30 || der Geistersee

JESTER

Riesige Kiefern ragten in den Himmel. Die Baumspitzen waren nicht mehr zu sehen, so weit oben waren sie. Er konnte nur den leichten Nebel erkennen, der sich über den Wald gelegt hatte. Eine Gänsehaut überzog Jesters Körper. Der Wald strahlte eine gewisse Dunkelheit aus, etwas Angsteinflößendes. Doch obwohl es so dunkel war, schien der Wald zu leuchten zwischen den Baumstämmen hindurch. Ein Licht, welches fesselt. Jester hatte das unmittelbare Bedürfnis sich dem Strahlen hinzugeben und ihnen zu folgen.

„Das wird der See sein", flüsterte Tainja und deutete in die Richtung, in welche Jester blickte. „Dort müssen wir hin, nicht?"

Jester nickte stumm. Er fühlte, dass er hier richtig war. Hier musste er hin, hier würde er mehr erfahren von seiner Zukunft, von seinem Leben.

Er warf einen Blick hinter sich und sah zu Mihee. Im Gegensatz zu den anderen drei, wirkte sie nicht fehl am Platz. Ihre dunklen Haare wirkten auf einmal so glänzend. Wie Wasser wirkten sie auf ihrem Kopf. Ihre Augen leuchteten. Schuhe hatte sie mittlerweile nicht mehr an.

„Kommt, wir sind noch nicht am Ende der Reise", meinte Jester und er fokussierte wieder das Leuchten.

Zu Jesters Überraschung hab es viele Trampelpfade, die in die Mitte des Waldes führte. In den Wald hinein konnte Jester nicht weit gucken. Überall quirlte Nebel hervor, der die Sicht einschränkte. Das Einzige, was zu erkennen war, waren leichte bläuliche und grünliche, flackernde Lichter.

„Sind das Lampen?", fragte Tainja und Jester zuckte mit den Schultern.

Mihee holte die beiden ein. „Das sind Blumen. Das sind alles Blumen. Sie freuen sich uns zu sehen." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.

„Du bist-", begann Tainja, doch sie setzte ihren Satz nicht fort.

„Schicksalsgeist", sagte Mihee. „Aber ich bin bei den Elfen aufgewachsen, ich weiß nicht viel über die Bräuche und Lebensweisen der Geister. Meine Mutter wurde nach meiner Geburt umgebracht, sie konnte mir auch nichts beibringen."

Tainja hob ihre Augenbraue. Nur ganz leicht. „Warum haben die Elfen eine Múrate umgebracht?"

„Weil sie nicht mit einer ihrer Art ein Kind bekommen hat, sondern mit einem anderen Elf. Und naja, Halbrassigkeit ist eines der Gebote, welches mit dem Tod gestraft wird, wenn es gebrochen wird", sagte Mihee und neigte ihren Kopf.

„Und dein Vater?"

Mihee lächelte ein Stück zu breit. „Einer der hohen Sieben. Er hat sich rausgeredet, einen anderen als Schuldig angeklagt, gewonnen und mich rausgeschmuggelt, weil er doch tatsächlich ein Herz besitzt"; antwortete sie und schüttelte ihren Kopf. „Er hat mich einige Jahre noch geheim gehalten, aber je älter ich geworden bin, desto höher war die Gefahr, dass ich entdeckt werde."

Jester kannte ihre Geschichte schon, doch es wieder zu hören, ließ einen Schauder über seinen Rücken laufen.

„Ich habe wenig Interesse daran, ihn jemals wieder zusehen. Er hat nie wieder versucht Kontakt aufzunehmen und-" Sie machte eine Pause. „Sobald ich das Land der Elfen verlassen hatte, wurde ich nur noch gejagt, denn man sieht es uns nun mal an."

„Und Jester hat dich gerettet", beendete Tainja und seufzte, „Und dann so gegen hundert Gesetze des Königs verstoßen."

