20. Du dummer Nephilim

Du dummer Nephilim

Sein Rücken hatte es ihm tatsächlich heimgezahlt. Magnus erwachte durch den Schmerz, der sich an seiner Wirbelsäule ausbreitete, als er sich zu sehr in seinem Stuhl bewegte. Tief atmete er durch, bevor er seinen Kopf langsam von seinen Armen hob. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber der Raum war bereits in ein rötliches Abendlicht getaucht, dass durch die großen Fenster schien.

Mühsam richtete er sich auf, hielt jedoch inne, als er Rafaels Kichern wahrnahm, dass direkt neben ihm erklang. Sein Atem blieb stehen und auch sein Herzschlag setzte aus, als er die Bewegungen in seinem Augenwinkel ausmachen konnte. Ruckartig drehte er seinen Kopf zur Seite, wobei sein Hals schmerzte, doch die Sicht, die ihn erwartete, war es wert.

Rafael lag immer noch neben seinem Vater, beide in ihren ursprünglichen Positionen, doch Alexanders Kopf war zur Seite gedreht, direkt in Rafaels Richtung. Die beiden lagen somit Nase an Nase und Magnus traute seinen Augen nicht, als Alec seine Nase sanft an der seines Sohnes rieb. Die Bewegung ging eindeutig von dem älteren Shadowhunter aus und Rafael kicherte erneut. Die Spuren der Tränen auf seinem Gesicht waren immer noch zu erkennen, doch das breite Lächeln auf seinen Lippen überspielte sie.

Fast fiel Magnus von seinem Stuhl, nachdem Alec seine Augen ein Stück geöffnet hatte, nur um seinen Sohn kurz zu mustern und sie danach sofort wieder zu schließen. Die langen schwarzen Wimpern hatten das strahlende Blau verdeckt, dass Magnus so gerne sehen wollte, doch er hielt sich noch einen Moment zurück, um den Anblick vor sich richtig aufzunehmen.

Ein müdes Lächeln erschien auf Alecs Lippen, als ein erneutes Kichern aus Rafaels Mund ertönte. Der kleine Shadowhunter legte seine Hand an Alecs Wange und rieb seine Nase ebenfalls an die seines Vaters, der dabei die Augen zusammenkniff. Seine Atmung ging immer noch unregelmäßig und flacher, als sie sollte, aber dass er wach und am leben war, war alles, was Magnus interessierte.

Noch sehr lange beobachtete er die beiden und keiner von ihnen schien Magnus zu bemerken, der sich so bedeckt wie möglich hielt. Irgendwann wurden Rafaels Augenlider schwer und das breite Grinsen auf seinem Gesicht wandelte sich zu einem schmalen Lächeln. Alec rieb seine Nase erneut leicht an Rafaels Schläfe, worauf Rafaels Kopf leicht zur Seite kippte und Magnus annahm, dass sein Sohn dabei war einzuschlafen. Er konnte sehen, dass es Alec große Anstrengung kostete seine Hand zu heben, trotzdem führte er sie langsam zu Rafael, dem er schließlich vorsichtig durch die dunklen Haare strich.

So gut es ging, beobachtete Alec seinen Sohn und als Magnus letztendlich die Träne in Alecs Augenwinkel sah, die sich langsam ihren Weg nach unten suchte, konnte er nicht anders als sich aufzurichten und bekanntzugeben, dass er wach war. Wahrscheinlich war es für Alec zu anstrengend seinen Kopf zu bewegen, da er keine Reaktion zeigte, als sich Magnus bewegte. Nur seine Augen bewegten sich und versuchten einen Blick auf den Warlock zu erhaschen.

Magnus erhob sich aus seinem Stuhl und trat um Alecs Bett herum, um sich schließlich neben seinem Mann niederzulassen, jedoch auf seiner anderen Seite. So vorsichtig wie nur möglich legte er einen Arm um Alec und beugte sich vor, um einen Kuss an seine Schläfe zu drücken. Viel zu lange verharrte er in dieser Position, doch als er Alecs warme Haut an seinen Lippen spürte, musste er dieses Gefühl vorerst verarbeiten. Er legte seine eigene Stirn an die seines Mannes und atmete tief ein, wobei er spürte, wie die Tränen über seine Wangen liefen. Sie tropften auf Alecs Gesicht, der sich somit regte und versuchte seinen Kopf in Magnus' Richtung zu drehen. Vorsichtig half Magnus ihm und nahm das Gesicht des Shadowhunters sanft in beide Hände.

