10. Selbstlosigkeit
Selbstlosigkeit
»Hör auf«, murmelte Magnus verschlafen und versuchte Alec von sich zu drücken, wobei er nicht mehr so vorsichtig war wie vor ein paar Minuten. Alec musste jedoch zugeben, dass er nicht gedacht hätte, dass Magnus so geduldig war. Es war früh am Morgen und eigentlich musste man Augenblicke wie diese in vollen Zügen genießen; keiner ihrer beiden Kinder lag zwischen ihnen und auch keine Stimmen oder Schritte waren außerhalb des Raumes zu hören, was bedeutete, dass Max und Rafael tatsächlich noch schliefen.
Trotzdem war Alec hellwach und ärgerte Magnus, der offensichtlich gerne noch ein paar Minuten länger geschlafen hätte. Magnus lag auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen und er hielt schützend seine rechte Hand in die Luft, um sich blind vor Alec zu wehren. Dieser lag auf dem Bauch, sehr nah an seinem Partner, und versuchte an dessen Hals zu gelangen, doch Magnus blockte jedes mal ab. Alec konnte es ihm jedoch nicht übel nehmen, schließlich hätte er wahrscheinlich das gleiche getan, wenn Magnus ihn geweckt hätte.
Als Alec für einen Moment zurückzog und wartete, sah es fast so aus, als rechnete Magnus damit, dass Alec aufgab. Er ließ seine Hand erschöpft sinken, rechnete jedoch vermutlich nicht mit Alec, der seinen Oberkörper auf Magnus' legte, der daraufhin schwer ausatmete. »Warum bist du so?«, brummte er, Alec lachte leise.
Es war bereits Mitte November und vor allem die Nächte wurden in New York fast unerträglich kalt, auch morgens gefror man förmlich zu Eis, wenn man einen Schritt vor die Tür wagte, bevor die Sonne aufging. Alec hätte sich zum Schlafen lieber ein Shirt anziehen sollen, doch Magnus' Körper wärmte genau so gut, wie er nun feststellte. Er schaffte es sogar sein Gesicht doch noch an seinen Hals zu drücken, worauf der Warlock irgendetwas murmelte, was Alec nicht verstand. Magnus schien jedoch nachzugeben, da der Shadowhunter schon bald eine Hand auf seinem Rücken spürte.
»Wach auf«, Alec fand großen Spaß darin seinen Partner zu ärgern. Er platzierte einige Küsse auf Magnus' Wange, danach auf seiner Schläfe und seinem Kiefer. Dabei versuchte er sich so gut wie möglich an ihm zu wärmen und wollte gerade ein Stück weiter auf ihn klettern, als Magnus plötzlich nach seinem Handgelenk griff. Alec starrte überrascht in zwei goldene Augen mit zwei ovalen Pupillen, die immer schmaler wurden, je länger er seine Augen offen hielt.
Mit Schwung stieß er Alec von sich und drückte ihn in die weiche Matratze, nur um sich im nächsten Moment über ihn zu lehnen, Alecs Handgelenke in seinen Händen. Dieser versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch Magnus war zu stark.
»Gott, du bist so unglaublich nervig«, seufzte Magnus genervt, jedoch konnte Alec das kleine Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen, vor allem als Alec erkannt hatte, dass er keine Chance gegen ihn hatte. Da seine Beine das einzige waren, was er noch bewegen konnte, schlang er diese um Magnus' Körper und drückte ihn näher an sich. Tatsächlich schien Magnus seine Intention zu verstehen und legte seine Lippen auf die von Alec, der triumphieren kicherte. Dadurch, dass Magnus nun seine Balance verlor und sich auf Alecs Körper niederließ, war er nicht mehr auf die Handgelenke des Shadowhunters gestützt, sodass dieser seine Hände befreien konnte.
Magnus vertiefte den erst harmlosen Kuss, woraufhin Alec mit seinen Fingern durch die Haare des Warlocks fuhr, danach zu seinem Nacken und seinen Schultern. Eigentlich war dies auch eine der Gründe gewesen, warum Alec Magnus hatte aufwecken wollen, schließlich ergaben sich solche Gelegenheiten eher selten, vor allem wenn man Kinder hatte. Alecs Hände wanderten immer weiter nach unten, bis sie schließlich den Bund von Magnus' Unterhose erreichten. Langsam ließ er seine Finger unter den Stoff gleiten.
»Bin ich immer noch nervig?« fragte Alec neckend. Magnus schüttelte den Kopf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, das Alec vollkommen vergessen ließ, dass er eben noch gefroren hatte. Sein Herz schlug bis zum Hals, als er in Magnus Augen blickte und er konnte förmlich das Blut in seinen Adern rauschen hören.