Mihee verdrehte ihre Augen. „Ja na und, ich bin ganz glücklich darüber und nur weil ihr euren Stock nicht aus dem Arsch bekommt und uns auch als tatsächliche Menschen ansehen würdet, dann wäre das alles kein auch kein Problem."

Jester konnte Tainja schlucken sehen. „Ja, aber..." Sie brach ab. Dann drehte sie sich zu Toivo um, als würde sie Unterstützung erwarten.

Toivo machte eine Fratze. „Was soll ich dazu sagen, ich hasse sowieso jeden. Von mir aus können die sich alle zusammenschließen und die Welt zerstören, aber ich wurde nun mal dazu ausgebildet das zu unterbinden."

Jester verdrehte die Augen. „Danke, wie hilfreich von dir."

Toivo sah so aus, als würde er etwas sagen wollen, entschloss sich jedoch dazu, zu schweigen.

Jester wechselte das Thema. „Was meint ihr, welche Art von Geistern wir treffen werden?"

„Wenn wir überhaupt welche treffen. Oder sie uns nicht einfach töten, bevor wir uns erklären können", warf Toivo ein und seine Augen blitzten auf. „Es gibt einen Grund, weshalb sich Sylas van Hana von diesem Ort hier ferngehalten hat."

„Und dabei sollte es auch bleiben!"

Sofort blieb Jester stehen. Eine durchsichtige Gestalt war direkt vor ihm aufgetaucht. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, dass es den anderen nicht besser erging.

„Menschen. Magier. Hurgailua. Und... Ein kleiner Schicksalsgeist." Die Gestalt, die wohl eine Frau war, legte den Kopf schief. „Und sie laufen durch unsere Wälder, als würden sie nicht gerade unseren heiligen Boden beschmutzen." Sie atmete tief durch und stieß einen Luftstoß aus.

Durch Jesters Körper fuhr ein kalter Windstrom. Es fühlte sich an, als würde jemand haufenweise Schnee in ihn stecken und sein Körper war wie eingefroren. Er wollte zittern, doch nicht einmal das schaffte sein Körper. Dann war es so schnell auch wieder vorbei, wie es angefangen hatte, war es auch wieder vorbei.

Er begutachtete die vor ihm schwebende Person näher. Sie hatte ein langes weißes Kleid an, wobei der Rock wie Rauch in den Himmel aufstieg, unendlicher, weiß leuchtender Rauch quoll über ihren Körper hinweg und sorgte für einen schlechten Blick auf ihr Gesicht.

Die leuchtende Frau wandte sich an die anderen drei Gestalten, die wie schwerelos vor Jesters Reisegefährten stand.

Eta esu skohí", sagte sie mit heiserer Stimme und die Augen der anderen weiteten sich. „Nosta laga pas. Noslo hib'é Lamashtu."

„Ich versteh kein Wort", brummte Toivo und Mihee boxte ihm in die Seite.

„Sei leise!"

Die Frau hob ihre Augenbraue und Jester wusste feststellen, dass sogar diese Geste elegant aussah. In ihrem weißen Kleid, dem Blumenkranz auf dem Kopf und keine Schuhe an den Füßen, schien sie wie eine Fee.

„Ein Magdiarm ist nur so stark, wie sein Herrscher es ihm erlaubt. Wer ist dein Gebieter, Todbringer?"

Toivos Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, er ballte die Hände. „Ich habe keinen Gebieter außer mich selbst", gab er zähneknirschend zurück.

Die Frau schwebte an ihn heran und blickte ihm tief in die Augen. Toivo wich kein Stück zurück. „So viele Zweifel in einem so kurzen Leben. Lass es zu Toivo, du hast keine andere Wahl."

„Niemals. Eher sterbe ich, als zuzulassen, dass das passiert. Und jetzt geh aus meinem Kopf raus", fluchte Toivo und machte einen Schritt zurück. „Ich bin mein eigener Herr und ich gehöre niemanden, niemals."

Die Frau seufzte nachgiebig und wandte sich dann an Tainja. Diese schüttelte sofort ihren Kopf.