»Du dummer Nephilim«, hauchte Magnus, »Du hast dein Versprechen gebrochen«, stellte er klar, worauf Alec seine Augen schloss.

Magnus war sauer, so unglaublich wütend, aber die Erleichterung überwog und er klammerte sich an Alexander, als würde sein Leben davon abhängen. Er spürte Alecs Hand an seiner Brust, die er blind gehoben hatte. Schnell griff Magnus nach ihr und drückte sanft, danach umklammerte er das Handgelenk des Shadowhunters, um seinen Puls spüren zu können. Beruhigt atmete er aus, als er ihn unter seinen Fingerspitzen fühlen konnte.

»Wie kannst du mir das antun?«, flüsterte Magnus und lehnte seine Stirn gegen die von Alec. Am liebsten wollte er ihn schlagen, ihm wehtun, damit er den Schmerz spüren konnte, den Magnus verspürt hatte. Stattdessen strich er vorsichtig mit seinem Daumen über Alecs Wangenknochen und konnte es nicht übers Herz bringen grober zu sein.

»'S tut mir leid«, erwiderte Alec mit belegter Stimme und Magnus war so erleichtert sie zu hören, dass er leise seufzte und die Hand seines Mannes etwas fester drückte. Mit seiner freien Hand strich er über Alecs Brustkorb und legte sie schließlich über die Rune direkt über seinem Herzen, die er mit Magnus teilte. Er drückte leicht, um Alecs Herzschlag spüren zu können, woraufhin dieser überrascht zuckte und Magnus' Handgelenk aus Reflex umgriff. Dazu hatte er Magnus' Hand loslassen müssen. Schon jetzt sehnte sich Magnus nach seiner Berührung.

Er schien verwirrt über den Schmerz in seinem Brustkorb. Seine Stirn war in Falten gelegt, als er Magnus fragend ansah. Magnus hatte die gebrochene Rippe geheilt, doch der Schmerz schien wohl noch anhaltend zu sein, wahrscheinlich würde er in ein paar Stunden verschwinden.

»Deine Rippe war gebrochen«, informierte er Alec knapp, der noch irritierter aussah als vorher. Er ließ von Magnus ab und legte seine Hand auf seine Brust. »Ich hab sie gebrochen – nicht mit Absicht versteht sich«, auch das schien Alec nicht auf die Sprünge zu helfen. »Herz-Druck-Massage«, sagte Magnus knapp und endlich schien Alec zu verstehen. Seine Augen weiteten sich, danach holte er tief Luft.

»Kannst du mir meine Stele geben?«, bat er, doch Magnus wollte nicht mehr von seiner Seite weichen, außerdem hatte er keinen blassen Schimmer, wo Alecs Stele war. Wortlos legte er seine Hand auf Alecs Brust und konnte mit nur wenigem magischen Aufwand dafür sorgen, dass Alec die Schmerzen genommen wurden.

Erleichtert seufzte Alec, »Danke«, hauchte er und legte seine Hand auf die von Magnus.

»Also hast du mich gerettet, hm?«, hakte Alec nach, ein schmales Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Magnus dachte daran, wie er seinen Mund auf den leblosen von Alec gelegt hatte, um Luft in seine Lungen zu blasen und beinahe wurde ihm schlecht bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn er zu spät gehandelt hätte.

»Ja«, er musste sich weitere Tränen verkneifen, außerdem mied er Alecs Blick, da er das Lächeln auf seinen Lippen nicht aushalten konnte. »Wie immer«, fügte er hinzu, konnte Alecs folgenden Gesichtsausdruck jedoch nicht sehen.

»Danke«, sprach Alec schließlich, doch Magnus wollte es nicht hören. Er hatte es nicht nur für Alec getan. Er hatte es für Rafael getan, für Max, für Charlotte, Isabelle, Jace, Maryse und sogar Clary und Simon, er hatte es für sich getan.

»Du warst tot«, hauchte Magnus vollkommen fassungslos, »Du hättest mich alleine gelassen. Mich, Rafael, Max, Charlotte, Jace, Isa-«

»Ich weiß«, unterbrach Alec ihn. Alec konnte noch nicht einmal annähernd den Schmerz nachvollziehen, den Magnus verspürt hatte, den alle Personen um ihn herum verspürt hatten.

