was er antworten sollte. »Du hast ihren Namen schon einmal erwähnt«, sagte er schließlich und Magnus' Mundwinkel zuckten leicht.

»Dann scheine ich wirklich über sie hinweg gekommen zu sein«, sprach er leise und Rafael hatte den Drang ihm von seinem ganzen zukünftige Leben zu erzählen; dass er heiraten würde, eine Familie hatte, die ihn über alles liebte und vor allem wollte Rafael ihm erzählen, wie sehr er ihn als Vater schätzte, doch er schwieg.

Erneute Stille war zwischen ihnen eingetroffen und normalerweise machte es Rafael nichts aus schweigend neben seinem Vater zu sitzen, doch die Person, die neben ihm saß, war nicht sein Vater. Dieser Magnus wirkte so viel jünger, auch wenn er schon zu diesem Zeitpunkt mehrere hundert Jahre alt war, und Rafael wusste nicht, wie er mit ihm umgehen sollte. Er wusste, dass Magnus vermutlich erwartete, dass Rafael ihn wie einen Gleichaltrigen behandelte, doch er konnte nicht. Magnus war für ihn immer eine Autoritätsperson gewesen und auch in der Vergangenheit konnte er diesen Gedanken nicht verdrängen.

»Zeig mir noch einmal deine Kette«, sprach Magnus schließlich und setzte seine Teetasse auf den kleinen Tisch vor sich. Hastig nickte Rafael und zog die Kette mit dem Anhänger über seinen Kopf. Es war seltsam das Metall nicht auf seiner Haut zu spüren, da er die Kette normalerweise nie abgelegte. Nachdenklich drehte Magnus den Anhänger in alle Richtungen und betrachtete die Gravierungen.

Oft fuhr Rafael mit deinem Finger über die Oberfläche und konnte die Gravierung in diesem Moment förmlich unter seinen Fingerspitzen spüren. Es war ein Kreuz in einem Kreis - ein Zeichen des Schutzes - zumindest hatte Magnus ihm dies so erzählt.

»Ich spüre meine Magie auf dem Anhänger. Ich erkenne sie deutlich und trotzdem ist sie so... anders«, er zögerte und schloss die Kette schließlich in seine Faust. Danach schloss er seine Augen und Rafael erkannte die ihm bekannte blaue Magie, die um Magnus' Finger tanzte.

»Es scheint, als sei die Magie nicht an mich gebunden. Ich kann den Zauber nicht aufheben, obwohl es sich um meine Magie handelt. Vielleicht kann ich mithilfe der Kette mein zukünftiges Ich lokalisieren«, spekulierte Magnus und öffnete seine Augen. Danach hielt er die Kette prüfend vor sich.

»Die Idee eines Portals ist wirklich beeindruckend«, merkte er an, »Nur weiß ich nicht, wie man ein solches Portal öffnen kann«, erklärte er erneut. »Wenn ich es könnte, könnte ich euch vielleicht zu der Quelle der Magie bringen«, fügte er hinzu, woraufhin Rafael ein Licht aufzugehen schien.

»Die Allianz-Rune«, hauchte er, worauf Magnus eine seine Augenbrauen irritiert anhob. »Es gibt eine Rune, die deine Magie für einen bestimmten Zeitraum auf mich übertragen würde. Ich könnte somit versuchen dein zukünftiges Ich aufzuspüren«, erklärte Rafael begeistert und spürte, wie das Herz in seiner Brust immer schneller und schneller schlug. Oh bitte, Raziel, flehte er, lass es funktionieren.

»Eine Rune, die meine Magie mit dir teilen lässt?«, hakte Magnus kritisch nach, doch Rafael war viel zu aufgeregt, um es seinem Vater genauer erklären zu können. »Ich brauche meine Stele«, sprach er und sprang von dem Sofa. Schnellen Schrittes lief er zurück in das Gästezimmer, wo er Ellie und Nathan unsanft aus ihrem Schlaf riss.