„Oh nein. Nein, nein, nein." Sie machte mehrere Schritte zurück und hob ihre Hände. „Ich kann euch geben, was ihr wollt, aber meinen Kopf bekommt ihr nicht."

„Du musst uns nichts geben, Hurgailua, du hast schon den richtigen Weg gefunden", meinte die Frau und fuhr sich durch die Haare. „Tief in deinem Herzen hast du ihn bereits, du darfst dich nur nicht von den Kleinigkeiten im Leben ablenken lassen."

Jester verschränkte die Arme. Die Geisterfrau faszinierte ihn, doch ihre Worte ergaben keinen Sinn für ihn. Er holte tief Luft. „Wir suchen Antworten. Ich suche sie. Ilar hat zu mir gesprochen."

„Das wissen wir, Jester, Auserwählter. Kommt mit uns, wir zeigen euch den Weg", meinte die Frau und drehte sich um.

Die vier Geister schwebten voran, die anderen vier folgten ihnen. Je weiter sie in den Wald kamen, desto breiter wurden die Bäume, desto mehr Lichter kamen dazu und der Nebel lichtete sich langsam. Alles war gespenstig ruhig. Unheimlich ruhig. Als würde neben den Geistern nichts weiter in diesem Wald existieren.

Das Leuchten intensivierte sich immer weiter und weiter, bis sie an einem riesigen See standen. Das Leuchten kam von den Unmengen an Steinen und Algen, die auf dem Boden des Sees lagen. Es war ein intensives, leicht bläulich schimmerndes Licht, sodass Jester seine Augen zusammenkneifen musste, um vernünftig sehen zu können.

Er blickte sich um und entdeckte etwas weiter entfernt, in der nähe der Bäume eine ihm bekannte Gestalt. Langsam hob diese ihre Hand und deutete ein Winken an.

„Da ist sie schon", murmelten die Geisterfrauen und drehten sich um, „Es war schön euch kennenzulernen, Skoti, Yudan." Sie neigten ihre Köpfe und sie verschwanden im See.

Die Gestalt, welche sich als Lamashtu herausstellte, kam immer näher, bis sie schlussendlich vor ihnen stehen blieb. „Jester." Sie lächelte ganz leicht. „Es freut mich, dich zu sehen. Wohlbehalten und in Begleitung."

Jester erwiderte das Lächeln. „Du warst nicht in den Bergen", sagte er und fuhr sich durch die Haare. Seine Locken fielen ihm ins Gesicht.

„Nach unserer Begegnung habe ich mich sofort auf den Weg zu meinen Seelenverwandten begeben. Ich wusste, dass dein Schicksal dich hier hin führen wird. Ein Arleá, umgeben von Geistern, die die Vergangenheit gesehen haben und die möglichen Zukünfte sehen könnten. Du musstest hier hin. Obwohl du früher da bist, als erwartet." Lamashtu machte eine Pause. „Die Geister sagten mit, du würdest noch eine lange Zeit brauchen, bis du hier bist. Sie haben sich geirrt."

„Das ist die Geisterfrau, von der du gesprochen hattest?", warf Tainja in den Monolog ein.

„Ja und sie ist nicht durchsichtig." Jester verkniff sich ein Grinsen. Tainja boxte ihn gegen den Arm.

„Warum erwähnst du das denn jetzt?", fauchte sie ihn an und Lamashtu brach in schallendes Gelächter aus.

„Ich bin nur eine Geistermagierin, nichts weiter", meinte sie und warf ihre Haare nach hinten. „Aber dafür sind wir nicht hier. Jester" Sie wandte sich an ihn. „Wir haben eine Menge zu besprechen."

Sie führte die Gruppe einmal um den See herum, bis sie an einer kleinen Hütte ankamen. Inmitten von den vielen Bäumen, umgeben von einer Blumenwiese, in Holz gekleidet mit Moos auf dem Dach.

