23. Staub und Asche Part II
»Blood isn't love«, said Magnus, and his voice was bitter. »Just ask Clary.«
→ A Sea Change (City of Lost Souls)
Staub und Asche Part II
Alec schreckte auf, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn sanft schüttelte. Magnus kniete neben ihm an dem Sofa, auf dem Rafael immer noch schlief und Alec spürte den Schmerz in seinen Beinen, der sich langsam erkennbar machte. Seufzend nahm er das Wasserglas an, was Magnus ihm entgegenhielt und trank einen großen Schluck. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich an Rafaels Seite einschlafen würde, doch es war passiert.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, sprach Magnus und erhob sich elegant, wobei er Alec versuchte mit sich zu ziehen. Stöhnend stellte sich Alec auf beide Beine, die mit jeder Bewegung schmerzten, und warf noch einen letzten Blick auf seinen Sohn, der seelenruhig schlief.
Abwesend nickte Alec und folgte Magnus ans andere Ende des Raumes. An einem kleinen Esszimmertisch nahm er neben Alma und Joaquín Platz und deutete auch Alec sich neben ihn zu setzten. Alma warf Alec ein schmales Lächeln zu, was er versuchte zu erwidern.
»Zeig mir den Stein«, bat Magnus und Alec musste lange überlegen, bis er wusste, was sein Mann meinte. Er zog den kleinen Stein aus seiner Hosentasche und übergab ihn in Magnus' Hände, der ihn genau musterte. »La Piedra del Rey«, murmelte Magnus, sodass sich jeder am Tisch etwas näher zu ihm beugte, um ihn richtig zu verstehen.
»Der Stein des Königs«, übersetzte er für Alec, der stumm nickte, »Er dient um Baal zu rufen. Baal ist hebräisch für König. Der oberste König der Hölle«, informierte er alle Anwesenden. Irritiert zog Alec seine Augenbrauen zusammen.
»Warum wollte Elson den obersten König der Hölle rufen?«, fragte er verwirrt nach. Magnus strich mit seinem Daumen über die Gravur des Steins. »Vielleicht aus dem selben Grund, warum Valentine damals Raziel rufen wollte«, rätselte er und Alec nickte nachdenklich.
»Glaubst du, Baal ist sein Vater? Immerhin war er ein ziemlich mächtiger Warlock«, hakte Alec nach und sah, wie ihn Magnus prüfend musterte, »Natürlich nicht mächtiger als du«, fügte er schnell hinzu und schmunzelte, als Magnus' Mundwinkel zufrieden zuckten. Aus dem Augenwinkel beobachtete Alec, wie Joaquín Magnus genau musterte. Während Alma relativ entspannt in der Anwesenheit des Warlocks wirkte, schien ihr Sohn seine Bedenken zu haben. Natürlich konnte Alec seine Angst verstehen; bis jetzt hatte der Junge nur schlechte Erfahrungen mit Warlocks gemacht. Es war nur wenige Tage her, dass er seinen eigenen Vater verloren hatte.
»Es wäre möglich«, sagte Magnus schließlich und umfasste des Stein mit beiden Händen. Kurz schloss er seine Augen und murmelte etwas undeutliches, bevor sie wieder öffnete und seine Handflächen zeigte. Der Stein war verschwunden und Joaquín sah nicht begeistert aus.
»Der Stein ist an einem sicheren Ort, wo ihn niemand finden wird«, Magnus schien den skeptischen Blick seines Gegenübers bemerkt zu haben und versuchte ihn zu beruhigen. »Wo?«, hakte Alec verwirrt nach und merkte erst spät, wie dumm seine Frage gewesen war. Magnus' Blick sprach Bände – es genügte ein genervter Blick seinerseits um Alec zum Schweigen zu bringen.
Für einen Moment lag Stille zwischen den Vieren, bis ein leises Husten von Rafael durch den Raum hallte. Sofort drehte sich Alec zu seinem Sohn um, der immer noch seine Augen geschlossen hatte. Überraschend stellte er fest, dass auch Magnus sich umgedreht hatte und seinen Sohn besorgt musterte. Einen Gesichtsausdruck, den er heute in dieser Form noch nicht bei ihm gesehen hatte.
»Es tut mir leid«, Alma brach die Stille und alle Blicke lagen somit wieder auf ihr. »Was ich über Unterweltler – über Warlocks – gesagt habe«, sprach sie ehrlich und Alec schenkte ihr ein schmales Lächeln. Magnus' Ego schien sie mit diesem Kommentar ein bisschen zu sehr zu pushen. Selbstsicher lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schmunzelte.
»Was hast du gesagt?«, fragte Magnus unschuldig und Alec verdrehte die Augen. Geschockt riss Alma die Augen auf und schien um jedes Wort zu ringen, bis Alec sie erlöste. »Das spielt keine Rolle mehr«, sagte er und sah, wie Alma erleichtert ausatmete.
Gerade wollte Magnus etwas erwidern, als ein lautes Klirren ertönte. Erschrocken zuckten alle Anwesenden zusammen und blickten in Richtung des Sofas. Almas Schwester stand vor Rafael, ein Tablett vor ihren Füßen, davor ein Haufen von Scherben und Gebäck, das sie vermutlich eben noch getragen hatte. Völlig entgeistert schaute sie zu Rafael, der aufrecht auf dem Sofa saß – seine großen dunklen Augen waren weit aufgerissen, als er die fremde Frau vor sich musterte.
Irritiert legte Alec seine Stirn in Falten. Die Frau wusste, dass Rafael auf ihrer Couch schlief, schließlich hatte sie Alec doch darum gebeten seinen Sohn dort abzulegen. Der Blick der Frau glitt zu Alma, Tränen glitzerten in ihren Augen. Sofort sprang Alma auf und versuchte ihre Schwester auf Spanisch zu beruhigen.
»Se ve como Erico!«, immer wieder wiederholte die aufgebrachte Frau diesen Satz, doch das einzige, was Alec verstand, war der Name am Ende des Satzes. Tränen liefen über ihr Gesicht und sie deutete auf Rafael, wobei sie immer und immer wieder den Namen wiederholte.
»Morena...«, beruhigend versuchte Alma sie anzusprechen, doch ihre Schwester wollte ihr nicht zuhören. Immer wieder glitt Morenas Blick zu Rafael, danach zu ihrer Schwester. Alma versuchte auf Spanisch zu diskutieren, doch Morena blockte ab. Alec hörte weitere Namen in ihrer Konversation, doch keiner davon kam ihm bekannt vor. Es ärgerte ihn, dass jeder in diesem Raum der spanischen Sprache fähig war außer er.
Hilflos schaute er zu Magnus, der die Diskussion der beiden Frauen genau verfolgte. Seine Stirn war in Falten gelegt und er wirkte angespannt. Tatsächlich schien es wohl einen triftigen Grund zu geben, warum Morena derartig ihre Fassung verlor.
