Geheimnisse
Ich schrie auf. Ihr Körper lag vor meinen Füßen, eine Blutlache hatte sich um ihre schmale Gestalt gebildet. Mir wurde übel, aber ich schaffte es mich nicht zu übergeben. Entsetzt machte ich einen Schritt zurück und starrte auf ihre Leiche. Wäre ich nicht in dieses Haus gekommen, hätte sie hier bestimmt noch mehrere Monate gelegen. Ich kniff meine Augen zusammen und betrachtete ihren Körper. Sie war bestimmt nicht so umgefallen und gestorben, dann hätte sie niemals so viel Blut verloren. Ich schaute mich in dem verdreckten Raum um. Voller Entsetzten entdeckte ich vier weitere alte Menschen auf dem Boden. Sie lagen eher weiter hinten und mir wurde schwindelig. Irgendjemand hatte all diese Menschen, welche niemandem etwas zu leide taten, kaltblütig ermordet. Ich entdeckte Rupert, welcher schon viele Jahre mit meinem Großvater befreundet gewesen war. Anders als bei den anderen konnte ich kein Blut entdeckten, doch sein Gesicht war genauso schneeweiß wie die der anderen Menschen. Voller Schrecken suchte ich nach meinem Großvater, ich hatte Angst seine Leiche zu sehen und gleichzeitig wollte ich nicht, dass er für immer in diesem Haus liegen würde. Wut, Trauer und Fassungslosigkeit brannten in meinen Gliedern während ich die morsche Holztreppe hinauf stieg. Sie knarrte bei jedem unsicheren Schritt welchen ich weiter nach oben setzte. Ich hatte Angst weitere Tote zu sehen. Denn ich hatte für mein Leben genug leblose Körper zu Gesicht bekommen. Voller Angst betrat ich das Zimmer meines Großvaters und sah sofort, dass er nicht da war. Also war er vermutlich nicht ermordet worden. Mit zitternden Händen suchte ich den Raum ab, ich brauchte dringend einen Hinweis darauf, dass er noch lebte. Ich durchwühlte seine Sachen, welche im Schrank lagen. Es sah nicht so aus, als hätte er etwas mitgenommen. Plötzlich stießen meine Finger an etwas, was nicht weich war. Ich zog daran, doch es bewegte sich nicht. Ich schob die Klamotten zur Seite und blickte auf ein silbernes Kästchen wunderschöne Ornamente verzierten den kompletten Kasten doch ich konnte ihn nicht hochheben. Ich entdeckte einen Sensor, welcher eindeutig für einen Fingerabdruck gedacht war. Kaum hatte ich meinen Finger auf den Sensor gelegt sprang der Kasten auf. Verwundert und aufgeregt starrte ich in das Innere. Ein kleines Gerät lag in ihm. Ich nahm es heraus und drehte es in meinen Händen. Es sah aus wie einer der Monitore welche Doktor Mon auch immer in Agrunus gehabt hatte. Ich suchte nach einem Kopf oder Druckpunkt, mit welchem ich es anschalten konnte, doch ich fand nichts dergleichen. Plötzlich leuchtete es auf und ich hörte die ruhige Stimme meines Großvaters. »Ich wusste, dass du mich als erstes Besuchen würdest Luna«, hallte sie durch den leeren Raum. Vor schreck ließ ich das Gerät fallen. »Wenn ich nicht tot vor dir liege bin ich nicht tot. Wenn schon, tut es mir leid. Ich möchte nicht, dass du mich so tot siehst. Aber jetzt ist es so. Vermutlich weißt du es schon, aber deine Mutter ist nicht immer ehrlich zu dir gewesen, es gibt ein paar Geheimnisse, welche ich dir hier nicht anvertrauen möchte und auch nicht kann. Falls du noch nicht von ihnen weißt hoffe ich, dass du deiner Mutter vertraust. Auch wenn du es nicht glauben magst, sie möchte dich nur vor Schwierigkeiten fernhalten.« Mein Herz raste, Mum hatte wirklich große Geheimnisse vor mir. Aber Großvater wollte, dass ich ihr trotz all dem vertraute. Aber warum hatte Mum mir verboten Großvater zu besuchen. Er stand schließlich auf ihrer Seite. »Ich möchte dir nur sagen, dass es hier auf der Welt so viele Geheimnisse gibt, welche miteinander verknüpft sind. Die meisten bauen auf einem großen Geheimnis auf. Das Problem ist nur, dass ich damals als ich es herausgefunden hatte „entwissisiert" wurde. Ich erinnere mich nicht mehr daran, was dieses Geheimnis ist. Aber es verbindet alle Menschen. Leb wohl Luna« Ich schluckte und starrte auf das nun wieder schwarze Gerät. Ich spürte, dass mir Tränen in den Augenwinkeln brannten, doch ich wischte sie weg. Ich wollte nicht mehr so viel weinen. Großvater lag nicht vor mir, also war er nicht tot. Er war noch am Leben vielleicht auf der Flucht. Ich nahm das Gerät und steckte es mir in die Jackentasche. Vertraue deiner Mutter hatte er gesagt. Und gleichzeitig hatte er bestätigt, dass sie viele Geheimnisse vor mir hatte. Ich hoffte, dass mir die Unwissenheit dieser Geheimnisse nicht später zum Verhängnis wurde.
