16. Por hoy, por mañana, por toda la semana
Por hoy, por mañana, por toda la semana.
Es war drei Uhr in der Nacht, die Flure des Instituts waren vollkommen verlassen und dunkel, keine Menschenseele war zu sehen oder zuhören. Nur das dumpfe Geräusch von nackten Füßen auf den kalten Fliesen hallte durch die Gänge, ganz leise und kaum hörbar. Ein kleiner Junge schlich durch die Flure, seinen Teddybären dicht an sich gedrückt. Er tastete sich blind an den altbekannten Wänden entlang, an den unzähligen Türen vorbei. Obwohl jeder Gang und jede Tür gleich aussah, wusste er genau, wo er hin musste; den Weg würde er sogar mit verbundenen Augen finden.
Er hielt die Luft an, als würde er somit noch unbemerkter voranschreiten, doch es war sowieso niemand weit und breit aufzufinden, der ihn hätte hören können. All die Zimmer hinter den unzähligen Türen waren nicht bewohnt und einfache Büros, die in der Nacht leer standen. Außer der Familie des kleinen Jungen wohnten nur wenige andere Shadowhunter im Institut. Manchmal fühlte sich die alte Kathedrale dadurch viel zu groß und einsam an. Der Junge hätte gerne vor allem Kinder in seinem Alter im Institut gehabt, doch er und seine Schwester waren die einzigen Kinder, die hier wohnten. Vielleicht würde er sich nicht so einsam und ängstlich fühlen, wenn er wüsste, dass in den Zimmer rechts und links von seinem eigenen auch noch andere Personen schliefen.
Er wusste nicht, wie seine Schwester so friedlich schlafen konnte. Sie befand sich in dem Kinderzimmer gegenüber von ihm und er hatte noch nie mitbekommen, dass sie mitten in der Nacht den Raum verlassen hatte, um heimlich zu ihren Eltern zu schleichen, so wie er es gerade tat. Er hätte es mitbekommen müssen, denn er war in der Nacht oft wach, vor allem aufgrund von Albträumen, die ihn aus dem Schlaf schrecken ließen. Vielleicht hatte seine Schwester keine solche Träume, was er sich durchaus vorstellen konnte, denn obwohl das kleine Mädchen erst fünf Jahre und somit ganze zwei Jahre jünger als er war, wirkte sie viel mutiger als er. Er beneidete sie oft; sie konnte gut mit fremden Menschen sprechen, während er sich bei seinen Eltern versteckte, und sie konnte von der hohen Mauer im Vorgarten springen, an der er noch nicht einmal hochschauen wollte. Außerdem hatte sie keine Angst vor Hunden, was er bewunderte. Sobald er einen der Vierbeiner sah, wechselte er die Straßenseite, doch seine Schwester hatte den Mut sorglos auf sie zuzugehen und manchmal sogar über ihr Fell zu streicheln.
Wie konnte man keine Angst vor Hunden habe? Diese Kreaturen hatten viel zu spitze Zähne ihr Bellen ließ das Blut des Jungen in seinen Adern gefrieren, doch er hatte vor vielen Dingen Angst. Er hatte Angst vor der Dunkelheit, vor der Hexe in den Märchenbüchern seiner Schwester, vor den langen Schwertern im Trainingsraum, vor fremden Menschen und er hatte Höhenangst. Das schlimmste jedoch war die Angst vor Dämonen und das war es, was er auf jeden Fall für sich behielt. Er war ein Shadowhunter; später musste er Dämonen jagen, doch wie sollte er dies tun, wenn er selbst lieber vor ihnen wegrennen wollte?
Das war es, wovon er jede Nacht träumte. Es hatte Angefangen als Dämonen in das Institut gelangt waren. Es hatte nicht lange gedauert, bis jegliche Shadowhunter sich versammelt und die Biester beseitigt hatten, aber er hatte genau gesehen, wie eins der scheußlichen Kreaturen über einen der Shadowhunter hergefallen war. Es war einer der Lehrer des Jungen gewesen, einen, den er wirklich gemocht hatte, im Gegensatz zu dem Rest. Er hatte genau mit angesehen, wie der Dämon seine Krallen in die Brust des Shadowhunters gedrückt hatte. Der kleine Junge war wie gelähmt gewesen, als er den Schrei seines Tutors gehört hatte, der auf die Knie gefallen war. Jegliche Hilfe war zu spät gekommen, sodass das Blut ungebremst über sein Hemd gelaufen war, danach auf den harten Boden, auf dem er später leblos gelegen hatte.