»Magnus«, flüsterte Alec, in der Hoffnung sein Mann könnte ihm erklären, was genau gerade vor sich ging, doch dieser hob bloß seine Hand und deutete Alec ruhig zu sein. Widerwillig schwieg Alec und schaute zu Rafael, der immer noch ängstlich zu den beiden Frauen sah und langsam ans andere Ende der Couch rutschte. Morenas Blick blieb auf ihm hängen und sie begann mit ihm zu sprechen. Rafael hörte eingeschüchtert zu und schüttelte immer wieder den Kopf.
»No, soy Rafael«, hauchte er immer wieder und versuchte mit seinen Eltern Augenkontakt aufzunehmen. Auch Alec war überrascht, als Morena schließlich vor Rafael auf die Knie fiel. Der arme Junge wirkte vollkommen verwirrt und rutschte so weit es ging zurück. Magnus erhob sich aus seinem Stuhl und trat auf Rafael und Morena zu. Alma hatte eine Hand auf die Schulter ihrer Schwester gelegt und versuchte weiterhin auf sie einzureden, doch Morena redete weiter mit Rafael.
Irgendwann schaffte Magnus es das Wort zu ergreifen. Er hatte sich neben Rafael auf das Sofa gesetzt und versuchte Morenas Hände vorsichtig von Rafael zu lösen, die sie auf die Knie des Jungen gelegt hatte. Unsicher suchte Rafael die Nähe seines Vaters und rückte etwas dichter an ihn heran. Ganz ruhig begann Magnus auf Spanisch zu reden und tatsächlich schaffte er es, dass Morena ihm zuhörte.
So sehr wünschte Alec, dass er sie verstehen könnte, doch es waren nur einzelne Wörter, die er erkannte. Irgendwann traf sein Blick den von Magnus, der ihn unsicher musterte. Demonstrativ zuckte Alec mit den Schulter, um Magnus zu zeigen, dass er rein gar nichts verstanden hatte, doch auch dann wollte ihn Magnus nicht aufklären.
Irgendwann erhob sich Morena und lief zu einem der vielen Regale, die im Wohnzimmer standen. Hektisch öffnete sie jegliche Schränke und Schubladen, bis sich fand, wonach sie zu suchen schien. Es war ein Fotoalbum, das bereits sehr mitgenommen aussah; der Umschlag war verblichen und eingerissen und auch die Seiten sahen aus, als würden sie jeden Moment auseinanderfallen. Schnell lief sie wieder an Rafael und Magnus' Seite und schlug das Album an einer zufälligen Stelle auf.
Unauffällig beugte sich Alec vor, um ein Blick in das Album zu erhaschen, doch er konnte nichts erkennen. Morena blätterte noch einige Seiten weiter – jedes der Bilder wurde von Magnus und Rafael genau gemustert. Es war schwer Magnus' Gesichtsausdruck zu interpretieren. Es war eine Mischung aus Überraschung und Sorge und Alec wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte.
Gerade wollte Morena erneut umblättern, als Magnus seine Hand zwischen die Seiten legte. Er strich über eines der Fotos und ganz vorsichtig löste er es von dem Papier. Lange schaute er es an, hielt es ganz behutsam vor sich, als hätte er Angst, es könnte zerfallen. Zögernd ließ er seinen Blick von dem Bild zu Alec schweifen, der seine Augenbrauen fragend in die Höhe zog. Wortlos hielt Magnus ihm das Foto entgegen.
Es war so still im Raum, dass Alec die goldene Wanduhr ticken hören konnte. Es war zwei Uhr, was bedeutete, dass Max' Schule nun aus war. Alec fragte sich, wer seinen Sohn nun wohl abholen würde und was Charlotte machte. Magnus hatte sich bestimmt darum gekümmert. Alec versuchte an alles andere zu denken, als an das Foto, das Magnus ihm entgegenhielt. Er wollte nicht wissen, was seinen Mann und seinen Sohn so sehr verunsicherte, doch die Neugier trieb ihn dazu sich von seinem Stuhl zu erheben.
Ganz langsam trat er hinüber zum Sofa. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und kurz sah er zu Alma, die sich eine Hand vor den Mund hielt – ihre Augen glitzerten verdächtig. Er nahm das Foto entgegen und betrachtete es für einen Moment.
Sein Herz blieb stehen, danach schien sich sein Herzschlaf um das Dreifache zu beschleunigen. Beinahe wollte er laut lachen – dieser Tag wurde immer verrückter und unrealistischer. Er wartete nur darauf, dass jeden Moment ein Kamerateam um die Ecke kam und laut »REINGELEGT« schrie, doch nichts der gleichen passierte.
Das Bild zeigte einen kleinen Jungen, der in einem niedlichen Schlafanzug auf einem Teppichboden saß und unschuldig in die Kamera schaute. Vor ihm ausgestreckt lag eine grau gestreifte Katze, die sich von ihm streicheln ließ. Große dunkle Augen waren das, was aus dem Bild herausstach und Alec hätte diese Augen unter tausenden erkannt. Die kleine Stupsnase, die langen Wimpern, die großen Augen; es war -
»Nicolás«, sprach Morena an Alec gewandt, der daraufhin zu ihr schaute. Er konnte die Spuren auf ihrem Gesicht erkennen, die die Tränen hinterlassen hatten. »Und Benni«, fügte Magnus hinzu und drehte das Fotoalbum so, dass Alec es sehen konnte. Er sah noch viele andere Fotos mit der grauen Katze und daneben konnte er die Wörter »Nicolás y Benni«, erkennen. Magnus hatte ihm damals nie geglaubt, dass Rafael seine Stoffkatze selbst benannt hatte, doch nun hatte er den Beweis.
»Ja, Benni«, hauchte Alec schmunzelnd und blickte zu Rafael, der ihn unsicher musterte. Alec schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, doch auch das schien nichts zu bewirken. Auch Magnus schien die Unsicherheit seines Sohnes zu bemerken und legte das Fotoalbum vorsichtig auf Rafaels Schoß. »Das bist du«, ließ er ihn wissen und schlug noch mehr Seiten auf, als Rafael keine Regung zeigte. Der Blick von Alecs Sohn war auf Morena gerichtet – auch sie betrachtete Rafael genau.
Während Magnus weiterhin die Bilder betrachtete, hatte Alec das Verlangen sich einfach hinzusetzten, doch alle Sitzmöglichkeiten schienen viel zu weit entfernt. Niemals hätte er gedacht, dass er sich jemals in dieser Situation befinden würde. Rafaels Mutter stand vor ihm. Die Mutter seines Sohnes. Er konnte nicht anders, als sich das Schlimmste auszumalen; hatte sie das Recht ihren Sohn hierzubehalten? Würde sich Alecs Leben nun verändern? Er versuchte sich in ihre Lage zu versetzten, doch in diesem Moment konnte er nur egoistisch sein.
Rafael war sein Sohn, sein Baby, sein Ein und Alles und er würde vermutlich töten, bevor irgendjemand es wagen würde, ihn wegzunehmen.
