Vergangenheit
Die dunklen Augen meiner Schwester durchbohrten mich, während ich unruhig auf meinem Schreibtischstuhl hockte. Neta war auf den Wunsch von Doktor Pillms über Nacht bei mir im Zimmer geblieben und hatte verkündet noch eine Woche zu bleiben. Meine Nerven lagen blank, dass Letzte was ich gebrauchen konnte war eine aufdringliche, überwachende große Schwester. »Ich möchte, dass du morgen in jede Stunde deines Unterrichts gehst«, verkündete Neta streng und ließ sich auf meinem Bett nach hinten fallen. Auch wenn sie ein Zimmer direkt neben mir bekommen hatte bevorzugte sie es auf meinem zu liegen. »Du kannst mir nichts befehlen Neta«, knurrte ich. Es hing mir jetzt schon zum Hals hinaus wieder eine Person zu haben die mir versuchte zu sagen was ich tun sollte und was nicht. Ich mochte es unabhängig zu sein.
Frei.
»Du hast morgen sechs Stunden kleiner Bruder, das wirst du wohl überleben. Außerdem wirst du deinen Abschluss niemals schaffen, wenn du nicht im Unterricht erscheinst.«, verkündete sie und warf ihre schwarzen Haare nach hinten. Dann sah sie mich wieder ernst an. Ihre Augen standen leicht schräg, was zusammen mit ihrer dunkelbraunen Hautfarbe einfach nur hübsch aussah. Dagegen war meine Hautfarbe so weiß wie ein Blatt Papier. Neta und ich waren noch nie für Geschwister gehalten worden. Meine Hautfarbe war seltsam und hatte seit meiner Kindheit viele Menschen abgestoßen. Ich mochte das weiß, es stach heraus. »Solves, ich weiß was in dir vorgeht«, sagte sie und stand dann auf. Sie streckte ihre langen Arme, welche vom vielen Krafttraining Sehnig geworden waren. »Nein, du hast keine Ahnung von mir Neta, dass habe ich dir doch bereits gesagt«, knurrte ich und erhob mich ebenfalls. »Ich habe auch Menschen verloren«, knurrte Neta zurück. Sie hatte das Thema von sich aus angeschnitten?! Verwundert kniff ich die Augen zusammen, Neta hatte es bislang immer gemieden auch nur in Richtung des Themas Tod zu kommen. In Richtung von Iso. Iso war ihr bester Freund gewesen. Die beiden hatten sich seit fast vierzehn Jahren gekannt. Vor drei Jahren waren die beiden zu einem Paar geworden, doch bei dem Angriff war Iso getötet worden. »Ich weiß Neta, nur ist der Unterschied, dass du die Schmerzen in dich hinein frisst, sie unterdrückst. Irgendwann wird dich das alles wieder einholen. Und dann war meine Variante besser. Diese Menschen sind Mörder, sie haben den Tod verdient, anders als Iso, Tim und...«, meine Stimme stockte »Clare« Neta blickte mich kalt an. »Solves, diese Menschen sind keine Mörder, die meisten von ihren haben noch nie ein Leben beendet. Du bist ein Mörder, lass deine Wut raus aber krieg dich in den Griff. Niemand kann einen Soldaten brauchen, der wild um sich schießt.« Ich schnaubte und starrte meine Schwester wütend an. »Hast du mir jetzt genug Moralpredigen gehalten Neta? Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich noch etwas zu tun« Sie lächelte mich wissend an »Du bist nicht der Einzige, der mit Doktor Pillms zusammenarbeitet Solves.«, lachte sie drehte sich aber dennoch zur Tür. »Wir sehen uns beim Abendessen Solves«, verkündete sie und öffnete leise die Tür. Innerhalb eines Wimpernschlages war sie aus dem Zimmer.
