Veränderung

»Ich bin erleichtert, dass ich all eure Gesichter wiedersehen kann«, fuhr sie fort. Ich schluckte. »In den letzten zwei Wochen haben ich und meine neuen Kollegen an einem Konzept gearbeitet. Die meisten Klassen können nicht mehr unterrichtet werden, da es einfach zu wenig Schüler sind, auch die Zimmer werden nun anders besetzt. Viele Bereiche wurden so zerstört, dass es noch Wochen dauern wird, bis sie wieder betreten werden können.« Ein lautes Raunen ging durch die Reihen. Ich blieb still auf der Bank sitzen und versuchte Doktor Mon nicht anzugucken. »Wir haben den Lehrplan umgestellt und ich möchte euch nun eure neuen Lehrer vorstellen« Leute fingen an zu tuscheln und mein Kopf begann zu pochen, irgendetwas hatte sie vor. Etwas, was mit großen Geheimnissen verbunden war. Ich spürte es. »Dürfen wir uns unsere Zimmerkameraden selbst aussuchen?«, rief plötzlich jemand und andere stimmten ein. Die junge Direktorin schüttelte den Kopf. Ich sah mich im Saal um und entdeckte plötzlich zehn ältere Menschen welche mir vorher noch gar nicht aufgefallen waren. »Ich werde nun nacheinander alle Lehrer vorstellen«, rief sie durch das Getümmel und alle verstummten wieder. »Doktor Thin ist der Oberstufenleiter und Doktor Jacks die Unterstufenleiterin. Sie haben diese Posten erhalten, da sie die einzigen Lehrer außer mir sind, welche schon länger unterrichten. Ich entdeckte Doktor Thin neben der Bühne, sein Gesicht war verzerrt. »Die neune Lehrkräfte sind« Sie winkte die älteren Menschen zu sich. »Doktor Jackob, Doktor Pillms, Doktor Xava, Doktor Polirus, Doktor Bukak und Doktor Umun« Nacheinander deutete sie auf die neuen Lehrer. Mein Blick blieb an Doktor Umun hängen. Es war eine junge Frau mit karamellfarbenen Korkenzieherlocken und stark geschminkten Augen. Kaum hatte ich angefangen sie zu mustern starrte sie mich ebenfalls an. Die Abscheu stand ihr beinah ins Gesicht geschrieben. »Eure neuen Stundenpläne werdet ihr in euren Zimmern finden.«, rief Doktor Mon und nacheinander verließen die anderen die Bühne. Als nur noch die Direktorin auf ihr stand erhob sie die Arme um uns zur Ruhe zu bringen. Neben mir hörte ich Rose und Donald leise tuscheln. »Vor dem Saal hängen nun Listen mit euren Zimmern aus. Die Namen der Korridore sind geblieben. Morgen gibt es ein weiteres treffen aller Schüler um zehn Uhr« Ich musste schlucken, schon wieder neue Zimmer. Neue Mitbewohner, neuer Stress. Neben mir erhob sich das Mädchen und verließ den Saal, auch Rose und Donald erhoben sich. Ich folgte ihrem Beispiel. »Ich hoffe, dass ich mit dir in einem Zimmer bin«, meinte Rose und berührte meinen Arm. Ich nickte ihr zu und war mir sicher, dass wir nicht in einem Zimmer sein würden. Auch wenn ich Doktor Mons Geheimnis nicht weiter verraten hatte, vermutete ich, dass sie mir trotzdem weiter vorspielen musste wie viel Macht sie über mich hatte. Trotzdem betete ich, mit ihr oder Zara, Katy und Moga in ein Zimmer zu kommen. Vor dem Saal standen die Schüler Schlange um zu gucken in welchem Zimmer sie waren. Ich sah Emma neben mir und lächelte das Mädchen an, dann fiel mir auf, dass ihre Augen wieder silbern waren. »Der Feind kommt näher, hüte dich vor dem Dach«, flüsterte sie mir ins Ohr, dann verschwand sie wieder in der Menge. »Was wollte Emma?«, fragte mich Rose sofort. Ich zuckte so beiläufig wie möglich mit den Schultern. Rose kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts.