»Daddy, Papa!«, sofort schreckte Magnus auf, Alec Beine waren jedoch immer noch um seinen Körper geschlungen, weshalb er nicht weit kam. Er rollte seine Augen und legte seine Hände an Alecs Beine, um sie von sich zu lösen. Seine Handflächen waren angenehm warm auf Alecs kalter Haut und Alec seufzte leise.
»Was ist?«, rief Magnus zurück und Alec konnte eine sehr leise Melodie von der anderen Seite der Tür ausmachen. Er erkannte Magnus' Klingelton. Ein Lied das keiner kannte und bei dem sich Alec sicher war, dass er es irgendwo aus dem Internet heruntergelanden hatte. Er würde sogar behaupten, es wäre der erste Vorschlag, der angezeigt werden würde, wenn man nach „komische Klingeltöne aus den 2000ern" googelte.
Magnus atmete geräuschvoll aus und kletterte erst von Alec herunter, danach stieg er vom Bett und griff wahllos nach einem Shirt, was über der Couch in der Nähe der Tür lag. Schnell zog er es sich über den Kopf und öffnete die Tür. Alec vermisst schon jetzt seine Wärme und das Kribbeln in seinem Körper, dort wo Magnus ihn berührt hatte.
Nun konnte Alec den Klingelton noch lauter hören, doch er verstummte noch bevor Magnus richtig aus der Tür getreten war. Stattdessen sah er nun seine Söhne; Max hielt Magnus das Telefon entgegen, während Rafael an seinem Vater vorbei zu Alec schaute. Als er diesen erblickte, lief er zum den großen Doppelbett und krabbelte an Alec Seite.
»Papas Handy klingelt schon den ganzen Morgen«, beklagte sich der kleine Shadowhunter, woraufhin Alec die Decke über den Körper seines Sohnes legte und schmunzeln musste. Er hatte mittlerweile fast vollkommen seinen spanischen Akzent verloren, jedoch sorgte Magnus dafür, dass er immer noch regelmäßig Spanisch sprach, damit er es nicht verlernte. Manche Wörter übernahm er hingegen nicht aus dem Englischen, aber Alec glaubte nicht, dass es daran lag, dass er sie nicht wusste. Für ihn war Chairman Meow „gato", das spanische Wort für Katze und dies würde sich vermutlich auch nicht ändern.
Alec konnte Magnus' Stimme aus dem Flur hören, jedoch nicht was er sagte. Er schien zu telefonieren, denn schon bald spazierte auch Max ins Schlafzimmer und krabbelte neben Rafael. »Mit wem telefoniert Papa?«, fragte Alec deshalb, doch Max zuckte mit den Schultern. Rafael musterte seinen Bruder prüfend, als dieser über ihn stieg und auf den Körper seines Vaters kletterte. Alec lachte, als Max es sich auf ihm bequem machte; auf dem Bauch lag er auf Alecs Seite, den Kopf hatte er auf die Schulter des Shadowhunters gelegt und seine Beine jeweils rechts und links von Alecs Körper.
Alec griff nach Max Fuß, der sich an seinem Bauch befand und kitzelte ihn, woraufhin der kleine Warlock ein fröhliches Quietschen von sich gab und sich versuchte aus dem Griff seines Vater zu befreien. Max' Füße waren eiskalt, da er keine Socken trug und Alec beschloss seine Hand dort zu lassen, wo sie war, um zumindest einen Fuß zu wärmen. Rafael sah schon fast eifersüchtig aus, als er näher an Alec rückte und sich an seine andere Schulter kuschelte. Mit seiner freien Hand drückte Alec seinen ältesten Sohn dichter an sich und schloss für einen Moment die Augen.
Er verbrachte den Morgen zwar gerne ohne Kinder mit Magnus im Bett, doch in Momenten wie diesem konnte er nicht glücklicher sein. Innig hoffte er, dass Rafael und Max noch für eine lange Zeit zu ihm ins Bett krabbeln würden und nicht schon in zwei Jahren aus diesem Alter raus waren. Er genoss das Gefühl gebraucht und geliebt zu werden und würde diesen Moment für nichts auf der Welt eintauschen.
Leider wurden die drei schon kurze Zeit später wieder gestört, als Magnus geräuschvoll das Zimmer betrat und mit einer kurzen Handbewegung jegliche Lichter im Raum anschaltete. Auch die Gardinen flogen zur Seite, jedoch war es noch ziemlich dunkel draußen. Alec verkniff sich jegliche Bemerkungen, da sich schließlich zwei Kinder im Raum befanden und warf Magnus stattdessen einen strengen Blick zu.