„Setzt euch", sagte Lamashtu, nachdem sie die Hütte betreten hatten. „Du wirst einige Fragen haben, Jester."

Jester öffnete seinen Mund, dann schloss er ihn wieder. Er beobachtete seine Mitreisenden. Tainja hatte sich in eine der Ecken gestellt und nahm nacheinander mehrere Flaschen in die Hand. Toivo war nicht von seiner Seite gewichen und hatte seine Fingerspitzen auf den Stuhl gelegt. Nur Mihee saß neben ihm.

„Kannst du mir alle Fragen beantworten?", wollte Jester wissen und Lamashtu nickte.

„Ich bin mir sehr sicher, dass ich das kann, Jester. Wir sind Geister, wir wissen", sagte sie.

„Wir müssen nach Adlaw, richtig", fing Jester an und Lamashtu nickte. Er holte tief Luft. „Ich weiß, dass es nicht so ist, aber ist es nach Sylas van Hana vorbei?"

Ihre roten Haare schüttelten sich mit ihrem Kopf. „Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Der König ist im Gegensatz dazu ein kleiner Vogel in dieser Welt. Tief im Osten dieser Welt leben Wesen, die weitaus gefährlicher und grausamer sind als die, die ihr bereits kennt." Sie blickte zu Mihee. „Und du, du stammst sogar von ihnen ab. Elfen." Sie lachte hohl und legte den Kopf in den Nacken. „Oh nein, Jester, deine Reise ist noch lange nicht vorbei. Nach dem Götterkrieg, welcher länger andauerte als die Lebensspanne von den Wesen selbst, zogen sich die Elfen zurück und bildeten ihre eigenen Formen des Lebens. Tief im Verborgenen wuchs ihre Kraft, sie haben sich die verschiedensten Arten der dunklen Magie und den verbotenen Schriftrollen angeeignet und sie gelehrt. Unsere vier Götter gewannen diesen Krieg und konnten so den Elfengöttern ihre Kräfte rauben, doch bis heute haben sie sich Rache geschworen. Und nun, da es an der Zeit ist, dass die Götter ihren Platz verlassen und die neuen kommen, da sehen die Elfen es als ihre Chance an, endlich all ihre Kräfte zurückzubekommen. Jester. Du wirst am Ende den Elfen gegenüberstehen. Sie werden nicht aufgeben, bis sie es geschafft werden."

Jester schwieg. Es war die Antwort, die er erwartet hatte. Bedauerlicherweise. Er hatte sich gewünscht, dass sie anders ausgefallen wäre.

„Wer sind die Elfengötter?", fragte er.

„Zurzeit werden sie noch Könige genannt. Sie haben sich den Namen selbst zugelegt. Sie sind zu siebt. Jeder von ihnen hat andere Kräfte, so wie auch ihr, die anderen Wesen. Ihre Namen liegen im Verborgenen, doch langsam trägt der Wind sie zu uns. Jester, ich kann dir diese nicht nennen, unser Schicksal wird entscheiden, ob sie aus den Schatten treten."

Toivo räusperte sich. „Jetzt mal höflich gefragt, kannst du Informationen auch nicht ganz so kompliziert von dir geben?"

Lamashtus Augen flackerten zu dem Magier. „Dein gesamtes Inneres ist kompliziert, da sind meine Worte durchsichtiger. Toivo, du musst dich entscheiden, ob du den einfachen Weg gehst, oder den richtigen." Sie wandte sich wieder ab und blickte zu Jester. „Deine Zukunft liegt in Adlaw, deine Zukunft liegt in der Prophezeiung, deine Zukunft liegt in deinen Mitstreitern, da führt kein Weg dran vorbei. Das Schicksal lässt sich nicht austricksen, niemals."

Jester hörte Toivo genervt seufzen. „Warum sagen mir alle dasselbe, ich habe es langsam auch verstanden", meinte er und Jester spürte, wie die Finger von Toivo von dem Stuhl auf seine Schultern wanderte.

„Ist die Entscheidung schon gefallen?" Lamashtu folgte der Bewegung des Magiers.