Er wollte nach Hause; einfach nur weg von diesem Ort, von dieser Frau. So niedlich die Fotos auch waren, er wollte sie nicht sehen. Er wollte Rafaels echten Namen nicht wissen und auch nicht, wie seine damalige Katze aussah. Er wollte Max von der Schule abholen und seinen Kindern Abendessen kochen und vor allem wollte er, dass sich auch Rafael wieder wohlfühlte. Der arme Shadowhunter saß dicht neben Magnus auf dem Sofa und wirkte vollkommen verwirrt und eingeschüchtert.
»Mi hijo«, mein Sohn sagte sie immer und immer wieder und langsam wurde auch Alec nervös. Wieder kniete sich Morena auf Rafaels Höhe und legte eine Hand an seine Wange. Am liebsten hätte Alec sie augenblicklich von seinem Sohn gezogen, doch er riss sich zusammen. Magnus kannte ihn zu gut; streng schaute er Alec an, als ob er seine Gedanken lesen konnte.
Es war nicht ihr Sohn. Vielleicht biologisch gesehen, doch sie hatte Rafael nicht aufgezogen. Alec hatte den kleinen Jungen verwahrlost auf der Straße gefunden. Er hatte ihn Nächte lang in seinem Bett schlafen lassen, auch wenn er deswegen selbst nicht hatte schlafen können. Er hatte Rafael getröstet, wenn er traurig gewesen war. Er hatte sich um ihn gekümmert, wenn er krank gewesen war – was oft passiert war. Morena hatte ihn vielleicht als Baby und Kleinkind kennengelernt, aber Alec war von früh bis spät zwölf Jahre lang an seiner Seite gewesen und irgendeine fremde Frau aus Argentinien würde ihn nicht daran hindern, noch weitere Jahre an Rafaels Seite zu verbringen.
Danach begann eine lange Konversation, doch Alec konnte kein Wort verstehen. Nervös hatte er sich auf einen der Esszimmerstühle gesetzt und hing an Magnus' Lippen, während der Warlock flüssig auf Spanisch erzählte. Morena hörte ihm ebenfalls gespannt zu – hier und da verdrückte sie eine Träne oder wischte sich mit der Hand über ihr Gesicht. Rafael blieb stumm, genauso wie Alma und Joaquín, die das Geschehen aus der Ferne betrachteten.
Manchmal konnte Alec einen Satz verstehen und einige male erklang sein eigener Namen, manchmal zeigte Magnus auf ihn. Später hatte Magnus Alec erzählt, dass er die ganze Geschichte erzählt hatte; wie Alec Rafael auf der Straße gefunden hatte, wie sie ihn bei sich aufgenommen hatten, da seine leiblichen Eltern eigentlich für tot erklärt worden waren. Er hatte von Max erzählt und von Charlotte und als ihre Namen in der Konversation gefallen waren, hatte Alec sogar ein schmales Lächeln auf Rafaels Lippen erkennen können.
Magnus hatte erzählt, dass sie verheiratet sind und schon lange zusammen lebten. Außerdem hatte er hinzugefügt, dass sie Repräsentanten der Unterwelt sind. Morena hatte all diese Information vermutlich nicht besonders begeistert, zumindest wenn sie so wie alle anderen Shadowhunter in Buenos Aires dachte. Trotzdem hatte sie es sich nicht anmerken lassen und hatte Magnus gespannt zugehört, bis sie schließlich geredet hatte.
Auch das hatte Magnus später für Alec übersetzt. Morena war mit ihrem Mann Erico in Buenos Aires aufgewachsen. Sie hatten schon immer in dieser Gegend gewohnt, bis eines Tages Jonathans Attentat auf das Institut stattgefunden hatte. Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte sich die ganze Familie im Institut befunden, da einmal im Monat eine Versammlung aller Shadowhunter im Umfeld stattgefunden hatte. Jonathan musste dies gewusst haben und hatte im richtigen Moment zugeschlagen. Morena hatte versucht sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen; Rafael hatte noch zwei weitere Geschwister – einen Bruder namens Thiago und eine Schwester namens Sofia, die beide älter als er waren. Alec hatte sie in dem Fotoalbum gesehen. Sie sahen Rafael sehr ähnlich, vor allem Sofia, die nur ein oder zwei Jahre älter zu sein schien und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich war.
Thiago war der älteste gewesen – bestimmt mehr als fünf Jahre älter als Rafael – doch er war bei dem Angriff auf das Institut ums Leben gekommen. Jonathan hatte viele Anwesende in Endarkened verwandelt, so auch Rafaels Vater Enrico – dem Rafael wirklich sehr ähnlich sah – doch Thiago war bei der entstandenen Massenpanik mit vielen weiteren ums Leben gekommen. Morena hatte ab diesem Zeitpunkt gedacht, dass auch Rafael an diesem Tag verstorben war. Nachdem Jonathan einige Shadowhunter mit sich genommen hatte, hatte er das Institut in Brand gesetzt und viele Leichen waren einfach verbrannt, ohne dass man sie hatte identifizieren können. Morena hatte vermutet, dass ihr jüngstes Kind eine dieser Leichen gewesen war.
Alec hatte außerdem erfahren, dass Rafael eigentlich jünger war, als sie gedacht hatten. Da sie Rafaels richtigen Geburtstag nie gewusst hatten, hatten sie jedes Jahr den Tag gefeiert, an dem Rafael zu ihnen gekommen war – der Tag vor Heiligabend. In all den Dokumenten, die der junge Shadowhunter besaß, war der 23. Dezember als sein Geburtstag eingetragen. Sie hatten damals vermutet, dass er vier Jahre alt war, doch Rafael war damals erst drei gewesen. Sein vierter Geburtstag war am 15. Juni, also mehr als ein halbes Jahr später gewesen, was den Shadowhunter nun fünfzehn und nicht sechzehn machte, doch Alec war sich ziemlich sicher, dass Rafael seinen alten Geburtstag beibehalten wollte.
Als Morena Rafael von seiner Schwester erzählt hatte, war dieser sogar ein bisschen aufgetaut. Seine Augen hatten geleuchtet, als er von Max und Charlotte erzählte und dabei betitelte er Charlie sogar als seine kleine Schwester. Alec hatte nicht alles verstanden, was Rafael über sie erzählt hatte, aber es hatte sich positiv angehört.
Nun saß Magnus neben Morena auf dem Sofa und zeigte ihr Bilder auf seinem Handy – alle von Rafael; jegliche Fotos von verschiedenen Weihnachten, Rafael mit Baby-Charlotte, mit seinen Cousins und mit Max, Fotos von Urlauben und Geburtstagen. Das Foto, was Morena am längsten anschaute, war das von Rafaels Runen-Zeremonie. Stolz stand Rafael auf dem Bild neben Alec und zeigte seine Rune direkt in die Kamera, während Alec stolz auf ihn hinuntersah. Es war ein Tag, den auch Alec die vergessen würde. Vermutlich war es der stolzeste Tag für jedes Nephilim-Elternteils. Es war also kein Wunder, dass es gerade das Bild war, was Morena so lange betrachtete.