»Willst du nicht lieber noch für einen Moment in Bett kommen?«, schlug Alec verschlafen vor und schaffte es kaum seine Augen offen zu halten. Vor ein paar Minuten war er noch hellwach gewesen, doch nun bereute er, dass er die Zeit heute Morgen nicht zum Schlafen genutzt hatte.
»Zuerst müssen wir jemand ganz besonders treffen«, verkündete Magnus aufgeregt und trat näher auf das Bett zu. Er hob Max auf seinen Arm, der leise protestierte, worauf Alec schließlich doch seine Augen öffnete. »Wen?«, hakte er nach und legte seine nun freie Hand ebenfalls um Rafael.
»Ihr Name wurde mir am Telefon nicht verraten, aber ich denke wir werden ihn Vorort herausfinden«, erwiderte Magnus geheimnisvoll und Alec brauchte einen Moment um seine Worte richtig sacken zu lassen. Plötzlich realisierte er, was Magnus ihm mitteilen wollte und er richtete sich auf, Rafael in seinen Armen quiekte überrascht.
»Clary?«, war das erste was er daraufhin antworten konnte. »Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass sie die Kleine nicht Clary genannt haben, aber wenn du das denkst ... «, kommentierte Magnus, doch Alec schüttelte bloß den Kopf und warf die Bettdecke zurück. Vorsichtig stieg er über Rafael aus dem Bett und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Ist sie schon...?«, hakte Alec nach, brach jedoch ab, als er Magnus bereits nicken sah, bevor er die Wörter ausgesprochen hatte. Sein Körper kribbelte vor Aufregung nur bei dem Gedanken an seine kleine Nichte, die er womöglich schon sehr bald in seinen Armen halten konnte.
»D-dann müssen wir ins Institut«, sprach Alec schließlich und lief vollkommen orientierungslos im Zimmer auf und ab, bevor er sich vor seinen Kleiderschrank stellte und wahllos nach Klamotten griff. Im Hintergrund hörte er Magnus kichern, danach verschwand sein Partner mit Max auf dem Arm aus der Tür. Alec hörte Magnus Rafaels Namen rufen, worauf der kleine Shadowhunter sich sofort aus dem Bett seiner Eltern erhob und seinem Vater aus dem Zimmer folgte.
Schon wenige Augenblicke später stand die gesamte Familie im Institut. Alec war sich sicher, dass er nun einen Orden verdient hatte, da er seine Kindern in echter Rekordzeit fertig gemacht hatte. Die Kombination der Kleidungsstücke hätte sogar schlimmer sein können, obwohl man genau erkennen konnte, wer von Magnus und wer von Alec eingekleidet wurde. Selbst auf die Schnelle hatte Magnus für Max ein Outfit aus dem Schrank gezogen, für das sich Alec sehr große Mühe hätte machen müssen.
Vor Clary und Jaces Raum empfing sie Isabelle mit Elias auf dem Arm und einem breiten Lächeln auf ihren Lippen. »Hast du sie schon gesehen?«, war das erste, was Alec sie fragte. Seine Schwester nickte aufgeregt; »Sie ist bezaubernd! Geht rein, ich kann auf die Kinder aufpassen«, liebevoll legte sie eine Hand auf Max' dunkle Locken, der auf sie zugerannt war, sobald er sie erblickt hatte. Alec nahm an, es war besser vorerst ohne Max und Rafael in das Zimmer zu treten, zumindest würde es vor allem Max nicht schaffen sich etwas unter Kontrolle zu halten. Den beiden Jungs schien es jedoch nichts auszumachen, vermutlich verstanden sie auch nicht wirklich, was genau vor sich ging. Sie waren viel zu beschäftigt mit ihrer Tante und ihrem Cousin um überhaupt zu merken, dass Alec und Magnus an die Tür klopften und leise das Zimmer betraten.
Das erste was Alec erkennen konnte, war Clary auf dem großen Doppelbett in der Mitte des Raumes. Neben ihr saß Simon, in seinen Armen das Baby, was durch die große Decke nicht richtig zu erkennen war, in das es eingewickelt war. Seinen Parabatai erkannte Alec erst ziemlich spät. Er stand ein wenig von Clary und Simon entfernt, jedoch auf der selben Seite des Bettes. Ganz in schwarz gekleidet erkannte man ihn im eher dunklen Raum fast nicht. Erst als Alec und Magnus ein paar Schritte auf die anderen zutraten, konnte er Jace richtig erkennen. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, während er auf Simon und das Baby schaute.