Die meisten Schüler waren bereits verschwunden. Ich wartete immer noch darauf, endlich die Liste sehen zu können. Gerade stand ein großer Junge vor mir, welcher seinen Namen offensichtlich nicht finden konnte. Rose stand neben mir und knackte nervös mit den Fingerknöcheln. Ich hasste dieses Geräusch und biss die Zähne zusammen. Dann ging auch der Junge. Interessiert trat ich an die Liste. Drei große Blätter Papier welche mit Namen und Zimmernummern gefüllt waren standen dort. Ich suchte meinen Namen auf den ersten Blatt, fand ihn jedoch nicht. »Ich habe mich gefunden«, rief Rose und deutete auf das zweite Blatt. Zimmer 6. Neben Roses Namen standen vier weitere Namen. Meiner stand nicht bei ihrem Zimmer. Enttäuscht sog Rose die Luft ein und schien nach meinem Namen zu suchen. Ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, ein gutes Zimmer zu bekommen. Schließlich fand Rose meinen Namen auf dem dritten Blatt. Luna Night Willims, Valerie Durius, Zara McCollyn, Moga Wah, Katy Suim. Erfreut und erleichtert seufzte ich auf. Rose hingegen schien mit ihrem Zimmer nicht zufrieden zu sein. »Die kenn ich alle gar nicht«, stöhnte sie und seufzte. »Das wird schon. Du kannst gerne bei mir vorbei kommen«, bot ich ihr an und sie lächelte mit leeren Augen. »Mal sehen, bis später beim Essen«, murmelte sie und wandte sich dann ab um zu ihrem Zimmer zu gehen. Auch ich wandte mich von der Liste ab. Wir hatten genau das Zimmer, welches Loura, Dawn, Clare, Zara, Katy, Moga und ich am Anfang gehabt hatten. Mein Herz pochte schmerzhaft aber ich ignorierte es. Loura war bestimmt auch noch am Leben. Die Gänge waren bereits verlassen und es war erschreckend still in der sonst immer lauten Schule. Ich mochte die neuen, langweiligen, hellen Gänge nicht. Immer wieder musste ich an die schön gemusterten Gänge denken, welche Geschichten zu erzählen hatten. Davon war nun nichts mehr übrig geblieben.

Die Zimmertür war nun weiß und es roch nach frischer Farbe. Ich öffnete die Tür und trat in den Raum. Seit ich das letzte Mal hier gewesen war hatte sich vieles verändert. Nun standen nur noch fünf Betten an den Wänden. Die Wände waren blassrosa und ein Tisch mit fünf Stühlen stand in der Mitte des Raumes. An den beiden Wänden, an welchen früher einmal Loura und Moga geschlafen hatten standen nun fünf Schränke. »Da bist du ja endlich Luna«, rief Zara. Sie hatte ihren Koffer vor ihrem Bett stehen und ich musste lächelnd feststellen, dass sie exakt das gleiche Bett wie vorher hatte. Auch Katy hatte ihr altes Bett wieder in beschlag genommen. Moga hockte nun an der Wand, an welcher Dawn früher geschlafen hatte. Valerie direkt daneben. Für mich blieb nur noch das Bett, welches direkt links von der Tür stand. Mein dunkelblauer Koffer stand zusammen mit meinem grauen Rucksack bereits davor. »Du kannst den Schrank nehmen«, meinte Katy und deutete auf den direkt auf der anderen Seite des Zimmers. Ich nickte verkniffen und griff nach meinem Ruckssack. Ich musste dringend sichergehen, dass mein Notizbuch noch da war. Mein Herz pochte entsetzlich schnell als ich ihn umdrehte und nichts auf das weiße Bettlaken fiel. »Was suchst du denn?«, fragte Valerie und lächelte mich wieder an ohne das es ihr Lächeln erreichte. Eine Sekunde war ich wegen des Falschen Lächelns gekränkt dann sagte ich mir: Es ist nicht wegen dir, es ist der Schmerz und Verlust. »Na ja... mein Notiz- Tagebuch«, verbesserte ich mich. »Oh«, sagte das Mädchen und ich hätte ihr am liebsten meinen Rucksack gegen den Kopf geworfen. Mehr fiel ihr nicht ein?! »Vielleicht ist es in deinem Koffer«, schlug Zara vor und deutete auf ihn. Ich schüttelte verkniffen den Kopf und kaute auf meiner Unterlippe herum. »Ich habe es in den Rucksack gepackt«, stieß ich hervor. »Dann ist es wohl weg«, rief Moga durch den Raum. Eine Sekunde freute ich mich, dass wenigstens eine Person so geblieben war wie sie vorher gewesne war, dann hätte ich mir gerne Zaras Gabe ausgeliehen und Moga beim lebendigen Leib verbrannt. »Bleib ruhig Luna, wenn dir dein Tagebuch so wichtig war finden wir es bestimmt irgendwo. Es kann ja nicht weg sein«, versprach Katy und legte mir eine Hand