27 || Toivos Fall
TOIVO
»Wenn du mir nicht sofort sagst, wo sie Mihee gefangen halten, bringe ich dich um«, knurrte Jester ihn an und hielt ein Messer vor seine Kehle. »Nein, der Tod ist sogar noch zu gut für dich. Ich füge dir Schmerzen zu, die dir nicht nur Narben am Körper, sondern auch an deiner dreckigen Seele hinzufügen.«
In Jesters Stimme schwang so viel Hass und Wut mit, dass Toivo davon schlecht wurde.
»Jetzt sprich, du elendiger Holzwurm, wie schwer ist es denn? Du brauchst mir hier jetzt nicht vormachen, dass du deinem ach so tollen Sylas immer noch treu ergeben bist«, redete Jester einfach weiter, »Du hast den gesamten Trupp, mit dem du angereist bist umgebracht, ich wette, er ist nicht so erfreut darüber.«
»Er kann es doch nicht sehen. Du versperrst doch allen Sehern den Blick«, gab Toivo zischend zurück. »Der König hat keinen Grund dazu, wütend auf mich zu sein.«
Jester verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Ich verdecke Tainja, Karin und mich. Nicht mehr. Ihr- du warst immer zu sehen. Warum sollte ich mein Schutzschild auch auf dich erweitern?«
Das verschlug Toivo kurzzeitig die Sprache. Es erschien ihm logisch, doch er wollte es nicht glauben. Phyn würde es wissen. Somit würde der König es wissen. Der Seher hatte immer ein Auge auf ihn, seit der Vision über ihn. Das fühlte er. Und es machte ihm Angst. Wann war eigentlich aus ihm so ein ängstlicher Mann geworden? Wo war seine starke Seite geblieben?
»Ich warte immer noch.« Jesters Gesicht schwebte viel zu nah vor Toivo. Er spürte seinen Atem auf seinen Lippen und er robbte ein paar Zentimeter zurück.
»Was bringt es dir, wenn ich es sage. Du kannst nicht einfach in das Schloss des Königs gehen und sie retten. Das halbe Land ist auf der Suche nach dir und du willst mitten in das Wespennest stechen? Ich kann dir gleich sagen, dass das nichts wird und du nur unnötig sterben wirst«, meinte Toivo und schüttelte seinen Kopf.
Jester ließ von ihm ab und wandte sich an Tainja. »Er hat in Sivaha und Assonâc ein Schloss, was meinst du, ist realistischer? Ich würde behaupten, dass es leichter war, sie in die Hauptstadt zu bringen. Und er wird davon ausgehen, dass ich mich nicht nach Assonâc traue«, überlegte Jester und Toivo seufzte. »Also nicht, dass ich ihm sowieso direkt vor seinen Augen entwischt bin.«
»Ganz ehrlich, das war auch einfach nur wahnsinnig von dir«, meinte Tainja und schüttelte ihren Kopf. »Assonâc wird es sein. Vielleicht möchte er sie auch als Druckmittel benutzen, dann ist es besser, wenn sie recht zentral ist.«
Jester hob seine Augenbraue. »Ich würde nicht behaupten, dass das in der Mitte ist. Nxion liegt zentral«, erwiderte er und knackte seine Knöchel. »Weißt du was, Tainja, ich prügle es einfach aus ihm heraus.«
»Du hast schon recht«, wisperte Toivo, »Sie ist in Assonâc. Ilar weiß, warum sie mir diese Informationen überhaupt noch geben.«
Jesters Augen sprühten Funken. »Ich bringe dich um«, knurrte er, »Und nimm ihren Namen nicht in den Mund, du bist ihrer nicht würdig.«
Hinter ihm verdrehte Tainja ihre Augen. Für einen kurzen Moment fühlte er sich mit ihr verbunden, dann war es auch wieder vorbei.
»Packt eure Sachen, wir brechen heute noch auf. Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagte Jester dann.
