Phase 1

Mein Rucksack stand randvoll mit Klamotten auf meinem Bett, Zara hockte neben mir und kaute nervös auf ihren Fingernägeln herum und Valerie hörte viel zu laut Musik.

»Kannst du das vielleicht etwas leiser stellen, damit ich mich konzentrieren kann?«, fragte ich leicht genervt und warf meiner Zimmermitbewohnerin einen Blick zu.

Valerie zwinkerte und fragte dann: »Seit wann muss man sich beim Kofferpacken konzentrieren Luna?«

»Seit ich nichts vergessen will«, seufzte ich kopfschüttelnd und ging meine Packliste noch einmal durch.

»Du hast schon nichts vergessen«, lachte Zara und erhob sich von meinem Bett. »Können wir nicht endlich los?«

»Ich dachte du willst nicht von hier weg. Warum hast du es denn jetzt so eilig?«, fragte ich und schloss kopfschüttelnd den Rucksack.

»Ich will hier auch nicht weg. Aber ich kann nun mal nichts dagegen machen und ich will nicht zu spät zum Treffpunkt kommen«, seufzte Zara und griff nach ihrem Rucksack.

Die letzten Tage hatten wir beide zusammen mit unserer Gruppe trainiert und heute war der Aufbruch zum ersten Test welcher Morgen stattfinden sollte.

»Dann bis in einer Woche«, sagte ich und winkte Moga, Katy und Valerie zu.

Zara lächelte mir kurz zu, ehe sie zu den drei Mädchen ging und sie umarmte. »Ihr seid nur eine Woche weg und kein ganzes Leben«, lachte Katy und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ihre kurzen Haare waren zu einem Zopf geflochten und hingen ihr über die rechte Schulter.

Zara kam wieder zu mir, ihre wilde Mähne war durch zwei streng geflochtene Zöpfe im Zaum gehalten.

»Dann mal los was«

»Es sind jeweils Zweierzimmer und ein Dreierzimmer. Also sucht euch einen Mitbewohner und holt euch die Schlüsselkarte bei mir ab.«, verkündete Doktor Jacks.

Wir standen in einem verlassenen Flur, eines etwas herunterbekommenden Hotel in der Stadtmitte von Cia.

Auch wenn ein Paar von uns nicht weit entfernt wohnten duften wir nicht bei unseren Familien wohnen, sondern sollten unsere Zeit hier verbringen.

»Ich hole uns eine Karte«, verkündete Zara und ging auf Doktor Jacks zu. Ihr großer Rucksack bedeckte sie fast vollkommen.

Wenig später kam sie triumphierend wieder. »Zimmer 103«, verkündete sie und packte mich am Arm.

Ihre genervte Haltung gegenüber dem Projekt schien sie bereits vergessen zu haben.

Das Zimmer war schlicht eingerichtet, zwei Betten, zwei Kommoden und ein winziges Badezimmer in welchem man nicht einmal die Arme ausstrechen konnte.

Zara hatte sofort angefangen ihre Klamotten auszupacken während ich interessiert aus dem Fenster starrte.

In Agrnuns gab es keine, da die komplette Schule unter der Erde lag.

Ich hatte das Sonnenlicht vermisst.

»Denkst du, dass der Test genauso wird, wie sie es gesagt haben?«, fragte ich nachdenklich und spielte mit dem fliederfarbenen Vorhang.

»Warum denn nicht? Wir hatten so viel Training dafür und haben alles durchgesprochen, warum sollten sie es denn jetzt doch ändern?«

Ich nickte abwesend.

»Wie viele Leute müssen wir prüfen, was denkst du?«

»Wir haben das doch alles besprochen Luna. Sie haben uns doch dieses Infoblatt gegeben, wenn du das gelesen hättest würdest du jetzt nicht all diese Fragen stellen«, seufzte Zara und legte sich flach auf ihr Bett.

»Ich hab es gelesen«, protestierte ich und warf mein Kissen nach ihr.

»Sicher?«, lachte sie und fing es gekonnt im liegen auf.

»Todsicher«

»Bist du denn nicht nervös?«, fragte Zara und warf mein Kissen zurück. »Doch natürlich bin ich nervös. Ich meine wir kennen die Menschen gar nicht mit denen wir reden und doch müssen wir letztendlich entscheiden, ob sie sich für die Abschlussprüfung eignen«, meinte ich und legte mich ebenfalls aufs Bett.