Dieser antwortete nicht mehr, sondern starrte sie nur an.

Es klapperte in der Ecke und vier Köpfe wandten sich um. „Tut mir leid", murmelte Tainja und stellte schnell die Flasche, in der weißer Rauch gefangen war, wieder hin. Die Flasche hatte einen Riss, doch Jester sprach diesen nicht an.

„Vorsichtig, die sind wichtig", bemerkte Lamashtu, richtete aber keine weitere Aufmerksamkeit auf Tainja. „Jester, willst du noch mehr wissen?"

Jester schloss die Augen. Die Hand auf seiner Schulter strahlte Wärme aus. Unzählige Fragen schossen durch seinen Kopf, er musste sie sortieren. „Warum ich?", war das Erste, was aus dem Gedankenstrom zustande kam.

„Schicksal", meinte die Magierin.

„Du kannst nicht alles mit Schicksal abtun. Wenn ich dich jetzt töten würde, wäre das auch Schicksal? Haben das deine Geister auch vorhergesehen?" Toivos Stimme zitterte leicht, kaum hörbar. Jester wollte aus Reflex seine Hand nehmen, doch hielt sich zurück.

„Du würdest mich nicht töten, Toivo. Meine Geister hätten dich sonst nicht in meine Nähe gelassen."

Das Zucken in Toivos Arm brachte Jester dazu, ihn doch festzuhalten. „Fordere es nicht heraus, ich habe noch mehr Fragen", warnte Jester ihn, doch Toivo entspannte sich nicht.

„Oh, die kann ich auch beantworten, weil Jester, es dein Schicksal, dass du hier bist und jeder Schritt, den du machst, der ist vorhergesehen und du solltest unbedingt nach Iskus gehen, weil da wenigstens nicht alles mit Schicksal erklärt wird", meinte Toivo und seine Fingernägel bohrten sich in Jesters Schulter.

„Toivo, ich bitte dich", murmelte Jester und schüttelte den Kopf. „Du hast zu viel Hass in dir, daran musst du arbeiten."

Lamashtu sah Toivo interessiert an. „Iskus ist eine gute Idee, das muss man dir lassen."

„Oberon sagte zu mir, dass es kein schöner Ort ist", warf Jester ein, „Ich möchte nicht dieselben Erfahrungen machen wie er."

Lamashtus Augen wurden schmaler. „Für jeden Seher ist es ein anderes Gefühl, wenn man dort ist. Viele meiner Freunde sind dort glücklich. Du musst nur wissen, wer du bist, um dich nicht in den Fäden des Spiels und des Reichtums zu verlieren. Iskus ist kein grundlegend schlechter Ort. Dort gibt es genauso viele grausame Seher, wie es hier grausame Wesen gibt", meinte sie.

„Aber es ist so weit weg", brachte Jester an.

„Du wirst auch zuerst die Sonnengöttin Kia finden müssen. Sie hat viele Leute, die schon mehrmals dort waren und die besten Wege durch das weite Schlammland kennen. Jester, dein jetziger Weg führt dich nach Warona, dort wirst du Deinesgleichen finden, die dir helfen können, besser zu sehen. Ich kann dir diese Gabe nicht beibringen. Von dort aus, werden ihr zu den Städten im Dreieck kommen, meine Geister sagen mir, dass es dort am meisten Krieg geben wird. Jester, es wird viel passieren, du musst vorbereitet sein." Lamashtu sah ihn ernst an. „Viele Leben und Schicksale hängen an deinem Erfolg und dem der vier neuen Götter. Finde sie, finde deine Kraft und rette die Welt."

„Was ist mit den anderen? Wissen die bereits, dass sie Götter werden sollen?", wollte Jester wissen, sein Bein wippte hoch und runter. Toivos Hand war beruhigend.

„Ja. Doch welche Absichten und Motivationen sie haben, dass kann ich dir nicht sagen. Ich sehe Erfolgsdruck, eine Gestalt im Schatten des Lebens und der Letzte, den sehe ich gar nicht." Sie machte eine Pause. „Früher oder später werdet ihr aufeinandertreffen."