Sein Gesichtsausdruck änderte sich auch nicht, nachdem er Alec und Magnus bemerkt hatte. Alecs Augen trafen die von Jace und erst als Magnus die Tür wieder hinter sich schloss, drehte sich auch Clary in ihre Richtung. Auch ihre Lippen zierte ein Lächeln, jedoch sah sie unheimlich erschöpft und blass aus. Ganz leise bewegte sich Alec hinüber zu den anderen und hörte auch Magnus, der ihm folgte.
Niemand traute sich einen Ton von sich zu geben und vermutlich hätte man eine Stecknadeln fallen hören können. Alle Augen waren auf das kleine Baby in Simons Armen gerichtet, das friedlich schlief, in eine große Decke gewickelt. Es erinnerte Alec an Max, obwohl dieser etwas älter gewesen war, als er ihn zum ersten Mal so gehalten hatte. Doch er war genauso bezaubernd gewesen und hatte Alec genauso in seinen Bann gezogen wie das kleine Mädchen vor ihm. Sie hatte nur sehr wenig Haare und die, die zu erkennen waren, waren hellblond gefärbt, sodass sie kaum zu erkennen waren. Ihre Haut war schneeweiß und sie sah fast aus wie eine Porzellanpuppe, fast schon unecht.
Magnus schlich an Alec vorbei zu Clary, die sich in ihren Kissen zurückgelehnt hatte und sich nun eher in einer liegenden Position befand. Sie warf Magnus ein liebevolles Lächeln zu, als dieser mit seinem Handrücken kurz über ihre Wange fuhr. Mit einer Hand griff sie nach der von Magnus und drückte sie kurz, bevor sie wieder abließ. Alec wollte Clary ebenfalls Zuneigung zeigen, jedoch war er vollkommen fixiert auf seine kleine Nichte. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen und erst als Simon zu Alec aufblickte, erwachte dieser aus seiner Starre und schaute zu Clary, die ihm ein müdes Lächeln zuwarf, was er erwiderte.
Alec konnte sich nicht erinnern, dass er einen solchen Moment mit Elias gehabt hatte. Er liebte seinen kleinen Neffen über alles, trotzdem fühlte es sich mit seiner kleinen Nichte anders an. Ein letztes Mal schaute Simon auf das Baby in seinen Armen, bevor er sich langsam erhob und es wieder an Clarys Seite legte.
»Ich warte draußen bei Isabelle«, informierte er sie, worauf sie verständnisvoll nickte und einen beschützenden Arm um ihre Tochter legte, die sich neben ihr auf den vielen Kissen befand, die sie umgaben.
»Sie ist wirklich unglaublich niedlich«, sprach Magnus und setzte sich an Clarys Seite. Mit dem Finger strich er vorsichtig über die Wange seiner Nichte und musterte sie genau, wie Alec es bis eben getan hatte. »Wie heißt sie?«, fragte Magnus schließlich, worauf sich ein schmales Grinsen auf Clarys Lippen bildete.
»Charlotte«, antwortete Clary und Magnus lachte kurz und schüttelte den Kopf. »Du würdest eine alte Freundin von mir damit sehr glücklich machen«, ließ er sie wissen. Alec kannte keine andere Charlotte, doch Magnus deutete mit diesem Kommentar wohl auf jemanden hin, der lange vor Alec gelebt hatte. Er war überrascht, als er Clarys zufriedenen Gesichtsausdruck sah; sie wusste genau von wem Magnus redete.
»Charlotte Fairchild - die erste weibliche Konsulin«, bestätigte Clary und anhand des Nachnamens erkannte Alec die Beziehung zu diesem Namen.
»Eine wundervolle Frau«, versicherte Magnus, »Und ein wundervoller Name für eine wundervolle kleine Prinzessin«, wieder strich er über Charlottes Wange, die daraufhin ihren kleinen Mund öffnete und ausgiebig gähnte.
»Willst du sie halten?«, fragte Clary an Magnus gewandt, der jedoch abwinkte, »Gib sie lieber Alexander«, flüsterte er, als ob es Alec nicht hören sollte. Clarys Blick glitt zu Alec, der ganz plötzlich unheimlich nervös wurde und sich sogar ein wenig wegen Magnus' Worten schämte. Erwartungsvoll sah sie ihn an, bevor Magnus ein wenig zu Seite rutschte und Platz für ihn machte. Unsicher ließ sich Alec neben ihm auf dem Bett nieder und drehte sich zu Clary und Charlotte.
Clary hob ihre Tochter vorsichtig an und überreichte sie Alec, der sie zögernd entgegennahm und in seine Arme schloss, nachdem er Clary ein Lächeln zugeworfen hatte. Er fragte sich, ob sich ihre Gefühle für das Baby nun nach der Geburt geändert hatten, doch er mochte nicht fragen, zumindest nicht jetzt, wo jeder im Raum zuhörte.