»Du hast dein Versprechen gebrochen, du-«, doch weiter kam er nicht, denn die Tür des Raumes öffnete sich. Zuerst erblickte Magnus Max, der sofort ins Zimmer huschte, direkt an Magnus' Seite. Die nächste Person war Jace, der Charlotte auf seinem Arm trug. Das kleine Mädchen zappelte erfreut in seinen Armen, als sie Alec erblickte, sodass Jace sie schließlich nicht mehr halten konnte und auf dem Boden absetzte.

»Alec«, sprach Jace erleichtert. Wie die Kinder eilte er an die Seite seines Parabatais. Es fiel Magnus schwer, doch er wich langsam von Alecs Seite und hob Charlie auf Alecs Bett. Auch Max kletterte auf die Matratze und Magnus machte Platz für Jace, der seine Hand liebevoll auf Alecs Schulter legte. Tränen glitzerten in den Augen des blonden Shadowhunters, als er auf seinen Bruder heruntersah.

Überschwänglich schlang Charlotte ihre Arme um ihren Onkel, der sie sofort an sich drückte. Sogar Max legte sich an seine Seite und ließ zu, dass sein Vater mehrere Küsse auf seine Stirn drückte.

Ja, Magnus hatte es nicht nur für Alec getan, sondern für so viele andere Menschen.

***

»Das sieht wirklich schlimm aus. Ich glaube, so etwas hatte ich wirklich noch nie in meinem Leben«, kommentierte Alec, als er auf der Couch saß und sein Bein betrachtete. Sie waren wieder zu Hause und es war spät abends; die Kinder waren im Bett und Magnus und Alec waren noch auf. Alec hatte seine Jeans ausgezogen und saß nur in Unterhose vor Magnus, während er die Einstichstelle betrachtete.

Die Narbe war deutlich zu erkennen und erstreckte sich beinahe über Alecs gesamten Oberschenkel. Das Gift sorgte dafür, dass Iratzes nicht wirkten, weshalb Alec immer noch humpelte. Auch Magnus' Magie schien gegen das Gift immun zu sein, doch Catarina hatte alles getan, was sie konnte, und das mit Erfolg; das Gift schien Alec auf keine andere Art mehr einzuschränken, außer der Schmerz in seinem Bein.

Um die Narbe herum bildete sich ein sehr böse aussehendes Hämatom; Alecs gesamter Oberschenkel war gefärbt in einer Mischung aus blau, lila, grün und rot. Es sah wirklich übel aus, aber vielleicht war es Alec endlich eine Lehre. Schnell exte Magnus das Glas Martini in seiner Hand, danach stellte er es auf den schmalen Glastisch und ließ sich neben Alec nieder.

Er hob seine Beine ebenfalls mit auf das Sofa und lehnte sich an die Sofalehne, wobei er Alec mit sich zog, der somit mit dem Rücken an Magnus' Brust lag. Magnus legte seine Hand vorsichtig auf Alecs Brust und suchte unbewusst nach dessen Herzschlag, den er unter seiner Handfläche erahnen konnte. Es fiel ihm schwer sich richtig zu entspannen, doch er versuchte es und vergrub seine Nase in Alecs Haaren und atmete tief ein.

»Es tut mir leid«, flüsterte Alec erneut und Magnus wusste nicht, warum ihn diese Aussage so unglaublich wütend machte.

»Ich kann das nicht mehr, Alec«, hauchte er, eher unbewusst, und spürte, wie sich Alecs kompletter Körper anspannte. Für einen Moment hielt er inne, bevor er sprach: »Was meinst du?«

»Jedes mal, wenn du das Haus verlässt, habe ich eine solche Angst um dich, dass es mich fast selbst umbringt«, er war froh, dass er Alec in diesem Moment nicht in die Augen schauen musste, »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich den Anruf von Isabelle bekommen habe«, flüsterte er und schob den Gedanken so schnell wie möglich beiseite. Alec war hier, er war am Leben, er war nicht tot.

»Magnus...«, leise seufzte Alec, »Es ist mein-«

»Sag nicht, dass es dein Job ist, Alec«, unterbrach in Magnus. Er wollte es nicht mehr hören, er konnte es nicht mehr hören. Sah er nicht, wie all seine Mitmenschen darunter litten? Seine Kinder?

»Vielleicht solltest du dir nächstes mal einen Steuerberater oder Anwalt suchen«, erwiderte Alec etwas kleinlaut. Er wusste, wie sehr Magnus solche Aussagen aufregten und trotzdem tat er es immer wieder. Leicht schnipste er Alec an die Schläfe, der daraufhin lautstark protestierte.