Alec verstand nicht, wie Magnus so entspannt auf dem Sofa sitzen konnte. Er selbst machte sich in diesem Moment so viele Gedanken, dass er schon gar nicht mehr klar denken konnte. Im Moment war er sehr zufrieden mit seinem Leben; er hatte Angst, dass sich nun vieles ändern würde, vor allem für Rafael.
»Dad, kannst du dich endlich hinsetzten?«, beschwerte sich Rafael irgendwann, woraufhin Alecs Blick überrascht zu seinem Sohn glitt. Dieser saß neben Magnus und hatte seine Arme vor der Brust verschränkt. »Du machst mich nervös«, fügte er hinzu. Schon eine ganze Weile war Alec im Zimmer auf und ab gegangen. Er konnte sich nicht einfach auf die Couch setzten – neben Rafaels Mutter – und so tun, als wäre nichts passiert.
Kurz schaute auch Magnus zu seinem Sohn und legte eine Hand auf dessen Oberschenkel. Vielsagend schaute er danach Alec an, der tief durchatmete und sich schließlich tatsächlich zu Rafael setzte. Fast automatisch glitt Magnus' Hand von Rafaels Bein zu seiner Hand, die er ohne hinzusehen von seinem Mund wegführte. Rafael hatte damals die Angewohnheit gehabt, die Haut an seinen Fingernägeln wund zu beißen, wenn er nervös war. Obwohl er es schon lange nicht mehr gemacht hatte, war Magnus' Bewegung immer noch wie ein Reflex gewesen. Rafael musste also mindestens so nervös wie Alec sein, um diese Gewohnheit wieder anzufangen.
»Wann können wir nach Hause gehen?«, fragte Rafael leise an Alec gewandt, der panisch überlegte, was er antworten sollte. Sie konnten nicht einfach aufstehen, nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts passiert. Das wäre Morena gegenüber alles andere als fair.
»Mamá?«, gerade wollte Alec antworten, als eine Stimme aus dem Flur ertönte. Sofort schoss Morenas Kopf in die Höhe und alle Augen richteten sich auf ein junges Mädchen, dass in der Tür zum Wohnzimmer stand. Sie hatte lange schwarze Haare und große braune Augen, die Alec sehr bekannt vor kamen. Er hatte nicht gewusst, dass sich Geschwister mit unterschiedlichem Geschlecht so ähneln konnten, aber das Mädchen vor ihm schien eine Kopie von Rafael zu sein. Sie wirkte etwas reifer und obwohl Alec wusste, dass sie erst siebzehn oder achtzehn sein musste, wirkte sie noch älter.
Es war Sofia, Rafaels große Schwester. Zögernd stellte sie ihren Rucksack in die Ecke, den sie bis eben auf dem Rücken getragen hatte. Sie trug eine Schuluniform; ein blaues Shirt mit einem blauen Rock und musste dementsprechend wohl gerade aus der Schule kommen.
»Sofia!«, rief Morena vollkommen aufgelöst und erhob sich von ihrem Platz auf dem Sofa. Morena sprach so schnell auf ihre Tochter ein, dass Alec keine Chance hatte sie zu verstehen, aber er nahm an, dass sie versuchte ihrer Tochter die Situation zu erklären. Immer wieder deutete sie auf Rafael und Sofias Augen wurden groß, als sie zu verstehen schien.
Ihre Reaktion war anders als die ihrer Mutter. Wahrscheinlich konnte sie sich nicht mehr richtig an ihren kleinen Bruder erinnern. Natürlich war sie überrascht, aber es schien sie emotional nicht so zu berühren wie Morena. Ein schmales Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie Rafael musterte, der ihr zögernd winkte. Beinahe wollte Alec aufgrund dieser unangenehmen Situation laut lachen.
»Wow, du siehst aus wie Papá«, lachte sie – sogar in Englisch – und bestätigte somit das, was Morena und Alma vorhin gesagt hatten. Alec war überrascht, wie locker sie wirkte, während er selbst nervös mit seinem Bein auf und ab wippte.
Immer wieder schaute er auf seine Armbanduhr, während sich die anderen angeregt unterhielten, und rechnete jedes mal aufs Neue die Zeit in Brooklyn aus. Er wollte Magnus fragen, was nun mit Max und Charlotte geschehen war und wer auf sie aufpasste, aber er wollte seinen Mann nicht unterbrechen, vor allem wenn Alec gerade die Chance hatte Magnus Spanisch sprechen zu hören. Er würde lügen, würde er leugnen, dass es Magnus nicht noch attraktiver machte.
Morena bestand auf ein Foto von Rafael und Sofia zusammen. Obwohl Rafael in Alecs Augen natürlich das hübscheste Kind der Welt war, war er schon immer unheimlich unfotogen gewesen. Man sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte und Alec hatte großes Mitleid mit ihm, trotzdem musste er wegen des Fotos schmunzeln.
Es war bereits dunkel, als auch Magnus einen Blick auf seine Uhr warf. Seine Augen weiteten sich und er richtete sich ruckartig auf, was Alec erleichtert ausatmen ließ. Entschuldigend wendete er sich zu Morena und Alec konnte gerade noch so verstehen, wie Magnus ihr erklärte, dass sie nach Hause mussten, da zwei andere Kinder auf sie warteten. Den ganzen Tag lang hatte Morena sehr verständnisvoll gewirkt, doch jetzt wechselte sich ihre Stimmung schlagartig. Ihre Mundwinkel vielen und sie legte ihre Stirn in Falten.
»No, no, no«, sprach sie aufgebracht und erhob sich von ihrem Platz auf dem Sofa. Alec hatte sie bereits aufgerichtet und auch Rafael wollte sich gerade erheben, als Morena ihn wieder zurück in die Kissen drückte. Sie kniete sich vor Alecs Sohn und legte ihre Hände auf seine Beine, um ihn da zu halten, wo er war. Mit großen Augen schaute Rafael auf seine Mutter, danach zu Magnus, der immer noch neben ihm saß. Erneut entschuldigte sich Alecs Mann bei Morena und versuchte ihre Hände sanft von Rafael zu lösen.
»Nein, mein Sohn«, sprach sie immer wieder auf Spanisch, was Alec immer unruhiger machte. Auch Rafael rutschte nervös immer weiter von ihr weg. Irgendwann nahm Morena Rafaels Gesicht in beide Hände und redete aufgebracht auf ihn ein. Immer wieder schüttelte der junge Shadowhunter mit dem Kopf und versuchte ihre Hände von seinem Gesicht wegzudrücken.
»Nicolás«, erneut bildeten ich Tränen in Morenas Augen und erneut bettelte sie Rafael an zu bleiben. »Du kannst bleiben; bei mir und Sofia. Du kannst hier im Institut lernen«, schlug sie vor und je öfter Rafael sie wegstieß, desto verzweifelter wurde sie. Natürlich war es etwas kühl von Rafael seine Mutter einfach so abzuweisen, aber er war noch ein Kind. Er wirkte so erwachsen und oft musste Alec sich selbst daran erinnern, dass er noch so jung war.