Er konzentrierte sich voll und ganz auf das kleine Wesen in seinen Armen, das ihm immer mehr wie eine Puppe erschien mit der makellosen blassen Haut und den perfekten Gesichtszügen. Es war schwer zu erkennen, ob sie bereits einem Elternteil ähnlich sah, doch er glaubte ein wenig mehr Jace in ihr zu sehen. Alec konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal ein so hübschen Baby gesehen hatte (natürlich abgesehen von Max).
Als Charlotte ihre Lider langsam öffnete und Alec in zwei große blaue Augen sah, fühlte er sich zurückversetzt zu dem Moment, an dem er seinen jüngsten Sohn zum ersten Mal erblickt hatte. Ab diesem Zeitpunkt hatte er gewusst, dass sich die ganze Welt nur noch um ihn drehen würde und er alles erdenkliche tun würde, um ihn zu beschützen. So war es auch mit Charlotte, die ausgiebig gähnte und damit jeden im Raum breit schmunzeln ließ. Er würde alles für dieses kleine Wesen in seinen Armen tun, genauso wie für Rafael und Max.
Ganz leicht bewegte Charlotte ihren Kopf, den Alec mit seiner rechten Hand stützte. Ihr Kopf war so unheimlich klein und nur fast so groß wie die Handfläche des Shadowhunters. Vorsichtig strich er mit dem Daumen über ihre wenigen blonden Haare, woraufhin sie ihre Augen wieder schloss. Alec wusste nicht wieso, aber es fühlte sich anders an als der Moment, in dem er Elias zum ersten mal gehalten hatte. Vielleicht lag es daran, dass er nur wenig von Isabelles Schwangerschaft mitbekommen hatte; er war nicht besonders oft im Institut gewesen und die meiste Zeit hatten die beiden Geschwister eigentlich immer auf der Jagd verbracht, von der Izzy natürlich nicht mehr Teil gewesen war.
Vielleicht lag es auch daran, weil er die ganzen Monate über das Bedürfnis gehabt hatte Clary zu helfen. Sie war so verzweifelt gewesen und Alec hatte gewusst, dass er dem Kind deshalb umso mehr Liebe schenken musste, falls es Clary allein nicht konnte.
»Sie hat aber ganz sicher deine Augen, Clarissa«, sprach schließlich Magnus, der sich über Charlotte beugte, die erneut ihre Augen geöffnet hatte und den Warlock interessiert musterte, obwohl sie vermutlich noch nichts richtig wahrnehmen konnte. Clary lächelte leicht und Alec fragte sich, ob Magnus dies nur gesagt hatte, weil er die Stille brechen wollte, schließlich konnte Alec noch nicht wirklich sagen, von wem sie nun die Augen geerbt hatte. Sie sahen weder nach Clary noch nach Jace aus.
»Ich glaube, eure kleine Charlotte hat Alexander vollkommen verzaubert«, kommentierte Magnus und auch Jace und Clary mussten daraufhin leise kichern. Magnus legte einen Arm um Alec und drückte kurz seine Schulter, woraufhin Alec ihn überrascht ansah. Sein Kopf wurde heiß, als das Blut in seinen Kopf strömte, weshalb er verlegen wieder zu dem Baby schaute.
»Ja, ich glaube auch«, flüsterte Alec und strich mit seinem Zeigefinger vorsichtig über Charlottes Nase. Charlotte, die vielleicht ein bisschen mehr war als nur seine Nichte.
***
Es war ungewohnt früh, als Magnus und Alec nebeneinander im Bett lagen. Die Kinder waren sogar vollkommen freiwillig ins Bett gegangen, vermutlich weil sie heute Morgen so früh durch Magnus' Handy geweckt worden waren. Sie hatten Charlotte letztendlich doch nicht zu Gesicht bekommen. Alle hatten es für das Beste gehalten, den Kindern ihre Cousine erst später vorzustellen, außerdem hätte Alec Clary seine Söhne in diesem Zustand auch nicht zumuten wollen.
Magnus war merkwürdig still, sodass sich Alec bereits Sorgen machte und in seinem Kopf den gesamten Tag Revue passieren ließ, auf der Suche nach einem Fehler seinerseits. Zögernd drehte er sich auf die andere Seite, sodass er ihn anschauen konnte; er lag auf dem Rücken und schaute an die Decke, seine Augen waren dabei immer noch geöffnet. »Alles gut?«, hakte Alec nach, doch Magnus rührte sich immer noch nicht.
