25 || das Gewitter verschwindet
JESTER
Jester war die kahle Gegend satt. Der Staub hatte sich auf seinen Klamotten abgesetzt und die trockenen Gräser unter seinen Füßen raschelten. Wo in den Bergen tiefer Winter geherrscht hatte, so war das Tal vor ihm umgeben von einem warmen Luftzug, der sich in jede Ecke absetzte.
Jester hasste alles an dem Weg. Nachdem sie den Wald hinter sich gelassen hatten, vor über einem Tag, gab s nichts mehr, außer die kahle, leere Gegend und die triste Umgebung, die er langsam nicht mehr sehen konnte. Seit Stunden hatten die drei kein Wort mehr gewechselt, Jester war sich sicher, dass jeder so dachte wie er. Alle waren froh, wenn sie endlich in der Stadt angekommen waren. Vernünftiges Essen und die eventuelle Möglichkeit nach einem richtigen Bett trieben sie an.
Jester seufzte. Manchmal verfluchte er sich für seine eigenen Entscheidungen. Es wäre alles einfacher gewesen, wenn sie mit Elena mitgeflogen wären, sobald sie in den Krieg ziehen. Und doch hatte er es unbedingt gewollt, nach Iha Kahangâ zu gehen, um dort Verbündete zu finden. Tainjas Worte waren ihm logisch vorgekommen und jetzt zweifelte er daran, dass das der richtige Weg gewesen war. Ganz tief in seinem Herzen wusste er, dass es das nicht war. Tainja hatte sich mittlerweile ein bisschen Vertrauen erarbeiten können, doch eigentlich sollte er niemanden mehr, außer sich selbst vertrauen.
Er legte den Kopf in den Nacken. Er hatte nicht unbedingt gehen wollen. Seine Gedanken schweiften zu Lûkas und ein Stich durchfuhr sein Herz. Ihn zu verlassen, war schwieriger gewesen, als erwartet. Er hasste sich selbst dafür, dass er sich innerhalb so kurzer Zeit, so unfassbar abhängig von dem Mann gemacht hatte. Er solle nicht sterben, hatte er gesagt und Jester hatte nicht genug Kraft gehabt, es ihm auch zu sagen. Ihm zu sagen, dass er nicht in den Krieg ziehen soll, weil Jester es nicht ertragen könnte, ihn zu verlieren. Er wollte es sich nicht eingestehen, doch er wusste, dass es so war. Und er verabscheute sich dafür.
Dann blieb Tainja vor ihm stehen und er stieß beinahe mit ihr zusammen. Verwirrt hob er eine Augenbraue.
»Sieh«, brach Tainja krächzend hervor und zeigte nach vorne.
Jesters Blick folgte ihrem Finger und er ließ ein erleichtertes Seufzen aus seiner Kehle. Die lange Mauer der Stadt war zu sehen. Es lag kein Rauch in der Luft, keine lauten Geräusche drangen zu ihnen durch. Die Stadt lag ruhig da.
»Dann wollen wir mal«, murmelte Jester und streckte sich. »Wir sollten uns die Situation noch von Nahem ansehen, aber wenn alles gut scheint, dann können wir durch das Vordertor gehen. Außer Tainja hat mich angelogen und diese Stadt steht nicht auf unserer Seite.« Bei seinem letzten Satz, schnaubte Tainja empört.
»Ich lüge dich nicht an«, meinte sie und verschränkte die Arme. »Jedenfalls nicht mehr.«
Jester winkte ab. Er griff an seinen Gürtel, um noch einen Schluck zu trinken, dann nickte er seinen Mitstreiten zu. Erneut setzten sie sich in Bewegung. Jester wusste nicht, was sie in der Stadt erwarten würde. Er hoffte darauf, dass es nicht allzu kompliziert werden würde, zu denen durchzukommen, die gegen den König waren. Er wusste, dass sie sich nicht einfach offen auf der Straße zeigen würden. Das würden sie nicht wagen. Aber vielleicht würde er durch seinen Namen weiterkommen, obwohl dies auch immer ein Risko war, das wusste er. Wenn Sylas wusste, wo er war, würde er nicht zögern alles niederzubrennen, um ihn zu erwischen.
Der Weg zog sich hin. Die letzten Stunden fühlten sich wie Jahre an, die nicht vorbeigehen wollten. Neben ihm war Karin am Hecheln. Überraschend, so fand er, da er davon ausgegangen war, dass sie lange Reisen gewöhnt war. Schnell warf er ihr einen Blick zu. Über die Zeit hinweg hatte er gefallen an ihrer Anwesenheit gefunden. Auch wenn sie nicht viel sprach, sondern sich meistens in ihren Gedanken zurückzog, war sie ein angenehmer Gefährte. Sie beschwerte sich nicht, sie half, wo es ging, und versuchte alles positiv zu sehen. Jester hatte sie wirklich ins Herz geschlossen.
Die Mauern kamen immer näher, bis sie schlussendlich angekommen waren. Die Sonne war mittlerweile fast untergegangen und Jester wünschte sich nichts mehr, außer sich hinzulegen. Seine Füße schmerzten und sein Atem war rau.