»Bevor du dich auch nur auf die Suche nach „deinem" Artefakt machst musst du lernen wie du es finden kannst.«, verkündete Doktor Pillms. Ihr Hologramm bewegte sich durch das große Büro. Am anderen Ende schwang eine Tür auf. »Folge mir Solves« Verwundert trat ich ebenfalls aus dem Büro in den Raum dahinter. Es war ein großer, heller Raum, doch ich konnte weder eine Lampe noch ein Fenster entdecken. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch. Es lagen viele verschiedene Gegenstände auf ihm. »Zwei dieser Dinge sind mit einem magischen Fluch belegt, eines mit einem positiven Fluch, dass andere mit einem negativem. Versuche herauszufinden welches, welches ist. Aber bring dich dabei bitte nicht um«, kommandierte Doktor Pillms. Interessiert trat ich auf den Tisch zu. Er war aus einem weißen Material, welches ich nicht identifizieren konnte. Auf dem Tisch lagen Ketten, Armbänder, Bücher, technische Geräte und vieles mehr. Vom kompletten Tisch ging eine magische Welle aus. Womit auch immer zwei dieser Sachen belegt waren, es war stark. Ich machte einen Schritt nach vorne und griff nach einem der Bücher. Die Schatzinsel stand auf dem vergilbten Einband. Kaum hatte mein kleiner Finger es berührt beschloss ich, dass es ungefährlich war. Gelangweilt warf ich es auf den Boden und schaute die anderen Dinge an. Es waren schätzungsweise fünfzig Gegenstände. »Du musst versuchen das gute zu finden, wenn du zu viele neutrale vom Tisch nimmst geht das böse hoch«, warf Doktor Pillms ein. Gelangweilt nickte ich mit dem Kopf, es sollte nicht so schwer sein das Richtige zu finden, schon alleine durch einen Zufall. Meine Hand schnellte zu einem Armband, welche mit goldenen Tieren verziert war. Wieder passierte nichts. Ich warf es neben das Buch und starrte alle Dinge an. Wie sollte ich das Richtige finden ohne, das Doktor Pillms mitbekam dass ich keinen blassen Schimmer hatte. »Ich gebe dir noch fünf Minuten, im Erstfall kannst du auch nicht ewig warten...«, rief die Stimme von meiner neuen Mentorin. Mein Herz schlug zum ersten Mal seit langer Zeit vor Aufregung schneller. Meine rechte Hand zuckte zwischen zwei technischen Geräten hin und her, während die linke nach einer Kette griff. Bumm.
Ich wurde nach hinten geschleudert und mein Kopf knallte auf den harten Boden. Sterne tanzenden vor meinen Augen. Meine Hand pochte schrecklich. Ich spürte, wie meine Beine unkontrollierbar zitterten und etwas Warmes lief mir in die Augen. »Ich hab doch gesagt, dass du dich nicht umbringen lassen sollst Solves«, knurrte Doktor Pillms und ihre Gestalt kam auf mich zu. »Hatte ich eigentlich auch nicht vor«, erwiderte ich und biss die Zähne zusammen. Unter Schmerzen erhob ich mich wieder und starrte auf meine Hand. Viele rote Rinnsale tropften auf den weißen Steinboden. »Wir haben noch viel zu üben Solves«, verkündete die Frau und wandte den Blick ab. Ich versuchte währenddessen herauszufinden wo genau ich Wunden hatte. Das Blut, welches aus meiner Hand sprudelte zählte ich als eine Wunde, dann spürte ich etwas Warmes im Nacken und am linken Bein. »Du gehst jetzt besser auf die Krankenstation, ich habe keine Lust dich weiter zu trainieren wenn du so verwundet bist.«, kommandierte sie und deutete auf die Tür. Wütend starrte ich auf die verwundete Hand und wischte sie dann Kopfschütteln an meiner Hose ab. Der stechende und pochende Schmerz traf mich überraschend und ich wankte kurz, ehe ich mich wieder gefangen hatte. »Du solltest die Hand nicht berühren, es sind bestimmt Splitter in ihr«, rief die Direktorin von Agrunus und schloss die Tür hinter mir.
Im Büro deutete Doktor Pillms auf einen dunkelgrauen Knopf welcher sich auf ihrem Schreibtisch befand. »Wenn du auf ihn drückst kommt eine der Pflegerin und versorgt deine Wunden. Ich glaube kaum, dass dein Stolz es zulässt, dass du quer durch das Gebäude gehst um dich versorgen zu lassen.« Ich schnaubte, drückte aber dennoch auf den Knopf, sie hatte mich durchschaut. Ich konnte es nicht bringen verletzt durch die Schule zu eilen. Ich war perfekt, man konnte mich nicht verletzten. Wenn mich eine Person geschwächt sehen würde, würde es vielleicht mehr Leute wie Phillip geben. Es war mir egal, ob nun ein oder zwei Menschen mehr tot waren, aber ich wusste, dass es schade um die Gaben war, welche verschwendet wurden.