»Lass mich«, sagte er ganz leise, diesmal war ihm dieser Satz sogar auf Englisch herausgerutscht, weshalb Morena ihn wahrscheinlich nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Alec schätzte letzteres. Als Morena immer noch nicht von ihm ablassen wollte, trat Alec instinktiv dazwischen. Er griff nach der Schulter der Frau und zog sie von seinem Sohn weg; ihm war dabei egal, wer diese Frau war – dass sie Rafael auf die Welt gebracht hatte. Sobald er sah, dass eines seiner Kinder Angst hatte, griff er ein.
Auch Magnus war eingeschritten und legte einen Arm beschützend um seinen Sohn, der immer näher zu seinem Vater gerückt war. Morena wehrte sich gegen Alecs Griff und Magnus zog Rafael auf die Beine, um etwas mehr Abstand zwischen ihm und Morena zu schaffen.
»Nicolás!«, bitterlich weinte sie und Alec ließ von ihr ab. Sie kniete sich vor Rafael und Magnus und bettelte ihren Sohn an zu bleiben, doch Rafael sah nicht so aus, als würde er einen Gedanken dafür verschwenden. »Mamá, no!«, es war Sofia die ihre Mutter unterbrach.
»Das ist nicht Nicolás«, ließ sie ihre Mutter auf Spanisch wissen, die ihrer Tochter jedoch keine Aufmerksamkeit schenkte. »Das ist Rafael, das ist nicht Nicolás«, wiederholte sie sich und kniete sich zu ihrer Mutter auf den Boden. Sanft legte sie eine Hand auf ihre Schulter und versuchte sie zu beruhigen. »Und er wird nie mehr Nicolás sein«, fügte sie hinzu und schenkte Rafael und Magnus ein schmales Lächeln.
»Ich bin seine Mutter«, stritt sie ab, doch erneut schüttelte Sofia ihren Kopf. Alec verstand nicht alles, was sie daraufhin sagte, aber er hörte heraus, dass sie Morena versuchte zu erklären, dass Magnus und er nun Rafaels Eltern waren.
»Aber sie sind zwei Männer«, beinahe hätte Alec gelacht; er hatte sich schon gefragt, wo die homophoben Kommentare geblieben waren, schließlich hatte sich Morena der Situation gegenüber viel zu ruhig verhalten. »Und?«, sprach Sofia und legte ihre Stirn in Falten. Morenas abweisender Blick lag vor allem auf Magnus. Alec wusste nicht, ob es daran lag, dass er ein Warlock war, oder dass er sich etwas extravaganter kleidete als manche andere. Magnus fiel immer auf, vermutlich auch ohne sein Äußeres.
»Magnus ist ein Warlock. Rafael ist nur ein Portal entfernt«, sagte Alec an Sofia gewandt, die es schließlich ihrer Mutter übersetzte. Morena ließ sich auch damit nicht zufrieden geben. »Wir kommen euch besuchen«, versicherte Magnus und kniete sich zu Morena, um ihr sanft über die Schulter zu streichen. Es war untypisch für Rafael, doch er klebte förmlich an Magnus' Seite. Als sich der Warlock wieder aufrichtete, stellte sich der junge Shadowhunter sofort wieder an die Seite seines Vater und griff unauffällig in den Stoff von Magnus' Ärmel.
Lange hielten Magnus und Morena Blickkontakt, danach Morena und Rafael. Langsam wurde Alec ungeduldig, doch schon bald trat Magnus einen Schritt vor. Rafael war ihm dicht auf den Fersen, als er an Morena und Sofia vorbeiging und sich zu Alec stellte, bevor er mitten im Raum ein Portal öffnete. Mit großen Augen schaute Morena zu ihrem Sohn.
»Warte!«, diesmal sprach sie sogar auf Englisch. Schnell richtete sie sich auf und griff nach einem der Fotos auf dem kleinen Kaffeetisch vor dem Sofa, danach lief sie schnellen Schrittes auf Alec zu. »Danke, dass ihr ihn liebt«, sagte sie auf gebrochenem Englisch, was Alec vollkommen überraschte. Er nahm das Foto entgegen, was Rafael als kleines Baby zeigte; es schien als konnte er gerade so von alleine sitzen. Große braune Augen schauten in die Kamera und nur zwei kleine Zähne waren annähernd zu erkennen, da er breit lachte.
»Mehr als alles andere auf der Welt«, versicherte Magnus ihr, da Alec nicht in der Lage war, ein weiteres Wort von sich zu geben. Auch Rafael schmunzelte aufgrund von Magnus' Kommentar und lehnte sich an die Seite seines Vaters, der stolz auf ihn heruntersah und ihn fest an sich drückte.
»Danke«, sprach Alec schließlich und deutete auf das Foto in seinen Händen. Morena nickte – die Tränen standen immer noch in ihren Augen. Danach schaute Alec zu Magnus, der dies als Signal nahm, dass es an der Zeit war zu gehen. Auch er nickte Morena zu und trat durch das Portal, dicht gefolgt von Rafael, der nicht mehr zurückschaute. Noch für einen kurzen Moment schaute Alec zu Morena, die ihrem Sohn hinterher sah.
»Er ist ein wundervoller Junge«, fügte Alec noch hinzu und sah Morena leicht schmunzeln, bevor er sich schließlich ebenfalls auf den Weg durch das Portal machte.
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Erleichtert seufzte Alec, als er seine eigenen vier Wände ausmachen konnte. Das eigene Wohnzimmer war ihm in diesem Moment tausend mal lieber, als das in Buenos Aires. Außerdem war das Klima um einiges angenehmer und beinahe fror er in seinem T-Shirt. Mitten im Raum stand Magnus, der Rafael fest in seine Arme geschlossen hatte. Der Junge Shadowhunter hatte seinen Kopf an die Schulter seines Vaters gelegt und schaute ins Leere, während Magnus ihm beruhigend über den Rücken strich.
»Wo sind Charlie und Max?«, hakte Alec nach – eine Frage, die ihm schon den ganzen Tag auf dem Herzen gelegen hatte. »Bei Jace und Clary«, antwortete Magnus knapp, »Ich werde sie fragen, ob die Kinder über Nacht bleiben dürfen«, fügte er noch hinzu und schaute Alec vielsagend an. Sein Blick sagte mehr als tausend Worte und Alec verstand sofort; es wäre besser, wenn Rafael nur für heute Nacht alleine mit Magnus und Alec war.
»Dann bist du wohl heute Einzelkind«, schmunzelnd trat Alec auf Magnus und Rafael zu und strich seinem Sohn kurz durch die dunklen Locken. Dieser verzog jedoch keine Miene und schloss nur erschöpft seine Augen, während er sich in Magnus' Armen gerade zu hängen ließ.