In der Dunkelheit konnte Alec ihn nur schwer erkennen, doch es war Vollmond und sie hatten vergessen die Gardinen zu schließen, weshalb das Zimmer schwach beleuchtet wurde. Ein leichter weißer Schimmer lag nun auf Magnus, gerade so hell, dass Alec Magnus' Gesichtszüge erkennen konnte. Mit der Hand war er durch seine Haare gefahren, die nun leicht abstanden, obwohl sie frei von jeglichen Haarprodukten waren, die Magnus sonst immer trug. Auch sein Gesicht zeigte keine Spuren seines Make-Ups mehr und Alec genoss den Gedanken, dass nur er das Privileg hatte ihn in diesem Zustand sehen zu können.
Tief atmete der Warlock ein und aus, was Alec nicht entging, danach öffnete er seinen Mund, schloss ihn jedoch wieder, als ob er nicht wüsste, was er sagen sollte. Am liebsten wollte Alec eine Hand ausstrecken und Magnus berühren, irgendwo, egal wo. Einfach seine Hand auf die seines Partners legen und spüren, dass er da war, doch irgendetwas hielt ihn zurück, sodass er seine Hände bei sich behielt.
»Möchtest du noch weitere Kinder haben?«, flüsterte Magnus irgendwann so leise, dass Alec es beinahe nicht gehört hatte. Irritiert legte er seine Stirn in Falten und musterte das Profil des Warlocks. Fieberhaft suchte er nach der richtigen Antwort auf diese Frage, doch er wusste nicht, wie sie gemeint war. Er konnte nicht einordnen, ob Magnus damit einen eigenen Wunsch aussprach oder doch eher das Gegenteil.
»Ich-, also- . . . «, natürlich würde sich Alec über eine weitere Möglichkeit freuen ihre Familie zu erweitern, aber so genau hatte er nicht darüber nachgedacht, zumindest nicht seit Rafael zu ihnen gekommen war. Auch Magnus hatte eigentlich nie den Wunsch nach einem weiteren Kind geäußert, weshalb Alec die Frage etwas überraschte.
»Ich habe gesehen, wie du Charlotte angeguckt hast. Du wünscht dir immer noch ein Kind, oder? Ein Baby?«, nun drehte sich auch Magnus auf die Seite, um Alec in die Augen zu schauen. Er stützte seinen Kopf auf seine Hand und musterte ihn. Alec hatte gar nicht realisiert, dass man seinen Blick so hätte deuten können. Er erinnerte sich, dass es damals bei Elias tatsächlich zutreffend gewesen war. Als er seinen Neffen zum ersten Mal gehalten hatte, hatte der Wunsch nach einem zweiten Kind auf jeden Fall bestanden. Danach hatten Alec und Magnus eine lange Diskussion geführt, doch diesmal hatte Alec gar nicht gedacht, dass es zu einer führen würde.
»Ich weiß es nicht«, gab Alec offen zu, da er tatsächlich nicht wusste, wie er seine Gefühle einordnen sollte. Er sah wieder Charlotte vor sich und überlegte, wie es wohl wäre, wenn er seine eigene Tochter in seinen Armen halten könnte. Natürlich würde damit ein großer Wunsch in Erfüllung gehen, doch es war nicht so wie damals vor Rafael, als ihn der Gedanke an kein zweites Kind wirklich traurig gemacht hatte.
Magnus seufzte leise, »Es tut mir leid, dass ich dir so etwas nicht geben kann«, sagte er, worauf Alec erschrocken den Atem anhielt.
»Magnus...«, begann er, wurde jedoch unterbrochen. »Ich würde alles erdenkliche für dich tun, Alexander, und mit Magie hab ich dazu noch fast unendlich viele Möglichkeiten, aber ich weiß, dass dort eine Sache ist, die ich dir selbst als Warlock nicht erfüllen kann und das macht mich so...«, er stockte und suchte nach den richtigen Worten, »...wütend«, beendete er schließlich.
Geschockt richtete sich Alec auf; »Hey, nein, Magnus...«, fing er an und rückte näher an den Warlock, der leicht den Kopf schüttelte. Alec meinte ein Glitzern in seinen Augen sehen zu können, weshalb auch er das Brennen hinter seinen Augenlidern spüren konnte. Zum ersten Mal schaute Magnus ihn an, als sich Alec auf den Bauch gedreht hatte und nun über ihm lehnte, sodass er ihm direkt in die Augen schauen konnte.