Jester lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ein Seufzen kam über seine Lippen. Er spürte, wie viel Druck auf seinen Schultern lastete, er spürte, wie eine ganze Welt auf ihn sah und sein Bein wippte nun noch schneller. Angst. Fast schon Panik. Irgendwo hin. Weg. Der Umfang der Aufgabe brannte sich in sein Gehirn.

„Ich brauche Luft." Er stand auf und verließ hastig die Hütte.

Die kalte Luft schlug ihm ins Gesicht und er atmete tief durch. Viel zu viel auf einmal und doch hatte er nicht einmal den Bruchteil seiner Fragen gestellt. Elfen, die ihre Macht zurückerlangen wollen, Iskus, die Stadt der Seher, Iskus der mögliche Untergang, die Städte, der Krieg, die Visionen.

Er ließ sich auf den Boden fallen und starrte auf den See. Das Leuchten flackerte leicht. Die Tür öffnete sich erneut und aus den Augenwinkeln sah er, wie Toivo sich neben ihn setzte. Schweigen breitete sich über ihnen aus. Jesters Atem wurde langsam ruhiger, doch sein Kopf, sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick explodieren. Als wäre alles böse auf einmal da und würde sich verankern. Seine Fingernägel bohrten sich in seinen Arm, Kopf aus, sein Kopf sollte nicht länger denken – einfach aufhören.

„Ich schaff das nicht", war alles, was er sagte.

Toivo zog ihn einfach in seine Arme. Es war ein komisches Gefühl. Jester sollte Toivo hassen, aber in diesem Moment konnte er sich nichts Besseres vorstellen, als ihn zu umarmen. Eine einzige kleine Träne rollte über seine Wange.

„Du bist ja nicht allein", meinte Toivo und Jester musste sich zusammenreißen nicht laut los zu schluchzen.

„Ich sollte dich hassen Toivo, hör auf nett zu sein", sagte Jester und er musste ganz leicht lächeln.

„Beruht auf Gegenseitigkeit", grummelte Toivo und fuhr durch Jesters Haare. „Aber ich glaube... jetzt gibt es eh kein zurück mehr. Nicht für mich, nicht für dich, für niemanden von uns. Wir haben zwei Sekunden zu lange mit dir geredet, ohne dich zu töten. Niemand von uns kommt zurück, niemand wird je wieder ein normales Leben führen."

„Du kannst mich verlassen Toivo, wann immer du willst. Ich halte dich nicht auf."

Toivo atmete tief durch. „Ich glaube nicht, dass das Passieren wird. Wie die Frau gesagt hat, wie alle gesagt haben, das Schicksal hat sich dazu entschieden, dass ich hierbleibe. Ich hasse es zuzugeben, aber ich werde wohl hierbleiben."

„Danke", flüsterte Jester, er wusste nicht, ob Toivo es gehört hatte.

Toivo murmelte auch noch etwas.

Die Tür ging erneut auf und Mihee und Tainja kamen heraus. Toivos Kopf zuckte leicht, doch er hielt Jester weiterhin fest. Jester wandte seinen Kopf zu ihnen. Tainjas Augenbrauen waren hochgezogen und auf Mihees Gesicht hatte sich ein breites Grinsen geformt. Keiner von beiden sagten jedoch etwas, sondern sie setzten sich einfach dazu und starrten mit auf den See.

„Tja", brach dann Tainja die Stille, „Dann haben wir wohl unser nächstes Ziel. Warona. Ich war schon einige Male dort, ich werde uns dahinführen können. Es ist keine besonders schöne Stadt, aber sie einer der Informationsknotenpunkte für unsere Späher."

„Unsere?", fragte Mihee und warf einen Stein ins Wasser.