»Steht auf!«, rief er, griff nach seiner Stele und rüttelte an Ellies Schulter, die mürrisch stöhnte und ihr Gesicht in einem der Kissen vergrub. »Wir haben vielleicht einen Weg gefunden, wie wir wieder nach Hause kommen«, verkündete Rafael, was bewirkte, dass Nathan und Ellie in nur wenigen Sekunden aufrecht in ihren Betten saßen.

»Wie?«, gähnte Nathan und schlüpfte in seine Schuhe. Ohne die Schnürsenkel zuzuschnüren erhob er sich und griff nach seiner Lederjacke. »Mit der Allianz-Rune«, sprach Rafael knapp und stand ungeduldig in der Tür, während er die anderen beiden dabei beobachtete, wie sie ihre Sachen zusammensammelten. Auch Rafael hatte nach seiner Jacke und seinen Schuhen gegriffen, obwohl diese für ihn in diesem Moment eher keine große Rolle spielten.

Endlich im Wohnzimmer angekommen, hatte sich Magnus bereits von dem Sofa erhoben und einige Möbel beiseite geschoben, um genug Platz für ein Portal zu schaffen. Er musterte Ellie und Nathan genau, danach glitt sein Blick zu Rafael, der ungeschickt seine Stele aus seiner Hosentasche kramte.
»Die Allianz-Rune ist die einzige Rune, die auf der Haut von Unterweltlern aufgetragen werden kann«, erklärte er und streckte seine Hand nach der von Magnus' aus, um ihm die Rune aufzumalen. Magnus' Augen weiteten sich und Rafael konnte seine Angst nachvollziehen, doch er war viel zu ungeduldig, als dass er seinem Vater die genaue Geschichte der Allianz-Rune erzählen konnte.

»Vertrau mir«, bat er und tatsächlich streckte Magnus seine Hand aus, die Rafael entgegennahm. Gerade wollte er sie umdrehen, um die Rune auf Magnus' Handgelenk zu zeichnen, als ihm ein bestimmter Ring an dem Finger seines Vaters auffiel. Auch zu dieser Zeit trug er unzählige Ringe, doch der schmale Ring mit dem schwarzen Stein an seinem Ringfinger fiel ihm direkt ins Auge. Er hatte den Ring zwar schon oft gesehen, doch nie an Magnus' Hand.

Er hatte nicht gewusst, dass Magnus den Ring früher getragen hatte. Schon seit Rafael denken konnte, zierte er Alecs Ringfinger und war somit sein Verlobungsring. Immer war er davon ausgegangen, dass Magnus den Ring irgendwann für Alec besorgt hatte, doch anscheinend hatte der Ring mehr Geschichte, als Rafael gedacht hatte. Außerdem fehlte auf Magnus' Handrücken die vertraute Hingabe-Rune, die er sich nach der Hochzeit tätowiert hatte.

Zögernd drehte er Magnus' Hand um und setzte die Stele an seine Haut. Erschrocken zuckte Magnus zusammen und es schien, als wollte er seine Hand aus der von Rafael ziehen, doch Rafaels Griff verstärkte sich. »Vertrau mir«, sprach er erneut und führte die Stele über die Haut seines Vaters.

Schon bald hatte er die Rune gezeichnet und tat das selbe an deinem eigenen Handgelenk. Schon oft hatte er die Allianz-Rune mit seinem Bruder verwendet und das schon seit sie Kinder waren. Sie hatten Spaß daran gefunden, die Fähigkeiten des anderen auszuprobieren, weshalb Rafael an das darauffolgende Gefühl der Magie in seinem Körper bereits gewohnt war. Neugierig ließ er die blauen Flammen um seine Finger tanzen, woraufhin sich Magnus' Augen erstaunt weiteten, der von den Shadowhunter-Fähigkeiten vermutlich noch nicht viel spüren konnte. Rafael hatte in letzter Zeit keine Runen aktiviert, weshalb Magnus nichts spüren konnte.

