29 || ein Labyrinth von Gefühlen
TAINJA
Tainja warf einen Blick auf den noch immer schlafenden Jester und seufzte. Nach seinem Massaker, welches er innerhalb der geschützten Mauern des Schlosses angerichtet hatte, war er in eine Art Ohnmacht gefallen und nach einem halben Tag nicht wieder aufgewacht. Mihee war keine Sekunde von seiner Seite gewichen und immer wieder die Verbände gewechselt.
Tainja war sich sicher, dass Jester nicht so lange ohne professionelle Hilfe überlebt hätte, doch sein sich langsam hebender Brustkorb zeigte ihr das Gegenteil. Und es machte ihr ein wenig Angst. Da war so viel in dem Seher, was sie nicht kannte und nicht verstand, und sie wollte sich gar nicht ausmalen, was er anrichten könnte, sobald er all die Kräfte von Ilar bekommen würde.
Toivo hatte mit Hilfe von Mihee eine Trage zusammengebastelt, es war nicht besonders schön, aber auf die Schnelle kam nichts Besseres zusammen. Toivo hatte sich strikt geweigert Jester den gesamten Weg zu tragen. Verständlicherweise, wie Tainja fand.
Doch langsam wurde sogar das Ziehen anstrengend. Tainja und Toivo wechselten sich ab, damit sie so schnell wie möglich vorankamen. Sie hatten zwei Vorteile. Die Soldaten wussten nichts von den geheimen Tunneln und so waren sie ihnen mindestens einige Meilen voraus. Sie musste Truppen in alle Richtungen schicken. Das Zweite war radikaler, aber auch nützlich. Toivo hatten ihnen am Anfang erklärt, dass die Zelle ein Signal an die oberen Wächter schicken würde. Jester hatte den gesamten Gang zum Einsturz gebracht und somit die nötige Überprüfung, ob Mihee tatsächlich verschwunden war, herausgezögert.
Vorsprung war so wichtig. Der Vorsprung konnte ihnen das Leben retten. Sie hatten sich nicht überlegt, wohin sie gehen wollten, doch Tainja war sich sicher, dass so bald Jester aufwachte, er es genau wusste. Wie immer, dieser Seher.
Mihee stöhnte. „Lasst mich seinen Verband wechseln bitte", sagte sie und Toivo verdrehte hörbar seine Augen.
„Das hast du doch vorhin erst gemacht", beschwerte er sich. „Wir können nicht die ganze Zeit anhalten deswegen."
„Er wurde angestochen, er hat so stark geblutet", meinte Mihee und blieb demonstrativ stehen. „Ich will es mir wenigstens ansehen."
Toivo seufzte unnötig laut. „Also gut. Gut nach, mach schnell. Ich habe heute was Besseres vor, als gefangen genommen zu werden und zu sterben."
„Ich hasse dich Toivo", sagte Mihee nur und schob Jesters Shirt nach oben.
Tainja blickte auch hin. Da war kein Blut.
„Habe ich doch gesagt." Toivo wollte die Tragematte wieder weiter schieben.
„Nein, stopp, das kann doch nicht sein." Mihee begann den Verband abzuwickeln, immer schneller und riss ihn dann schließlich vollständig ab. „Oh mein Gott."
Auch Tainja stockte kurzzeitig der Atem. Es hätte sie wahrscheinlich nicht überraschen sollen, sie hatte schließlich gesehen, wozu Jester in der Lage war, aber trotzdem faszinierte es sie immer wieder.
Da war kein Blut aus einem Grund. Da war keine Wunde mehr. Nichts. Als hätte Jester nie eine Waffe abbekommen, als wäre alles gut gewesen. Mihee schluckte hörbar. Toivo schnaubte nun noch wütender.
„Und den gesunden Mistkerl schleppe ich die ganze Zeit?", empörte er sich und warf die Tragematte beinahe von sich. „Der kann allein gehen."
„Irgendwie musste er sich ja heilen, wohl kaum beim Laufen", sagte Mihee heftig und schüttelte den Kopf. Sie schien sich wieder gefangen zu haben. „Wie auch immer, solange er nicht wach ist, wird er nicht von der Matte genommen."
„Trag du das Ding doch mal so lange und dann will ich dich hören", murrte Toivo, nahm dann aber wieder die Seile und begann weiter zu laufen. Seine gemurmelten Worte verstand Tainja nicht.