»Ich glaube, wir sollten alle ins Bett gehen«, schlug Magnus vor und klopfte Rafael auf die Schulter, bevor er ihn sanft von sich drückte. Rafael wirkte so klein und zierlich in Magnus' Armen; der Warlock war mindestens zwei Köpfe größer als er und obwohl Rafael erst sechzehn war und vermutlich noch wachsen würde, würde er Magnus' Größe wahrscheinlich niemals erreichen. Nachdem Alec Rafaels biologische Familie nun kennengelernt und seinen Vater auf Bildern gesehen hatte, ging er davon aus, dass sein Sohn nicht mehr viel wachsen würde. Alec selbst war durchschnittlich groß – immer noch einen Kopf kleiner als Magnus, aber vermutlich würde Rafael auch ihn nicht einholen können.
Max hingegen war mit seinen vierzehn Jahren ziemlich groß und Alec würde sogar behaupten, dass Max und Rafael mittlerweile die gleiche Größe hatten. Max zog Rafael gerne damit auf und Alec konnte darauf wetten, dass Max eines Tages größer sein würde als er selbst. Es war eine komische Vorstellung, schließlich kam es ihm wie gestern vor, dass er seinen Erstgeborenen in seinen Armen gehalten und durch die Gegend getragen hatte.
Seufzend löste sich Rafael von Magnus und schlürfte durch den Flur in die Richtung seines Zimmers. Lange schauten die beiden Väter ihrem Sohn hinterher, bevor er schließlich in seinem Zimmer verschwunden war und sie wenig später die Dusche im anliegenden Bad hören konnten.
»Ich glaube, nach dem heutigen Tag brauche ich erst einmal zwei Wochen Urlaub«, stöhnte Alec und streckte sich ausgiebig, während er gähnte. Er konnte nicht glauben, dass der heutige Tag wirklich nur vierundzwanzig Stunden gehabt hatte. Er hatte Elson Dust getötet, er hatte Rafaels Mutter kennengelernt. Außerdem erinnerte er sich noch an die unendliche Angst, die er um seinen Sohn gehabt hatte, als dieser vor ihm auf die Knie gefallen war, einen Dolch in seiner Brust.
»Wir sollten mit ihm reden«, sagte Alec noch und sah, wie Magnus nachdenklich nickte. Sein Blick war immer noch in die Richtung von Rafaels Zimmer gerichtet. »Du solltest mit ihm sprechen«, schlug Magnus war, was Alec überraschte. »Er scheint heute sehr an dir zu hängen«, stellte Alec unsicher fest, doch Magnus schüttelte leicht den Kopf.
»Du kannst so etwas besser als ich«, argumentierte er, worauf Alec keine Antwort mehr wusste. Magnus trat langsam auf ihn zu und drückte einen Kuss auf seine Wange, bevor er ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte und in die Richtung ihres Zimmers verschwand.
Nachdem auch Alec ausgiebig geduscht hatte, war er leise in Rafaels Zimmer geschlichen, dass vollkommen abgedunkelt war. Die Rollos waren nach unten gezogen und jegliche Lichter ausgeschaltet worden, trotzdem erkannte Alec seinen Sohn, der unter der Decke auf seinem Bett lag und sich nicht rührte. Vorsichtig trat Alec näher an ihn heran, bis er sich auf die Bettkante setzten konnte. Rafaels Augen waren offen, doch er reagierte nicht auf seinen Vater, der seine Hand sanft auf seine Schulter legte. Er lag mit dem Rücken zu Alec und starrte gegen die weiße Wand.
»Raffie?«, hakte Alec nach, doch auch daraufhin erhielt er keine Regung von seinem Sohn. »Sollen wir reden?«, fragte er weiter. Diesmal schüttelte Rafael leicht seinen Kopf. »Ich rede und du hörst zu – ist das besser?«, schlug Alec vor und wusste genau, dass Rafael wusste, dass er sich nun geschlagen geben musste.
»Du bist der mutigste Sechzehnjährige auf der ganzen Welt«, fing er an und rutschte etwas näher an seinen Sohn, um sich über ihn zu beugen und seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. »Du brauchst nicht so zu tun, als ob alles o.k. wäre. Du bist heute fast gestorben und hast zum ersten mal deine leibliche Familie getroffen. So etwas würde jeden mitnehmen; du brauchst nicht so zu tun, als ob es dich nicht tangieren würde«, ließ er seinen ältesten Sohn wissen.
Alecs Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte sehen, wie Rafaels Augen verdächtig glitzerten und wie sein Sohn schnell eine kleine Träne aus seinem Augenwinkel wischte. »Nicht so mutig wie du«, erwiderte Rafael kleinlaut und Alec legte seine Stirn in Falten. »Du hast Elson umgebracht, einfach so«, klärte er Alec auf.
»Weil er dir wehgetan hat«, sprach Alec, ohne darüber nachzudenken. »Glaub mir, in diesem Moment habe ich es garantiert nicht für die Menschen aus Buenos Aires getan«, ließ er ihn wissen. Er hatte nicht einen Moment über die Dinge nachgedacht, die Elson getan hatte, als er gesehen hatte, wie der Warlock das Messer an den Hals seines Sohnes gehalten hatte. In diesem Moment hatte für ihn nur Rafael existiert, der ihn so angsterfüllt angesehen hatte. Er würde alles und jeden umbringen, der der Grund für diesen Gesichtsausdruck war. Rafael, Max und Charlotte hatten vermutlich keine Ahnung, was genau Alec alles für sie tun würde, vor allem wenn sie in Gefahr waren.
Rafael schlug seine Decke zurück und richtete sich auf. Danach drehte er sich so, dass er Alec anschauen konnte und lehnte sich mit seinem Rücken gegen die Wand. Seine Haare waren immer noch nass von der Dusche und seine Locken dadurch noch definierter als sonst. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute zu seinen Füßen, die er unter seiner Decke vergrub und so weit vorschob, bis sie Alecs Bein berührten.
»Ich möchte nicht noch einmal nach Buenos Aires«, sagte er irgendwann. Sofort schüttelte Alec den Kopf; »Das müssen wir nicht«, versicherte er und strich mit seiner Hand über Rafaels Bein, was von seiner Bettdecke bedeckt war.
»... und ich will meine... Mutter nicht wiedersehen«, fügte er noch hinzu, was Alec überraschte und Morena wahrscheinlich das Herz brechen würde. Er hatte - ehrlich gesagt - nie darüber nachgedacht, ob sich eines seiner Kinder jemals für seine leiblichen Eltern interessieren würde. Diesen Gedanken hatte er schon immer weit weg geschoben. Vielleicht hatte er schon immer Angst gehabt, dass er seine Kinder dadurch ein Stück verlieren würde. Es war egoistisch, aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er seine Kinder womöglich teilen müsste.
»Natürlich«, sprach Alec verständnisvoll. Vielleicht würde Rafael seine Meinung noch einmal ändern, wenn er nicht so aufgewühlt wie in diesem Moment. Auch dann musste Alec seine Entscheidung akzeptieren.