»Ich bin glücklich«, versicherte er Magnus, woraufhin dieser sogar leicht lächelte. »Ich brauche kein weiteres Kind um glücklich zu sein. Ich habe Max und Rafael. Ich habe dich«, mit dem Handrücken strich er sanft über Magnus' Wange, bevor er fortfuhr. »Kinder sind etwas schönes und, Gott, Magnus, ob wir zwei oder zwanzig Kinder haben ist mir dabei vollkommen egal«, jetzt musste auch Magnus lachen, der seine Hand hob und auf Alecs Wange legte. Mit dem Daumen strich er die Träne weg, die sich unauffällig ihren Weg aus Alecs Augenwinkel gesucht hatte.
»Bevor ich dich kennengelernt habe, hatte ich gedacht, ich würde niemals Kinder haben. Ich habe mich noch nicht einmal getraut darüber nachzudenken, also hör auf zu sagen, dass du der Grund bist, warum meine Wünsche nicht in Erfüllung gehen, denn du bist der Grund, warum ich wunschlos glücklich bin«, dabei meinte er jedes Wort so, wie er es gesagt hatte. Es war die komplette Wahrheit, denn Alec lebte bereits das Leben, was er sich damals am meisten gewünscht hatte.
»Ich denke, ich hatte Angst, dass es so ist, wie damals nach Elias' Geburt«, sagte Magnus schließlich und strich mit seiner anderen Hand langsam über Alecs Arm, mit dem er sich vom Bett abstützte. »Du warst so traurig und ich habe nicht richtig reagiert, es tut mir leid. Vermutlich habe ich es einfach nicht richtig verstanden, aber das habe ich viel zu spät realisiert, erst als Rafael bereits bei uns war«, fügte er noch hinzu, worauf Alec seinem Blick auswich. Er dachte nicht gerne über all die Streitereien zwischen ihm und Magnus nach, die sie aufgrund von Alecs Kinderwunsch gehabt hatten. Zwar war schließlich Rafael in ihr Leben getreten und hatte alle Probleme unter den Teppich gekehrt, trotzdem wusste Alec, dass er in vielen Situationen falsch gehandelt hatte.
Er hatte nicht gesehen, dass er eigentlich schon alles gehabt hatte, was er brauchte und das war Magnus. Er war derjenige gewesen, der Alec dieses Leben überhaupt ermöglicht hatte. Ein Leben, in dem er so sein konnte, wie er wollte, und sich nicht verstecken musste. Ein Leben mit einem gesunden Kind und einem liebenden Partner an seiner Seite.
»Auch da war ich glücklich«, erwiderte Alec und sah wie Magnus fragend seine Stirn in Falten legte. »Ich habe es nur nicht richtig erkannt«, fügte er noch hinzu, weshalb Magnus leicht schmunzeln musste. Daraufhin konnte Alec einfach nicht mehr widerstehen und drückte seine Lippen auf die des Warlocks.
»Willst du noch weitere Kinder?«, fragte Alec nun als Gegenfrage und löste sich wieder von den Lippen seines Gegenübers.
»Ich möchte das, was du möchtest«, antwortete er und Alec verdrehte lachend seine Augen. »Das ist keine Antwort. Ich hab' dich gefragt und nicht mich«. Magnus ließ seine Hände auf Alecs Rücken gleiten und drückten ihn näher an ihn heran, bis Alecs Arme schließlich aufgaben und er nun komplett auf Magnus lag. Dieser strich danach mit seinen Fingern gleichmäßig durch die dunklen Haare des Shadowhunters.
»Ich habe nie den großen Wunsch verspürt Kinder zu haben«, sprach Magnus nach einer langen Pause, in der beide geschwiegen hatte. Geschockt hob Alec seinen Kopf von der Brust seines Partners und zog seine Augenbrauen in die Höhe. Diese Antwort hatte er tatsächlich nicht erwartet. »Aber ich liebe Max und Rafael mehr als alles andere auf der Welt«, versicherte er, nachdem er Alecs Gesichtsausdruck sah.
»Warum hast du das nie gesagt?«, empörte sich Alec und musste zugeben, dass ihn die Antwort wirklich sehr geschockt hatte. »Weil ich das Gefühl hatte, Kinder waren einer deiner größten Wünsche, also war es dementsprechend auch einer meiner größten Wünsche«, sagte Magnus so selbstverständlich, als ob sie von einem einfachen Möbelstück in ihrer Wohnung sprechen würden. Alec war sprachlos. Er suchte nach den richtigen Worten, während er Magnus' Gesicht genau musterte, fand jedoch keine und legte seine Stirn seufzend auf die Brust seines Partners, danach schloss er die Augen.