Schweigen hüllte sich erneut um die Gruppe. Jeder war in seinen Gedanken vertieft, das spürte Tainja. Wohin sollte es gehen? Wann würde Jester aufwachen? Was passierte nun als nächstes? Fragen. Immer nur Fragen. Seitdem sie von Sylas van Hana ins Exil verbannt wurde, gab es in ihrem nur diese lästigen Fragen. Für die Zukunft. Die Vergangenheit. Nur was würde sie hinter diesen Fragen entdecken, wenn sie endlich dort angekommen war, wo sie hinwollte? Gab es jemals die Möglichkeit nicht vor ihren Verantwortungen zu fliehen? Sie legte die Stirn in Falten. Vielleicht gab es eines Tages die Lösung zu all diesen lauten Fragen.
„Ich kann mich an nichts erinnern." Das waren die ersten Worte von Jester, als er aufwachte.
Mihee schlang sofort ihre Arme um ihn. „Jester!", jauchzte sie schon beinahe und legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Wie schön, dass du auch mal aufhörst zu schlafen", grummelte Toivo, doch Tainja entging nicht, dass er eine Spur zu erleichtert aussah.
„Was ist passiert?", wollte der sich nun aufsetzende Jester wissen.
Und Mihee erzählte. Eine hastige Kurzform von dem, was passiert war, denn Jester unterbrach sie früh.
„Haben wir eine Karte oder so? Oder weiß jemand, wo wir sind?", fragte er und stand nun endgültig auf. Tainja spürte ihm keinen Hauch der Erschöpfung an.
„Abizena sollte nicht allzu weit von hier entfernt sein", meinte Toivo, „Viel weiter hätten wir noch nicht kommen können."
„Also im Osten?", hakte Jester nach und Toivo nickte. „Ihr kennt doch bestimmt den Geistersee, ganz im Osten. Dahin müssen wir."
„Aha. Und warum?", wollte nun Toivo wissen.
„Er ist ein Seher, er wird schon wissen, was er tut", gab Tainja zurück und stemmte die Arme in die Hüfte. „Hattest du eine Vision?"
Jester zuckte mit den Schultern. „So ähnlich. Die Geister haben mich nun mal gerufen und ich wäre ungern so unhöflich, ihrem Ruf nicht zu folgen."
Toivos Augenbraue zuckte ein Stück nach oben. „Ich verstehe euch Seher nicht, was könnt ihr denn alles noch so?"
Jesters Mund entfuhr ein Seufzen. „Also zuallererst keine Ahnung, ich mach das jetzt noch nicht so lange. Und außerdem ist jeder Seher anders, das müsstest du doch mittlerweile wissen. Naja, zumindest in den Tiefreichenden Fähigkeiten, das Sehen an sich ist ja bei jedem dasselbe, nur anders ausgeprägt. Manche können es besser als andere. Außerdem, Toivo, bin ich Ilars Nachfolger, es wäre es scheiße, wenn ich nicht ein bisschen mehr könnte als alle anderen." Er schloss seinen Monolog und blickte Toivo herausfordernd an. Dieser zuckte seinerseits die Schultern.
„Wenn du das sagst."
„Seid ihr fertig?", sprang Mihee dazwischen und runzelte die Stirn. „Wir müssen weiter. Und wenn Jester sagt, dass wir zu dem Geistersee gehen, dann machen wir das auch."
„Okay, du kleines Biest", grummelte Toivo und Jester stand augenblicklich vor ihm. Auf seinem Gesicht war ein wütender Gesichtsausdruck zu sehen. „Beruhig dich mal, sie meinte, sie hat nichts dagegen."
Jester wandte sich zu Mihee, die leicht lächelte. „Lass uns gehen."
Obwohl es gegen ihre Weltanschauung war, konnte Tainja nicht anders, als Mihee zu mögen. In ihrem Verstehen waren die Múraten Sklaven und nicht Gleichgestellte Lebewesen oder noch weniger Freunde, doch Jester und die Halbelfe zu sehen, machte Tainja auf eine gewisse Art und Weise glücklich. Nein, es gab ihre Frieden.
Alles, was sie taten, wirkte so leicht. Und Tainja beneidete sie dafür.