Nicht einmal drei Minuten nachdem ich den Kopf betätigt hatte erschien eine etwas pummelige Frau im Zimmer. Doktor Pillms hatte sich bereits verabschiedet, da sie auf Agrunus etwas zu tun hatte. »Was genau hast du dir verletzt Solves?«, fragte sie mit einer honigweichen Stimme. »Ich denke meine Hand ist verletzt und vielleicht noch ein Kopf und mein linkes Bein.«, antwortete ich kalt. »Dann gib mir mal deine Hand, damit ich sie heilen kann«, erklärte die Frau einen tick zu mitfühlend. »Machen Sie einfach ihren Job. Ich habe mich nur etwas verletzt und werde bestimmt nicht deswegen sterben« Sie blickte mich verwundert an und kniff dann die eh schon schmalen Lippen zusammen. Dann packte sie meine Hand, welche sofort anfing zu kribbeln und zu pochen, es war fast schlimmer als vorher. Als sie etwas murmelte hätte ich fast aufgeschrien. Mein Kopf pochte schrecklich, doch ich kniff meine Augen zusammen. »Es sind interessanterweise Metalsplitter in deiner Handfläche. Einige sind ziemlich tief eingedrungen, es wird etwas dauern, bis ich die Wunden geschlossen habe.«, erläuterte sie und drückte in meine Handfläche. Ich keuchte auf, als der Schmerz in einer kalten Welle meinen kompletten Körper durchzuckte. »Der unbesiegbare Solves empfindet also auch Schmerzen«, lachte sie und schnaubte. »Seien Sie doch einfach leise und machen sie ihre Arbeit. Ich bin nicht daran interessiert mit Ihnen zu sprechen«, knurrte ich und unterdrückte es erneut vor Schmerzen aufzukeuchen. »Ich bin auch nicht wirklich daran interessiert dich zu verarzten Solves. Ich bin kein Fan von dir«, antwortete sie und ließ dann meine Hand los. Zittrig legte ich sie in meinen Schoss und stellte erleichtert fest, dass sie bis auf fünf helle Punkte vollkommen verheilt war. »Die kleinen Narben werden noch eine Weile bleiben, pass in der Zeit auf, dass du dir deine Hand nicht wieder wegsprengst, verstanden?« Ich nickte und unterdrückte die Wut, welche in mir aufstieg. »Dreh dich um, damit ich deinen Kopf untersuchen kann« Widerwillig drehte ich mich und sie fuhr mit ihren Fingern durch meine Haare. »Eine kleine Stelle war aufgeplatzt, kein Grund zur Besorgnis.«, verkündete sie und trat dann wieder vor mich. »Ich denke, dein Bein hat keine Schäden getragen, nur eine kleine Schürfwunde. Wenn du willst kann ich sie ebenfalls heilen, dafür müsstest du jedoch deine Hose ausziehen« Ich schüttelte verkniffen den Kopf, so weit würde es nicht kommen. »Ich werde zurecht kommen«, antwortete ich und erhob mich. Erleichtert stellte ich fest, dass mein Kopf nicht mehr so sehr pochte. »Danke für die Versorgung«, sagte ich gegen meinen Willen und öffnete dann die Tür. Etwas benebelt trat ich in den Flur und machte mich auf in Richtung meines Zimmers. »Solves, können wir vielleicht zusammen trainieren?«, fragte ein großer, muskulöser Junge. Im ersten Moment hätte ich das Bedürfnis Gerne zu sagen. Im letzten Moment riss ich mich zusammen und schnaubte ehe ich weiter ging ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Was war nur los mit mir? Langsam kroch Panik meine Wirbelsäule hoch. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich drängte mich an drei Mädchen vorbei und schlängelte mich an einer weiteren Gruppe vorbei ehe ich es schaffte freier zu atmen. Ich musste in mein Zimmer, ehe ich noch etwas sehr Dummes tat.