Nie wieder würde der Junge die Bilder aus seinem Kopf bekommen. Jede Nacht sah er das dunkle, rote Blut vor sich, dazu den leblosen Gesichtsausdruck seines Lehrers, der für ihn immer unbesiegbar geschienen hatte. Er wollte das Geschehen vergessen, doch er konnte den Dämon immer noch sehen, vor allem wenn es dunkel war. Er bildete sich ein, er würde hinter jeder Ecke auf ihn lauern, obwohl es sein Vater gewesen war, der viele der Dämonen besiegt hatte. Schon wieder hatte er einen dieser Träume gehabt, in denen er das viele Blut gesehen hatte, manchmal meinte er auch den metallischen Geruch riechen zu können.
Er hatte die Tür erreicht, zu der gelangen wollte. Ganz vorsichtig öffnete er sie und schon wieder traf er auf komplette Dunkelheit, doch seine Augen hatten sich mittlerweile so an das wenige Licht gewöhnt, dass er die Umrisse des Inneren genau erkennen konnte. Er sah das Bett, auf dem seine Eltern friedlich nebeneinander schliefen. Jedes Mal fühlte er sich schlecht, wenn er sie aufweckte. Er kam nicht bei jedem Albtraum zu ihnen, nur bei den besonders schlimmen. Diese Nacht hatte er es nicht mehr alleine ausgehalten, egal was er getan hatte. Er hatte versucht bis hundert zu zählen, doch die großen Zahlen hatte er erst gerade neu gelernt und auch das hatte nicht wirklich funktioniert.
»Mommy?«, ganz langsam trat er an das Bett seiner Eltern heran. Er bekam keine Reaktion, nur das leise Schnarchen seines Vaters. Lange stand er vor dem schlafenden Körper seiner Mutter; ihre schwarzen Haare waren auf dem hellen Kopfkissen verteilt, ihr Gesicht war von ihm weggedreht in die Richtung seines Vaters.
»Mom«, er streckte seine Hand nach ihr aus und legte sie auf ihren Arm. Wieder sagte er leise ihren Namen und tatsächlich bewegte sie sich ein kleines bisschen. Sie drehte sich auf den Rücken, danach auf ihre andere Seite, sodass sie dem Jungen direkt in die Augen sah.
»Was machst du hier?«, fragte sie verblüfft und zog ihre Augenbrauen prüfend zusammen. Es war nicht die Reaktion, auf die der Junge gehofft hatte, aber eine Reaktion, die er ständig bekam. »Ich hatte wieder einen Albtraum«, gestand er und drückte seinen Teddybären dichter an sich. Er meinte sehen zu können, wie seine Mutter die Augen verdrehte.
»Du kannst nicht jede Nacht zu uns kommen, nur weil du einen schlechten Traum hattest«, zischte sie leise, damit sie seinen Vater nicht aufweckte. Sein Herz sank in seine Hose bei den Worten seiner Mutter. Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen sie geweckt zu haben, aber er konnte nicht allein in seinem Zimmer bleiben.
»Kann ich bei euch schlafen?«, hakte er vorsichtig nach und hörte daraufhin das bekannte Seufzen seiner Mutter. »Du bist sieben Jahre alt. Du kannst nicht mehr ständig zu uns ins Bett krabbeln«, erklärte sie sichtlich genervt. Der Junge versucht seine Tränen zurückzuhalten, die hinter seinen Lidern brannten.
»Aber der Dämon-«
»Dort ist nirgendwo ein Dämon. Sie sind alle weg. Geh wieder schlafen«, sprach seine Mutter knapp. Er wusste, dass es falsch war, doch er wurde wütend, als er ihre Worte hörte. Sie konnte nicht verstehen, was für eine große Angst er hatte, wenn er alleine im Bett lag und nur noch an das Blut denken musste, was sich auf dem Boden verteilt hatte.
»Ich kann aber nicht schlafen«, protestierte er.