Tainja lauschte. »Nun gut, ich höre nichts, ich rieche nichts, was auf die Anwesenheit der Truppen von dem König hinweist«, gab sie die Information raus und Jester nickte knapp. »Reicht das aber oder wollen wir lieber-«
»Nein, wir gehen durch das Tor. Ich vertraue auf deine Sinne. Sie sind so gut wie eh und je«, widersprach Jester und deutete ein Stück weiter weg von ihnen.
Karin sagte nichts dazu, sondern lief als erste in die Richtung des Tores. Hastig folgten die beiden ihr. Je näher sie diesem kamen, desto verwirrter wurde Jester. Es war offen und keine Soldaten oder Wächter waren zu sehen. Es war frei zugänglich. Sorge breitete sich in ihm aus.
Sie durchquerten den Gang in die Stadt und weit und breit waren keine Wesen zu sehen.
»Was ist hier los?«, wisperte Karin und ihre Augen huschten von Haus zu Haus. »Hier kann doch etwas nicht stimmen.«
Jester kaute auf seiner Unterlippe. »Ich weiß es nicht. Es kommt mir sehr suspekt vor, dass niemand am Tor war. Besonders in solchen Zeiten.«
»Wir sollten umkehren«, meinte Karin, »Am besten sofort. Wer weiß, wer auf uns wartet. Das könnte eine Falle sein.«
Tainja schüttelte den Kopf. »Benutz erst deine Seherfähigkeit«, sagte sie. »Dann kannst du sehen, ob hier jemand ist. Wenn du merkst, dass jemand über dich redet, dann merkst du doch auch, ob hier jemand ist.« Sie blickte ihn auffordernd an.
»So einfach geht das nicht«, grummelte Jester, »Ich kann nicht einfach die Umgebung durchleuchten und gucken, ob hier jemand ist. Oder eine von unseren Feinden. Ich kann gerade mal so die Sicht von Sehern abwenden und mit ganz viel Glück kontrollierte Visionen haben. Aber bestimmt nicht sowas.«
»Wozu hat man auch einen Seher dabei«, fluchte Tainja und Jester ballte die Fäuste.
»Geh du doch vor und guck nach. Bist du nicht der Gestaltwandler von uns«, motzte er zurück und schüttelte seinen Kopf. »Ich habe mir dieses Drecksdasein nicht gewünscht, okay, also komm mal runter von deinem hohen Ross.«
»Wenn du meinst. Ein Leopard ist auch so unauffällig, niemand würde auf die Idee kommen, dass ich eine Hurgailua bin«, knurrte die Frau und verdrehte übertrieben die Augen.
»Könntet ihr damit aufhören. Wenn hier irgendwo unsere Feinde sind, dann haben sie uns bestimmt durch euren Streit schon gehört«, mischte Karin sich ein und Tainja wandte sich mit funkelten Augen zu ihr um.
»Ach, haben sie das. Also ich sehe hier niemanden, der uns gerade töten will, also halt dich daraus«, fuhr sie Karin an und wischte sich die Haare aus dem Gesicht.
Jester kratzte sich die Nase. »Also Recht hat sie schon«, meinte er dann.
»Und wie sie Recht hat. Diese nervtötende Stimme von Deena und deine kann man nicht überhören!«
Jester erstarrte augenblicklich. Das konnte nicht sein. Das sollte nicht sein. Es war so unsinnig. Warum waren sie hier? Warum war ausgerechnet er hier? Nichts ergab mehr einen Sinn. Jesters Gedanken überschlugen sich. Er hatte niemanden in seinen Kopf gelassen, die Wahrscheinlichkeit, dass sie ausgerechnet hier hin gingen, war so unbeschreiblich klein.
Ganz langsam drehte er sich um. Mit einem breiten Grinsen blickte Toivo ihn an und verbeugte sich. »Der Gott persönlich stattet uns einen Besuch ab. Wie freundlich von ihm«, höhnte der Magier und er zog sein Schwert. »Und jetzt sag auf Wiedersehen zu der schönen, kleinen Welt.«
Karin stellte sich vor Jester. Mit ausgebreiteten Armen und Wut in ihrem Blick, funkelte sie Toivo an.
»Ich besiege dich wieder, Bruder, immer und immer wieder, bis du schlussendlich stirbst!«, rief sie und violette Blitze züngelten sich ihren Arm entlang.
Toivo stieß ein verächtliches Lachen aus. »Ach Karin, dann werde ich wohl zuerst deine Träume zerstören.«
Dann pfiff er einmal und über den Häuserdächern kamen mehrere Gestalten hervor. Jester erkannte ein paar Gesichter. Es waren bestimmt sechs oder sieben Wesen, die ihnen nun gegenüberstanden und Toivo legte den Kopf schief.
»Also bitte. Tötet mich doch.«
Dann rannte er los und bevor Jester Karin abhalten konnte, begann sie Blitze um sich zu feuern, als gäbe es kein Morgen mehr. Violettes Licht erhellte die Straße und Jester duckte sich, um nicht getroffen zu werden. Neben ihm verwandelte Tainja sich. Mit einem Fauchen stürzte sie sich auf zwei der Wesen, die von dem Dach gekommen waren.