Erleichtert schlug ich die weiße Tür hinter mir zu. »Da bist du ja endlich Solves«, rief Neta sofort. »Doktor Pillms hat mir eine Nachricht geschickt und mir mitgeteilt, dass du dich bei einer Übung verletzt hast.« Resigniert seufzte ich und blickte ihr in die schönen Augen »Ja Neta, aber das ist nicht das Einzige was passiert ist«, erklärte ich. »Geht es dir gut?«, fragte meine große Schwester und legte ihre Hand mit den dünnen Fingern auf meine Schulter. Normalerweise hätte ich diese sofort wieder abgeschüttelt, doch ich ließ Netas Nähe zu. »Ja, die Wunden wurden geheilt... aber ich weiß nicht. Mir geht es nicht so gut. Vielleicht ist es besser wenn ich mich schlafen lege«, murmelte ich. Meine Stimme zitterte etwas. Die Panik wurde mit jeder Sekunde stärker, was passierte mit mir? »Ja, dass ist vielleicht wirklich besser... Du klingst gar nicht mehr wie du«, erwiderte Neta und deutete auf mein riesiges Bett. Warum musste dieses Bett nur so groß sein? »Weißt du Solves, ich weiß nicht was passiert ist. Aber so wie du gerade sprichst kommt es mir fast so vor, als wärst du wieder zurück gerutscht.«, flüsterte Neta und setzte sich neben mich auf das weiche Bett. Ich starrte sie an, die Panik breitete sich in meinem Bauch aus. Das konnte nicht sein, ich hatte alles so gut verschlossen. In einer großen Kiste mit tausenden Schlössern. Verbissen schüttelte ich den Kopf. »Nein«, versuchte ich zu knurrten, doch es klang eher wie ein verzweifelter Aufschrei. »Vielleicht ist es besser wenn ich gehe Solves. Ich komme in ein paar Stunden wieder, versprochen. Aber ich habe das Gefühl, dass ein bisschen Zeit für dich dir nicht unbedingt schaden sollte.«, erklärte meine große Schwester. Der Hintergrund verschwamm, ich sah nicht mehr die weißen Wände meines luxuriösen Welus- Zimmers. Ich sah die dunkellila Wände, die staubigen Vorhänge und Netas verheulte Augen. So schnell das Bild vor meinen Augen aufgetaucht war, war es auch schon wieder verschwunden. Ich hatte diese Bilder so weit hinten in meinem Kopf, dass ich schon seit drei Jahren nicht eine Sekunde über sie nachgedacht hatte. Auf einmal schien alles über mir zusammen zu brechen. Fast, als hätte Doktor Pillms mir irgendetwas verabreicht, mich betäubt und die Truhe in meinem Inneren aufgemacht. Selbst Clare war nicht so weit weg verstaut wie dies. Ich hatte mir damals verboten jemals wieder darüber nachzudenken. Mein Herz klopfte schnell und schien sich fast zu überschlagen. »Ich gehe jetzt Solves«, flüsterte Neta und strich mir über den Kopf. Ich war wieder ihr kleiner Bruder. Ich war nicht mehr siebzehn Jahre alt, plötzlich kam es mir wieder vor, als sei ich neun und sie elf. Sie trug die viel schlimmere Last, doch kam so viel besser damit klar. Ich hatte damit abgeschlossen! Abgeschlossen! Verdrängt! Vergiss es einfach!, brüllte ich mich in meinem Kopf an. Und immer wieder schwappten die Wörter über und bohrten sich in meine Kopfhaut. »Nicht anders verdient«, donnerte es in meinem Kopf. Die Erinnerungen brachen immer mehr über mich hinein, ich konnte nicht mehr. Angst schnürte mir die Luft ab und ich schlug mir panisch das Kissen vor den Mund um die kleinen Schreie die aus meinem Mund kamen zu dämpfen. Warum hatte Neta hier her kommen müssen? Sie und Doktor Pillms... sie hatten alles wieder hervorgeholt und mich wieder in die Qualen gesteckt. Ich biss mir auf die Lippe und spürte das rauschende Blut in meinem Körper, ich war nicht wütend. Ich konnte keine Gefühle mehr wahrnehmen. Taub. Es war so unfair! Mein Kopf rauschte und ich wollte einfach nur weg.
Mit zittrigen Beinen erhob ich mich wieder. Mein Rücken war schweißnass. Ohne irgendetwas zu denken zog ich mir meine Jacke über und öffnete das Fenster.
Draußen war es kühl und eine angenehme Briese schlug mir ins Gesicht. Außerhalb meines Fensters war ein kleines Fenstersims. Da mein Zimmer schätzungsweise acht Meter über dem Boden der C- Dimension war befand sich eine Sicherung nah an den Fenstern. Ich konnte mich gerade einmal aufrecht auf das metallische Fensterbrett stellen oder mich so hinsetzten, dass ich mit dem Rücken an der unangenehmen Wand saß. Nun, da ich wusste, dass mich niemand mehr hören konnte schrie ich wütend ins Nichts. Es war eine Mischung aus Wut, Verzweiflung, Panik und Trauer. Dann setzte ich mich hin und starrte auf die weißen Wolken, sie waren still, denn die Dimensionen waren in einer festen Zeit, bewegten sich nicht. Das genaue Prinzip hatte ich nie verstanden. Während ich so da saß schaffte ich es langsam alles wieder zurück zu drängen und die Truhe mit neuen Schlössern zu belegen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top