»Ich fühle mich schlecht, weil ich weiß, dass sie mich liebt«, flüsterte Rafael und Alecs Herz brach. Rafael war noch ein Kind, er sollte sich um andere Dinge Gedanken machen. »Aber sie kann nicht...Sie hat nicht das recht mich wieder... zurückzunehmen oder?«, unsicher schaute Rafael seinen Vater mit großen braunen Augen an. »Nein«, sprach Alec sofort, obwohl er sich dabei noch nicht einmal sicher war. Er würde jedoch alles erdenkliche dafür tun, dass dies niemals passieren würde.
Das war ebenfalls eine der größten Ängste, die Alec in seinem Leben gehabt hatte. Sie hatten Rafael und Max nie legal adoptiert und schon immer hatte er die Angst gehabt, dass dies irgendwann verheerende Folgen haben würde.
»Das war das einzige, woran ich heute den ganzen Nachmittag denken konnte«, gestand Rafael und zog die Decke näher an sich heran. »Es ist mir egal, wer mich auf die Welt gebracht hat oder wer meine leibliche Schwester ist. Papa und du seid meine Eltern und Max und Charlie meine Geschwister«, ein Schmunzeln bildete sich auf Alecs Lippen, »Ich hatte Angst, dass sich das jetzt ändern wird«, fügte er noch hinzu und Alec hatte plötzlich Schwierigkeiten zu Schlucken. Alles zog sich zusammen bei dem Gedanken, dass sein Sohn solche Ängste haben musste.
»Du wirst mich nicht so schnell los, Rafael«, versicherte er seinem Sohn, dessen Mundwinkel nun auch leicht zuckten. »Hoffentlich«, es war nur ein kleines Kommentar von Rafael, aber es ließ Alec hart schlucken. Irgendwann würde er ihn zurücklassen, vielleicht nicht auf diese Weise, aber er würde nicht für immer für seinen Sohn da sein können. Der Gedanke, dass er seine Kinder und Magnus zurücklassen musste, machte ihn unendlich traurig.
»Übrigens; wegen des Kommentars meiner Mutter... Du weißt schon... Dass ihr beide Männer seid und ich keine Mutter habe«, fing Rafael an und Alec erinnerte sich; er hatte es eigentlich schon wieder vergessen. »Das ist mir egal. Wirklich; total egal«, stellte er klar und Alec lachte. »Du hast auch keine andere Wahl, mein Lieber«, scherzte er und auch Rafael grinste.
»Ich meine es ernst – mir hat noch nie etwas gefehlt. Ich hab mir noch nie gewünscht, dass irgendetwas anders wäre«, versicherte Rafael, was Alec beruhigte. Er rutschte etwas weiter auf Rafaels Bett und lehnte sich gegen das Kopfteil, damit er seine Beine ausstrecken konnte. Er tat es seinem Sohn gleich und verschränkte seine Arme vor seiner Brust.
»Was hat Joaquín eigentlich zu mir gesagt, was dich so wütend gemacht hat?«, hakte Alec irgendwann nach, als eine lange Stille zwischen ihnen entstanden war. Er erinnerte sich, wie der Junge – Rafaels leiblicher Cousin – irgendetwas auf Spanisch gemurmelt hatte und wie Alec Rafael hatte zurückhalten müssen, damit er dem Jungen nicht an den Kragen ging.
»Nichts, was wahr ist«, antwortete Rafael nach längerem Überlegen und rutschte unsicher auf seinem Platz hin und her. Alec hatte schon seine Vermutung und schmunzelte, danach hakte er weiter nach, »Komm schon; was war es?«.
»Nichts«, sprach sein Sohn wieder und lachte, als Alec versuchte ihn mit seinem Fuß zu treten. Geschickt wich er aus und rollte sich zur Seite, sodass er nun auf seinem Bauch lag. »Sag es mir wenigstens auf Spanisch, damit ich deinen Vater fragen kann«, schlug Alec vor, doch erneut schüttelte Rafael seinen Kopf.
»Das, was er gesagt hat, ist nicht wahr, deswegen muss ich es nicht übersetzen«, erklärte Rafael und Alec verdrehte übertrieben die Augen. Er war wirklich neugierig – nun mehr als vorher und würde nicht locker lassen, bis er es aus seinem Sohn herausgequetscht hatte.
»Soll ich raten?«
»Nein, Dad es - «
»Feigling?«, schlug er vor, obwohl er wusste, dass die Beleidigung wohl kaum so harmlos gewesen sein konnte. In diesem Moment wollte er Rafael einfach nur ein bisschen reizen. »Nein«, sprach dieser genervt und lachte.
»Idiot?«, versuchte Alec es weiter, worauf Rafael noch lauter lachte.
»Arschloch?«
»Dad, bitte hör auf«, quengelte Rafael, doch Alec hatte viel zu viel Spaß. Er wusste genau, was Joaquín gesagt hatte, zumindest war es sich ziemlich sicher. Er hatte es schließlich schon oft gehört und bei einer so konservativen Gemeinschaft, war es auch keine Überraschung.
»Blödmann?«
»Nein, das wäre wahr gewesen«, scherzte Rafael und krabbelte näher an Alec heran. Er ließ seinen Kopf auf seinem Kopfkissen nieder und lachte immer noch albern, vor allem als Alec anfing ihn zu kitzeln. Irgendwann hörte Alec tatsächlich auf und blieb stumm. Er hörte Rafael schwer atmen und hin und wieder leise lachen, als er sich versuchte zu beruhigen.
»Schwuchtel?«, hakte Alec nach, diesmal etwas leiser, woraufhin Rafael ruckartig seinen Kopf hob und direkt in Alecs Augen schaute. Schon allein an dem Blick seines Sohnes konnte er erkennen, dass er direkt ins Schwarze getroffen hatte.
»Ist schon o.k.«, ließ Alec seinen Sohn wissen, der ihn mit großen Augen musterte und anscheinend nicht wusste, was er sagen sollte. »Nein, ist es nicht«, Rafael legte seine Stirn in Falten und richtete sich auf, sodass er nun aufrecht saß. Alec warf ihm ein schmales Lächeln zu. Es war lieb, dass sein Sohn sich so sehr darum kümmerte, doch es war nichts, was Alec nicht schon kannte. Mittlerweile blendete er solche Kommentare einfach aus.
»Ich möchte nicht zu einer Familie gehören, in der man meinen Vater einen Schwuchtel nennt«, Rafael war sichtlich verärgert und Alec wusste nicht, was er darauf antworten sollte; Rafael hatte recht – auch Alec wollte nicht unbedingt Teil dieser Familie sein.
»Ich bin froh, dass du mich damals gefunden hast«, sagte der junge Shadowhunter schließlich und Alec stand kurz vor den Tränen. Obwohl er dies immer gewusst hatte, hatte es Rafael noch nie so offen gesagt. Es nun aus seinem Mund zu hören erwärmte sein Herz. »Ich bin froh, dass du meinen Apfel geklaut hast«, erwiderte Alec und Rafael lachte. Alec hatte ihm die Geschichte schon oft erzählt; wie er ihn auf der Straße gefunden hatte, wie er ihm den Apfel gegeben und wie er ihn schließlich mit ins Institut genommen hatte.