Jester war wie erstarrt. Seine Kräfte brachten ihm im Kampf nichts. Das hatte er schon mehrmals erfahren müssen. Und auch jetzt stand er seinen Gegnern wehrlos gegenüber. Ihn wollten sie. Und er hatte nichts, um zu kämpfen, außer seine zwei Messer, die in seinem Gürtel steckten.
Fluchend zog er sie hervor und machte sich bereit. Vielleicht konnte er seinem Angreifer wenigstens noch eine tödliche Wunde hinzufügen, bevor er starb. Doch keiner der Wesen kam zu ihm.
Er hatte nie mitbekommen, wie stark Tainja war. In keinem Kampf, den er je von ihr gesehen hatte, hatte sie so gekämpft wie jetzt. Gnadenlos und voller Wut. Er wusste nicht, ob sich die Macht einer Hurgailua nur auf die Verwandlung minimiert war, oder ob sie Kräfte aufwiesen, von denen Jester keine Ahnung hatte.
Und Karin. Jester wusste kaum mehr, wo die Frau war. Um sie herum war ein Sturm aus Blitzen, es krachte und donnerte und sie jagte ihre Magie in alles Umstehende. Sie war wie ein Sturm, der ungebändigt durch die Welt wütete, vor dem sich niemand verstecken konnte. Jester konnte sie schreien und weinen hören. Mit jeder Sekunde die verging, wurde die Kraft mehr und Jesters Härchen an den Armen stellten sich auf. Die Luft war elektrisiert. Es erdrückte ihn beinahe.
Dann tauchte Toivo in seinem Blickfeld auf und er umgriff die Messer fester. Er wusste, dass er keine Chance gegen den Mann hatte. Toivo kam langsam auf ihn zu. Sein Schwert auf ihn gerichtet, mehrere Dolche umkreisten seinen Kopf. Wenige Meter vor Jester blieb er stehen.
»Jetzt töte mich endlich«, sagte Jester mit kalter Stimme.
Toivo legte den Kopf schief. »Du sollst dich wehren, das ist ja sonst langweilig«, erwiderte er und sein Schwert senkte sich leicht.
Jetzt lachte Jester. »Ich mach dir doch jetzt nicht noch eine Freude daraus, mich umzubringen. Entweder du machst es jetzt sofort oder traust du dich nicht?«
Toivo zuckte zusammen. »Du wirst gleich sehen, wie sehr ich mich traue!«, fauchte er, doch er hatte sich noch immer nicht bewegt.
»Willst du mich zu Tode starren?« Welchen Plan Toivo auch verfolgte, Jester ging es gewaltig gegen den Strich.
Er atmete tief durch, dann fokussierte er Toivo. Dann warf er sein Messer in seine Richtung. Toivos Mundwinkel zuckte, als er mit einem Schwenk seiner Hand abwehrte. Jester machte mehrere Schritte zurück. Schon bei ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte Toivo ihn nicht umgebracht, obwohl er die Chance dazu gehabt hätte.
Toivo bückte sich und hob Jesters Messer auf. Er drehte es in der Hand, dann steckte er es sich an seinen Gürtel. Jester fluchte. Er hatte genug von Toivos Spielchen. Sein anderes Messer hielt er fest im Griff. Sein Gehirn ratterte. Welche Möglichkeiten hatte er noch? Gab es einen endgültigen Zug, den er machen konnte. Vielleicht würde er ihm den Rest geben, wenn er selbst schon anfing, sich...
Ein lautes Brüllen unterbrach seinen Gedankengang.
»NEIN! WEG VON IHR!«
Der Schrei hallte in Jesters Ohren wieder. Wie in Zeitlupe drehte er sich um. Karin lag auf dem Boden. Eine Blutlache bildete sich um ihren Oberkörper. Blitze zuckten unkontrolliert um ihre Hände. Ein Speer ragte aus ihr heraus. Tainja rannte auf sie zu. Nebenbei schnitt sie dem Wesen neben ihr die Kehle auf. Karins Augen blickten Jester direkt in die Seele. Sie weinte.
Ein lautloser Schrei brach zwischen Jesters Lippen hervor.
Seine Beine gehorchten ihm nicht.
Er kam nicht von der Stelle.
Er kam nicht zu Karin.
Um sie zu halten. Um ihr zu sagen, dass es okay ist. Dass alles gut wird. Dass sie jetzt nicht sterben wird, weil sie sie retten würden.
Er kam nicht zu ihr, als sich ihre Augen schlossen. Als der letzte Funken ihres Lichtes erlosch. Ihre Blitze verschwanden.
Er war nicht da, um ihr eine Jacke zu geben, weil ihr jetzt bestimmt kalt war.
Seine Sicht verschwamm. Nur aus dem Augenwinkel bekam er die Bewegung von Toivo mit.
Von Toivo, der sich mit einem herzzerreißenden Schrei auf den Peiniger von Karin stürzte.
Toivo, der die Straße in ein Blutbad verwandelte.
Weil Karin immer noch seine Schwester war.
Jester kam nicht zu Karin.
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