auf die Schulter. Mein Herz pochte immer schneller, wenn es weg war, waren damit auch die einzigen Schlüssel, welche ich aus den Träumen bekommen hatte weg. Ebenso die Briefe von Dawn und alle Erinnerungen welche ich für immer aufgeschrieben hatte. Denn meine frühsten Erinnerungen an Agrunus waren inzwischen verzerrt. Jeden Schritt den Clare gemacht hatte, sah ich nun als Böse an, nichts war mehr schön. Alles eine Lüge. »Ich glaube da liegt was unter deinem Bett«, meinte Valerie plötzlich. Aus der Starre gerissen sank ich auf die Knie und guckte hoffnungsvoll unter das weiße Gestell. Und wirklich, an der Wand lag ein kleines Büchlein. Erleichtertet streckte ich meinen Arm unter das Bett um es zu bekommen. Meine Fingerspitzen streifen das Buch, doch ich bekam es nicht zu fassen. »Lass mich mal«, meinte Moga und holte das Buch locker unter dem Bett hervor. »Danke«, seufzte ich und drückte es erleichtert an meine Brust. »Gern geschehen Luna.«, lachte das Mädchen und ging zurück zu ihrem eigenen Bett. Erleichtert ließ ich mich auf meines sinken und öffnete es vorsichtig. Ich hatte Angst, dass Dawns Brief, welchen ich auf die erste Seite gepackt hatte hinausfiel. Doch der Brief war nicht mehr da. Verwundert blätterte ich die ersten Seiten um, vielleicht hatte ich ihn etwas weiter nach hinten geschoben. Nichts. Wieder kroch die Panik meine Wirbelsäule hoch, irgendetwas lief hier ab. Ich blätterte zu meinem letzten Eintrag und sofort erkannte ich, dass er nicht so war wie vorher. Ich hatte mir etwas über Sandy Pillms notiert und über Großvater. Stattdessen stand dort, dass ich auf dem Friedhof gewesen war und, dass ich Blus Grab verabscheute, weil es so karg war. Das hatte ich niemals geschrieben. Jemand war an dem Buch gewesen. »Wart ihr die einzigen, die in diesem Raum gewesen sind?«, fragte ich in die Runde und Zara nickte. »Ja und vor uns noch die G- Männer, welche das Gepäck gebracht haben. »Also war es schon da als ihr gekommen seid?«, hakte ich nach. Katy schüttelte den Kopf. »Es waren alle Koffer da, aber alle Ruckssäcke wurden erst wenige Minuten bevor du kamst gebracht.« Verwirrt zog ich die Stirn kraus und biss mir auf die Unterlippe. »Warum denn?«, fragte Valerie. Ich schüttelte den Kopf, ihr würde ich nicht davon erzählen. Einerseits weil sie dann mit in all die Probleme hinein gezogen werden würde und andererseits, weil ich ihr nicht vertraute. »Egal« Valerie kniff die schmalen Augen zusammen und wandte sich dann ab. »Wie wäre es wenn wir etwas essen gehen?«, fragte Moga. »Ich sterbe vor Hunger«, fügte sie hinzu. »Gute Idee, ich brauch' auch was zu essen«, stimme Zara zu. Auch Katy und Valerie nickten eifrig. Mir hatte es den Hunger verschlagen trotzdem nickte ich abwesend und folgte den vier Mädchen aus dem Zimmer.

»Und dann war da diese Frau... sie hat mich gefragt, ob ich begabt wäre. Von Gesegnet hat sie nichts gesagt, aber sie hat auf jeden Fall darauf gezielt. Jedenfalls hat sie mich gefragt, ob ich nicht bei ihr und ihren Helfern außerhalb des schrecklichen Schulsystems lernen will«, erzählte Rose mit vollem Mund. »Echt? Ich habe auch so etwas gesehen. Ein Mann, welchen ich auch hier gesehen habe hat versucht Eltern dazu zu überzeugen, ihre Kinder zu ihnen zu schicken«, erzählte ich und biss in mein Sandwich. »Ich habe auch so etwas Ähnliches gesehen glaub ich. Ich bin schnell weiter gegangen«, meinte Katy verlegen und fuhr sich durch die blonden Haare. »Dahinter stecken bestimmt die Hexoristischen, oder Welus«, murmelte Emma nachdenklich. Wir saßen an einem Tisch in der neuen Cafeteria. Auch hier war nun alles langweilig weiß, fast so als wolle man zeigen, dass wir aufgegeben hätten. Das weiß des Tisches, der Wände, der Stühle, des Bodens und einfach allem brannte in den Augen. Ein Mädchen aus dem zweiten Jahr, welches Mary hieß meinte: »Vielleicht auch beide zusammen« Moga, Zara, Katy, Valerie, Emma und Rose nickten. Ich bewegte mich nicht. Mein Blick fiel auf Donald, der alleine an einem Tisch neben uns saß. Viele Schüler saßen allein da, weil ihre Freunde auf grausamste Weise niedergemetzelt worden waren. Ich stieß Rose mit dem Ellenbogen an und deutete auf Donald. »Wie wäre es, wenn du ihn fragst ob er sich zu uns setzt?