Voller Schrecken verließ ich das Haus voller Leichen und rief die Wächter. Diese waren bei solchen Fällen dafür da, die Leichen wegzuräumen und den Täter zu ermitteln. Ich wusste, dass nicht nach den Tätern gesucht werden würde, für die Regierung war es nur gut, wenn diese Störenfriede gestorben waren. Ich sagte den Wächter nicht meinen Namen und verschwand bevor sie eintrafen aus der dunkeln Gasse. Mum durfte nicht wissen, dass ich wieder versucht hatte Großvater zu besuchen. Sie hatte es mir verboten. Vielleicht weil sie Angst hatte, dass er mir ihre Geheimnisse erzählen würde. Das er mir irgendetwas verraten würde, was sie nicht wollte, dass ich es wusste. Vielleicht hatte eben dieses Geheimnis mit Sandy Pillms zu tun.
Ich stand vor unserer Haustür und atmete tief durch, Mum durfte nicht sehen, dass ich aufgewühlt war. Denn dann würde sie mich mit Fragen durchlöchern. Ich drückte die Klinge hinunter und sofort sah ich Mum, welche direkt hinter der Tür stand und mich aufmerksam beobachtete. »Hallo... Mum«, seufzte ich und blickte sie genervt an. Ich brauchte keine Vorwürfe. »Hast du nach ihr gesucht?«, fragte Mum und ich hörte einen gewissen Unterton, welchen sie nur hatte wenn sie besorgt oder total genervt war. »Nein«, log ich. Sie zog die schmalen Augenbrauen zusammen und musterte mich prüfend. »Ich wollte sie gar nicht suchen. Ich... ich war wieder auf dem Friedhof«, log ich. Ich hatte in letzter Zeit so viele Stunden dort verbracht, dass Mum auch nicht mehr wollte, dass ich in jeder freien Minute dorthin ging. »Warum bist du nicht ehrlich mit mir?«, fragte sie traurig und sah mir tief in die Augen. »Ich weiß nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. Sie musste nicht wissen, dass ich immer noch nicht die Wahrheit gesagt hatte. »Luna. Bitte versprich mir, die Wahrheit bei solch wichtigen Angelegenheiten zu sagen«, Ich kniff die Augen zusammen und schob mich an ihr vorbei. Sie erwartete, dass ich ehrlich zu ihr war, verschwieg mir aber Dinge, welche selbst Großvater als wichtig ansah. »Ja«, murmelte ich und ging in mein Zimmer. Ruby lag auf ihrem Bett und ließ sich eine Geschichte vorlesen. Ich beobachtete sie lächelt. Ihre Füße wippten auf und sie summte eine Melodie, während sie sich vorlesen ließ. »Hey Lun«, sagte sie und grinste mich breit an. Ich lächelte sie an, brachte aber keinen Ton hervor. Mein Hals war verstopft. In meinem Kopf schwirrten die Leichen. Ich wollte sie nicht sehen, ich verfluchte mich selbst, dass ich in das Haus gegangen war. Ich schaltete den Schall- und Sichtschutz ein und legte mich auf mein Bett. Mein Koffer stand neben ihm. Ich griff nach meinem Notizbuch und schlug eine Seite auf. Ich musste schlucken, als ich die Zeilen sah. Ich konnte mich noch an den Tag erinnern. Es war wenige Tage vor dem Angriff auf Agrunus gewesen. Ich hatte mit An meinen Nachmittag verbracht und wir hatten so viel gelacht. Ich spürte die Tränen in meinen Augen und schlug das Notizbuch wütend zu. Ich stand von meinem Bett auf und warf das Notizbuch auf meinen Schreibtisch. Dann ging ich in die Küche. Ich hörte die Stimme des Informators durchs Wohnzimmer schallen. Diese Maschine nannte vierundzwanzig Stunden an jedem Tag der Woche alle wichtigen Informationen und Geschehnisse. Von berühmten Personen, schönen Nachrichten, Schocknachrichten und traurige Geschichten gab es alles. Vor einem Jahr hatte ich manchmal Stunden dem Informator zugehört. Den Tratsch und Klatsch von berühmten Sängern, Schauspielern und anderen Berühmtheiten hatte ich mir immer gerne angehört, während ich Hausaufgaben gemacht hatte oder mich mit meinen Freundinnen Mara und Stella unterhalten hatte.