Seitdem Jester wieder laufen konnte, ging alles viel schneller. Tainja merkte, dass sie alle trainierte Läufer waren und es gab ihr ein Gefühl der Erleichterung. Mit jedem weiteren Schritt ließen sie ihre Verfolger, die es definitiv gab, weiter zurück.
Tainja wusste aus Erzählungen, dass der Weg, der zum Geistersee führte, wie ausgestorben sein sollte. Es gab ein Dorf im Süden des Sees, sonst waren weit und breit keine Städte. Niemand wollte in die Nähe der Geister und die Geister wollten niemanden bei sich.
Eine große Leere hatte sich schon seit einiger Zeit vor ihnen gezeigt. Sie hatten die letzte Rast vor einigen Stunden vor den ersten Sonnenstrahlen gemacht und nun liefen sie beinahe schon in den Mittag hinein. Es war eine Dürre. Kurz nachdem sie den letzten Wald durchquert hatten und das Gras immer weniger geworden war, hatten sie die unendliche Leere erreicht.
Die Gerüchte sagten, dass die Geister dafür gesorgt hatten, dass alles um sie herum ausgetrocknet wurde, damit niemand zu ihnen wollte. Oder konnte. Sie selbst sollten in einem großen Wald leben, umgeben von Seen und Flüssen, was sich Tainja bisher nicht vorstellen konnte.
Jester tauchte neben ihr auf. „Ich habe mal eine Geisterfrau getroffen", meinte er einfach und fuhr sich durch die Haare.
Tainja hob ihre Augenbraue. „Aha", war alles, was sie sagte. „Und wie war es?", setzte sie dann noch schnell hinterher. Eine etwas lockere Stimmung wäre schon angebracht.
„Naja, sehr geheimnisvoll. Und dann hat sie mich an einen Ort gebracht, wo sie gerne ist. Irgendwie gruselig", meinte er. „Ich frage mich, ob sie wohl dort wiedersehe."
„Wer weiß." Tainja machte eine Pause. „Sind die durchsichtig?"
Jester begann zu lachen und Tainja spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Sie empfand die Frage als berechtigt. „Was denn?"
„Nein, sind sie nicht. Also sie war es nicht. Und sie war eine Mamua. Du weißt schon", fuhr er fort und wedelte mit seiner Hand durch die Luft. „Abgesehen davon, erinnerst du dich noch an Daniella? Und Luna? Die Zwillinge damals. Das waren auch Geisterkinder."
Tainjas Mund öffnete sich leicht. „Ernsthaft? Niemals!"
Jester nickte jedoch. „Doch, doch. Als sie waren, schon, naja..."
„Was besonderes", beendete Tainja seinen Satz und musste lachen. „Und wie." Dann brach sie in schallendes Gelächter aus und Jester stimmte mit ein. „Oh Gott, erinnerst du dich noch an Klerk?" Sie schnappte nach Luft, Tränen rannten ihr schon aus den Augenwinkeln.
Jetzt konnte Jester nichts mehr halten. Er prustete so stark los, dass Tainja kurz Angst hatte, dass er erstickte. „Nein, warum hast du ihn denn jetzt erwähnt?" Er wischte sich durchs Gesicht. „Ich hasse dich, ich kann nicht aufhören daran zu denken. Wie er diese Aktion auch noch durchgezogen hat."
Tainja musste so sehr grinsen, dass ihr ihre Wangen wehtaten. Gott, was waren die beiden doch früher für gemeine Kinder gewesen. Ständig hatten sie dafür gesorgt, dass alle anderen dumme Dinge taten, nur damit die beiden ihren Spaß hatten. Immer und immer wieder und nie hatte eines der Kinder etwas gesagt, da sie durch ihren Wohnort im Schloss als die Elite angesehen wurden. Sie hatten Angst vor ihnen gehabt und Respekt. Zumindest vor Tainja, Jester war einfach in ihrem Schutz gewesen, doch seine manchmal durchschauenden Aggressionen hatten ihm einen gewissen Wert gegeben. Wenn man ein Kind war, war nun mal die Welt noch einfach und schön gewesen.
Sie blickte zu Jester, der immer noch am Kichern war. Nostalgie überfiel sie und sie schloss die Augen. Manchmal vermisste sie die Zeit, doch sie wusste, dass sie damit allein war. Jester wollte sicherlich am liebsten alles davon vergessen. Außer es ging um Klerk. Klerk war immer gut, um zu lachen.