»Au, hey! Ich bin immer noch verwundet!«, empört brachte er seine Finger zu seiner Schläfe und rieb die Stelle, die Magnus kaum berührt hatte. Übertrieben verdrehte dieser seine Augen. »Anscheinend nicht verwundet genug, dass es eine Lehre war«, stellte er fest.

»Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, aber du hast Kinder, Alexander. Kinder, die jeden Abend darauf warten, dass du endlich nach Hause kommst und die dich wahrscheinlich noch mehr lieben, als ich es tu. Als Vater solltest du etwas mehr Verantwortung für deine Gesundheit tragen, ob du willst oder nicht«, zischte Magnus wütend und spürte, wie sich Alec langsam aufrichtete. Er drehte sich in Magnus' Richtung, um dem Warlock in die Augen sehen zu können.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie traurig sie waren. Es ist egoistisch von dir dein Leben so aufs Spiel zu setzen«, sprach Magnus, bevor Alec etwas sagen konnte. Magnus' Gegenüber legte seine Stirn in Falten und Magnus kannte diesen Gesichtsausdruck genau; Alec war sauer, doch er wusste nicht was er sagen sollte, doch manchmal regte Magnus sein Schweigen noch mehr auf, als die sinnlosen Worte, die aus seinem Mund kamen.

»Du hattest die Wahl. Du hast dich für ein Leben mit mir entschieden«, sprach er schließlich.

»Aber deine Kinder haben sich nicht entschieden. Keines von ihnen hat dich als Vater gewählt, Alexander. Warum verstehst du nicht, wie sehr sie dich lieben und wie sehr sie an die hängen?«, ist es, weil du selbst nie von deinen Eltern geliebt worden bist?, beinahe hätte es Magnus ausgesprochen, doch er fühlte sich bereits schlecht diese Worte auch nur zu denken. Magnus konnte es nicht ändern; wenn er seine Kinder so niedergeschlagen sah, wollte er alles kurz und klein hacken, was auch nur annähernd der Grund dafür war. Leider war Alec einer dieser Gründe.

»Was willst du von mir hören? Es tut mir leid, Magnus. Ich habe einen Fehler gemacht, es war leichtsinnig von mir. Trotzdem werde ich meinen Job nicht ändern«

»Du redest, als ob du dir eine kleine Platzwunde zugezogen hättest. Du warst tot, Alec!«

»Ja, ich war tot und niemand scheint sich dafür zu interessieren, wie das alles für mich war. Ich weiß, dass ich anderen damit wehgetan habe, aber das alles war auch für mich nicht leicht, o.k.?«, an Alecs Gesichtsausdruck konnte Magnus sehen, dass dieser vermutlich nicht damit gerechnet hatte, dass Magnus ihn so lange sprechen lassen würde, ohne ihn zu unterbrechen. Er wurde immer leiser und schien am Schluss nicht mehr genau zu wissen, was er sagen sollte.

Er hatte recht; Magnus hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, wie sich Alec gefühlt haben musste, aber das lag vielleicht daran, dass er angenommen hatte, dass der Shadowhunter eher wenig von alldem mitbekommen hatte. Dennoch wurde sein Blick weich und er strich eine Haarsträhne aus Alecs Gesicht, die ihm über die Stirn gefallen war.

»Es tut mir leid, o.k.? Es tut mir so leid«, Magnus' Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als Alecs Stimme zum Ende hin versagte. Tränen glitzerten in den Augen des Shadowhunters und es dauerte nicht lange, bis sie ihren Weg über seine Wange suchten.

»Ich dachte, ich habe keine Angst vor dem Sterben, aber als mich der Dämon erwischt hat, wusste ich, dass- «, er zögerte und versuchte sich mehr zu Magnus zu drehen, doch sein Bein erlaubte es nicht. »Auf einmal hatte ich so große Angst, vor allem als ich Isabelle und Jace gesehen habe. Ich wollte sie nicht verlassen, ich konnte nicht, aber ich wusste es«, hauchte Alec und Magnus' Hand legte sich schon fast automatisch auf die Wange seines Mannes. Vorsichtig wischte er die Tränen mit seinem Daumen weg, die auf seiner Haut glitzerten.