Die Decke war wie die restlichen Wände des Raumes weiß und doch schienen sie ein Muster zu haben.

Müde schloss ich die Augen, ich musste dringend aufhören mir Dinge einzubilden.

Hüte dich vor dem Dach!

Wieder hallte der Satz in meinem Inneren und alles schien sich in mir zu drehen.

Genervt von den Einbildungen schüttelte ich den Kopf und setzte mich wieder auf.

»Ich hole mir etwas zu Essen«, verkündete ich und verließ das Zimmer.

»So etwas trage ich nicht«, protestierte irgendjemand und auch ich musterte die hässliche Uniform. Sie bestand aus einer roten Jacke, einer grauen Hose und einem gelben T-Shirt.

»Warum ist das so hässlich?«, rief irgendjemand und Zara murmelte neben mir zustimmend.

In weniger als einer Stunde sollten wir die ersten Teilnehmer befragen und Doktor Jacks hatte uns gerade die Uniformen für die nächsten Tage ausgeteilt.

»Darin nimmt uns niemand Ernst«, kam es und ich erkannte Saras Stimme.

»Ihr werdet diese Unformen tragen. Keine Widerrede«, schnaubte die Lehrerin und warf einen warnenden Blick in die Runde.

»Ich gebe euch fünf Minuten um euch umziehen, wer sie bis dahin nicht trägt kann mit einer schönen Strafe rechnen«, donnerte die tiefe Stimme von Doktor Thin und sofort wurden die Proteste leiser.

Genervt zog ich die weite Hose über meine Leggins und wechselte mein T-Shirt.

Dann zog ich die Jacke über, welche seltsamerweise perfekt passte und musterte mich in dem großen Spiegel an der Wand.

Mit der Uniform sahen wir aus wie Menschen ohne jeglichen Geschmack.

Auch wenn die Farben nicht allzu grell waren schienen sie Unfähigkeit auszustrahlen.

»Schön«

Doktor Jacks nickte in die Runde, ehe sie eine weitere Kiste hervorholte. »Wenn das jetzt Mützen sind gehe ich mich vergraben«, verkündete Zara neben mir. Die Jacke biss sich schrecklich mit ihren Haaren.

Sophie, welche neben Zara stand, lachte leise auf und lächelte mir dann zu.

»Das hier sind die Geräte auf denen ihr die Fragen findet. Ihr tragt den Namen der Testperson ein die Ergebnisse.«, verkündete sie und reichte jedem ein Gerät.

Es war ungefähr so groß wie eines meiner Schulbücher und hatte einen schwarzen Rahmen.

»Doktor Thin wird euch nun in eure Räume führen. Die ersten Teilnehmer werden in kürze zu euch stoßen. Viel Erfolg«

Ihr Kollege winkte mit der Hand und sofort setzte sich die Schülergruppe in Bewegung. Ich lief hinter Obsidian, welcher sich mit einem anderen Jungen unterhielt.

Neben mir murmelte Zara vor sich und starrte auf das Gerät. Sie schien sichtlich nervös zu sein.

Auch ich fühlte mich nicht mehr so wohl und hätte liebend gerne mit jedem Schüler welcher sich gerade in Agrunus befand getauscht.

Die Anspannung erinnerte mich an meinen eigenen Test und an meine Freude.

Auch wenn ich damals keinen Gesprächstest hatte machen müssen, hatte ich das Gefühl wieder zurück zu meinem Test versetzt worden zu sein.

»Auf euren Geräten erscheint nun eine Zahl. Geht in den Raum mit der Zahl die auf ihm steht«, kommandierte Doktor Thin und ich blickte interessiert auf den schwarzen Bildschirm.

11

Ich suchte nach der Tür mit der Nummer 11 und auch die anderen setzten sich langsam in Bewegung. Schließlich entdeckte ich meine Nummer und ging zielstrebig auf die Tür zu.

Im Inneren befanden sich nur ein Tisch und zwei Stühle.

Ich ließ mich auf den hinteren plumpsen und lehnte mich zurück.

Nicht einmal fünf Minuten später wurde die Tür geöffnet und ein Mädchen trat in den Raum. Sie hatte ein rundes Gesicht und lange braune Haare. »Hey«, sagte ich und lächelte sie verunsichert an.

Eigentlich sollte sie unsicher sein und nicht ich.

Sie lächelte zurück und setzte sich mir gegenüber.