„Hört auf zu lachen, manche Leute versuchen missmutig zu sein", unterbrach Toivo sie und Tainja drehte sich zu ihm um.
Sein Gesicht hatte einen wirklich unfreundlichen Ausdruck. Mal wieder sah er so aus, als würde all seine Lebensentscheidungen bereuen. Wahrscheinlich tat er das auch. Sie wollte nicht wissen, wie es für ihn war, hier neben Jester zu laufen, ihm zu folgen und sein altes Leben unfreiwillig hinter sich zu lassen. Es war für sie schon schwer genug gewesen, aber er. Sie schüttelte den Kopf. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit mit jemanden kurz zu lachen und in Erinnerungen zu schwelgen, denn niemanden von ihnen kannte er wirklich. Toivo und sie waren Partner gewesen. Sich wirklich nicht mögende Partner. Er hatte Jester töten wollen und Mihee auch.
„Toivo." Jester verlangsamte seinen Schritt, um neben dem Mann zu laufen. „Du kannst immer noch gehen, wenn du nicht hier sein willst, du bist kein Gefangener."
Toivo knirschte mit den Zähnen. „Ach wirklich, danke", war alles was er sagte. Welcher Grund es auch war, dass er nicht ging, er musste von Bedeutung sein. Tainja wüsste so gerne, was in seinem Kopf vorging.
Ihre Augen flackerten zu Mihee, die sogar noch hinter Toivo lief. Obwohl ihr Laufen viel mehr nach einem Schweben aussah. Und in ihrem Kopf erst recht. Tainja schüttelte sich. Sie machte sich zu viele Gedanken über Dinge, die nicht so wichtig waren. Wichtig war nur anzukommen und dort dann die weiteren Dinge zu besprechen, wohin die Reise ging und was ihr Ziel war. Oder was Jesters Ziel war. Götter mussten es auch immer so unendlich schwierig gestalten.
Mit jedem Schritt den sich macht, gestaltete sich das Atmen anstrengender. Die Dürre war unnachgiebig. Sie griff zu ihrer Wasserflasche und trank mehrere Schlucke. Soweit sie richtig lag, mussten sie nicht mehr viele Tage laufen, bis sie ankamen. Und bis dahin sollte ihr Proviant, welches nicht besonders viel war, reichen. Sie machte sich keine Hoffnungen darauf, hier etwas essbares zu fangen. Außer Kojoten und mit Glück ein paar Kaninchen würde sie kaum etwas finden. Und die Jagt würde mehr an ihren Kräften zerren als die darauffolgende Mahlzeit.
„Wir sollten eine Pause machen", warf Jester ein, „Wir sind seit Stunden unterwegs." Er blickte zum Himmel. „Und es wird nun noch wärmer, wir sollten uns nicht allzu sehr verausgaben."
Seufzend blieb Tainja stehen und Mihee tat es ihr gleich. Nur Toivo starrte ihn genervt an. Aber das war ja nichts neues.
„Kannst du mir deinen Fäden nicht Wasser oder Schatten machen?", fragte er, bevor er auch anhielt und seine Finger knacken ließ.
„Äh nein", antwortete Jester, „Sehen, Toivo, sehen."
„Ja, warst du es nicht, der meinte ‚Oh, jeder kann etwas anderes und ich bin besonders gut'?", erwiderte Toivo und Tainja verdrehte ihre Augen.
„Sehe ich aus wie ein Magier? Nein. Da bitte, hast du deine Antwort. Ich könnte dich dasselbe fragen. Du bist doch schließlich einer. Warum machst du das nicht?", schoss Jester zurück und eine Ader trat auf seiner Stirn hervor. Das Thema Kräfte hatte ihn schon immer gereizt.
„Weil ich ein Magier für Waffen bin", meinte Toivo und verschränkte die Arme. „Metall und so."
„Siehst du."
Toivo schnaubte. Jester tat es ihm gleich. Für einen kurzen Moment starrten sich die beiden Männer einfach nur an, dann wandten sie sich voneinander ab. Tainja tauschte einen amüsierten Blick mit Mihee. Manchmal waren die beiden unmöglich.