»Alec, geh auf dein Zimmer!«, sofort zuckte er zusammen, als sich die Stimme seiner Mutter hob. Alec sehnte sich nach ihrer Umarmung und hätte alles dafür getan, um in diesem Moment in das Bett seiner Eltern krabbeln zu können. »Du bist ein Shadowhunter«, fügte sie hinzu, »Wir haben keine Angst vor Dämonen«
Sie hatte recht; wie lächerlich es war ein Shadowhunter zu sein, der Angst vor Dämonen hatte. Nun liefen die Tränen über Alecs Wangen, ohne dass er sie aufhalten konnte. Er versuchte sein Gesicht in dem Fell seines Teddys zu verstecken, damit seine Mutter ihn nicht weinen sah.
»Hör auf zu weinen, Alec. Du weißt, wie lächerlich das ist. Es war nur ein Traum«, noch lange starrte Alec seine Mutter an, bevor er sich langsam umdrehte und das Zimmer verließ. Es war lächerlich. Sie hatte recht, oder nicht? Es war doch nur ein einfacher Traum, nicht real, konnte ihm nichts anhaben. Seine Unterlippe zitterte, doch erst als er wieder in seinem Zimmer angekommen war, ließ er das Schluchzen aus seinem Mund erklingen.
**
Schweißgebadet erwachte der kleine Junge und richtete sich auf, unter seinen Handflächen spürte er feuchtes Gras, in dem er gelegen hatte. Nur das Zirpen der Grillen in den Büschen war zu hören, nicht mehr die laute, tiefe Stimme seines Vaters, die er in seinen Träumen gehört hatte. Es dauerte einen Moment, bis er wieder zu Atmen kam. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig und sein Herz klopfte schmerzhaft gegen seine Brust, sodass er seine kleine Hand gegen den Stoff drückte und den Herzschlag spüren konnte.
Immer noch war es stockdunkel, doch der Himmel war klar; tausende Sterne waren zu sehen, als der Junge den Kopf in den Nacken warf und nach oben schaute. Es war fast Vollmond, was für etwas Licht sorgte. Völlig orientierungslos schaute er sich um und konnte sich fast nicht mehr daran erinnern sich letzte Nacht hier zum Schlafen niedergelassen zu haben. Das letzte was er wusste, war, dass er aus dem kleinen Dorf gelaufen war, in dem er gelebt hatte. Er war den ganzen Weg gerannt, so lange ihn seine Füße hatten tragen können, danach war er irgendwo ins Gras gefallen.
Erst jetzt sah er den kleinen See, der sich keine zehn Meter neben ihm befand. Er war umrandet von hohem Gestrüpp und viel daher kaum auf, vor allem nicht in der Dunkelheit. Erschöpft richtete sich der Junge auf und kroch durch das Gras, was fast höher war als er selbst. Er wusste nicht, was genau ihn zum Wasser zog, schließlich wollte er sich nach dieser Art von Albtraum eher vom Wasser fernhalten. Immer noch meinte er das Wasser in seinen Lungen spüren zu können und das Rauschen in seinen Ohren. Die Todesangst die er verspürt hatte, als er sich nicht hatte wehren können gegen die starken Hände, die ihn unter Wasser gehalten hatten.
Letztendlich war er doch am Ufer angekommen und krabbelte auf allen Vieren über den sandigen Boden. Die spitzen Steine rissen seine Hose auf und ließen seine Knie bluten, doch er kümmerte sich nur um das kühle Nass, das irgendwann seine Fingerspitzen berührte, als er diese ausstreckte. Es war eine sehr schwüle Sommernacht, aber das Wasser war unerwartet kühl, sodass er schließlich seine ganze Hand untertauchen ließ. Unbewusst krabbelte er weiter, da ihn das Kühle beinahe anzog. Er spürte das Wasser an seinen Knien und Schienbeinen, danach an seinen nackten Füßen. Es war schon fast beruhigend, bis er sein Spiegelbild erkennen konnte. Es war sehr verzerrt und verschwommen, doch er konnte seine Augen genau sehen, die ihm entgegen leuchteten; groß, gelb und grün. Er wollte zurückschrecken, rutschte jedoch ab und fiel in das seichte Wasser.