»Auch als ich dich gesehen und an die Kinder gedacht habe... Ich wollte nicht sterben, aber ich wusste es und... und ich hatte so viel Angst«, gestand Alec und auf einmal überwog das schlechte Gewissen in Magnus. Mitleidig schaute er seinen Gegenüber an und zog ihn in seine Arme. Erst spürte er Widerstand von Alecs Seite aus, doch irgendwann gab er nach und legte seinen Kopf an die Schulter des Warlocks, der ihm beruhigend über den Rücken strich.

»Vielleicht habe ich auch nur geträumt, aber ich habe Max gesehen«, hauchte er und Magnus wusste sofort, dass Alec nicht von seinem Sohn sprach, sondern von seinem verstorbenen kleinen Bruder. Ein mitleidiges Lächeln bildete sich auf Magnus' Lippen. »Und ich habe meinen Vater gesehen und... und es war schön, es war so... friedlich«, Magnus kniff seine Augen zusammen, als würden ihn Alecs Worte schmerzen.

Als unsterblicher Warlock der seit Jahrhunderten lebte wusste er viel; er konnte hunderte von Sprachen sprechen, hatte jedes Land der Welt besucht und die verschiedensten Abschlüsse absolviert, doch der Tod war etwas, was für immer ungewiss bleiben würde. Schon oft hatte er sich gefragt, ob es tatsächlich ein Leben danach geben würde. Würde auch er die Menschen wiedersehen, die er in seinem Leben verloren hatte? War dort überhaupt genug Platz für all die Menschen, von denen er sich hatte verabschieden müssen? Magnus schmunzelte bei dem Gedanken sie alle eines Tages wiederzusehen; Raphael, Ragnor, Etta, Will, seine Mutter... oh, es war schon so lange her.

»Ich habe Max gesehen, Magnus«, wiederholte sich Alec, als ob er es selbst nicht glauben konnte. Magnus drückte ihn etwas fester und fuhr mit einer Hand sanft durch die Haare seines Mannes. Selbst wenn es wirklich nur ein Traum gewesen war, es war zumindest eine wunderschöne Vorstellung.

»Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist«, flüsterte Magnus und realisierte, dass er Alec bis jetzt nicht wirklich gezeigt hatte, wie erleichtert er wirklich war. Die Wut in ihm hatte überwiegt und er ärgerte sich, dass er Alec so fühlen gelassen hatte.

»Ich auch«, erwiderte Alec so leise, dass Magnus es kaum gehört hatte. »Ich liebe dich«, fügte er hinzu. Als Antwort drückte Magnus einen Kuss auf die feuchte Wange des Shadowhunters.

»Lass uns ins Bett gehen«, schlug Magnus vor und erhob sich elegant von der Couch. Danach half er Alec auf die Beine, der leise zischte, als er sein Bein von den weichen Kissen hob. Magnus stützte ihn, als sie sich zusammen ins Schlafzimmer begaben und lachte leise, als Alec dabei beinahe eine der Stehlampen umwarf, die im Flur standen. Er wusste nicht, was er ohne seinen Shadowhunter gemacht hätte. Nie wieder sein Lachen zu sehen schien wie die schlimmste Strafe auf Erden, doch eines Tages würde es so sein. Eines Tages würde Magnus es nicht mehr schaffen seinen Mann zurückzuholen. Eines Tages würde er bei Max und Robert bleiben und Magnus musste damit leben können.

Noch lange lag Magnus wach und beobachtete Alexander, der schon längst eingeschlafen war. Er hatte so lange auf den Tag gewartet, an dem der Shadowhunter wieder neben ihm schlafen würde und nun hatte er wieder die Chance dazu. Eine Hand von Magnus lag auf Alecs Brust, genau über der Rune für Liebe, die jedoch von seinem T-Shirt verdeckt war. Magnus betrachtete die Rune für Hingabe auf seinem eignen Handrücken. Keine Worte auf dieser Welt konnten beschreiben, wie sehr er Alec liebte und wie glücklich er sich schätzte, dass er wieder an seiner Seite liegen durfte, dabei kannte er so viele Sprachen.

Er beobachtete seine Atmung, als würde er fürchten, dass diese erneut aussetzen würde. Alecs Augenlider zuckten leicht und auch sein Kopf bewegte sich, als er ihn ein Stück mehr zu Magnus drehte. Magnus ließ seine Hand, die immer noch auf Alecs Brust ruhte, weiter herunter gleiten, bis sie an Alecs Hand ankam, die auf seinem Bauch lag. Es war seine rechte Hand, die Hand an der er die Rune für Hingabe trug, genau wie Magnus. Mit dem Daumen strich Magnus über die Rune und fragte sich, womit er so jemanden wie Alec verdient hatte.