Dann erhob Toivo wieder seine Stimme. „Warte mal. Du-" Er deutete auf Mihee. „Du bist doch eine Múrate. Du kannst doch so Dinge. Hast du schon mal Wasser versucht?"
Jester öffnete schon seinen Mund, um etwas zu sagen, doch Mihee kam ihm zuvor. „Nein. Ich bin zu jung, um voll ausgewachsene Fähigkeiten zu haben. Das dauert noch einige Jahre. Vielleicht sogar Jahrzehnte. Je nach dem, was mein Körper mir sagt." Sie neigte leicht den Kopf. „Aber versuchen kann ich es ja mal."
Sie schloss die Augen. Nach ein paar vergangenen Momenten öffnete sie sie wieder. „Wie enttäuschend", sagte sie nur und setzte sich dann auf den staubigen Boden. „Tut mir leid Toivo, aber Wasser bleibt wohl eine knappe Ressource."
„Zum Glück haben wir alles aufgefüllt, bevor wir das Grasland hinter uns gelassen haben", warf Tainja ein und machte es Mihee nach. Sitzen tat ihren Beinen gut. Obwohl sie die langen Strecken gewöhnt war, gab es einen Unterschied zwischen dem Laufen bei kühlem Wind und freundlichem Schatten und der brennenden Hitze der Sonne, die ohne Unterlass auf die Haut schien. Ob es wohl angenehmer wäre, in ihrer Tiergestalt zu laufen? Sie würde es probieren.
Jester setzte sich zu ihnen und starrte ihn die Luft. Toivo blieb stehen. So, dass sein Schatten auf den Seher fiel. So sehr konnte er Jester also doch nicht hassen.
„Ich will nach Hause", sprach Mihee in die Stille hinein. „Ich will weiterhin Möbel bei Diane kaufen und Tee mit ihr Trinken."
Tainja sah sie an. Ihre schwarzen Haare waren noch immer ohne Glanz und ihre Augen strahlten Müdigkeit aus. Sie wollte gar nicht wissen, wie lange sie in diesem Gefängnis saß. Ohne zu wissen, ob Jester noch lebte oder ob er nach ihr suchte.
„Zuhause hatte ich immer Sorgen", meinte Jester und zeichnete unwillkürlich kleine Formen in den Staub.
„Als ob du die jetzt nicht auch hast. Sogar noch mehr wahrscheinlich, du Auserwählter", spottete Mihee, ohne einer Spur der Boshaftigkeit.
Jester seufzte. „Ich hasse es, wenn du Recht hast. Und du hast so verdammt oft Recht." Er blickte in den wolkenlosen Himmel. „Noch einmal ein Kind sein."
„Oh ja", stimmt Tainja zu und ließ sich auf den Rücken fallen. „Vielleicht können wir das eines Tages ja noch mal."
„Also auf meine Kindheit kann ich liebend gern verzichten", meinte Mihee und zerstörte damit die Gedankenblase, die sich in Tainjas Kopf geformt hatte. „Immer hin und her reisen, nie einen festen Platz in der Welt und ständig Angst haben zu müssen, gefangen genommen und als Sklavin gehalten zu werden – nein, dass will ich nicht noch mal. Ich will frei sein."
Wie abgesprochen sahen sie zu Toivo, der seine Augenbrauen hob.
„Soll ich bei eurem sentimentalen Gequatsche etwa mitmachen?", grummelte er und verschränkte die Arme. „Wohl kaum."
Jester legte seinen Kopf schief. „Ach komm schon, Toivo, nur ein bisschen. Wir gehören doch jetzt alle zusammen."
Toivo schüttelte seinen Kopf. „Kannst du vergessen, ich werde niemals zu euch, zu dir, gehören."
Jester zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst", sagte er. „Wenn du meinst..."
Tainja kam auf einmal der Gedanke, dass sie sich tatsächlich mittlerweile wieder mit Jester angefreundet hatte. Mit seiner Gesellschaft. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ohne ihn weitergehen würde. Der eine Tag, in den Bergen, sie war sich sicher, dass sich dort ihre Abscheu gegenüber ihm verabschiedet hatte. Dass sie ab dort beschlossen hatte, dass sie ihn nicht allein lassen wollte. Und vielleicht machte sie damit einen riesigen Fehler, aber vielleicht war es auch ihre Zukunft.
Und ein Weg in eine neue, bessere Welt.
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