»Und was ist dein Plan? Du kannst da nicht reinspazieren, als wäre nichts. Hast du mir nicht zugehört?«, protestierte Toivo und Jester war es diesmal, der genervt aussah.
»Doch, aber es ist mir egal. Es geht hier um Mihee. Und wenn es sein muss, brenne ich das ganze Schloss nieder, um sie zu retten. Wenn ich dabei draufgehe, dann ist es so. Hauptsache sie bekommt endlich das Leben, was sie verdient«, zischte er und Toivo zucke bei dem aggressiven Tonfall zusammen.
»Warum gibst du dein Leben für eine Múrate auf?«, wollte Toivo wissen, »Sie sind doch nichts weiter-«
»An deiner Stelle würde ich nicht weiterreden, sonst landet der Dolch doch noch in deinem Kopf, Magier«, fluchte Jester und kam ihm wieder gefährlich nah.
Ein dummer Gedanke schoss durch Toivos Kopf, doch noch bevor er ihn zu Ende denken konnte, war er auch wieder verschwunden. Doch er machte ihm mehr Angst als die Drohung von Jester. Es war ein hinterlistiger, höhnischer Gedanke und er konnte Phyn vor seinen Augen lachen sehen. Er hatte Recht, würde er immer und immer wieder sagen, bis Toivo schlussendlich zugeben musste, dass es wahr ist.
Dann schaffte er es seinen Mund zu öffnen. »Ich glaube, du brauchst mich noch, wenn du in Assonâc eindringen willst, ohne gesehen zu werden«, murmelte er und kroch ein wenig weiter von dem Dieb weg. »Tainja könnte dir ins Schloss helfen, ich kann dich zu ihr- Mihee- führen.«
Jester kaute auf seiner Unterlippe. Er vertraute Toivo nicht. Wie auch? Aber etwas in Toivos Unterbewusstsein hatte geklickt. Der König hatte schon länger Zweifel an ihm. Und Sylas van Hana hörte auf Phyn. Er beachtete jede Vision. Sie waren alle wahr für ihn. Es gab keine, die einen Fehler zulassen könnte. Keine Spekulationen, das hatte Toivo schon oft erkennen müssen. All das, was jetzt gerade passierte, wurde in diesem Moment zu dem König getragen. Tief im Inneren war er sich da sicher.
Er hatte denselben Fehler gemacht, den Tainja getan hatte. Sich einen kurzen Moment zu sehr von Jester hinreißen lassen. Einige Sekunden zu lange auf die Worte aus seinem Mund gehört. Und jetzt war es zu spät. Es gab keine Ausrede, keinen validen Grund dafür, dass er nicht einfach aufsprang und Jesters Kehle zerfleischte. Aber er tat es nicht. Er war ein Verbrecher. Er hatte die Treu zum König verletzt. Befehle wurden nicht ausgeführt. Befehle, die beim Nicht-erfüllen auf Hochverrat schließen lassen.
Und das alles nur, weil Toivo Jester in Sivaha einen Herzschlag zu lange in die Augen gesehen hat und den Schmerz überall im Körper fühlte. Weil er Phyns Worten zu viel Bedeutung geschenkt hatte, aus Angst es wäre wahr, nur damit es wahr wurde. Und er es sich in heimlichen Moment vorgestellt hatte, um dann angeekelt von sich selbst sich immer und immer wieder übergeben hatte. Um das Gefühl, was irgendwo in ihm war, aus ihm heraus zu bekommen.
»Wenn du uns hintergehen solltest, dann sorge ich persönlich dafür, dass du den schmerzvollsten Tod auf diesem gesamten Planten erleidest«, drohte Jester und reichte ihm die Hand. »Jetzt steh auf, wir müssen los. Jede Sekunde, die verstreicht, ist eine Sekunde, in der Mihee etwas Schlimmes angetan werden kann.«
Toivo ignorierte die Hilfe. Er rappelte sich auf und blickte auf das Grab, welches wieder zugeschaufelt wurde. Jester hatte es getan, um ihn nicht direkt zu erwürgen. Ein kleines Holzbrett steckte in der lockeren Erde. Karins Name war eingeritzt, wahrscheinlich hatte Tainja dies gemacht. Die Schrift war sauber und ordentlich.