Er nahm die Kette mit dem Anhänger aus Magnus' Hand und hielt ihn fest in seiner Faust. Einige Male hatte Max ihm gezeigt, wie man Objekte oder auch Personen lokalisieren konnte und Rafael hoffte, dass sich diese Lektionen nun auszahlen würden. Eigentlich hatte er keinen blassen Schimmer, was genau er tun sollte, schließlich musste er gleichzeitig irgendein Portal öffnen - wie auch immer er dies anstellen sollte.

So gut es ging konzentrierte er sich auf den Anhänger und auf die Magie seines Vaters, die er nun deutlich an der Kette spüren konnte. Die Blicke der anderen langen erwartungsvoll auf ihm, was ihn noch mehr unter Druck setzte und er wollte nicht zugeben, dass er rein gar nichts spüren konnte. Normalerweise hatte er mit dem lokalisieren von Personen nie Probleme gehabt; schon nach wenigen Sekunden setzte jedes Mal ein Kribbeln in seinem Körper ein, das ihn in eine bestimmte Richtung lenkte, doch nun konnte er davon nichts spüren.

Magnus schien zu bemerken, dass er Schwierigkeiten hatte und trat näher an ihn heran. Sanft legte er seine Hände um Rafaels Faust und schloss seine Augen. Kurze Zeit später verspürte Rafael einen weiteren Stoß Energie, der ihn beinahe ins Taumeln brachte, doch es schien zu wirken. Seine Haut kribbelte, doch anstatt einer Richtungsangabe, die er sonst immer erhielt, spürte er nun, wie das Kribbeln immer doller und doller wurde. Geschockt riss er seine Augen auf.

»Ellie«, sprach er an seine Verlobte gerichtet, »Zeichne die Portal-Rune auf meine Haut«, befahl er und streckte ihr seine Stele entgegen, die sie hastig annahm, wobei sie ihre Jacke auf den Boden schmiss und zu ihm eilte. Kurzerhand zeichnete sie die Rune auf Rafaels Handfläche, der schließlich mit einer geschickten Bewegung das Portal versuchte zu öffnen. Zum ersten Mal verspürte er dabei einen kräftigen Widerstand, der dafür sorgte, dass sich sein Arm schwer wie Stein anfühlte. Mühselig versuchte er die kreisende Bewegung abzuschließen, was ihn mehr Kraft kostete, als er gedacht hatte.

Umso erleichterter war er, als er beobachtete, wie sich das Portal letztendlich öffnete. Das einzige, was auf der anderen Seite zu sehen war, war eine grüne Wiese in kompletter Dunkelheit, was Rafael etwas beunruhigte.

»Ist das... habt ihr-?«, fing Ellie an, unterbrach sich jedoch selbst, da ihr die Wörter zu fehlen schienen. Prüfend streckte sie ihre Hand nach dem Portal aus und ließ ihre Finger durch das magische Tor gleiten. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie über ihre Schulter hinweg zu Rafael und Magnus sah. »Gehen wir tatsächlich nach Hause?«, hakte sie hoffnungsvoll nach, woraufhin Magnus seine Hände von Rafaels Faust nahmen.

Eine Hand legte sich auf Rafaels Schulter, danach drehte er sich zu Magnus, der ihn liebevoll ansah. »Beeilt euch«, sprach er und klang so, als würden ihn diese Worte Kraft kosten. Irrtiert ließ Rafael zu, dass Magnus den Anhänger aus einer Hand nahm und ihn fest umgriff. Erst dann verstand er, dass Magnus' Magie das Portal offen zu halten schien.

Erschrocken drehte er sich zu Nathan und Ellie und deutete in die Richtung des Portals. »Ihr habt ihn gehört; beeilt euch!«, sprach er panisch und beobachtete, wie sich Nathan und Ellie unsichere Blicke zuwarfen. »Schnell, bevor er sich wieder schließt!«, fügte Rafael hinzu und drehte sich zu Magnus, der seine Augen immer noch geschlossen hielt.