»Ich bin Luna und wie heißt du?«, fragte ich und sah aus dem Augenwinkel wie sich eine Datei auf dem Gerät öffnete.

»Ich heiße Christine Olif«, sagte sie mit einer hohen Stimme und ich hörte die Anspannung aus ihr heraus.

Schnell gab ich ihren Namen ein und ein Bericht über sie erschien.

Sie war elf Jahre alt, hatte drei ältere Geschwister, von denen einer Gesegnet war, einer Unbegabt und eine Ungeprüft.

Ihre Mutter war Gesegnet und ihr Vater nicht, in der Schule war sie zurückhaltend aber gut und in ihrer Freizeit machte sie viel Sport.

Ich überflog den weiteren Text über sie und fragte dann: »Denkst du das du Beschenkt bist?«

Sie sah mich verwundert an und zuckte dann die Achseln »Ich weiß es nicht.«

»Was würdest du gerne können, auch wenn du es jetzt noch nicht kannst?«, fragte ich weiter während ich ihre Antwort eintrug.

Diese Fragen waren so bescheuert, dass ich mich fragte warum sie irgendjemand erst nahm. »Ich würde gerne tanzen können. Wie die Profis«, erwiderte das Mädchen und lächelte.

Ich trug ihre Antwort ein und schluckte, die Frage die ich nun stellen musste war eindeutig von Doktor Mon selbst verfasst worden.

»Denkst du, dass du falls du auf Agrunus kommst der Schule loyal bleiben wirst?«

Sie zuckte kurz, nickte dann aber schnell. »Ja, warum sollte ich nicht«

»Ich weiß nicht. Aber es gibt Schüler die ihre Schule wechseln, weil sie sich nicht wohlfühlen.«, meinte ich schnell.

Ich wusste, dass ich hier überwacht wurde und ich wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass irgendjemand an mir zweifelte.

»Gut, dann beschreibe dich mal in vier Wörtern«, forderte ich sie auf und schaute an ihr vorbei.

»Ich würde sagen: ehrgeizig, sportlich, hilfsbereit und«, sie stockte kurz und blickte mich fragend an ehe sie »wissbegierig« sagte.

Ich schluckte und trug die Worte ein.

Falls Doktor Mon wirklich gezielt nach Teilnehmern suchte die sie in ihre Armee stellen konnte war diese hier eine gute Kandidatin.

Während ich sie die nächsten fünfzehn Fragen beantworten ließ suchte ich mit den Augen nach einer Kamera oder irgendetwas, dass mir signalisierte, dass ich wirklich beobachtet wurde.

Kaum hatte ich die letzte Antwort eingetragen erschien ein grünes Symbol auf dem Bildschirm.

»Dann bis morgen«, sagte ich zu dem Mädchen und lächelte sie zögernd an.

Einerseits freute ich mich für sie, da sie weiter die Chance hatte ihre Gabe zu finden, aber andererseits brachte sie dies auch immer näher an die Schule heran. Näher an Doktor Mon.

»Heißt das, dass ich weiter bin?«, fragte sie aufgeregt. Ich nickte ihr zu und beobachtete wie sie erfreut aufsprang und aus dem Raum stürmte.

Seufzend lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Es tat mir im Herzen weh, es ihr nicht zu gönnen und doch hoffte ich, dass sie bei Phase 2 rausfliegen würde.

Die zweite Person war ein junger Mann mit hohen Wangenknochen, muskelbepackten Armen und einem Piercing in der Unterlippe.

»Mark Reino«, sagte er ehe ich auch nur ein Wort über meine Lippen gebracht hatte.

Ich nickte und tippte seinen Namen ein.

Dieses Mal bekam ich einen interessanteren Lebenslauf. Mark war Ende zwanzig, war in einem Waisenhaus aufgewachsen und war beim Test in der ersten Runde ausgeschieden.

Er setzte sich entschieden auf den Stuhl und blickte mich an. Seine Augen durchbohren mich, als suche er in meinem Inneren nach der ersten Frage, welche ich ihm stellen würde.

»Ich denke ich bin Gesegnet«, sagte er und lehnte sich zurück. »Ich bin loyal und werde das auch gegenüber der Schule sein. Ich bin: loyal, mutig, schnell und schlau«

Verwundert blinzelte ich drei Mal, ehe ich begriff, dass er mir gerade drei der Fragen beantwortet hatte ohne, dass ich sie gestellt hatte.

»Das war beeindruckend«, murmelte ich und gab die Antworten ein.