„Von den Tierwandlern von Sylas van Hana. Das heißt auch, dass wir vorsichtig sein müssen. Wenn uns der Krieg erwartet, dann werden dort auch schon Vorbereitungen getroffen werden. Wir sollten das Innere der Stadt vermeiden, uns nur in den äußeren Rändern herumtreiben, dort wo es den Wesen am schlechtesten geht. Sie hassen den König, das habe ich bereits am eigenen Leibe erfahren." Tainja machte eine Pause und rupfte Gras von der Wiese. „Wir müssen uns gut auf alles vorbereiten."

Jester löste sich aus Toivos Armen. Er stand auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. „Ich muss noch einmal rein."

Mit schnellen Schritten ging er zurück in die Hütte, wo Lamashtu sich noch kein Stück bewegt hatte. „Wann startet der Krieg?", fragte Jester und blieb direkt vor der Geistermagierin stehen.

„Der Krieg ist immer Jester", antwortete sie und faltete die Hände.

„Wann greifen die die Städte im Norden an? Wann werden sie fallen, wann müssen wir da sein?", ratterte Jester runter. Flammen blitzen in seinem Kopf auf.

„Das kommt auf deine nächsten Schritte an, Jester, wer das Schicksal schreibt, der hat die Macht darüber."

Jester warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Also entscheide ich, ob wir vor der Zerstörung da sind oder danach?"

„Vielleicht."

Jester schüttelte unzufrieden den Kopf.

„Und glaubst du, ich werde die richtige Entscheidung treffen?", setzte er nach und Lamashtus Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln.

„Du triffst keine bewussten Entscheidungen, Jester. In dem Moment, in dem du etwas tust, hast du dich gegen die anderen Optionen entschieden, egal in welchem Zusammenhang. Und all diese Entscheidungen bringen dich zu deinem Schicksal. Rede mit deinen Freunden draußen. Ich werde euch Proviant mitgeben lassen und meine Geister werden euch hinaus aus dem Wald führen. Danach seid ihr auf euch allein gestellt, doch ich glaube stark daran, dass ihr den richtigen Weg finden werdet."

„Danke. Von uns allen. Wäre es ein Problem, wenn wir eine Nacht hier schlafen? Ich glaube wir sind alle müde. Es wäre am besten, wenn wir erst morgen früh wieder losziehen", warf Jester dann ein und Lamashtu nickte.

„Ich kann euch zu einer Hütte in der Nähe von hier führen, dort könnt ihr schlafen. Nur würde ich empfehlen nachts nicht allein rauszugehen, manche Geister erlauben sich gerne Scherze." Ihr Lächeln verblasste ein wenig. „Hol die anderen, ich zeige euch den Weg."

Flammen. Nur Flammen, sonst nichts. Hoch in den Himmel, weit über die Häuser hinweg. Orange knisternde Flammen, die sich immer weiter fraßen und nichts als Zerstörung hinterließen. Schreie am Horizont. Schreie direkt im Ohr. Schrei überall, aus jeder Richtung. Schallendes Gelächter der Magier, in den Händen rote Feuerbälle, in den Gesichtern nichts als Häme und Bösartigkeit.

„Schicksal."

Das Flüstern schien von in ihm zu sein, über ihm und hinter ihm. Irgendwo weinte jemand.

„Schicksal. Schicksal, Mondgott, Schicksal, welches nicht abzuwenden geht, ein Schicksal, das dich in den Abgrund reißt und nie wieder loslässt. Renn, solange du noch kannst, sieh in die Zukunft, solange sie noch existiert."

Dunkelheit. Nur ein Gesicht. Zu einer Fratze verzogen, unter einer schwarzen Kapuze, lachend.

„Eine Prophezeiung, geschrieben von Göttern, die sterben werden, ist nichts weiter als ein verzweifelter Versuch sich selbst zu retten. Jester Kang. Mondgott von Raalgii, du wirst versagen."

Die Gestalt nahm die Kapuze ab. Spitze Ohren tauchten unter den Haaren auf.

„Das Schicksal ist entschieden."

Jester begann zu schreien. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top