»Danke für alles«, sprach er an ihn gerichtet und sah das schmale Lächeln, dass die Lippen des Warlocks zierte. Er nickte flüchtig, schien jedoch keine Kraft zu haben Rafael zu antworten. Zum Abschied legte Rafael eine Hand auf die Schulter seines Vaters. Durch einen kurzen Blick über seine Schulter stellte er fest, dass Nathan bereits einen Fuß durch das Portal gesetzt hatte und Ellie dicht hinter ihm stand und das selbe vorhatte. Für einen kurzen Moment beobachtete er die beiden, bis sie schließlich beide verschwunden waren.

»Camille war es nicht wert, hörst du?«, sprach er noch, bevor er sich von Magnus löste, »Du wirst glücklich werden. Ich verspreche es dir«, fügte er hinzu, worauf Magnus seine Augen öffnete und unauffällig nickte. Nur für einen kurzen Moment sah er seinen Vater an, dann verschwand auch er durch das Portal, dass ihn hoffentlich nach Hause brachte.

~*~

Nach wenigen Sekunden fand er sich auf der Wiese wieder, die er durch das Portal gesehen hatte. Sie war nass und kalt unter seinen Handflächen und durchweichte seine Jeans, weshalb er sich so schnell er konnte aufrichtete und nach den anderen Ausschau hielt. Schnell entdeckte er Ellie und Nathan, die nur wenige Meter von ihm entfernt standen und sich verwirrt umblickten.

Ehe er sich versah stand Ellie an seiner Seite, die ihn mit hoffnungsvollen Augen anblickte. »Es hat funktioniert, oder?«, hakte sie nach und sah sich panisch um. Der Umgebung nach zu urteilen konnten sie sich in jeder Zeit befinden; Rafael erkannte nichts als weitere Wiesen und ein Stück Wald, außerdem war es stockdunkel und nur der Mond erhellte seine Sicht.

»Mein Handy hat Empfang«, rief Nathan erfreut und hielt sein Handy triumphierend in die Luft. Erleichtert atmete Rafael aus, als ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er fiel Ellie um den Hals, die seine Umarmung sofort erwiderte und ihr Gesicht an seines lehnte.

»Rafael!«, jegliche verbliebene Zweifel verschwanden, als er eine all zu bekannte Stimme hinter sich wahrnahm und als er sich zu der Person umdrehte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Es war, als ob er nach all den Stunden endlich wieder richtig atmen konnte und er konnte sich ein lautes erleichtertes Seufzen nicht verkneifen.

»Papa«, seine Stimme war belegt, als er Magnus auf sich zu laufen sah - der Magnus aus seiner Zeit. Er breitete seine Arme aus, wobei Rafael Tränen in die Augen stiegen, die er einfach laufen ließ. Er war so erleichtert, dass er am liebsten den Boden geküsst und die ganze Welt umarmt hätte. Stattdessen umarmte er Magnus, der Rafael fest an sich drückte und seine Hand auf den Hinterkopf des jungen Shadowhunters legte.

Verzweifelt krallte er sich an der Jacke seines Vaters fest und schloss seine Augen, als der Geruch von Zuhause ihn überkam. »Papa«, schluchzte er erneut und zum ersten Mal seit Jahren weinte er an der Schulter seines Vaters, wobei ihm vollkommen egal war, dass alle Anwesenden ihn sehen und hören konnten.

Vorsichtig löste sich Magnus aus der Umarmung, was Rafael eigentlich verhindern wollte. Sanft nahm Magnus sein Gesicht in beide Hände und platzierte einen flüchtigen Kuss auf seiner Schläfe, bevor er ihn prüfend von oben bis unten musterte. Ein mitleidiges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er Rafaels Tränen wahrnahm, die er schnell mit seinen Daumen wegwischte.