Es klingelte plötzlich und ich sah einen eingehenden Anruf. Unbekannte Rufnummer. Ohne nachzudenken nahm ich den Anruf an. Auf unserer Küchenwand erschien ein schwarzes Bild, ab und zu flackerte ein Lichtschein durch das undurchdringliche dunkel, kein Geräusch wurde weitergegeben. Plötzlich sah ich das Gesicht von meinem Großvater, er sah Müde aus, die Wangen waren eingefallen und er hatte einen Schnitt auf der Stirn. »Ich lebe. Mach dir keine Sorgen«, flüsterte er, dann war der Anruf weg und die Wand war wieder weiß. »Wer war das Luna?«, rief Dad aus dem Wohnzimmer. »War sofort wieder weg«, rief ich zurück. Ich lüge nicht, redete ich mir ein er war wirklich nur wenige Sekunden da!
Ich saß im Jet, Mum und Dad vorne, ich hinten. Die schwarzen Wolken waren heute besonders düster und mir war mulmig zumute. »Hast du eine Idee wohin wir fahren?«, fragte Dad mich und schaute über seine Schulter. Ich schüttelte den Kopf. »Gar keine...« Wieder schüttelte ich den Kopf. Sie hatten mir auch keine Tipps gegeben, woher sollte ich es wissen? »Wir sind bald da«, versprach Mum und lächelte. Sie fuhr den Jet. Ich lehnte mich in meinem weichen Sitz zurück und schloss die Augen. Doch dann riss ich sie sofort wieder auf. Denn ich sah wieder die tote Sia vor mir. Sofort stiegen mir wieder Tränen in die Augen, doch ich verdrängte sie und versuchte die ruhige Fahrt zu genießen. Immer wieder schwiffen meine Gedanken zu den toten Alten. Ich fragte mich, ob etwas von dem Massenmord in dem Haus bereits an die Öffentlichkeit gelangt war. »Können wir eigentlich Mal wieder Großvater besuchen?«,fragte ich unschuldig. Ich wusste, dass Mum nicht wollte, dass ich ihn sah, doch wenn etwas davon bereits öffentlich war wusste ich, dass Mum anders reagieren würde. »Warum willst du den denn besuchen?«, fragte Mum und ich hörte den wütenden Unterton wieder in ihrer Stimme. Sie wollte nicht, dass ich ihr wieder etwas von der Magie erzählte. »Weil er nun mal mein Großvater ist«, erwiderte ich und verschränkte die Arme. Entweder wusste Mum nichts von dem Vorfall, oder sie wollte es vor mir verbergen. »Bitte Mum« Sie schüttelte den Kopf und ich sah, wie sie aufs Gaspedal trat. Wir beschleunigten immer schneller. »Was machst du da?«, rief Dad erschrocken und versuchte Mum davon abzuhalten, den Jet weiter zu beschleunigen. Mein Herz raste, wir waren mitten in der Stadt, überall waren Gebäude, es war quasi unmöglich nicht gegen eines zu fliegen. Mein Puls beschleunigte sich immer weiter und ich wurde in den Sitz gedrückt. Ich musste mir überlegen, wie ich Mum davon abbringen konnte uns alle drei in den Tod zu fahren. »Halt sofort an!«, fauchte Dad und versuchte Mum am Arm zu packen. »Stopp Mum«, rief ich. Langsam stieg die Panik in mir auf. Mum zog das Lenkrad des Jets steil nach links und ich wurde in meinen Sitz gepresst. Alle Luft wich aus meinen Lungen und eine Sekunde wurde mir schwarz vor Augen. Ich hörte Dad fluchen, während ich einen Blick aus dem Fenster warf, die Häuser und anderen Jets rasten an uns vorbei, wir hatten mindestes das dreifache Tempo, des Limits drauf und mir wurde schummrig. Mum riss das Lenkrad wieder steil herum und mein Kopf stieß gegen etwas Hartes. »Stopp!«, kreischte ich und hielt mir den Kopf. Ich spürte etwas Warmes. Blut! Meine Hände fingen an zu zittern, was hatte Mum vor?