»Assonâc liegt von hier aus in Richtung Süd Osten, in weniger als vier Tagesmärschen sollten wir da sein. Wenn wir zügig laufen«, meinte Tainja und schulterte ihren Rucksack. »Ich würde immer mal wieder die Gegend vor uns erkunden, damit wir ungebetenen Gästen und anderen Wesen auf dem Weg gehen.« Dann machte sie einen Schritt auf Toivo zu und piekte ihm mit dem Finger gegen die Brust. »Solltest du es auch nur wagen, dich in der Zeit aus dem Staub zu machen oder Jester etwas anzutun, dann schlitze ich dir die Kehle auf.«
Toivo zuckte mit den Schultern. »Das wird ja eine spaßige Reise. Meine beiden Begleiter haben gewaltige Mordgelüste mir gegenüber.«
Das einzige, was er als Antwort bekam, war das Augenrollen von der Hurgailua und ein Schnauben von Jester. Das konnte doch nur schiefgehen.
Als sie die erste Pause einlegten schien bereits der Mond. Sie machten kein Feuer, je weniger Aufmerksamkeit sie auf sich zogen, desto besser. Tainja hatte sich auf den Boden gesetzt und schleifte ihre Krallen, während Jester einige Meter weiter auf und ab lief. Am liebsten wäre er weitergelaufen, jedoch hatte Tainja eine Rast aufgefordert, nicht zuletzt, weil sie immer langsamer geworden sind.
Toivo holte aus einer seiner Taschen das Messer von Jester hervor und betrachtete es in seiner Hand. Es war einfach und normal, keine besonderen Gravuren, nichts. Langsam fuhr er mit seinen Fingern über die Klinge. Es war nicht einmal besonders scharf. Seufzend steckte er es wieder weg und legte sich dann auf den Rücken. Wahrscheinlich war es am besten, wenn er sich schlafen legte, um am nächsten Morgen wieder fit zu sein. Sie hatten noch einen langen Weg vor sich und auch das Eindringen ins Schloss würde einiges an Kräften beanspruchen.
Tainja machte einen Strich durch seine Rechnung, als sie aufstand und sich streckte. »Ich werde jetzt ein bisschen die Gegend erkunden, ich werde so oder so nicht schlafen können. Ich werde versuchen so viele Informationen wie möglich zu sammeln.«
Jester blieb stehen und nickte ihr zu. »Ich komme mit.«
»Nein, tust du nicht. Du ruhst dich aus«, gab Tainja zurück und machte eine unwirsche Handbewegung.
Ohne auf seine protestierenden Worte zu hören, drehte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit. Empört blickte Jester ihr hinterher und sah dann zu Toivo. Dieser versuchte sich an einem Lächeln, doch Jester hatte sich schon wieder von ihm abgewandt.
Schweigen legte sich um sie und Toivo spürte, dass er jetzt nicht mehr schlafen konnte. Die gesamte Situation machte ihn nervös, ohne dass er etwas dagegen machen konnte. Sein Körper hörte nicht auf seinen Kopf.
»Es ergibt keinen Sinn, dass du mitkommst und mir hilfst«, brach Jester plötzlich das Schweigen und Toivos Kopf zuckte nach oben.
»Ja«, war alles, was er sagte, und drehte sich dann so, dass er Jester ansehen konnte.