»Ich bin alt Rafael - du kannst mir nicht einfach einen solchen Schrecken einjagen«, scherzte er und drückte ihn erneut an sich. Er löste sich schneller von ihm, als Rafael gewollt hatte, doch dann sah er, dass Magnus auf Ellie zuging und auch sie in eine innige Umarmung zog. Ellie schien mindestens genauso erleichtert wie Rafael zu sein, als auch ihr die Tränen kamen und sie ihren zukünftigen Schwiegervater dichter an sich drückte.

Unbewusst glitt Rafaels Blick zu Nathan, der mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen etwas abseits stand. Dort gab es niemanden, der ihn mit offenen Armen empfing, so wie bei Rafael und Ellie, weshalb sich Rafaels Herz schmerzhaft zusammenzog. Er dachte an die Geschichte von Nathans verstorbener Mutter, die er Vincent Melo erzählt hatte. Schon allein der Gedanke daran, eines seiner Elternteile zu verlieren, schnürte Rafael den Hals zu.

Erst jetzt erkannte er die beiden Shadowhunter, die hinter Magnus gelaufen waren. Einer von ihnen war ihm unbekannt, doch von dem anderen wurde er kurzerhand in eine enge Umarmung gezogen. Es war sein Onkel Simon, den er schon seit Jahren nicht mehr in die Arme geschlossen hatte. Erleichtert erwiderte Rafael die Umarmung.

»Mach nicht solche Dummheiten«, fing er an, als er sich von Rafael löste, »Das war immer unser Job«, fügte er hinzu, was Rafael schmunzeln ließ. Erneut warf er einen Blick in Nathans Richtung, der immer noch alleine stand und das Geschehen vor sich beobachtete. Tief atmete Rafael ein und ging zu ihm herüber, bevor er ihn in eine spontane Umarmung zog.

Nathan schien zu geschockt zu sein, um die Umarmung zu erwidern; Erst nach einer Weile legte er seine Hände auf Rafaels Rücken und drückte ihn an sich. »Also ist Magnus Bane dein Vater?«, hakte er zögernd nach, woraufhin sich Rafael lachend von ihm löste. »Hättet ihr mir das nicht vorher sagen können?«, sprach er peinlich berührt, doch Rafael klopfte nur freundschaftlich auf seine Schulter. »Echt peinlich«, seufzte Nathan, Rafael schenkte ihm ein Lächeln und wendete sich wieder an seinen Vater, der mittlerweile sein Handy gezückt hatte und es an sein Ohr hielt. Rafael wusste nicht, mit wem er telefonierte, doch all das spielte in diesem Moment keine Rolle.

Erneut trat er auf seinen Vater zu und zog ihn in eine enge Umarmung, die dieser mit seiner freien Hand erwiderte. Er legte seinen Kopf an Magnus' Schulter, während dieser seine Hand an Rafaels Hinterkopf legte. »Ja, ich bringe ihn nach Hause«, hörte er seinen Vater sagen, der vermutlich mit Alec telefonierte. Nachdem er aufgelegt hatte, legte er auch seine andere Hand auf Rafaels Rücken.

»Ich denke, ich muss dir eine neue Kette schenken, nicht wahr?«, hakte Magnus irgendwann nach, woraufhin sich Rafael irritiert von im löste. Tatsächlich hatte er seine Kette bei Magnus in der Vergangenheit gelassen, damit dieser das Portal offen halten konnte, doch wie hatte sein Vater dies so schnell bemerkt?

»Ja, ich... Woher...?«, unsicher schaute er in das Gesicht seines Vaters, auf dessen Lippen sich ein breites Schmunzeln bildete. »Ich erinnere mich«, ließ er Rafael wissen, der überrascht seine Augenbrauen in die Höhe zog.

»Du... erinnerst dich?«, wiederholte er ungläubig und Magnus nickte. »Als ich die Magie des Portals gespürt habe, ist es mir eingefallen«, sprach er, »Der verzweifelte Junge und seine zwei Freunde, die mich damals in meinem Anwesen in London aufgesucht und sich sehr seltsam benommen haben«, erklärte er und hielt Rafael eine Armlänge von sich entfernt.