Er hatte Magnus nicht verdient; er hatte weder seine Selbstlosigkeit verdient noch die Art, wie er Alec jeden Tag aufs Neue bewies, wie sehr er ihn liebte. Magnus war all das, was Alec versuchte zu sein und er wusste beim besten Willen nicht, was er in seinem Leben richtig gemacht hatte, um so eine wundervolle Person an seiner Seite zu haben.
»Denkst du auch jemals an dich selbst?«, fragte Alec und hob schmunzelnd seinen Kopf, nur um in Magnus' zuerst verwirrtes Gesicht zu blicken, dass sich jedoch in ein amüsiertes wandelte. Er legte eine Hand auf Alecs Wange, woraufhin sich dieser in seine Berührung lehnte. Er schloss kurz die Augen, als Magnus mit dem Daumen sanft über seinen Wangenknochen strich.
»Ich hatte eigentlich gehofft, das ist deine Aufgabe«, erwiderte Magnus gespielt ernst, bevor sich seine Mundwinkel hoben und er leise lachte, Alec stimmte mit ein. Ich werde immer an dich denken, dachte er, konnte es jedoch nicht aussprechen, er wusste nicht wieso. Er nickte nur leicht und legte seinen Kopf zurück auf die Brust des Warlocks, der mit seiner Hand gleichmäßig durch die Haare des Shadowhunters strich. Alec griff nach Magnus freier Hand und drehte seine Ringe abwesend mit seinen Fingern hin und her.
Jeder von ihnen war bestimmt zehnmal so alt wie Alec selbst und eines Tages würde er liebend gern die Geschichte zu jedem einzelnen hören. Er mochte den großen Ring an seinem Zeigefinger mit dem blauen Stein in der Mitte. Er sah schon sehr alt aus und er konnte sich vorstellen, dass er damals einmal glänzend silbern gewesen war. Das Material war nun ziemlich zerkratzt und matt, außerdem lief es an einer Stelle bereits dunkel an. Alecs Lieblingsring war jedoch der, den der Warlock an seinem Ringfinger trug. Für Magnus' Verhältnisse war es ein ziemlich dezenter Ring, ebenfalls silbern, verziert mit einem kleinen schwarzen Stein und einem hübschen eingravierten Muster. Auch diesen drehte er zwischen seinen Fingern, was gar nicht so leicht ging, da dieser einer der Ringe war, die Magnus nie ablegte.
»An was denkst du?«, flüsterte Magnus irgendwann und Alec hatte gar nicht gemerkt, dass schon so viel Zeit vergangen war. Er stoppte seine Bewegung und beobachtete Magnus' Hand, die sich schließlich auf seine legte. Er war plötzlich unglaublich müde und hätte hier und jetzt einschlafen können, seine Augen fielen bereits zu.
»Manchmal ist es o.k. ein bisschen egoistisch zu sein«, ließ er Magnus wissen, der daraufhin seine Hand stoppte, die immer noch durch Alecs Haare fuhr. »Du musst dich nicht komplett aufopfern«
»Ich habe nichts opfern müssen. Ich lebe das Leben, was ich mir immer gewünscht habe, auch wenn ich damals noch nicht richtig gewusst habe, wie dieses Leben aussehen sollte. Vielleicht habe ich mir nicht vorgestellt einen kleinen blauen Warlock und einen argentinischen Shadowhunter aufzunehmen, aber das bedeutet nicht, dass ich irgendetwas bereue. Dort ist nicht eine Sache, die ich an unserem jetzigen Leben ändern würde, Alexander«, sprach er leise und so ernst, dass Alec nicht anders konnte, als ihm zu glauben.
»Aber findest du nicht auch, das zwanzig Kinder tatsächlich etwas viel sind?«, fügte er vorsichtig hinzu, um Alecs Aussage von eben wieder aufzugreifen. Alec lachte bloß und seufzte leise, als Magnus seine Hand wieder durch seine Haare gleiten ließ. Die Hand, die über Alecs lag, glitt schließlich auf den Rücken des Shadowhunters, doch dieser bekam alles nur noch im Halbschlaf mit. Er überlegte noch, ob sein Gewicht nicht zu schwer für den Warlock war, doch dieser drückte ihn noch näher an sich.
»Ich liebe dich«, Alec hatte Schwierigkeiten Magnus Stimme richtig aufzunehmen. Er hörte sich sehr weit weg an und Alec hatte nicht mehr die Kraft zu antworten. Doch Magnus wusste, was Alec erwidert hätte. Magnus würde es immer wissen.
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I think I want you more than want
I know I need you more than need
I want to hold you more than hold
When you stood in front of me
I think you know me more than know
And you see me more than see
I could die now more than die
Every time you look at me
-The Script (Never Seen Anything "Quite Like You")
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(09.05.2018)
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