Alec war so jung gewesen, als er sich auf Magnus eingelassen hatte, fast noch ein Kind. Nun war er zwar elf Jahre älter, doch Magnus sah in ihm immer noch den Jungen Nephilim, der in seiner Tür gestanden und ihm erzählt hatte, dass er noch nie geküsst worden war. Er erinnerte sich, wie Alec die Treppen herunter gefallen war und wie dies der krönende Abschluss ihres schrecklichen ersten Dates gewesen war.

Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich mit einem leisen Knarren, doch Magnus rührte sich nicht. Er wusste, dass es Rafael war. Es war die Art, wie er seine Füße auf dem Holzboden schlürfen gehört hatte. Rafael hatte die Angewohnheit einen Fuß beim Gehen nicht anzuheben, sodass Magnus seinen Gang zwischen hunderten unterscheiden konnte. Sie hatten versucht es ihm abzugewöhnen, doch alles hatte nichts gebracht.

Leise schloss sich die Tür wieder und die Schritte wurden dumpfer und langsamer. Vermutlich ging der kleine Shadowhunter auf Zehenspitzen und Magnus schmunzelte. Durch seine Katzenaugen konnte er fast perfekt bei kompletter Dunkelheit sehen, weshalb er auch seinen Sohn erkannte, der an Alec seine schlich. Er hatte Benni fest unter seinen Arm geklemmt und tastete sich blind an die Bettkante, wobei er fast mit dem kleinen Nachtschrank zusammenstieß. Scharf zog er die Luft ein, als sein Schienbein in Berührung mit dem Rahmen des Bettes kam und ein dumpfes Geräusch zu hören war.

Als Rafael aufschaute nahm er direkten Augenkontakt mit Magnus auf, da er vermutlich die Augen des Warlocks in der Dunkelheit erkennen konnte. Verlegen blickte er in das Gesicht seines Vaters, der nur liebevoll lächelte, was Rafael vermutlich nicht sehen konnte.

»Komm«, flüsterte Magnus und streckte eine Hand nach Rafael aus. Zögernd schaute dieser auf Alec und tastete sich ans Fußende des Bettes, um dort vorsichtig auf die Matratze zu steigen und zwischen seine Eltern zu krabbeln. Da Alec seine Decke fest um sich gewickelt hatte, deckte Magnus seinen Sohn nur mit seiner eignen Bettdecke zu.

»Alles gut?«, hakte Magnus zögernd nach und strich die dunkeln Locken von Rafaels Stirn. Als er sie losließ, fielen sie sofort wieder auf ihren alten Platz zurück. Magnus schmunzelte und wiederholte seine Bewegung. Schon seit Rafael klein war, lagen die Locken auf seiner Stirn und nur mit Wasser konnte man sie für kurze Zeit aus seinem Gesicht streichen. Es war schon fast ungewohnt seine Stirn zu sehen.

Rafael nickte bloß, worauf Magnus einen Kuss auf der Stirn des kleinen Jungen platzierte. Rafael drehte seinen Kopf in Alecs Richtung und betrachtete seinen Vater eine Weile lang, bevor er seinen Arm an Alecs Körper lehnte; seine Hand strich leicht die Schulter seines Vater, doch er hielt ihn nicht fest. Er berührte ihn nur, als ob er sicher gehen wollte, dass er wirklich da war.

Zufrieden drehte Rafael seinen Kopf wieder zurück und schaute nun zu Magnus, der einen Arm um den schmalen Körper seines Sohnes gelegt hatte. Er gab ihm so viel Decke, wie möglich und rutschte etwas näher an ihn. Schon bald konnte er Rafaels gleichmäßige Atmnug hören und spürte sie leicht an seinem Hals. Auch Alec beobachtete er über Rafaels Kopf hinweg, der nur etwas langsamer atmete als sein Sohn.

Magnus hatte gedacht, dass Alexander Lightwood sein Herz nicht brechen würde. Oh, wie falsch hatte er gelegen. Es würde der Tag kommen, an dem Alec sein Herz in tausend Stücke reißen würde, brutal und gnadenlos. Der Tag würde kommen – irgendwann – und es würde wie ein Schlag ins Gesicht sein; man würde sich niemals darauf vorbereiten können.

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02.09.2018

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