»Was für einen Unsinn habt ihr getrieben?«, lachte er und nun musste auch Rafael schmunzeln. »Vincent Melo hat ein Zeitportal geöffnet und-«

»Und du dachtest, es wäre eine gute Idee ihm einfach so zu folgen?«, hakte Magnus nach, »Gott bewahre - du bist wie dein Vater«, lachend schüttelte er den Kopf und klopfte leicht auf Rafaels Wange, der versuchte Magnus' Hand auszuweichen. »Du hättest das selbe getan«, erwiderte er, worauf Magnus nichts erwiderte, sondern bloß vielsagend schmunzelte.

»Rafael«, sofort drehte sich Rafael um die eigene Achse, als er Ellies Stimme hinter sich wahrnahm. »Macht es dir etwas aus, wenn ich die Nacht nicht im Institut sondern bei meinen Eltern verbringe?«, hakte sie nach und legte eine Hand auf seine Schulter, »Ich denke, ich möchte jetzt lieber bei ihnen sein«, sprach sie entschuldigend und Rafael nickte verständnisvoll.

»Natürlich«, antwortete er, »Ich glaube, ich werde die Nacht auch nicht im Institut verbringen«, fügte er hinzu und beobachtete, wie Ellie erleichtert grinste. »Du hast uns gerettet«, hauchte sie und trat einen Schritt näher an ihn heran.

»Ich denke, Papa hat wieder einmal unseren Arsch gerettet«, lachte er und dachte an seinen Vater in der Vergangenheit, der hoffentlich bald über Camille hinwegkommen würde. Er konnte ihm nicht genug danken, doch wenigstens wusste er in dieser Zeit, wie dankbar Rafael war.

Auch Ellie lachte und beugte sich vor, um einen Kuss auf seinen Lippen zu platzieren. »Du hast mich vor Vincent Melo gerettet«, sprach sie gegen seine Lippen, sodass er ihren Atem auf seiner Haut spüren konnte. Schlagartig fielen seine Mundwinkel, als er sich an den Moment erinnerte, in dem er den Pfeil abgeschossen hatte. Wieder sah er ihn vor sich liegen; leblos, blutend und unschuldig.

»Ich rufe dich morgen an, okay?«, sprach Ellie, bevor sie sich von ihm löste. Rafael nickte und ließ sie gehen, danach drehte er sich wieder zu seinem Vater, der bereits ein Portal geöffnet hatte. Auf der anderen Seite erkannte Rafael das Wohnzimmer seiner Eltern, weshalb er erleichtert ausatmete. Von Portalen würde er in nächster Zeit vorerst genug haben. Liebevoll legte Magnus einen Arm um seine Schulter und führte ihn in die Richtung des Portals, durch das sie schließlich gemeinsam verschwanden.

Ehe er sich versah, hatte sich ein weiteres Paar Arme um ihn gelegt und er wurde in eine feste Umarmung gezogen, bevor er überhaupt richtig im Wohnzimmer angekommen war. Alec drückte ihn fest an sich und Rafael ließ sich auch in seine Arme fallen - Magnus' Hand ruhte dabei immer noch auf seinem Rücken.

»Wo warst du?«, sprach Alec streng. Er löste sich von Rafael und nahm das Gesicht seines Sohnes in beide Hände, bevor er ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte. Rafael kannte den Blick nur zu gut - Alec war wütend und Rafael wusste nicht, wann er seinen Vater das letzte Mal in diesem Zustand gesehen hatte. Vermutlich war das letzte Mal in seiner Pubertät gewesen, wo er so einigen Unsinn angestellt hatte. Jedes Mal, wenn er diesen Gesichtsausdruck bei seinem Vater gesehen hatte, wusste er, dass er nicht so einfach davon kommen würde.

Auch jetzt setzte das schlechte Gewissen ein und er musste sich daran erinnern, dass er kein Kind mehr war. Alec konnte ihm kein Hausarrest mehr geben oder ihm sein Handy wegnehmen. Dass er jetzt erwachsen war, vergaß er jedes Mal, wenn er sein Elternhaus betrat.