Der Dieb hatte sich auch gesetzt, mit seinem Finger rollte er seine Haare auf und ließ sie dann wieder los. Toivo musterte ihn genauer. Jesters Augen hatten ein wenig von ihrem Glanz verloren und auch seine Lippen hatten seit sie losgegangen waren kein Lächeln mehr gezeigt. Er saß mit seinen Knien angezogen, wie ein kleines Kind, welches nicht mehr weiterwusste im Leben. Gern hätte Toivo den anderen in den Arm genommen, aber es war ihm nicht erlaubt. Seines eigenen Willens wegen und weil er es nicht verantworten konnte, die Worte von Phyn noch mehr in die Richtung zu drücken, die sie prophezeit hatten.
»Ja«, murmelte jetzt auch Jester. »Ich frage mich ja, ob Ilar das alles auch als Schicksal abtut und mir wieder sagt, dass das mir noch was nützen wird.«
»Du redest mit ihr?«, wollte Toivo wissen und stützte sich mit seinem Arm ab, um auf der Seite zu liegen.
»Manchmal. Wenn sie es für nötig hält«, meinte Jester nur und ein Schatten legte sich über seine Augen.
»Aber ist ein Krieg nicht ein immerwährender Notzustand?«
Jesters Augenbraue zuckte in die Höhe. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.« Er rümpfte die Nase.
Toivo hakte nicht weiter nach. Er hatte heute schon genug von Jesters Wut gehabt. Somit wandte er sich ab und blickte in den Sternenübersäten Himmel.
»Schützt du mich jetzt auch?«, fragte er dann schließlich noch, bevor er seine Augen schloss, um zu schlafen.
»Ich wäre wahnsinnig, wenn nicht.«
»Hat Sylas jemals etwas an dem Schloss umgebaut«, überhörte Toivo nun die Konversation zwischen Jester und Tainja.
»Glaubst du wirklich, dass dieser Mann jemals darüber nachdenkt, Veränderungen anzugehen?«, antwortete Tainja und grinste hämisch, »Nein, es sieht alles noch so aus wie vor Jahren.«
Toivo schüttelte seinen Kopf. Sie hatte Recht, doch er war verwirrt. Dass die beiden zusammenarbeiteten, irritierte ihn schon genug, doch dieser leicht abfällige Ton gegenüber dem König brachte ihn komplett aus dem Konzept.
»Gibt es noch unseren Weg von damals?«, kam die nächste Frage von Jester und Tainja nickte.
»Und weil ich eine egoistische Person bin, habe ich ihn auch niemals jemanden gezeigt. Wenn ich allein auf Patrouille gegangen bin, habe ich ihn ab und an kontrolliert, aber nie hat eine Wache ihn gefunden. Oder jemand anders«, sagte sie und lächelte verstohlen.
»Hattest du nie Angst, dass ich mich reinschleiche und dich umbringe oder so?«
Tainja begann zu lachen. »Jester, was warst du denn früher? Ein Kind ohne Fähigkeiten oder Magie. Ich glaube, ich habe mich nie vor dir gefürchtet. Außerdem habe ich nicht erwartet, dass du jemals zurückkommst.«
Jesters Augenbraue zuckte leicht nach oben. »Okay, kann ich verstehen. Eigentlich wollte ich auch ganz weit weg, das Land verlassen. Tja, aber irgendeine höhere Macht hat mich wohl davon abgehalten und guck wo ich jetzt bin.«
Tainja fuhr sich durch die braunen Haare und streckte sich. »Ja, aber nicht freiwillig.«
»Ich hätte auch die Wahl gehabt einfach zu gehen«, meinte Jester und schüttelte den Kopf. »Manchmal wünschte ich mir, ich hätte es getan.«
»Wegrennen vor seinen Problemen ist aber nicht die Lösung. Nie.«
Die Tage wurden länger und die Nächte kürzer. Mit jedem Mal aufstehen, war Toivo sich nicht sicher, ob er noch einen weiteren Schritt schaffte. Sein Körper wurde schwerer und in manchen Momenten dachte er, dass er einfach kollabieren würde. Es nervte Toivo unfassbar, denn mit immer öfter mussten Pausen wegen ihm eingelegt werden und er spürte, wie Jester mit jedem Halt mehr und mehr verzweifelte. Nur Tainjas immer wieder aufmunternde Worte, hielten ihn davon ab einfach aufzugeben. Und der Gedanke an Karin, die bestimmt wollte, dass er weitermachte.