»Ich sagte ja schon, dass ich Gesegnet bin. Die anderen wollen es nur nicht sehen. Ich kann alles aus den Gesichtern von Menschen lesen. Ich weiß, dass du vor irgendetwas Angst hast, so große Angst, dass du mit niemandem darüber gesprochen hast und ich weiß, dass dir dieser Test Sorgen macht. Ich sehe, dass du die Zeitanhalten kannst und dir Tief in deinem Inneren die ganze Zeit Gedanken um deine Familie machst«

Ich schluckte und starrte auf meine Hände.

»Du willst nicht, dass ich so viel über dich weiß Luna Night Williems, dann solltest du lernen die wichtigen Sachen zu verdrängen und nur unwichtige Infos in deinem Kopf haben. Es gibt viele Menschen, die das können was ich kann und die meisten werden es dir nicht unter die Nase reiben. Es ist ein entscheidender Vorteil.« Mark grinste und stand dann auf. »Ich denke das reicht um mich in die nächste Runde zu lassen.«

Perplex beobachtete ich ihn und sah plötzlich, dass das Display wirklich grün leuchtete. »Ja, bis morgen«, murmelte ich und starrte ihm verwirrt hinterher.

Wie konnte es sein, dass er weitergekommen war obwohl ich nicht einmal vier Fragen eingetragen. Jetzt war ich mir sicher, jemand beobachtete mich.

Seufzend lächelte ich der fünfzehnten Person zu, welche den Raum betrat. Bislang waren alle bis auf eine alte Frau, welche siebenundneunzig gewesen war weitergekommen.

Kaum hatte ich die Person gesehen klappte mir der Mund auf: »Stella«

Meine Freundin lächelte mir zu und ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Überraschung«, lachte sie und ich tippte nervös ihren Namen ein.

»Was machst du hier?«, fragte ich und sah mich wieder im Raum um.

»Der Test ist für alle die wollen, also dachte ich mir warum mache ich ihn nicht noch einmal? Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal.«, erklärte sie lächelt.

Ich schluckte, Stella hatte keine Ahnung von dem was zwischen den Schulen los war. Am liebsten hätte ich ihr befohlen sofort den Raum zu verlassen und den Test zu vergessen.

»Dann fang mal mit den Fragen an«

Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe, während ich die erste Frage auf dem Gerät aufrief. Doch anstatt, dass dort die gewöhnliche Frage kam erschien ein anderer Satz.

Bleib neutral. Es gibt hier jemanden der sonst dafür bezahlen muss!

Mir blieb die Spucke weg und ich wischte die Nachricht vom Bildschirm, dann erschien die ganz gewöhnliche erste Frage auf.

Angespannt stellte ich Stella die mehr oder weniger sinnvollen Fragen, aus welchen ich langsam ein Muster lesen konnte.

Es war wichtig willensstarke, mutige Menschen zu finden, welche loyal zu Doktor Mon blieben, selbst wenn etwas Schlimmes passieren würde.

Nachdem Stella die letzte Frage beantwortet hatte betete ich inständig, dass ich sie nicht weiter lassen durfte. Das es rot wurde und sie ausschied.

Doch es wurde, wie ich erwartet hatte, grün.

»Herzlichen Glückwunsch Stella. Du bist weiter«, verkündete ich und lächelte gezwungen.

Meine frühere beste Freundin grinste über beide Ohren und stand dann auf. »Sehen wir uns dann morgen?«, fragte sie.

Ich zuckte die Achseln. »Es gibt viele Leute die bei dem Test helfen, aber vielleicht«

Sie lächelte erfreut und drehte sich zur Tür.

Freunde können Feinde werden!Hallte es in meinem Inneren doch ich verdrängte die Stimme. Stella war keine Feindin, sie war nur ein unwissendes Mädchen welches sich gerade wie alle Teilnehmer in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Kaum hatte sich die Tür vier Stunden später das letzte Mal hinter einem Teilnehmer geschlossen wurde der Bildschirm des Geräts schwarz und ich erhob mich. Von allen Teilnehmern waren bei mir nur fünf nicht weitergekommen. Alle waren bereits sehr alt gewesen.

Gerade als ich die Tür öffnen wollte hörte ich eine Stimme: »Danke Luna«, sagte eine mir sehr bekannte Stimme.

Rubys Gesicht war an einer Wand erschienen.

»Danke, dass du neutral geblieben bist Luna«

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