Es war nicht tief, nur ein paar Zentimeter, aber es reichte aus, um sein Gesicht komplett unter Wasser tauchen zu lassen. Sofort erschienen die Bilder aus seinem Traum vor seinem inneren Auge und sein Herz begann erneut wild an seine Brust zu klopfen. So schnell er konnte richtete er sich wieder auf und konnte meinen das Gesicht seines Vaters zu sehen, dass ihn böse anfunkelte. Er versuchte sich von dem See zu entfernen und stürzte dabei auf den steinigen Boden, wobei er auch die Haut an seinen Ellenbogen aufschürfte, die daraufhin schmerzhaft brannte.
Tränen liefen über seine Wange und er sehnte sich nach seiner Mutter, die ihn in einer solchen Situation in die Arme schließen und fest an sich drücken würde. Er bildete sich ein ihre Stimme hören zu können, die ihm das Schlaflied vorsang, das er jeden Abend zu hören bekommen hatte. Noch mehr Tränen liefen über seine Wangen und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er an seine Mutter dachte. Er dachte an ihre langen braunen Haare und die dunklen Augen, die ihn immer so liebevoll gemustert hatten. Er dachte an die mitfühlenden Worte, die sie ihm immer zugeflüstert hatte, wenn sein Vater wieder einmal zu streng gewesen war. Dieses mal hatte es solche Worte nicht gegeben.
Völlig ahnungslos hatte er gestern Morgen die Scheune betreten, da er auf der Suche nach ihr gewesen war. Es war Zeit gewesen die Ziegen zu füttern und sein Vater hatte ihn losgeschickt um dies zu tun. Niemals würde er den Anblick vergessen, als er die Scheunentür aufgestoßen hatte. Mit seinen neun Jahren hatte er noch nicht viel gesehen und hatte nicht ganz verstanden, was vor seinen Augen passiert war, doch schon von der ersten Sekunde an hatte er gewusst, dass es nichts gutes heißen würde.
Er hatte sich weder bewegen und noch einen Laut von sich geben können, als er vor seiner Mutter gestanden hatte. Er hatte gestanden, sie...
Immer hatte er gedacht, dass tote Menschen friedlich aussehen würden, als ob sie schliefen, doch ein Blick in das Gesicht seiner Mutter hatte genügt um zu wissen, dass sie alles andere als ruhig und friedlich gewesen war. Zwar waren ihre Augen geschlossen gewesen, doch man hatte ihr den Schmerz ansehen können und diesen Anblick würde er niemals vergessen. Ihr Kopf war in einem seltsamen Winkel abgeknickt gewesen, unter ihren Füßen hatte er den kleinen Hocker gesehen, den sie zum Melken der Kühe verwendeten. Er hatte auf der Seite gelegen, die Füße seiner Mutter hatten nur wenige Zentimeter über ihm geschwebt. Diese wenigen Zentimeter hatten dafür gesorgt, dass sie tot war.
Es hatte nicht lange gedauert, bis sein Vater dazugestoßen war. Verzweifelt hatte er den Hocker hektisch wieder aufgestellt, war auf ihn gestiegen und hatte sie auf den Boden geholt. Leblos hatte er sie in seinen Armen gehalten und alles was der kleine Junge hatte tun können, war dazustehen ohne sich zu bewegen. Danach hatte er nur noch die Schreie seines Vaters hören können.
Sohn eines Dämons
Immer noch zuckte er wegen diesen Worten zusammen. War es wirklich seine Schuld gewesen? Hatte seine Mutter diesen Weg nur wegen ihm gewählt?
Sein Vater hatte ihn aus der Scheune gezogen, herüber zu der kleinen Weide, auf der die Ziegen gegrast hatten. Nichtsahnend hatte sich der Junge nicht großartig gewehrt, war immer noch vollkommen perplex von dem Anblick seiner Mutter gewesen. Erst als er das Wasser um sich herum gespürt hatte und das Schreien seines Vaters von dem Brausen in seinen Ohren übertönt worden war, hatte er realisiert, was die Absicht seines Vaters wirklich gewesen war. Er hatte versucht sich zu wehren, zu strampeln, seinen Kopf irgendwie wieder aus dem Wasser zu bekommen, doch sein Vater war zu stark gewesen. Seine Lunge hatte sich zusammengezogen und ihm war schwindelig geworden.