Ab und zu erwischte er Tainja dabei, wie sie humpelte, doch er wagte es nicht nachzufragen, ob sie eine Pause bräuchte. Tief im Inneren wusste er auch, dass sie ablehnen würde, um Jester nicht noch mehr Sorgen zu bereiten.
Und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit stieß Jester das erleichterte Seufzen aus. Toivo blickte von seinen Füßen auf. Sie standen an der Klippe, die ins Tal der Hauptstadt führte. Das Schloss lag noch halb verborgen hinter dem Nebel, nur die Turmspitzen guckten hervor. Toivo lief ein Schaudern über den Rücken. Er hatte nicht gedacht, dass er wieder hier stehen würde. Nicht mit diesen Menschen um sich herum.
»Der Eingang müsste hier noch in der Nähe sein«, murmelte Jester und wandte sich ab von der Aussicht. »Ich war wirklich lange nicht mehr hier.«
Tainja schmunzelte. »Komm.« Sie hielt ihm eine Hand hin, die er ablehnte.
Toivo blieb stehen, während die beiden umherliefen und suchten. Vielmehr, dass Jester suchte und Tainja schon nach wenigen Minuten zufrieden nickte. »Immer noch da, wo er schon immer war.«
Toivo lief zu ihr, doch den besagten Eingang konnte er nicht erahnen. Verwundert hob er eine Augenbraue, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Tainja ihren Arm ausgestreckt und murmelte einige Worte. Dann spuckte sie auf die Steine und sie fingen an sich zu bewegen, bis ein großes Loch im Boden erschien.
»Spucken?«, meinte Toivo angewidert und Tainja lachte. Es war das erste Lachen seit Tagen.
»Jester wollte etwas Unkonventionelles, auf das nicht jeder sofort kommt. Blut ist die Übliche Methode, aber das passte ihm nicht«, erklärte sie kopfschüttelnd.
»Blutopfer sind bis heute für mich ein Rätsel«, setzte dann Jester nach und blickte in die Kluft. »Wie nostalgisch.«
Er kletterte hinein und verschwand. Tainja machte eine auffordernde Handbewegung und Toivo machte es dem Dieb nach. Er landete auf trockenem Stein, kein Licht, außer jenes von oben. Es roch nach Staub und Fels und die Luft hing förmlich in dem Tunnel.
»Und wohin führt der?«, fragte Toivo in die Stille, nachdem auch Tainja unten war und den Eingang wieder verschloss.
»In Jesters altes Zimmer«, kam die Antwort.
Toivos Augen wurden groß. »Wie unauffällig. Da wohnt doch bestimmt jemand anders drin und es wird bewacht. Und wahrscheinlich ist es auch noch an einem Ort, der vor Wesen nur so wimmelt«, sagte er.
Jester, welcher voran lief, schnaubte bloß. »Ich habe mir mein Zimmer damals selbst aussuchen dürfen.«
»Und weil er schon damals so ein riesiger Vollidiot war, wollte er es weit weg noch allem und jedem haben. Wenn Mihee in den Kerkern gefangen gehalten wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit auf Wachen zu treffen, fast bei null«, redete Tainja weiter.
»Wo soll sie auch sonst sein?«, grummelte Toivo.