Neben dem Zorn in den Augen seines Vaters erkannte er jedoch große Erleichterung. Seine Augen glitzerten verdächtig und immer noch plagte Rafael das schlechte Gewissen, dass er seinen Eltern solche Sorgen bereitet hatte. »Es tut mir leid, Dad«, sprach er deshalb und wurde kurzer Hand erneut in eine Umarmung gezogen.

»Siehst du die hier?«, er löste sich von Rafael, drehte seinen Kopf und deutete an seinen Haaransatz. Rafael vermutete, dass er seine grauen Strähnen meinte, die er schon seit einiger Zeit hatte. »Die habe ich nur wegen euch Kindern«, sprach und schlug Rafael unsanft gegen seinen Hinterkopf, der daraufhin zusammenzuckte. »Tut mir leid«, sprach er erneut, musste jedoch schmunzeln.

»Ich werde noch an einem Herzinfarkt sterben«, seufzte Alec dramatisch und ging herüber zu ihrem Sofa, auf dem er sich schließlich niederließ. »...und glaubt nicht, dass ich euch dann irgendetwas vererben werde. Das bekommt alles Elvis«, er deutete auf Elvis Catsby, der neben ihm einrollt auf dem Sofa lag und leise schnurrte. »Mein einziges unproblematisches Kind«, fügte er hinzu und strich über sein rotes Fell.

Rafael blickte zu Magnus, der übertrieben die Augen verdrehte und Rafael vielsagend zuzwinkerte. »Ich weiß nicht, wie es euch geht«, sprach er, »Aber ich könnte etwas Schlaf gebrauchen«, er klatschte einmal in die Hände, weshalb Elvis aus seinem Schlaf aufschreckte, und trat zur Wohnzimmertür. »Sehr viel davon«, murmelte er noch und verließ das Wohnzimmer.

Obwohl auch sich auch Rafael nach Schlaf sehnte, setzte er sich zu seinem Vater auf das Sofa und lehnte seinen Kopf an seine Schulter. Er hoffte, dass er wenigstens in dieser Zeit ohne Albträume schlafen könnte, doch sobald er seine Augenlider auch nur annähernd schloss, sah er Vincent Melos Leiche vor sich.

Verzweifelt rückte er etwas näher an seinen Vater und erinnerte sich an die Zeit, in der er als Kind an Alecs Seite gekrabbelt war, wenn ihn in der Nacht Albträume geplagt hatten. »Ich war in der Vergangenheit«, sprach Rafael leise und sein Vater schien hellhörig zu werden.

»Was?«, hakte er nach. »Wir sind Vincent Melo durch ein Portal gefolgt und waren in London«, erläuterte er, »Ich habe Papa gesehen, aber er war über hundert Jahre jünger«, sprach er und konnte selbst nicht glauben, was er erzählte. Alec legte seinen Arm um ihn und drückte ihn näher an sich.

»Er ist tot, Dad«, hauchte Rafael. »Wer?«, fragte sein Vater erschrocken und Rafael schluckte schmerzhaft. »Vincent Melo«, seine Stimme klang belegt und seine Brust zog sich zusammen, »Ich habe ihn umgebracht«, fügte er hinzu und musste erneut schlucken. Er kämpfte gegen die Tränen an, die sich in seinen Augen bildeten und spürte, wie Alec ihn sanft von sich drückte.

»E-er hatte Ellie... Er hätte sie... Ich meine-«, tief holte er Luft, als er versuchte sich zu rechtfertigen, »Er hätte die Vergangenheit verändert und er hätte Ellie beinahe erwürgt und ich konnte nicht... ich-«, er brach ab, als er spürte, wie die erste Träne über seine Wange rollte. Alec war schnell und strich sie vorsichtig von seinem Gesicht.

Rafael hätte erwartet, dass Alec ihn anschrie, ihn von sich stieß oder vielleicht sogar enttäuscht weinte, doch er hätte nicht erwartet, dass sein Vater bloß mitleidig lächelte und ihn erneut in eine Umarmung zog, doch genau das tat er.