Vielleicht hätte er aufgeben sollen. Vielleicht wäre er dann nun bei seiner Mutter und nicht alleine mitten im Nirgendwo. Als er sich fast sicher gewesen war, dass dies sein Ende war, hatte er ein fremdes Kitzeln in seinen Fingerspitzen bemerkt. Mit einer Hand hatte er nach der seines Vaters gegriffen, der diese auf seinem Kopf platziert hatte. Sofort war sein Vater zurückgeschreckt und hatte von ihm abgelassen, sodass der Junge tief Luft holen konnte.
Große Augen hatte ihn angestarrt, vollkommen verängstigt und er hatte in diesem Moment nicht wirklich verstanden warum. Der verblüffte Gesichtsausdruck hatte sich schnell in einen wütenden gewandelt und er war erneut einige Schritte auf ihn zu getreten, hatte ihn wieder greifen wollen, doch der Junge war schneller gewesen. Das Kribbeln in seinen Fingern hatte fast reflexartig dafür gesorgt, dass er seine Hand ausstreckte und in die Richtung seines Vaters hielt. Das nächste, was er gesehen hatte, waren Flammen gewesen. Vor seinen Augen hatte sein Vater in Flammen gestanden und das nur wegen einer kleinen Handbewegung.
Monster
Das hatte er noch gesagt, bevor der kleine Junge weggelaufen war, voller Angst und Trauer. Er war so lange gelaufen, bis seine Füße ihn nicht mehr hatten tragen können. Er hatte recht gehabt; Monster war ein passender Begriff. Dort gab es nichts, was er sich sehnlicher wünschte, als eine Umarmung seiner Mutter oder das Schlaflied, was sie ihm immer vorgesungen hatte. Nie wieder würde er ihr Gesicht sehen oder ihre Wärme spüren.
Sie war tot.
Sein Vater war tot.
Es war seine Schuld.
Monster.
Dämon.
**
Es fühlte sich fern an, doch Alec meinte eine sanfte Berührung ausmachen zu können. Sofort schlug er seine Augen auf, als jemand vorsichtig seinen Arm schüttelte und ganz leise seinen Namen sagte. »Daddy?«, war zu hören und Alecs Augen mussten sich vorerst an die Dunkelheit gewöhnen. Schon bald nahm er seinen ältesten Sohn war, der vor seinem Bett stand, eine Hand um Benni, seine Stoffkatze, die andere auf Alecs Arm. Dieser weitete seine Augen, als er Rafael weinen sah. Dicke Tränen glitzerten in der Dunkelheit und sofort schlugen bei Alec sämtliche Alarmglocken.
»Was ist passiert?«, flüsterte er, um Magnus nicht zu wecken. Er hörte, wie Rafael seine Nase hochzog, danach wischte er sich mit dem Ärmel seines Schlafanzuges über seine Wange. Ohne lange zu überlegen richtete sich Alec auf und streckte seine Arme in die Richtung seines Sohnes aus, der einige Schritte näher an ihn herantrat.
»Alles wird gut«, versicherte Alec und griff um Rafaels zarten Körper, um ihn schließlich zu sich zu heben. Er ließ ihn auf seinem Schoß nieder und drückte ihn sofort an sich; eine Hand auf dem Hinterkopf des Jungen und die andere auf seinem Rücken. Rafael schlag seine Arme um den Hals seines Vater und ließ dabei Benni fallen, der schließlich unsanft auf Magnus landete. Leise brummte der Warlock und drehte sich in Alecs Richtung. Dieser zuckte zusammen, als Rafael ganz plötzlich anfing laut zu schluchzen und bitterlich weinte. Auch Magnus riss daraufhin geschockt seine Augen auf und schaute zu dem kleinen Shadowhunter, der sich an Alec klammerte.
»Was ist passiert?«, fragte auch Magnus verschlafen und richtete sich auf. Mit seinen Handflächen fuhr er über sein Gesicht und hatte sichtlich Schwierigkeiten seine Augen offen zu halten. Alec schmunzelte bei diesem Anblick, doch seine Mundwinkel fielen schlagartig wieder, als Rafael vor lauter Weinen Schluckauf bekam. Alec versuchte ihn zu beruhigen, indem er gleichmäßig über seinen Rücken strich, doch auch das schien kein bisschen zu helfen. Er musste sich sehr zusammenreißen um nicht ebenfalls zu weinen, denn das Schluchzen seines Sohnes war absolut herzzerreißend. Verzweifelt schaute er zu Magnus, der seine Stirn in Falten gelegt hatte und dichter an die beiden heranrückte.