»Gut. Jester, du kennst noch die Wege, die du damals gelaufen bist, wenn immer du mit den Insassen reden wolltest?« Das Nicken von Jester war in der Dunkelheit nur schwer zu erkennen. »Du gehst allein. Der Magier und ich geben dir Rückendeckung, falls wir auf Komplikationen stoßen sollten.«
»Ach ja und wenn die uns entdecken?«, wollte Toivo wissen, »Du wirst gesucht, er wird gesucht und ich mittlerweile wahrscheinlich auch und wir sollen alle sterben.«
»Dann tust du so, als hättest du uns gefangen und wolltest uns zum König bringen. Du kannst doch wohl ein wenig schauspielern oder ist das Einzige, was du auf die Reihe kriegst, töten?«, fauchte Tainja ihn an und stieß einen genervten Laut aus. »So weit hättest du auch selbst denken können, ehrlich jetzt.«
Toivo verkniff sich eine Antwort, auf einen Streit mit Tainja hatte er jetzt wirklich keine Lust. »Gut. Ich gehe aber stark davon aus, dass ihr Gefängnis umgeben von Wachen sein wird. Die Möglichkeit, dass sie ausbricht, ist gering, aber Sylas van Hana wird kein Risiko eingehen.«
»Und sie sitzt wirklich in den Zellen im Norden?«, hakte Jester noch mal nach.
Toivo nickte und dann durchfuhr ihn eine Erkenntnis. »Wenn Ilar-« Und damit warf er einen schnellen Blick auf den Dieb, der nur seine Augen zusammenkniff, »-auf unserer Seite steht, dann ist sie in einer der Zellen, die ich mitgebaut habe. Ich könnte sie mit meiner Magie öffnen.«
»Das ist die beste Nachricht heute«, meinte Tainja.
Die Konversation war beendet. Es war alles gesagt, was zu sagen war. Der Plan klang in der Theorie einfach, doch es umzusetzen, das machte Toivo Angst. Er hatte Angst davor, sich endgültig auf die Seite von Jester zu stellen. Und er wusste nicht, ob er das konnte. Er blickte auf den Hinterkopf von Jester. Er konnte sich kaum vorstellen, wie es sich für ihn anfühlte. Seine einzigen Mitstreiter waren zwei Hochverräter. Und er selbst wusste nicht, ob er am Ende doch den König alarmierte. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb er mit Tainja zusammen gehen musste. Denn sie würde es nicht mehr tun, nicht nach allem, was sie für ihn getan hatte.
Toivo hörte auf sich zu fragen, wie lang der Tunnel war. Es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit, in der er durch die Dunkelheit tappte und nicht wusste, wo er war und wohin er lief. Immer wieder stolperte er über lose Steine und musste sich sowohl an den rauen Steinwänden wie auch an Jester festhalten, um nicht hinzufallen.
Es verging Stunde um Stunde, bis Jester stehen blieb. »Wir sind da«, gab er hörbar erleichtert noch sich. »Seid ihr bereit? Weiß jeder, was zu tun ist? Sollte jemand auf der anderen Seite warten, haben wir den Überraschungsmoment und überwältigen sie sofort.«
Mit Schwung riss der die Tür auf, die zu Toivos Verwirrung keine Verzauberung auf sich trug. Zumindest keine fürs Auge ersichtliche. Der Raum war anders, als Toivo es sich vorgestellt hatte. Keine Wesen in Sicht. Nur hunderte Bücher gestapelt auf dem Boden, an den Wänden, auf den Schränken und dem großen Schreibtisch mitten im Zimmer. Auf Jesters Gesicht spiegelte sich Glück wider. Nostalgie. Und als wäre er wieder jung und zuhause, dort wo er immer hingehört hatte.
»Es ist noch genauso wie früher, kannst du dir das vorstellen? Hier ist noch alles, alles, ich- ich-« Jester brach ab und mit dem größten Lächeln, welches Toivo jemals gesehen hatte, drehte er sich zu Tainja um.