Plötzlich schien die Zeit langsamer zu laufen. Wie in Zeitlupe sah ich einen dunkelblauen Jet durch das fordere Fenster. Eine Frau mit dicken Lippen saß am Steuer. Ihrer Augen weiteten sich. Ich handelte ohne nachzudenken. Die Zeit blieb stehen. Unser Jet blieb in der Luft stehen, Mum und Dad erstarrten. Auch die Jets um uns herum erstarrten. Meine Gedanken rasten, irgendwie musste ich uns alle retten. Mühsam und mit zitternden Beinen stand ich auf. Dann griff ich nach Dads rechten Arm und zog ihn mit mir zwischen die Zeiten. Er keuchte auf und starrte mich verdattert an. »Wa- Was ist passiert Luna?« »Wir sind zwischen der Zeit«, erläuterte ich so ruhig wie ich konnte, dann öffnete ich die Seitentür. Wir waren mindestens dreißig Meter über dem Boden. Ich sah, wie sich Dads Augen weiteten. »Wir müssen da runter. Du musst springen«, sagte ich und starrte zu Mum, ich konnte ich nicht zwischen die Zeit ziehen, da ich nicht wusste, wie sie reagieren würde. »Ich soll springen Luna?!«, rief Dad fassungslos und ich sah, dass er Angst hatte. »Dir ist schon klar, dass ich nicht so ein Hypermensch bin. Also, ich werde das nicht überleben...« Ich schluckte, langsam ging mir die Kraft aus. »Du wirst nicht fallen, es ist wie eine Treppe«, erklärte ich und machte einen Schritt aus dem Jet, dann stand ich in der Luft. Mein Vater starrte auf meine Füße, dann stand er auf und machte ganz vorsichtig einen Schritt ins Nichts. Als er bemerkte, dass es wirklich keine Gefahr gab traute er sich auch aus dem Jet. Ich nickte ihm zu, dann lief ich zu dem anderen Jet. Mit großen Anstrengungen schaffte ich es die Tür von außen zu öffnen. Ich zog die Frau ebenfalls zwischen die Zeit. »Bleiben sie ruhig. Ich bin die Tochter von der verrückten Fahrerin, wenn sie machen was ich sage wird Ihnen nichts passieren«, sagte ich schnell, dann erklärte ich ihr: »Sehen sie den Mann dort, dass ist mein Vater. Er besitzt keine Gabe. Aber wir sind zwischen der Zeit, deshalb können Sie genau das, was er auch kann.« Ihre Augen zuckten hin und her. »Wa- Was?«, flüsterte sie und starrte mich verdattert an. »Ich kann die Zeit anhalten, deshalb können sie nun auf der Luft stehen. Ich bitte Sie, sich zu beeilen, denn mit jeder Sekunde wird es anstrengender die Zeit anzuhalten. Ich sah die Verwirrung und doch erhob sie sich von ihrem gepolsterten Sitz. Dann machte sie vorsichtig einen Schritt nach draußen. Das war das gute daran Gesegnet zu sein. Die Menschen vertrauten einem in gefährlichen Situationen. »Und... es passiert wirklich nichts?«, flüsterte sie und krallte ihre langen Fingernägel in meinen Arm. Ich nickte und half ihr aus dem Jet. Als sie komplett im Nichts stand und nicht fiel schien sie eine Sekunde erleichtert ehe ich sie langsam aber sicher dazu brachte nach unten zu gehen. Nach ungefähr zehn Metern hatte sie verstanden, wie das Laufen funktionierten. »Danke«, hauchte sie. Dann ließ ich ihren Arm los und sie ging weiter nach unten. Sie schien nicht zu bemerken, dass ich mit jeder Sekunden angestrengter wurde. Ich suchte nach Dad und konnte ihn kurz vor dem Boden entdecken. Nun wieder mutiger und mit etwas mehr Kraft kämpfte ich mich nach oben um Mum zu retten. Nun war nur noch sie in Lebensgefahr. Die zehn Meter kamen mir endlos vor und meine Kräfte waren völlig aufgebraucht. Wieder warf ich einen Blick nach unten. Dad hatte den Boden erreicht, die Frau war in seiner Nähe. Alles würde gut werden. Noch wenige Zentimeter trennten mich von der offnen Tür. Schweiß lief mir übers Gesicht. Ich fasste die Tür und zog mich hoch. Meine Arme zitterten und mir wurde eine Sekunde schwarz vor Augen. Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde Mum nach unten zu bringen. Aber ich musste es versuchen. Ich zog mich auf Dads Sitz und öffnete die Augen wieder. Ich drehte den Kopf zu Mum und erstarrte, so als hätte jemand meine Zeit angehalten. Mein viel zu schneller Herzschlag verdoppelte sich noch einmal und mir wurde wieder schwarz vor Augen. Der Fahrersitz war leer. Mum war verschwunden.
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