»Rafe, alles wird gut«, flüsterte Magnus leise, was beinahe von Rafaels Weinen übertönt wurde. Alec hatte nicht erwartet, dass Magnus seine Hände um den kleinen Körper seines Sohnes legen würde, um ihn schließlich zu sich zu heben. Alec hielt die Luft an, da er Rafaels Reaktion nicht einschätzen konnte, schließlich suchte er jedes mal eher Alecs Nähe, wenn er weinte. Dem kleinen Jungen schien es anscheinend nichts auszumachen, dass es nun Magnus war, der ihn in die Arme schloss. Überrascht beobachtete Alec, wie sein Sohn seine Hände in das T-Shirt von Magnus krallte und sich dicht an ihn drückte.
»Shhh«, Magnus flüsterte beruhigende Laute in sein Ohr und platzierte einige Küsse auf Rafaels Schläfe und Wange. Tatsächlich wurde das Schluchzen des kleinen Jungen leiser, nur noch seine Atmung ging zu schnell und flach, auch der Schluckauf meldete sich noch ab und zu. Erleichtert ließ sich Alec in seine Kissen sinken, behielt Magnus und Rafe jedoch genau im Auge. Auch Magnus legte sich vorsichtig auf die Seite, sodass Rafael zwischen Alec und ihm lag. Mit seiner eigenen Decke deckte er Rafael zu.
Manchmal kam es Alec so vor, als würde er eine vollkommen andere Person beobachten, wenn er Magnus mit den Kindern sah. Auch sonst war er sehr ruhig und liebevoll, aber wenn er mit Rafael oder Max zusammen war, verhielt er sich trotzdem anders. Alec konnte sich vorstellen, dass auch er sich sehr veränderte, wenn er mit seinen Kindern agierte, aber Magnus' Augen begannen förmlich zu leuchten, sobald er einen seiner Söhne sah. Auch jetzt musterte er Rafael, als ob dieser das wertvollste auf Erden war – was in gewisser Weise natürlich stimmte. Wie konnte Magnus so zärtlich sein, wenn das Leben ihm seit so vielen hundert Jahren so viel Schmerz brachte?
Alec hätte sich damals einen Vater wie Magnus gewünscht, der seinen Kindern immer das Gefühl gab geliebt zu werden. Jemand, der wenigstens versuchte zu verstehen, obwohl es manchmal schwer war. Manchmal brauchte es nur eine liebevolle Umarmung oder einen Kuss, damit es besser wurde, doch Alec konnte sich nicht erinnern irgendetwas dieser Dinge bekommen zu haben.
Er rückte näher an Rafael und wischte seine Tränen vorsichtig von seiner Wange, da dieser schließlich aufgehört hatte zu weinen. Er griff nach Benni und legte ihn an die Seite seines Sohnes, doch anstatt nach seinem Kuscheltier, griff dieser nach der Hand seines Vaters. Verblüfft ließ Alec dies zu und strich mit dem Daumen sanft über Rafaels Finger. Magnus lag ebenfalls auf der Seite und hatte seinen Kopf auf seine Hand gestützt, die andere Hand strich gleichmäßig durch Rafaels Haare.
»Hattest du einen schlechten Traum?«, fragte Alec leise und Rafael nickte mit glasigen Augen. Er hatte oft Albträume, vor allem hatte er diese in dem ersten Jahr gehabt, in dem er bei ihnen gelebt hatte. Noch nie hatte er erzählt, wovon er träumte, aber Alec konnte sich vorstellen, dass es mit dem Angriff auf das Institut zu tun hatte und somit auch mit dem Tod seiner leiblichen Eltern. Irgendwann hatte Alec aufgehört zu fragen, was vielleicht nicht ganz richtig gewesen war. Natürlich wollte er das Beste für sein Kind, doch manchmal wusste auch er nicht, was das Richtige und dementsprechend Beste war. Langsam machte er sich große Sorgen um das Wohlbefinden seines Sohnes. Der Tod seiner Eltern musste nun schon fast drei Jahre her sein und trotzdem hatte er immer noch diese Art von Träumen. Alec kannte sich nicht gut auf dem Gebiet Psychologie aus, aber normal schien Rafaels Verhalten nicht.