«, schlug ich verschwörerisch vor. Rose schaute mich verwundert an, dann nickte sie und erhob sich. Kaum hatte sie ihren Platz verlassen hob Donald den Kopf, seine Haare fielen ihm ins Gesicht und er lächelte Rose an. Ich höre sie etwas sagen und er grinste breit, dann stand er auf, nahm sein Tablett und kam mit meiner Freundin zu uns geschlendert. Offensichtlich freute er sich nicht mehr alleine zu essen. Rose ließ sich wieder neben mich fallen und Donald setzte sich neben sie. »Ein Junge in unserer geheimen Mädchengruppe«, stöhnte Moga und verdrehte die Augen. »Ich kann auch wieder gehen«, erwiderte Donald und lehnte sich zurück. »Nein, bleib doch. Ignorier Moga einfach«, rief Rose etwas zu schnell und zu laut. Auf der anderen Seite des Tisches mussten Moga, Zara und vor allem Emma breit grinsen. Ich blickte zu Rose, welche langsam dunkelrot anlief. »Na dann bleib ich«, verkündete Donald und griff nach seinem Getränk. »Also... wie gesagt, Welus ist bestimmt noch nicht fertig mit was auch immer sie vorhaben«, griff Mary das Gespräch wieder auf. »Nein, sie sind erst fertig wenn sie alle getötet haben«, meinte ich und wünschte mir sofort, es nicht laut ausgesprochen zu haben. Denn kaum hatte ich den Tod erwähnt verschwand die leichte Freude und Glücklichkeit schlagartig aus allen Augen. Als ich in Valeries Augen sogar Tränen glitzern sah wäre ich am liebsten im Boden versunken. »Wie findet ihr das Essen?«, fragte Zara und riss somit alle aus ihrer Schockstarre. »War früher mal besser«, erklärte Moga und hob ihren Teller hoch. »Ich schmecke, dass es nicht mit liebe gemacht ist. Ich muss die Liebe im Essen spüren« Ich konnte das Lachen nicht unterdrücken. Die Lilahaarige meinte es offensichtlich ernst, aber es war so absurd, dass gerade Moga Liebe brauchte. Sie war das taffeste und stärkste Mädchen welches ich kannte. »Aber sicher Moga«, lachte Zara und klopfte ihrer besten Freundin auf die Schulter, »Halte durch, irgendwann kommt die Liebe wieder« »Sehr lieb von dir Zara, aber schmeckt ihr das wirklich nicht? Es fehlt wirklich etwas in diesem Essen...«, murmelte Moga. Von ihrer motzigen Art schien nicht mehr so viel übrig geblieben zu sein. »Nein, für mich schmeckt es wie immer«, antwortete Katy ernst und lehnte sich zurück. Moga schüttelte genervt den Kopf und stand dann auf. »Schön, ich kann das hier nicht mehr essen.« Während sie ihren halb vollen Teller wegbrachte konnte ich mein Lachen nicht mehr unterdrücken. Auch Rose und Donald mussten anfangen, wenig später stimmten auch Emma, Valerie und Zara ein. Nur Katy blieb still und beobachtete Moga ernst. Plötzlich hoffte ich, dass die entspannte Stimmung wieder die Oberhand gewinnen würde.

Das Bett war weich und ich war gemütlich in die Decke eingerollte, trotzdem konnte ich nicht einschlafen. Ich wusste nicht wie spät es war, denn ich besaß keine Uhr. »Schläfst du schon Luna?«, flüsterte jemand. Ich schüttete den Kopf, bis mir auffiel, dass es stockdunkel im Rau war. »Nein«, zischte ich zurück. Wenig später kam Zara zu mir ins Bett gekrochen. »Glaubst du, dass alles wieder so wie früher wird?«, fragte ich sie. »Nein«, antwortete sie schnell. »Wir haben uns alle Verändert und die Toten werden wohl nie wieder aus meinen Gedanken verschwinden. Ich glaube nicht, dass es hier auf Agrunus wieder so sein wird wie früher. Außer wenn wir alle verschwunden sind und nur noch neue Schüler auf der Schule sind« Mir gefiel ihre Ansicht nicht. Ich versuchte all die weißen Gesichter so gut es ging aus meinen Gedanken zu verdrängen und ich hoffte so sehr, dass es mir genauso wie den anderen in absehbarer Zeit gelingen würde. »Es wundert mich, dass es dich nicht so sehr mitnimmt Luna«, flüsterte Zara. »Es nimmt mich schon mit...«, murmelte ich und doch merkte ich, dass es mich wirklich nicht so sehr in meinem Denken beeinflusste. Fast als wäre es egal, oder notwenig gewesen. Ich verspürte nur noch schwache Trauer. Zaras Worte hatten mir die Augen geöffnet. Panik kroch in mir hoch und ich hatte Angst – vor mir selbst.

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