»Du weißt, wie der Kalte Frieden entstanden ist, oder?«, hakte Alec irgendwann nach, woraufhin Rafael seine Stirn in Falten legte. »Ja, die Seelie Queen hat mit Jonathan Morgenstern zusammengearbeitet. Dafür wurden die Seelies bestraft«, erwiderte er, verstand jedoch nicht, was das mit Vincent Melos Tod zu tun hatte.

»Auf Wunsch von Jonathan hat die Seelie Queen die Repräsentanten der Unterwelt und der Nephilim nach Edom bringen lassen. Sie hatten sich zu der Zeit in Idris aufgehalten und wurden alle gleichzeitig entführt und Jonathan ausgeliefert«, erklärte Alec, »Luke für die Werwölfe, Clarys Mutter für die Nephilim, Raphael Santiago für die Vampire...«, er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach, »Und dein Vater für die Warlocks«.

Nun wurde Rafael hellhörig, während Alec weitersprach, »Sie wurden nach Edom gebracht und niemand wusste, dass die Seelie Queen verantwortlich war. Clary, Simon, meine Geschwister und ich wollten sie retten und haben nach einem Weg nach Edom gesucht und sind somit bei der Seelie Queen gelandet; so haben wir es herausgefunden«

»Der Repräsentant der Seelies - Meliorn - hatte sie entführt, jeden einzelnen von ihnen«, erzählte er, »Ich hatte ihn noch nie leiden können. Er hatte ein Verhältnis mit Isabelle gehabt und hatte ihr das Herz gebrochen. Dazu kam, dass er Magnus entführt hatte; er hatte ihn nach Edom gebracht und damals hatten wir gedacht, wie würden sie nicht retten können«, Alec zog seine Augenbrauen zusammen und schüttelte seinen Kopf, als ob er diese Erinnerung verdrängen wollte.

»Ich war außer mir und habe mich auf ihn gestützt. Er wollte uns nicht sagen, wie wir nach Edom kommen und ich habe nicht klar denken können. Alles was ich vor mir gesehen habe, war Magnus in Gefahr und es war Meliorns Schuld...«, er redete immer schneller und schneller und brach schließlich ab. Gespannt blickte Rafael in das Gesicht seines Vaters, der irgendwann weitersprach.

»Ich habe meinen Bogen gespannt und abgeschossen«, sprach er schließlich und Rafael hielt seinen Atem an. »Ich habe ihn umgebracht. Einfach so. Es ist eigenartig wie schnell und einfach man ein Leben auslöschen kann«, fügte Alec hinzu.

Rafael war sprachlos; er hatte von Edom gewusst und auch von den entführten Repräsentanten, doch er hatte noch nie von Meliorn gehört. Seit er klein war, hatte er seine Väter als Helden angesehen. Sie hatten immer das Leben anderer über ihr eigenes gestellt, selbst wenn es Fremde waren. Natürlich wusste er, dass seine Eltern für einander so ziemlich alles tun würden, doch er hatte nie gewusst, dass Alec tatsächlich so weit gehen würde.

»Du hast das richtige getan, Rafael«, sprach er letztendlich und zog Rafael wieder in eine enge Umarmung. Stumm legte Rafael seinen Kopf auf die Brust seines Vaters. »Du erzählst es niemandem, hörst du?«, befahl er streng und Rafael konnte nicht anders als brav zu nicken.

»Ihr konntet Melo nicht finden. Er ist einfach verschwunden«, Rafael musste noch nie ein solch großes Geheimnis für sich behalten und hoffte, dass niemand je nachfragen würde. Wenigstens war Ellie in das Geheimnis eingeweiht - er könnte sie nicht anlügen.

»Jede Familie hat Geheimnisse«, hauchte Alec und Rafael konnte die Hand seines Vaters in seinen Haaren spüren. Erneut nickte er.

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(06.07.2019)

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