»Wovon?«, hakte er weiter nach und spürte Magnus' prüfenden Blick auf sich. Sie hatten schon oft über Rafaels Träume gesprochen und sich irgendwann darauf geeinigt nicht weiter nachzufragen. Lange schwieg Rafael und drückte Benni mit seiner freien Hand dichter an sich – die Hand, die nicht in der von Alec lag. Seine Aufmerksamkeit galt vollkommen der kleinen Stoffkatze, doch Alec wollte seine Frage nicht wiederholen, da er sich sicher war, dass Rafael ihn verstanden hatte. Immer noch strich Alec mit seinem Daumen über die weiche Haut der Hand seines Sohnes, der mit Bennis Ohren spielte.
Rafael schaute zu Magnus, dessen ernster Gesichtsausdruck schlagartig weich wurde. Seine Lippen formten sich zu einem schmalen Lächeln, danach strich er erneut durch die Haare seines Sohnes. Dieser schaute Magnus schon fast hilflos an, als könnte er ihn vor Alecs Fragen retten. Sofort überkam Alec ein schlechtes Gewissen, vor allem als er beobachtete, wie sich Rafael langsam von ihm wegdrehte und immer mehr in Magnus' Arme rückte. Dieser legte seinen Kopf, der bis eben auf seine Hand gestützt war, auf die Kissen und legte seinen nun freien Arm um seinen Sohn. Über Rafael hinweg warf Magnus Alec ein gequältes Lächeln zu, was der Shadowhunter erwiderte. Vielleicht musste er endlich akzeptieren, dass Rafael nie über dieses Thema sprechen würde.
Ganz leise begann Magnus eine Melodie zu summen, direkt in Rafaels Ohr, sodass Alec seine Worte fast nicht hören konnte, doch er kannte den Text bereits. Seit sie den kleinen Jungen aus Argentinien nach Hause gebracht hatten, hatte Magnus angefangen ihm dieses Schlaflied vorzusingen, wenn er nicht einschlafen konnte. Es war ein spanisches Lied, doch mittlerweile wusste sogar Alec die Wörter.
Sol solecito, caliéntame un poquito,
Por hoy, por mañana, por toda la semana.
Das Lied ging noch weiter, doch an mehr konnte sich Alec nicht mehr erinnern und sein Spanisch reichte nicht aus, um weitere Wörter zu verstehen, die Magnus sang. Vermutlich würde Alec nun für die nächsten zwei Wochen einen Ohrwurm haben, doch wenigstens half es Rafael, der sich in Magnus' Armen entspannte. Der Griff um seine Stoffkatze lockerte sich, sodass sie schließlich an seine Seite fiel. Vorsichtig rückte Alec näher an die beiden heran, woraufhin sich Rafael im Halbschlaf auf den Rücken drehte. Magnus beendete das Lied und auch er schloss langsam seine Augen, während seine Hand auf dem Bauch seines Sohnes ruhte.
Alec legte Benni an Rafaels Seite und legte seinen Kopf nah an den seines Sohnes, sodass er einen Kuss auf dessen Haar platzieren konnte. Auch er schloss seine Augen und nahm nur noch sehr leise die ruhige Atmung von Magnus und Rafael wahr. Er fühlte sich so hilflos, wenn es zu Rafaels Albträumen kam. Er würde seinen Sohn vor allem erdenklichen auf dieser Welt beschützen und es brachte ihn fast um den Verstand, dass es eine Sache gab, gegen die er machtlos war. Er wollte der Vater sein, den er nie gehabt hatte und hoffte jeden Tag aufs Neue, dass seine Kinder dies spüren konnten. Er würde nicht die Fehler seiner Eltern machen.
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(11.07.2018)
Das spanische Schlaflied habe ich aus Lord of Shadows übernommen, wo Magnus dem kleinen Rafael tatsächlich das Lied zum Einschlafen vorgesungen hat. Die Stelle fand ich so niedlich, dass ich sie einfach einbauen musste. :-)
Die Inspiration für das Kapitel ist aus dieser Geschichte: https://archiveofourown.org/works/11456208
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