»Ja, es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich habe persönlich dafür gesorgt, dass nichts entfernt wird. Immer und immer wieder wollten sie es ausleeren, aber mit ein wenig Macht, bekommt man was man will. Und ich konnte das nicht zulassen, weil es manchmal mein Rückziehort war, wenn es mir nicht gut ging. Das ist irgendwie peinlich, aber manchmal habe ich gehofft, dass du doch wieder hier auftauchst und mir ins Gesicht lachst. Dass du wieder nach Hause kommst und wir wieder wie früher sein können. Der Gedanke war aber nie länger als ein paar Sekunden da, ich konnte es mir nicht erlauben.«
Jester strahlte noch breiter. »Ich bin wirklich zurückgekommen. Nach all diesen Jahren stehe ich doch wieder hier. Und es ist wie damals. Nur mit einer Person zu viel.« Seine Augen zuckten kurz zu Toivo, der sich erneut fehl am Platz fühlte.
Er wandte seinen Blick ab und betrachtete weiter den Raum. Staub hatte sich angesammelt und Unmengen an toten Pflanzen standen herum. Sogar ein Bett war noch unter zahlreichem Papier zu erkennen. Und obwohl Jester jahrelang nicht da gewesen war, merkte man es dem Zimmer nicht an. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben und einzig der Staub erinnerte daran, dass es lange verlassen war.
»Ich will deine Freude wirklich nicht unterbrechen, aber wir haben hier eine Mission«, sagte Tainja dann und legte einen Arm um Jester. »Wir befreien Mihee und dann hast du vielleicht noch kurz Zeit, diesen Moment länger zu genießen.«
»Unwahrscheinlich. Aber du hast Recht, wir müssen weiter.« Er seufzte und blickte dann zu der Tür am anderen Ende des Raumes. »Toivo, du bleibst bei Tainja, sie wird dich anleiten, wo ihr lang müsst. Wir sehen uns dann in den Zellen.«
Jester versuchte es noch mit einem Lächeln, dann atmete er tief durch und huschte durch die Tür. Toivo wartete auf den großen Knall, doch er kam nicht. Der Dieb war verschwunden und nichts passierte. Kein Alarm wurde geschlagen, keine lauten Schritte von den Wachen, nichts.
»Er hat auch vor nichts Angst, oder?«, murmelte Toivo. »Was wenn-«
Tainja schnalzte mit der Zunge. »Weder ist der Zugang zu dem Zimmer bekannt, noch interessiert sich jemand für die Räumlichkeiten in der Nähe der Zellen. Das weißt du doch selbst, warst du jemals hier unten?«
Zu seinem Bedauern musste Toivo ihr Recht geben. Nicht einmal in seinen Jahren in dem Schloss, war er für eine Wache an diesem Ort eingeteilt worden. Tainja machte eine Handbewegung und forderte ihn auf mitzukommen. Auch sie öffnete nun die Tür und trat auf den Flur. Toivo folgte ihr. Von Jester war keine Spur zu sehen.
»Hier lang«, weißte Tainja ihm die Richtung.
Je länger sie den Gang hinunterliefen, desto mehr musste Toivo feststellen, dass noch nie in seinem Leben dort gewesen war. Erst als Tainja sich Zugang zu einem weiteren Raum verschaffte, erkannte er, wo genau sie sich befanden. Das Schloss barg mehr Geheimnisse, als er sich hätte vorstellen können.
Sie begegneten niemanden und Toivo war sich nicht sicher, ob er das positiv oder negativ finden sollte. Er wusste nicht, wie weit Sylas mit der Vorbereitung auf den Krieg war, wie viele Wesen er noch in Assonâc stationiert hatte. Dass so wenig los war, war aber ein klares Indiz dafür, dass es wirklich losging.
»Gleich sind wir da. Ab jetzt können uns aber überall Soldaten begegnen. Du erinnerst dich an unseren Plan?« Tainja atmete tief durch und knackte ihre Knöchel.
Toivo nickte. Sie liefen immer schneller, um eine Ecke herum, nur um fast in Jester hin einzukrachen. Mit glasigen Augen starrte er nach vorne, sein Körper zitterte. Toivo hörte ihn nach Luft schnappen, ein entsetztes Keuchen kam über seine Lippen.
»Mihee.«
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