»Ihr seid die besten Eltern, die man sich wünschen kann... auch wenn ich manchmal peinlich seid«, ließ Rafael Alec wissen. Dieser beschloss den letzten Teil des Satzes einfach zu ignorieren.
»Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt«, sprach Alec, woraufhin Rafael seinen Kopf hob und ihm in die Augen schaute. »Ich dich auch«, sprach er und rückte näher an seinen Vater heran. Er schmiss sich förmlich in die Arme des älteren Shadowhunters, der die Umarmung seines Sohnes sofort erwiderte.
Ein stolzes Lächeln bildete sich auf Alecs Lippen und ihm wurde bei Rafaels Worten warm ums Herz. Diese Worte hatte er schon lang nicht mehr von seinen Söhnen gehört, eher von Charlotte, die es ihm fast jeden Tag sagte, wenn sie das Haus verließ. Vielleicht lag es daran, dass sie Jungs waren, doch umso mehr schätze Alec nun diese Worte.
Er erinnerte sich an die Zeit, in der er seinen Sohn einfach so auf seinen Schoß hatte heben können und nun musste sich dieser verrenken, um ihn zu umarmen. Fest drückte er Rafael an sich und hatte nicht vor ihn in nächster Zeit loszulassen. Sein kleines Baby; so sehr wünschte er sich, dass Rafael noch einmal für einen Tag klein sein würde.
Alec platzierte einen Kuss auf Rafaels Wange, bevor er ihn sanft von sich drückte. Kurz strich er über die Wange seines Sohnes, danach rutschte er vom Bett und erhob sich wieder auf beide Beine. »Ich denke, wir sollten morgen beide zu Hause bleiben«, schlug er vor, worauf Rafael nickte. Er legte den Kopf auf sein Kopfkissen und Alec zog seine Decke über ihn.
»Gute Nacht, Raffie«, flüsterte Alec und strich noch ein letztes mal über die Schulter seines Sohnes, danach verließ er leise das Zimmer.
Magnus war noch wach, als Alec das Zimmer betrat. Mit einem Buch auf dem Schoß saß er auf dem Bett, seinen Rücken an das Kopfteil des Bettes gelehnt. Nachdem er Alec bemerkte, schloss er das Buch und legte es auf den Nachttisch.
»Alles o.k.?«, fragte Magnus besorgt, doch Alec winkte ab. »Alles wird gut«, versicherte er seinem Mann und kletterte auf das Bett. Er legte sich auf seine Seite und griff nach dem kleinen Foto auf seinem eigenen Nachttisch, das er genau betrachtete. Es war das Babyfoto von Rafael, was Morena ihm gegeben hatte. Im Liegen hielt er es auf Augenhöhe und spürte schließlich, wie Magnus seinen Kopf an seinen legte und das Foto ebenfalls betrachtete.
»Manchmal wünschte ich, ich hätte ihn bereits in dem Alter gekannt«, sprach Alec, woraufhin Magnus verständnisvoll brummte. »Er hätte eine bessere Kindheit gehabt, wenn er schon als Baby zu uns gekommen wäre«, sagte Magnus, wobei er recht hatte. Kein Kind verdiente es auf der Straße zu leben und keiner wusste, wie sehr es Rafael geprägt hatte.
»Er war ein wirklich niedliches Baby«, stellte Alec fest. Obwohl die eigenen Kinder immer die hübschesten waren, konnte keiner leugnen, dass Rafael wirklich bezaubernd war mit seinen großen braunen Augen und dem breiten Lachen. »Nicolás«, hauchte Alec, einfach um den Namen auszuprobieren. Er passte wirklich gar nicht. Auch als er das kleine Baby auf dem Foto betrachtete, hatte er das Gefühl, dass Rafael tausendmal besser passte.
»Rafael ist schöner«, sagte Magnus, wobei er eindeutig recht hatte.
»Ich hab Elson Dust umgebracht«, sprach Alec irgendwann und ließ das Foto in seinen Händen wieder auf dem Nachttisch nieder. »Ich weiß, Darling«, erwiderte Magnus amüsiert und legte seinen Kopf näher an Alecs Schulter. Seine Haare waren weich – ganz ohne Haarprodukte – und strichen Alecs Wange.
»Er hat Rafael ein Messer an den Hals gehalten«
»Hättest du ihn nicht umgebracht, hätte ich es vermutlich getan«, sprach Magnus daraufhin und drehte sich auf die Seite. Er schmiegte sich an Alec und legte einen Arm um seinen Körper. Alec konnte nicht anders, als einfach an die Decke zu starren.
»Rafael hatte Angst, dass er nun bei seiner Mutter bleiben muss«, ließ er Magnus wissen, der kurz innehielt, bevor er seinen Kopf hob und mit zusammengezogenen Augenbrauen in Alec Augen schaute. »Natürlich habe ich ihm versichert, dass nichts dergleichen passieren wird, aber es macht mich traurig ihn so zu sehen«, stellte Alec klar und spürte, wie Magnus leicht nickte.
»Alles wird gut«, versicherte der Warlock und gähnte ausgiebig, was Alec ihm gleichtat.
»Von wegen Blut ist dicker als Wasser«, sprach Alec schließlich, ein Schmunzeln auf seinen Lippen.
»Blut ist nicht Liebe«, widersprach auch Magnus, »Du brauchst nur Clary zu fragen«
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(11.11.2018)
Magnus leaned against the wall by the door, his arms over his chest, and looked at her through slitted cat eyes. For a moment he reminded her of Church, only less likely to bite.
»I love your brother«, he said. »You know that, right?«
»If you want my permission to marry him, go right ahead«, said Isabelle. »Autumn's a nice time for it too. You could wear an orange tux«
»He isn't happy«, said Magnus, as if she hadn't spoken.
»Of course he isn't«, Isabelle snapped. »Jace--«
»Jace«, said Magnus, and his hands made fists at his sides. Isabelle stared at him. She had always thought that he didn't mind Jace; liked him, even, once the question of Alec's affections had been settled.
[...]
»I know about parabatai«, said Magnus. »I've known parabatai so close they were almost the same person. Do you know what happens, when one of them dies, to the one who's left--«
»Stop it!« Isabelle clapped her hands over her ears, then said »How dare you make this worse than it is«
[...]
»I forget, sometimes ... that with all your self-control and strength, you possess the same vulnerability that Alec does«
»There's nothing weak about Alec«, said Isabelle.
»No«, said Magnus. »To love as you choose, that takes strength. The thing is, I wanted you here for him. There are things I can't do for him, I can't give him.« For a moment Magnus looked oddly vulnerable himself. »You have known Jace as long as he has. You can give him understanding I can't. And he loves you.«
»Of course he loves me. I'm his sister.«
»Blood isn't love«, said Magnus, and his voice was bitter. »Just ask Clary.«
→ A Sea Change (City of Lost Souls)
Eine meiner Lieblingsszenen, die ich unbedingt zitieren wollte. Vor allem das Ende hat hier gepasst :-)
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Während ich das Kapitel geschrieben habe, hat Harry auf Instagram verkündet, dass er Vater wird! Congraaaatss!
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